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Jahrgang 2010 in Deutschland

Berichte, Erfahrungen, Prophezeiungen
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Markus Vahlefeld

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Jahrgang 2010 in Deutschland

BeitragSa 20. Nov 2010, 08:57

Ein kurzes Update zum Jahrgang 2010 hier im westlichen Deutschland.

Letzte Woche hatte ich die Möglichkeit, einige Fässer mit dem gärenden Most zu verkosten. Ich war überrascht, dass die Moste aus 2010 mehr Körper und mehr Fülle aufwiesen als die aus 2008. Irgendwie hatte ich innerlich abgespeichert, dass 2010 in seiner Kühle und verzögerten Reife dem 2008er ähneln würde. Stimmt aber nicht. Die 2008er waren zu diesem Zeitpunkt viel schlanker (und sind ja auch nie wirklich üppig geworden). Die Säure war weniger ausgeprägt, aber auch weniger gut eingebunden. Also 2010 ist schon ein Jahrgang der knackigen Säure, aber verbunden mit dem runden reifen Körper können das sehr stimmige Weine werden. Aber: alles was vor dem 15. Oktober gelesen wurde (Riesling) ist schon hart, was den Zahnsteinangriff angeht. Bei diesen Mosten fehlt dann auch der Körper zum Abpuffern. Aber ein Lesezeitunterschied von einer Woche macht einen völlig anderen Most.

Die Burgunder - gilt für weiß wie rot - waren dagegen (alle um den 15. Oktober gelesen) ganz tolle Moste. Und da einige noch den BSA machen werden, ist die Säure auch nicht wirklich das Problem.

Mein vorläufiges Fazit: für Basisweine vom Riesling wird es ein verdammt schwieriges Jahr, außer die Winzer lassen zur Trinkbarkeit heftig Restzucker stehen. Silvaner und Weissburgunder könnten auch im Basisbereich gut werden. Spitzenweine vom Riesling sind auf jeden Fall möglich. Da kann sich noch wirklich Großes zeigen.

MV
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Novize

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Re: Jahrgang 2010 in Deutschland

BeitragSa 20. Nov 2010, 12:03

Hallo Markus,

wenn ich mal einen zweiten Problemjahrgang zum Vergleich heranziehe, nämlich 2006, dann erinnere ich mich daran, dass man wirklich schlechte Jahrgänge eigentlich erst ein Jahr nach der Füllung erkennt. Die Primärfrucht und Frische ist ja sogar in der Lage, einen komplett TCA-verseuchten Wein ganz wunderbar erscheinen zu lassen. Kennen wir doch alle von Verkostungen, bei denen ein wirklich versierter Gastgeber alle Weine vorher geöffnet, einen Probeschluck genommen, die Weine alle für fehlerfrei befunden und dekantiert hat. Bei der Probe zwei Stunden später gibt es dann zwei so derbe Korker unter den Probanden, dass man sich fragt, wie konnte das denn dem XY nicht auffallen??? Tja, die Primärfrucht.
Ich für meinen Teil kann verstehen, wenn Produzenten (und deren Mitarbeiter) mit bestimmt ehrlichen Eindrücken von ganz wundervollen Geschmackserlebnissen aus den Tanks Entwarnung geben (wollen). Als Konsument sehe ich nur eines: die Rahmenbedingungen waren unglaublich schwach und ich erwarte einen in der Breite in allen Qualitätsstufen schwachen Jahrgang. Die Primärfrucht wird wie in 2006 (und 2000) erst mal ein paar schöne Erlebnisse produzieren. Klaus Peter Keller hat im Frühjahr 2007 ein Podcast bei BerlinKitchen gepostet, in dem er sagt, 2006 sei der beste Jahrgang, den er je gemacht habe. Ich habe diesen besten Jahrgang in jüngster Zeit getrunken. Ohaueha, wie der Friese sagt. Diese Äußerung ist Herrn Keller mittlerweile vermutlich etwas peinlich. Aber er ist nicht allein. 2006er Weine, die ein Jahr später ein Bild des Jammers abgaben, wurden Mitte 2007 von einigen Profis in hohen Tönen gelobt. Suche im alte taw mal nach dem Thread 'Winzerlatein' und Du wirst Aussagen von Wolfgang Fassbender zu 2006 finden, die der bestimmt gerne dem Gedächtnis des Internets entreißen würde...
Ich werde den Jahrgang 2010 um die Mitte des Jahres 2012 erstmals ernsthaft beurteilen. Bis dahin will ich ein besser als erwartetes Bild auf gar keinen Fall ausschließen, aber ich mag aus Erlebnissen wie Deinen auch überhaupt keine positiven Schlüsse ziehen.
Der letzte Jahrgang, der sich nicht mal aus dem Tank vielversprechend probierte, ist wohl aus einer Zeit, als meine Mutter noch meinen Cola-Konsum rationierte.
cheers
Felix
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Jürgen

