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Jahrgang 2010 in Österreich

Berichte, Erfahrungen, Prophezeiungen
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weinfidél

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Jahrgangsberichte

BeitragSo 19. Dez 2010, 16:48

Guten Tag allerseits!

Mit erfolgter Zustimmung des Autors veröffentliche ich hiermit einen Auszug (nur das, was wirklich weinrelevant ist) des Kundenbriefs 2010, von:

Franz Proidl, Senftenberg (Kremstal)

"
Geschätzte Weinfreunde, liebe Weinfreundinnen!

Es ist vollbracht! Nach einem langen, kalten, ungemütlichen Herbst, der uns erst ab dem 26. Oktober ideales Wetter beschert hat, haben die letzten Trauben in den Keller gefunden.
( …… )

Damit zum Jahrgang 2010, wie war er bisher?
Nichts für ängstliche Winzer. Bald war zu bemerken, dass die Erntemenge durch diesen seltsam dunklen, oft wolkenverhangenen, wenn auch nicht kalten Sommer viel zu gering sein würde. Viele Winzer konnten daher der Versuchung nicht widerstehen, die wenigen Trauben bald in Sicherheit zu bringen. Die Zuckerwerte waren ja im brauchbaren Bereich, das Problem der sehr hohen Säure wurde in den Keller verlagert.

Aber, wie wird der Jahrgang?
Auf das übliche Marketinggetöse vom erneut sehr guten Jahrgang möchte ich mit einem interessanten Blick in die Vergangenheit antworten:

Aus der „Allgemeinen Weinzeitung“ vom Oktober 1910
„Das Jahr 1910 wird den österreichischen Weinbauern noch lange in Erinnerung bleiben. Seit 50 Jahren hatte der Weinbau nicht mehr unter so ungünstigen Verhältnissen zu leiden. Es muß daher das Jahr 1910 für den österreichischen Weinbauernstand als ein Jahr des größten Jammers und Elends bezeichnet werden. Daran kann wohl auch der Umstand nichts ändern, daß einige wenige weinbaubetreibende Gegenden Tirols und Dalmatiens eine Mittelernte zu verzeichnen haben.
Vor allem den kleinen Weinbauern müßte finanziell über dieses „Jahr des Elends“ hinweggeholfen werden, andernfalls wäre eine Massenlandflucht möglich, wie wir sie noch nicht erlebt haben.“


Na, hatten die Mut, haben einfach die Wahrheit geschrieben.
Keine Angst, liebe Weinfreunde. Mittlerweile hat sich im Weingarten und Keller so viel getan, dass es auch aus dem Jahr 2010 mit viel Geduld (Haupternte war bei uns in der 2. Novemberwoche) herausragende Weine in unserem Keller geben wird, ans Auswandern wird auch keiner denken.
( …… )

….. der neue Jahrgang ist konzentriert mit toller Frucht aber mit hoher bis zu hoher Säure. An ihr werde ich mit meiner mittlerweile großen Erfahrung mit dem biologischen Säureabbau arbeiten. Über diese Arbeit und das Ergebnis werden wir im Frühjahr berichten. Das Schöne an diesem Jahrgang ist: je kälter, desto bevorzugter die besten Lagen. Weine von fetten Rübenböden mit protzigen Namen werden heuer keine Chance haben. Die Sorten Grüner Veltliner und Riesling waren klar im Vorteil. Über Rotwein wird wenig zu reden sein. Dem Markt wird bewusst werden, dass die Mengen nicht immer im genügenden Ausmaß bis Übermaß von den Bäumen fallen. Dauernde Rabattschlachten in großen Ramschregalen sind eines Naturprodukts sowieso unwürdig. Sie werden sich mit dem 2010er europaweit für einige Zeit erledigt haben.

Dazu passend und auf allgemeinen Wunsch zum Vergleich die letzten Jahrgänge in Senftenberg und den angrenzenden sieben Hügeln:

2010, 2001 , 1991, 1989, 1987:
Kalte, fordernde Jahrgänge, mir gefallen sie, weil oft sehr eigenständige und unbändige Weine entstehen. Bei der Lagerfähigkeit sind die hochreifen Weine sehr gut und lange frisch, den großen Rest sollte man bei Zeiten austrinken. Die Sonne Richtung Minimum bedeutet in diesen Jahren viel Arbeit bei wenig Lohn.

2009:
Exakt das Gegenteil zu 2010. Turboreife bei Hitze und Feuchtigkeit im Herbst, teilweise große Weine mit spannendem Zucker-/Säureverhältnis, die besten Süßweine meines bisherigen Winzerdaseins. Kein Vergleich mit einem anderen Jahrgang möglich. Daher waren wir uns lange unsicher. Schlecht erwischt dürften wir es nicht haben, wie die vielen großartigen Bewertungen für diese Weine während der letzten Monate zeigen. Arbeiten musste man dafür wie ein Berserker.

