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Guten Tag allerseits!
Mit erfolgter Zustimmung des Autors veröffentliche ich hiermit einen Auszug (nur das, was wirklich weinrelevant ist) des Kundenbriefs 2010, von:
Franz Proidl, Senftenberg (Kremstal)
"
Geschätzte Weinfreunde, liebe Weinfreundinnen!
Es ist vollbracht! Nach einem langen, kalten, ungemütlichen Herbst, der uns erst ab dem 26. Oktober ideales Wetter beschert hat, haben die letzten Trauben in den Keller gefunden.
( …… )
Damit zum Jahrgang 2010, wie war er bisher?
Nichts für ängstliche Winzer. Bald war zu bemerken, dass die Erntemenge durch diesen seltsam dunklen, oft wolkenverhangenen, wenn auch nicht kalten Sommer viel zu gering sein würde. Viele Winzer konnten daher der Versuchung nicht widerstehen, die wenigen Trauben bald in Sicherheit zu bringen. Die Zuckerwerte waren ja im brauchbaren Bereich, das Problem der sehr hohen Säure wurde in den Keller verlagert.
Aber, wie wird der Jahrgang?
Auf das übliche Marketinggetöse vom erneut sehr guten Jahrgang möchte ich mit einem interessanten Blick in die Vergangenheit antworten:
Aus der „Allgemeinen Weinzeitung“ vom Oktober 1910
„Das Jahr 1910 wird den österreichischen Weinbauern noch lange in Erinnerung bleiben. Seit 50 Jahren hatte der Weinbau nicht mehr unter so ungünstigen Verhältnissen zu leiden. Es muß daher das Jahr 1910 für den österreichischen Weinbauernstand als ein Jahr des größten Jammers und Elends bezeichnet werden. Daran kann wohl auch der Umstand nichts ändern, daß einige wenige weinbaubetreibende Gegenden Tirols und Dalmatiens eine Mittelernte zu verzeichnen haben.
Vor allem den kleinen Weinbauern müßte finanziell über dieses „Jahr des Elends“ hinweggeholfen werden, andernfalls wäre eine Massenlandflucht möglich, wie wir sie noch nicht erlebt haben.“
Na, hatten die Mut, haben einfach die Wahrheit geschrieben.
Keine Angst, liebe Weinfreunde. Mittlerweile hat sich im Weingarten und Keller so viel getan, dass es auch aus dem Jahr 2010 mit viel Geduld (Haupternte war bei uns in der 2. Novemberwoche) herausragende Weine in unserem Keller geben wird, ans Auswandern wird auch keiner denken.
( …… )
….. der neue Jahrgang ist konzentriert mit toller Frucht aber mit hoher bis zu hoher Säure. An ihr werde ich mit meiner mittlerweile großen Erfahrung mit dem biologischen Säureabbau arbeiten. Über diese Arbeit und das Ergebnis werden wir im Frühjahr berichten. Das Schöne an diesem Jahrgang ist: je kälter, desto bevorzugter die besten Lagen. Weine von fetten Rübenböden mit protzigen Namen werden heuer keine Chance haben. Die Sorten Grüner Veltliner und Riesling waren klar im Vorteil. Über Rotwein wird wenig zu reden sein. Dem Markt wird bewusst werden, dass die Mengen nicht immer im genügenden Ausmaß bis Übermaß von den Bäumen fallen. Dauernde Rabattschlachten in großen Ramschregalen sind eines Naturprodukts sowieso unwürdig. Sie werden sich mit dem 2010er europaweit für einige Zeit erledigt haben.
Dazu passend und auf allgemeinen Wunsch zum Vergleich die letzten Jahrgänge in Senftenberg und den angrenzenden sieben Hügeln:
2010, 2001 , 1991, 1989, 1987:
Kalte, fordernde Jahrgänge, mir gefallen sie, weil oft sehr eigenständige und unbändige Weine entstehen. Bei der Lagerfähigkeit sind die hochreifen Weine sehr gut und lange frisch, den großen Rest sollte man bei Zeiten austrinken. Die Sonne Richtung Minimum bedeutet in diesen Jahren viel Arbeit bei wenig Lohn.