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Re: Jahrgang 2010 in Deutschland

BeitragSa 20. Nov 2010, 12:25

Also ich mag viele Weine aus 2006 sehr. Momentan schmecken mir diese meist auch besser als die gleichen Weine aus 2007. Einige GG's könnte ich als Beispiele anführen. Ein letztens getrunkener 2006er Keller "Von der Fels" war allerdings klar schlechter als in anderen Jahrgängen. Ein 2006er H-L Uhlen R gestern war richtig gut. Den hatte ich schon mehrmals im Glas und bin immer begeistert.

Jürgen
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Markus Vahlefeld

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Re: Jahrgang 2010 in Deutschland

BeitragSa 20. Nov 2010, 12:31

Hi Felix,

natürlich hast Du vollkommen recht und bitte verstehe mich nicht miss: es waren Moste, die ich probiert habe, keine Weine. Was am Ende aus der Flasche kommt, kann nochmal ziemlich variieren.

Bis Ende September hatten viele Winzer den 2010er unter Totalausfall eingeordnet. Schlimmer als 2006, weil keine Menge vorhanden war und die Reife fehlte. Dann kamen fast 3 Wochen Schönwetterperiode - zumindest hier im Westen. Das hat den Trauben die nötige Reife gegeben, sofern befallenes Material rausgeschnitten wurde. Durch die kalten Nächte ist aber nicht so viel Säure veratmet, dass man von einem "harmonischen" Jahr sprechen könnte. Aber die Unkenrufe, 2010 würde wie 1987 werden, haben sich halt doch nicht bewahrheitet. Und die Unkenrufe kamen von Winzern. Das ist erstmal die gute Nachricht.

Was ich sagen wollte: die Moste von wirklich spät gelesenem Material hatten mehr Körper als ich vermutet hatte. Dass 2010 mit 2006 nicht zu vergleichen ist, liegt auf der Hand. 2006 war am 30. September die ganze Ernte drin - was noch hing, war verfault. Durch die Wärme waren die Trauben vollreif mit wenig Säure, aber eben auch von Botrytis befallen. Heute sind die 2006er recht fett und oft honigstichig, was ziemlich unschön ist, weil die Finesse fehlt.

Wie gesagt: auch 2008 ist runtergeschrieben worden und offenbart heute viele schöne Weine. Ich will 2010 nicht hochschreiben, aber ganz so desaströs sieht es halt auch nicht aus. Und das ist "der Woahrheit" :)

Und dann noch etwas: irgendwie sind alle beim Jahrgang 2010 auf schlechte Qualitäten geeicht und wer differenziert, wird gerne der Unwahrheit bezichtigt. Das, so finde ich, ist auch keine gute Entwicklung.

Ein Bild sollte sich jeder selbst machen und nicht auf seinen Vorurteilen reiten.

MV
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thvins

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Re: Jahrgang 2010 in Deutschland

BeitragDi 23. Nov 2010, 08:18

Hallo Felix,

dein geschildertes Kork-Primärfruchterlebnis hatte ich dieses Jahr auch bei der 2000er Prioratprobe - Martinet Bru, Montsalvat und Mogador, bei allen beim Öffnen kein Kork erkennbar, nach Stunden übel und unbewertbare Korker... Aber nach 10 Jahren noch der Primärfrucht geschuldet???

Markus: Ja im Westen ist auch in 2010 noch alles besser...

Fazit für den Weinkauf: Vorsichtig sein beim Vorabbestellen, lieber selber probieren und so spät kaufen, wie es geht?

Oder erstmal den Keller leerer trinken und auf 2011 hoffen?