2008, 1982:
Warm, durch starke Niederschläge große Mengen. Qualität daher je nach Menge von mittelmäßig bis sehr gut. Lagerfähigkeit von „austrinken“ bis „sehr gut“. 1982 brachte Riesenmengen, die wenigen schon vorhandenen privaten Schwimmbäder waren teilweise schon mit Wein befüllt. Das Wort „Badevergnügen“ konnte daher in diesem Jahr eine ganz eigene Bedeutung haben.

2007 und 2002:
Fein, elegant, teilweise große Weine, reif aber nicht überreif, wobei das Hochwasserjahr 2002 für mich durch zu viel Feuchtigkeit etwas zu wenig Rückgrat besitzt.

2006:
Für mich hat er sich das Attribut „Jahrhundertjahrgang“ verdient, mit Nichts zu vergleichen.

2005, 1999, 1997, 1993, 1988, 1985,1981:
Ganz und gar klassische Jahrgänge für trockene, perfekte Weißweine. Vom Witterungsverlauf her problemlos, unauffällig und sehr ausgewogen sind das Jahrgänge, die in der Jugend immer unterschätzt werden. 1997 ragt dabei als der Langstreckenläufer noch heraus. 1985 und 1981 gab es durch starken Frost nur „Miniernten“.

2004, 2000, 1998, 1995:
Schwierige Jahrgänge mit Dauerfeuchtigkeit im Herbst. Die Weine bauen sich viel besser aus, als ich mir das jemals vorstellen konnte. Durch viel Botrytis ist natürlich die Sortenfrucht nicht so klar wie in trockenen Jahrgängen. Gute, konzentrierte Süßweine in reichen Mengen, graue Haare ebenfalls.

2003, 1994, 1992, 1986, 1983:
Hitzejahrgänge, die uns eine Vorahnung auf das Klima in fünfzig Jahren gaben. Alle Jahrgänge entwickeln sich entgegen mancher Prognose prächtig. Wobei wir beim heißesten, dem 2003er, durch einen Hagelschaden das Glück hatten, dass die Reife um circa drei Wochen verzögert wurde und unsere Weine der oft merkbaren Plumpheit des Jahrganges entgingen.

1996, 1984, 1980:
Ohne Sonne ist es halt schwer. Das war „wirklich“ Säure, noch dazu ohne Zucker. Viele Fässer blieben leer.

Sie sehen, wir Winzer brauchen keine Extremsportarten. Wir werden sowieso von Wind und Wetter durch die Jahre gebeutelt. Was uns und damit Sie erwartet, wissen wir nie. Wirtschaftlichkeitsberechnungen, Kreditfinanzierungen aufbauend auf Prognosen von sogenannten Beratern, die ihr warmes Büro selten verlassen, sind mir daher immer herzlich willkommen. Lachen entspannt und lenkt etwas vom nächsten Hagelsturm ab! Momentan gibt es sowieso keinen Grund für Verspannungen. Jetzt beginnt für uns die ruhigere, doch etwas besinnlichere Zeit.
( …… )
"

Ich denke, das ist für den einen oder anderen ganz interessant.

Einen schönen Adventsnachmittag!
Rico
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Gerald

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Jahrgang 2010 in Österreich

BeitragDo 13. Jan 2011, 12:32

Trotz dem nicht gerade vorteilhaften Wetter (besonders die wenigen Sonnenscheinstunden) soll der Jahrgang gar nicht so schlecht geworden sein, obwohl die Erntemengen noch deutlich unter der ohnehin schon geringen Ernte des Vorjahres liegen dürften.

Naturgemäß muss man sich im Moment mehr auf die Aussagen der Winzer verlassen, die ja schon aus eigenem Interesse den Jahrgang eher positiv sehen werden. Die teilweise bereits erhältlichen Jungweine habe ich zumindest gar nicht probiert, da sie meiner Ansicht nach ohnehin nicht viel Rückschluss auf die Qualität der "ernsthaften" Weine desselben Jahrganges zulassen.

Eine durchaus ausführliche Jahrgangseinschätzung gibt es von der Domäne Wachau:

http://www.domaene-wachau.at/uploads/me ... JG2010.pdf

Wie üblich bei der Domäne zusammengefasst "gute Qualität, geringe Mengen" (aber das kann man bei der Domäne schon fast seit ihrer Gründung Jahr für Jahr lesen) :)

Grüße,
Gerald
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Gerald

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Re: Jahrgang 2010 in Österreich

BeitragFr 4. Mär 2011, 12:54

Aktuelle Daten über die geringe Erntemenge 2010 sprechen von einem Rückgang von 26% gegenüber 2009:

http://burgenland.orf.at/stories/502343/

Zur Qualität gibt es inzwischen sehr unterschiedliche Aussagen, nicht wenige Winzer sehen es aber ungefähr so: allgemein schlechte Qualität, nur Winzer, die genauestens im Weinberg gearbeitet haben, konnten hervorragende Weine produzieren (implizit oder direkt ist natürlich damit immer das eigene Weingut gemeint) ;)

Selbst habe ich noch keinen 2010er probiert, jetzt im März beginnen aber langsam die Verkostungstermine für "richtige" Weine (also nicht Junker & Co).