2009:
Exakt das Gegenteil zu 2010. Turboreife bei Hitze und Feuchtigkeit im Herbst, teilweise große Weine mit spannendem Zucker-/Säureverhältnis, die besten Süßweine meines bisherigen Winzerdaseins. Kein Vergleich mit einem anderen Jahrgang möglich. Daher waren wir uns lange unsicher. Schlecht erwischt dürften wir es nicht haben, wie die vielen großartigen Bewertungen für diese Weine während der letzten Monate zeigen. Arbeiten musste man dafür wie ein Berserker.
2008, 1982:
Warm, durch starke Niederschläge große Mengen. Qualität daher je nach Menge von mittelmäßig bis sehr gut. Lagerfähigkeit von „austrinken“ bis „sehr gut“. 1982 brachte Riesenmengen, die wenigen schon vorhandenen privaten Schwimmbäder waren teilweise schon mit Wein befüllt. Das Wort „Badevergnügen“ konnte daher in diesem Jahr eine ganz eigene Bedeutung haben.
2007 und 2002:
Fein, elegant, teilweise große Weine, reif aber nicht überreif, wobei das Hochwasserjahr 2002 für mich durch zu viel Feuchtigkeit etwas zu wenig Rückgrat besitzt.
2006:
Für mich hat er sich das Attribut „Jahrhundertjahrgang“ verdient, mit Nichts zu vergleichen.
2005, 1999, 1997, 1993, 1988, 1985,1981:
Ganz und gar klassische Jahrgänge für trockene, perfekte Weißweine. Vom Witterungsverlauf her problemlos, unauffällig und sehr ausgewogen sind das Jahrgänge, die in der Jugend immer unterschätzt werden. 1997 ragt dabei als der Langstreckenläufer noch heraus. 1985 und 1981 gab es durch starken Frost nur „Miniernten“.
2004, 2000, 1998, 1995:
Schwierige Jahrgänge mit Dauerfeuchtigkeit im Herbst. Die Weine bauen sich viel besser aus, als ich mir das jemals vorstellen konnte. Durch viel Botrytis ist natürlich die Sortenfrucht nicht so klar wie in trockenen Jahrgängen. Gute, konzentrierte Süßweine in reichen Mengen, graue Haare ebenfalls.
2003, 1994, 1992, 1986, 1983:
Hitzejahrgänge, die uns eine Vorahnung auf das Klima in fünfzig Jahren gaben. Alle Jahrgänge entwickeln sich entgegen mancher Prognose prächtig. Wobei wir beim heißesten, dem 2003er, durch einen Hagelschaden das Glück hatten, dass die Reife um circa drei Wochen verzögert wurde und unsere Weine der oft merkbaren Plumpheit des Jahrganges entgingen.
1996, 1984, 1980:
Ohne Sonne ist es halt schwer. Das war „wirklich“ Säure, noch dazu ohne Zucker. Viele Fässer blieben leer.
Sie sehen, wir Winzer brauchen keine Extremsportarten. Wir werden sowieso von Wind und Wetter durch die Jahre gebeutelt. Was uns und damit Sie erwartet, wissen wir nie. Wirtschaftlichkeitsberechnungen, Kreditfinanzierungen aufbauend auf Prognosen von sogenannten Beratern, die ihr warmes Büro selten verlassen, sind mir daher immer herzlich willkommen. Lachen entspannt und lenkt etwas vom nächsten Hagelsturm ab! Momentan gibt es sowieso keinen Grund für Verspannungen. Jetzt beginnt für uns die ruhigere, doch etwas besinnlichere Zeit.
( …… )
"
Ich denke, das ist für den einen oder anderen ganz interessant.
Einen schönen Adventsnachmittag!