Beste Grüße

Torsten
Beste Grüße

Torsten

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Markus Vahlefeld

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Re: Jahrgang 2010 in Deutschland

BeitragFr 3. Dez 2010, 16:31

hi torsten,

2010 würde ich nur einlagern, was ich vorher probiert habe. ich kann mir vorstellen, dass auch einige illustre namen, bei denen man 2009 blind kaufen konnte, bei 2010 durchfallen werden. aber 2010 aufgeben und auf 2011 warten? nee, das glaube ich nicht, denn es wird dennoch gute weine geben.
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JDW2309

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Re: Jahrgang 2010 in Deutschland

BeitragMo 6. Dez 2010, 11:33

Hallo liebe Weinfreunde,
also der Theorie mit der Primärfrucht und dessen Möglichkeit einen Korker zu vertuschen kann ich nicht zustimmen, aus eigener Erfahrung muss ich sagen, dass gerade sehr primärfruchtige Weine, wie gewisse Rieslinge oder Gewürztraminer einen Korker leichter erkennbar machen, als Weine die eher einen rustikaleren Stil haben, wie gewisse Rotweine, das haben wir in Geisenheim sogar mal in einer Blindprobe erfahren, als wir die Geschmacksschwelle eines Korkers definieren mussten, da war der erkennbare Wert des Korkers in einem Gewürztraminer 10 mal geringer als der in einem Spätburgunder. Es gibt einfach schleichende Korken die erst an Luft erkennbarer werden (hatte ich leider auch schon bei einem 1993er Pavillon Rouge), fragt mich aber nicht was da genau der chemische Zusammenhang ist....ich kann ja mal meinen Weinchemieprofessor fragen! :)
Jetzt aber mal zum Jahrgang 2010......ist ja schön und gut Vergleiche mit anderen Jahrgängen zu ziehen, aber glaubt ihr dass ist dienlich 2010 mit 2006 zu vergleichen?? Wir hatten damals doch völlig andere Wetterbedingungen, es war viel wärmer im Herbst und dadurch hatten viele 2006er (ich werde mich hüten alles über einen Kamm zu scheren) nicht die enorme Säure wie 2010, diese ist doch aber genau das was den Riesling ausmacht, was ihn haltbarer macht, gerade wenn wir hier von Spitzenweingütern sprechen, deren Antrieb in der hohen Qualität liegt, also auch in der Selektion, müssen wir genau diesen Weinen einfach ihre Zeit geben um darüber urteilen zu können.
Ich habe vor 2 Wochen mit Freunden einen 1993er Mandelgarten Spätlese trocken vom Weingut Müller Catoir getrunken, einfach ein wunderbarer Wein, den mein Vater in seinem Weinkeller "verloren" hatte und nach Jahren wiederaufgetaucht ist und ich das Glück hatte, dass er mir den für diesen Abend mitgegeben hatte. Die Säure war perfekt eingebunden, eine feine Aromatik, gerade durch die Alterung, die jedoch niemals auf dieses Alter hingedeutet hätten, auch blassgelb von der Farbe her, einfach ein unglaubliches Geschmackserlebnis. Ich hab dann auch in die Runde gefragt, ob dieser Wein in jungen Jahren genauso geschmacklich herausgeragt hätte wie jetzt und ich sage einfach mal nein, denn die Harmonie musste er erst finden und daher wäre ich vorsichtig Prognosen abzugeben. Ich sag auch nicht wie gut der Kuchen schmeckt bevor er gebacken ist!
Damit mein ich nicht Markus Vahlenfeld, denn ich finde es sehr interessant was man zu berichten hat, wenn man einer der wenigen ist die schon Fassproben probieren durften, ich meine damit die Leute die zur Zeit der Lese aus dem Fenster gesehen haben und sich gedacht haben, das kann nichts werden...
Beste Grüße, Jörg
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Novize

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Re: Jahrgang 2010 in Deutschland

BeitragMo 6. Dez 2010, 13:23

Moin Jörg,

ich wollte nicht die Jahrgänge vergleichen, denn ich stimme mit den Vorschreibern überein, dass sie nicht zu vergleichen sind.
Mir ging es darum, die Dynamik des Bewertungsprozesses am Beispiel des Jahrgangs 2006 zu schildern. Ich halte meine Schilderung für auf jeden Jahrgang übertragbar, muss sie aber vielleicht noch präzisieren: Die besten Winzer der Republik haben beim Jahrgang 2006 demonstriert, dass nicht einmal sie in der Lage sind, anhand der Eindrücke im Entstehungsprozess verlässlich vorauszusagen, wie gut oder weniger gut das Endprodukt sein wird. Es kommt teilweise zu Fehleinschätzungen, bei denen Winzer für herausragend halten, was sich als unterdurchschnittlich entpuppt. Denn egal, wie man über die 2006er denkt, kein Winzer würde heute wohl noch sagen, er habe 2006 die bis dahin besten (trockenen) Rieslinge seiner langen Karriere produziert.
Daher halte ich es für verfrüht, Entwarung zu geben, und stütze meine Erwartungshaltung auf die objektiven Wetterdaten, die nichts besonders gutes verheißen. (Aus dem Fenster zu schauen, hilft mir eh nicht, da ich 400 Kilometer nördlich der Weinbauzone wohne) Zu einem späteren Zeitpunkt mag ich dann noch positiv überrascht werden - oder eben nicht. So wie Du dafür plädierst, den Jahrgang nicht vorzeitig abzuschreiben, plädiere ich dafür, ihn auch nicht vorzeitig als gerettet zu deklarieren. Ersteres wird Skeptikern gerne vorgeworfen, während letzteres derzeit en vogue zu sein scheint.