Grüße,
Gerald
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robertz

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Re: Jahrgang 2010 in Österreich

BeitragMo 21. Mär 2011, 09:51

Hallo

Ich hatte vorige Woche das Vergnügen :D , bei einigen Top-Winzern der Wachau (F.X, Hirtzberger, Knoll, Alzinger, Schmelz) ihre gesamte Kollektion 2010 (Faßproben) zu verkosten. Im Zuge dessen bin ich auf viele sehr saubere (kaum bis keine Botrytis auch in den Top-Smaragden) und äußerst extraktreiche Weine gestossen. Auch die kräftigsten Smaragde wirkten durch diese Extraktfülle sehr fokusiert, bei kaum einem Wein trat die Säure unangenehm hervor. Zumeist haben die Betriebe (lt. deren Aussagen) nur die Federspiele (und dabei die Rieslinge) entsäuert.

Wer bereit ist, genug Geld in die Hand zu nehmen (und das ist die schlechte Nachricht, die Preise werden z.T ordentlich steigen :( ), kann sehr schöne und vermutlich sehr lagerfähige Weine kaufen. Trotzdem empfiehlt sich ein Verkosten (insbesondere bei den Federspielen), da mir persönlich bei einigen wenigen Weinen etwas zur runden Harmonie ;) gefehlt hat.

P.S. Einige wenige Weine zeigten auch neben ihrer Mineralität ein leichtes Bitterl im Abgang. Ich bin gespannt, wie sich das nach der Füllung zeigen wird.

Liebe Grüsse, Robert
Zuletzt geändert von robertz am Mo 21. Mär 2011, 11:42, insgesamt 1-mal geändert.
Vergeblich klopft, wer ohne Wein ist, an der Musen Pforte. ;)
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Gerald

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Re: Jahrgang 2010 in Österreich

BeitragMo 21. Mär 2011, 10:02

Hallo Robert,

danke für deine Einschätzung. Ich werde mich voraussichtlich heute nachmittag nach Dürnstein zur Präsentation der Domäne Wachau begeben, bin schon neugierig.

Das mit den zu erwartenden Preissteigerungen ist natürlich auch so eine Sache - denn anders als bei Weinen mit Sekundärmarkt (insb. Bordeaux) gehen die Preise ja - einmal erhöht - üblicherweise nicht mehr herunter. Ich werde da vermutlich eher nach besonders gelungenenen Weinen der nicht ganz so berühmten Winzer Ausschau halten.

Grüße,
Gerald
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weinfidél

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Re: Jahrgang 2010 in Österreich

BeitragMo 21. Mär 2011, 12:31

Hallo allerseits!

Melde mich ebenfalls zurück von der jährlichen Frühjahrsverkostung der für mich wesentlichsten Weißweinen vom "Großraum" Krems...
Muss aber hier zuerst mal "à jour" werden, bevor ich einige Eindrücke dokumentieren kann.

fidélst
Rico
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weinfidél

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Re: Jahrgang 2010 in Österreich

BeitragDo 24. Mär 2011, 01:22

Hi!

Kurz und bündig:
Viel, viel besser als erwartet, teilweise geradezu grandios! - Der Jahrgang bringt einiges an Säure mit sich - Die verkosteten Serien präsentierten sich aber super trinkfreudig, und zwar insbesonders dank der tragenden Säure - heuer viel Frucht, sehr präzise, ganz viel Lagencharakter, kurz, ungemein fokussiert! - Bei den GV's ist eigentlich nirgendwo entsäuert worden - Bei den RI's war's da und dort nötig (Robert, nicht nur bei den Federspielen...), um die angestrebte Balance zu gewährleisten. Die Umsetzung ist verblüffend gut gelungen. - Alle (!) Serien konnten in der Gesamtheit überzeugen. - Diese Qualitäten haben zwei Wermutstropfen: +/- 40% Ertragseinbußen... = +/- 10% Preiserhöhungen...
Verkostet: Graben-Gritsch, Hirtzberger, Knoll, Pichler F.X., Pichler-Krutzler, Veyder-Malberg (alle Wachau) und Proidl (Kremstal). Proidl's Spitzen waren noch in der Gärung, also muss ich noch zittern... ;)
Restverkostung folgt an der ProWein!

fidélst
Rico
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Gerald

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Re: Jahrgang 2010 in Österreich

BeitragDo 24. Mär 2011, 10:42

Hallo Rico,

die Präsentation des neuen Jahrgangs am Montag bei der Domäne Wachau (siehe Wachau-Unterforum) hat auf mich einen ähnlichen Eindruck hinterlassen: ausgesprochen expressive, attraktive Frucht, dabei auch am Gaumen rundherum harmonisch. Für mich in diesem Stadium die besten Weine seit Jahren.

Wie das Entwicklungspotenzial aussieht, das kann ich natürlich nicht beurteilen bzw. überlasse ich den Profis (die bei solchen Einschätzungen auch oft genug komplett daneben gelegen sind ;) ) ...

Grüße,
Gerald

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