Rico
Mit erfolgter Zustimmung des Autors veröffentliche ich hiermit einen Auszug (nur das, was wirklich weinrelevant ist) des Kundenbriefs 2010, von:
Franz Proidl, Senftenberg (Kremstal)
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Geschätzte Weinfreunde, liebe Weinfreundinnen!
Es ist vollbracht! Nach einem langen, kalten, ungemütlichen Herbst, der uns erst ab dem 26. Oktober ideales Wetter beschert hat, haben die letzten Trauben in den Keller gefunden.
( …… )
Damit zum Jahrgang 2010, wie war er bisher?
Nichts für ängstliche Winzer. Bald war zu bemerken, dass die Erntemenge durch diesen seltsam dunklen, oft wolkenverhangenen, wenn auch nicht kalten Sommer viel zu gering sein würde. Viele Winzer konnten daher der Versuchung nicht widerstehen, die wenigen Trauben bald in Sicherheit zu bringen. Die Zuckerwerte waren ja im brauchbaren Bereich, das Problem der sehr hohen Säure wurde in den Keller verlagert.
Aber, wie wird der Jahrgang?
Auf das übliche Marketinggetöse vom erneut sehr guten Jahrgang möchte ich mit einem interessanten Blick in die Vergangenheit antworten:
Aus der „Allgemeinen Weinzeitung“ vom Oktober 1910
„Das Jahr 1910 wird den österreichischen Weinbauern noch lange in Erinnerung bleiben. Seit 50 Jahren hatte der Weinbau nicht mehr unter so ungünstigen Verhältnissen zu leiden. Es muß daher das Jahr 1910 für den österreichischen Weinbauernstand als ein Jahr des größten Jammers und Elends bezeichnet werden. Daran kann wohl auch der Umstand nichts ändern, daß einige wenige weinbaubetreibende Gegenden Tirols und Dalmatiens eine Mittelernte zu verzeichnen haben.
Vor allem den kleinen Weinbauern müßte finanziell über dieses „Jahr des Elends“ hinweggeholfen werden, andernfalls wäre eine Massenlandflucht möglich, wie wir sie noch nicht erlebt haben.“
Na, hatten die Mut, haben einfach die Wahrheit geschrieben.
Keine Angst, liebe Weinfreunde. Mittlerweile hat sich im Weingarten und Keller so viel getan, dass es auch aus dem Jahr 2010 mit viel Geduld (Haupternte war bei uns in der 2. Novemberwoche) herausragende Weine in unserem Keller geben wird, ans Auswandern wird auch keiner denken.
( …… )
….. der neue Jahrgang ist konzentriert mit toller Frucht aber mit hoher bis zu hoher Säure. An ihr werde ich mit meiner mittlerweile großen Erfahrung mit dem biologischen Säureabbau arbeiten. Über diese Arbeit und das Ergebnis werden wir im Frühjahr berichten. Das Schöne an diesem Jahrgang ist: je kälter, desto bevorzugter die besten Lagen. Weine von fetten Rübenböden mit protzigen Namen werden heuer keine Chance haben. Die Sorten Grüner Veltliner und Riesling waren klar im Vorteil. Über Rotwein wird wenig zu reden sein. Dem Markt wird bewusst werden, dass die Mengen nicht immer im genügenden Ausmaß bis Übermaß von den Bäumen fallen. Dauernde Rabattschlachten in großen Ramschregalen sind eines Naturprodukts sowieso unwürdig. Sie werden sich mit dem 2010er europaweit für einige Zeit erledigt haben.
Dazu passend und auf allgemeinen Wunsch zum Vergleich die letzten Jahrgänge in Senftenberg und den angrenzenden sieben Hügeln:
2010, 2001 , 1991, 1989, 1987:
Kalte, fordernde Jahrgänge, mir gefallen sie, weil oft sehr eigenständige und unbändige Weine entstehen. Bei der Lagerfähigkeit sind die hochreifen Weine sehr gut und lange frisch, den großen Rest sollte man bei Zeiten austrinken. Die Sonne Richtung Minimum bedeutet in diesen Jahren viel Arbeit bei wenig Lohn.