cheers
Felix
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drmamue

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Re: Jahrgang 2010 in Deutschland

BeitragMi 8. Dez 2010, 19:09

Hallo zusammen,

heute bekam ich Mail vom Weingut Reinhold Haart, in der auch ein Bericht über den Jahrgang war, den ich hier einmal zitieren will:

Auch wenn eine Familie seit Generationen mit und von ihr lebt, die Natur
überrascht uns doch immer wieder. Der Wetterverlauf des Jahres 2010 ist an
Sprunghaftigkeit kaum zu übertreffen.
Auf ein spätes und nass-kühles Frühjahr folgte jäh ein heißer und trockener
Sommer, nur um Ende Juni sich wieder kühl und nass zu wandeln. Eine
Achterbahnfahrt für die Rebstöcke. Der Herbst begann dann wieder warm und
sonnig mit leichten Niederschlägen. Diese begünstigten die Entwicklung von
Edelfäule an kompakten Trauben. Dank der kühlen Temperaturen während der
Blüte hatten sich jedoch hauptsächlich lockerbeerige Trauben gebildet die den
Regen gesund überstanden. Von Mitte bis Ende Oktober herrschte dann eine
kühle aber trockene Wetterlage mit starken Ostwinden. Die edelfaulen Beeren
trockneten extrem rasch ein und konzentrierten den enthaltenen Zucker, aber
auch die Säure.
Die Ernte begann am 14. Oktober, die hohen Säurewerte der Moste veranlassten
uns aber langsam und sehr selektiv zu lesen. Den Beeren sollte die Möglichkeit
zur vollen Ausreifung gegeben werden. Erst in der letzten Oktoberwoche
brachten wir die besten Trauben auf die Kelter, reife und aromatische Beeren,
bestens geeignet für Spätlesen und trockene Weine. Eingetrocknete Beeren
wurden selektiv ausgelesen und ergaben Moste die zur Bereitung von edelsüßen
Beeren- und Trockenbeerenauslesen geeignet sind. Zur Krönung konnte am 3.
Dezember wieder Eiswein gelesen werden, bei -10°C eine kleine Menge von
knapp 100 Litern und 190° Mostgewicht.
Somit deckt der Jahrgang das gesamte Spektrum der Prädikatsweine ab.
Allerdings bedingten der geringe Fruchtansatz im Frühjahr und der natürliche
Konzentrationsprozess im Oktober eine quantitativ kleine Ernte, die
eingebrachte Menge Most liegt ein Drittel unter der eines Durchschnittsjahrs.


Das scheint mir angesichts sonstiger Winzerlyrik eine einigermaßen offen formulierte Bestandsaufnahme zu sein.

Viele Grüße
Markus
Ein ganzer Kerl - dank Chablis!
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mundschenk

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Re: Jahrgang 2010 in Deutschland

BeitragSo 23. Jan 2011, 19:01

Gebt dem 2010er eine Chance!
Allzu oft wird ein Weinjahrgang pauschal als „guter“ oder „schlechter“ Jahrgang bezeichnet.
Für sinnvoller halte ich eine Unterscheidung zwischen „einfachen“ und „schwierigen“ Jahrgängen. Sicherlich war 2010 für die Winzer ein schwieriger Jahrgang.

Dennoch sollte man nicht schon im Vorfeld einen kompletten Jahrgang abschreiben!
Zum einen sind solche Pauschalurteile eine Ohrfeige für alle Winzer, die auch in einem schwierigen Jahrgang gute Arbeit geleistet haben, ihr bestes Getan haben und teilweise riskante Entscheidungen getroffen haben um dennoch eine gute Weinqualität zu erreichen, zum anderen gibt es natürlich große Unterschiede je nach Rebsorte und Anbaugebiet und Winzer.