2009:
Exakt das Gegenteil zu 2010. Turboreife bei Hitze und Feuchtigkeit im Herbst, teilweise große Weine mit spannendem Zucker-/Säureverhältnis, die besten Süßweine meines bisherigen Winzerdaseins. Kein Vergleich mit einem anderen Jahrgang möglich. Daher waren wir uns lange unsicher. Schlecht erwischt dürften wir es nicht haben, wie die vielen großartigen Bewertungen für diese Weine während der letzten Monate zeigen. Arbeiten musste man dafür wie ein Berserker.
2008, 1982:
Warm, durch starke Niederschläge große Mengen. Qualität daher je nach Menge von mittelmäßig bis sehr gut. Lagerfähigkeit von „austrinken“ bis „sehr gut“. 1982 brachte Riesenmengen, die wenigen schon vorhandenen privaten Schwimmbäder waren teilweise schon mit Wein befüllt. Das Wort „Badevergnügen“ konnte daher in diesem Jahr eine ganz eigene Bedeutung haben.
2007 und 2002:
Fein, elegant, teilweise große Weine, reif aber nicht überreif, wobei das Hochwasserjahr 2002 für mich durch zu viel Feuchtigkeit etwas zu wenig Rückgrat besitzt.
2006:
Für mich hat er sich das Attribut „Jahrhundertjahrgang“ verdient, mit Nichts zu vergleichen.
2005, 1999, 1997, 1993, 1988, 1985,1981:
Ganz und gar klassische Jahrgänge für trockene, perfekte Weißweine. Vom Witterungsverlauf her problemlos, unauffällig und sehr ausgewogen sind das Jahrgänge, die in der Jugend immer unterschätzt werden. 1997 ragt dabei als der Langstreckenläufer noch heraus. 1985 und 1981 gab es durch starken Frost nur „Miniernten“.
2004, 2000, 1998, 1995:
Schwierige Jahrgänge mit Dauerfeuchtigkeit im Herbst. Die Weine bauen sich viel besser aus, als ich mir das jemals vorstellen konnte. Durch viel Botrytis ist natürlich die Sortenfrucht nicht so klar wie in trockenen Jahrgängen. Gute, konzentrierte Süßweine in reichen Mengen, graue Haare ebenfalls.
2003, 1994, 1992, 1986, 1983:
Hitzejahrgänge, die uns eine Vorahnung auf das Klima in fünfzig Jahren gaben. Alle Jahrgänge entwickeln sich entgegen mancher Prognose prächtig. Wobei wir beim heißesten, dem 2003er, durch einen Hagelschaden das Glück hatten, dass die Reife um circa drei Wochen verzögert wurde und unsere Weine der oft merkbaren Plumpheit des Jahrganges entgingen.
1996, 1984, 1980:
Ohne Sonne ist es halt schwer. Das war „wirklich“ Säure, noch dazu ohne Zucker. Viele Fässer blieben leer.
Sie sehen, wir Winzer brauchen keine Extremsportarten. Wir werden sowieso von Wind und Wetter durch die Jahre gebeutelt. Was uns und damit Sie erwartet, wissen wir nie. Wirtschaftlichkeitsberechnungen, Kreditfinanzierungen aufbauend auf Prognosen von sogenannten Beratern, die ihr warmes Büro selten verlassen, sind mir daher immer herzlich willkommen. Lachen entspannt und lenkt etwas vom nächsten Hagelsturm ab! Momentan gibt es sowieso keinen Grund für Verspannungen. Jetzt beginnt für uns die ruhigere, doch etwas besinnlichere Zeit.
( …… )
"
Ich denke, das ist für den einen oder anderen ganz interessant.
Einen schönen Adventsnachmittag!
Rico
Es gibt nichts, was es nicht gibt