Außerdem: wer will schon, dass die Weine jedes Jahr gleich schmecken?
Meiner Ansicht nach bringen extreme Weinjahrgänge extreme Weine hervor, im positiven wie im negativen Bereich. Oftmals sind Weine aus den „extremen Jahrgängen“(z.B. 1996 oder 2008) oder den „normalen Jahrgängen“ ( z.B. 2001/2004) Jahrgängen auf lange Sicht sogar interessanter als Weine aus den vermeintlich „sehr guten“ Jahrgängen (z.B. 2005/2009).

In den letzten 10 Jahren sind mir (neben dem 2003er) vor allem folgende „schwierige Jahrgänge“ in Erinnerung geblieben:

2000: viel Fäulnis, „Kabinett-Jahrgang“ mit recht niedrigen Mostgewichten, wer jedoch gut selektioniert hatte, konnte durchaus gute, wenn in den meisten Fällen auch nicht sonderlich lagerfähige Qualitäten mit hohem Extrakt erzeugen.

2006: für die deutschen Winzer wohl so ziemlich das schwierigste Jahr überhaupt. Eine gallopierend voranschreitende Fäulnis stellte für die Winzer eine immense Herausforderung dar. Nur wer schnell genug reagierte und gut selektionierte konnte vernünftige Weine erzeugen. Neben vielen grob fehlerhaften Weinen (erstaunlich was bei den AP- Prüfungen so alles durchging... :shock: ) gab es viele durch kellertechnische Maßnahmen „ausgezogene“ Weine. Erstaunlich auch, dass im Vorfeld der Lese über eine extrem kleine Mengen wegen massivem Fäulnisbefall gejammert wurde, im Nachhinein dann aber doch nahezu „der übliche Schnitt“ von 10.000 Liter/ha“ geerntet wurde. Nichtsdestotrotz gab es auch in diesem Jahrgang durchaus interessante Weine. Zwar wiesen auch viele trockenen Weine der Top-Betriebe deutliche Botrytisnoten auf, aber wenn es die Ausnahme und nicht die Regel ist, kann eine trockene Riesling-Auslese mit etwas Botrytis doch auch mal ganz interessant sein. (Viele große Smaragde aus der Wachau haben Botrytis und keiner stört sich daran!).

2008: hohe Säuren, früh auftretende Fäulnis, feuchtes warmes Wetter.
Viele Winzer wollten nach den unschönen Erfahrungen im Jahrgang 2006 auf Nummer sicher gehen und ernteten die Trauben vor dem Erreichen der physiologischen Reife. Winzer, die die Lese hingegen lange herauszögerten, niedrige Erträge hatten, das Lesegut selektionierten und ihre Weine nicht entsäuerten, konnten jedoch sowohl im trockenen als auch im edelsüßen Bereich hervorragende Qualitäten keltern.

Sicherlich kann auch der 2010 zu den „schwierigen“ Jahrgängen gezählt werden:
Positiv dürften sich hier jedoch vor allem die sehr niedrigen Erträge auswirken. Die mir bekannten Winzer und auch die Genossenschaften sprechen von Einbußen von 40% und mehr. Die wenigen Trauben hatten kleine Beeren, entsprechend werden viele 2010er Weine hohe Extraktwerte aufweisen. Einziges Problem bei der Sache könnte sein, dass vermutlich nicht alle Winzer die Botrytistrauben heraus selektioniert haben, um die extrem niedrige Erntemenge nicht noch stärker zu dezimieren.

Ebenso wie beim 2008er Jahrgang waren die Säurewerte teilweise so hoch, dass entsäuert werden musste. Ich persönlich hege grundsätzlich große Zweifel an der Lagerfähigkeit entsäuerter Weine. Da aber heute der größte Teil der Weine auf „ früh trinkbar“ getrimmt wird und die meisten Weintrinker junge, frische, primärfruchtige Weine innerhalb von 1 oder 2 Jahren trinken ist das im Basis-Bereich auch nicht weiter dramatisch. Etwas anders sieht es meiner Meinung nach bei den höherwertigen Weinen aus, bei den „trockenen Spätlesen“ und „grossen Gewächsen“ bei denen man ein vernünftiges Lagerpotential erwarten können sollte (merkwürdige Satzkonstruktion). Da aber viele qualitätsorientierte Winzer im Herbst 2010 eine bewusst späte Lese riskierten, wird es bestimmt auch 2010 genug interessante, lagerfähige Weine auf dem Markt geben.

Mein Fazit:.„Wichtig ist was hinten ´rauskommt“ wie unser Pfälzer Alt-Bundeskanzler zu sagen pflegte. Ich jedenfalls bin gespannt auf die ersten Jahrgangsproben!
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