Zur Grundausstattung einer jeden aufrechten Wohngemeinschaft gehörte natürlich die ideologisch einwandfreie Literatur, optisch ansprechend immer die in Regenbogenfarben aufgereihten Suhrkamp-Bändchen. Wobei ich allerdings glaube, dass den meisten der demonstrativ aufgereihten Mao-Bibeln, Marx-und-Engels-Schriften und sonstiger links gerichteter Erbauungsliteratur ungefähr das gleiche Schicksal widerfuhr, wie 1000 Jahre vorher den konfusen und gefährlichen Ergüssen eines mäßig begabten Pinselschwingers aus Österreich. Stand rum, keiner hat's gelesen, drei bis fünf Zitate drauf, muss reichen.
Da hatten es die Werke der Frankfurter Schule um Waechter, Bernstein, Gernhard, Henscheid et al. eindeutig besser, die standen nicht nur rum, die wurden gelesen und vieles davon gehört noch heute zu unserem innerfamiliären Wortschatz. So kann z.B. niemand in unserer Familie ungestört das Wort "Käsekuchen" aussprechen, ohne dass nicht mindestens aus drei Ecken ertönt "Pinky, hierher!" und natürlich wissen wir um die muntere Beschäftigung des Kragenbären oder desjenigen, der da wartet, wo dieser Strich zu Ende ist.
Eines meiner Lieblingsbücher ist "Natürlich guckt wieder kein Schwein" mit diesen wunderbar genauen und doch so hingekritzelt wirkenden Zeichnungen, dem schrägen Humor voll tiefer, manchmal auch etwas melancholischer Wahrheit. Meine Lieblingsgestalt ist der einsame Seiltänzer, der mitten in der Nacht ganz für sich alleine über ein zwischen zwei Kirchtürmen gespanntes Seil balanciert und zwei Menschen, die ihn dabei beobachten "Warum macht er das nur?" – "Alles nur für seinen Herrgott!"
Ja und dann ist da noch die Eule. "Die Eule" so heißt es "hatte einen neuen Norwegerpullover an und galt als einer schicksten Vögel im Wald!", dazu sieht man eine dick aufgeplusterte Eule auf einer etwas heruntergekommenen Konifere sitzen, die mit sichtlichem und durchaus auch etwas überheblichem Stolz einen Norwegerpullover trägt.
Warum ich das erzähle? Nun, weil die Eule mit ihrem Norwegerpullover mir immer in den Sinn kommt, wenn ich wieder einmal das Privileg genieße, einer Veranstaltung der UGCB beizuwohnen, der Union des Grands Crus de Bordeaux. Bordeaux, Pullover…?

Ja, der orangefarbene Kaschmirpullover ist zum Markenzeichen von Stephan Graf Neipperg geworden. Letzt auf der ProWein frotzelte ich mit Freund C. aus B. noch ein wenig darüber und C. nahm sich ein Herz und meinte zu Monsieur le Comte, das sei aber sicher nicht immer derselbe Pullover. Nein nein, er habe da einen ganzen Schrank voll und müsse einfach nur hineingreifen und so ein Pullover sei doch sehr praktisch, weil es bei Messen, auf Flughäfen oder auch in Weinkellern grundsätzlich zieht und da sei nichts angenehmer als ein wärmender Pullover um den Hals, so die gräflichen Worte.
Kann ich verstehen. Zugempfindlichkeit ist eine sehr männliche Eigenschaft. Was haben wir als Kinder damals im Auto vor uns hingeschwitzt, wenn es in den Urlaub ging, weil es strengstens verboten war, im Auto ein Fenster auch nur um einen winzigen Spalt zu öffnen, weil Vater den Zug nicht abkonnte. Hätte er doch damals so einen eleganten Pullover um seinen Hals gelegt, wie viele innerfamiliäre diplomatische Verwicklungen wären ihm und uns wohl erspart geblieben.
Letztens haben wir die letzte Flasche geöffnet
1990 Canon la Gafflière
St. Emilion
sozusagen der Brot- und Butterwein aus dem Hause Neipperg. Es war die letzte Flasche aus einer Zwölferkiste und das war auch gut so. Wer noch Flaschen aus diesem Jahrgang besitzt, tut gut daran, die jetzt zügig auszutrinken, denn um der Wahrheit die Ehre zu geben, der Wein hat seine besten Zeiten hinter sich, Details siehe hier. Da war der
1997 Canon la Gaffelière
St. Emilion
doch von anderem Kaliber, der hat richtig Spaß gemacht und das, obwohl 1997 ja nun wirklich nicht gerade als Jahrhundertjahrgang gilt. Das war ja auch noch eine Zeit, als noch nicht jedes Jahr ein Jahrhundertjahrgang war und man sich immer mal ein paar Jahre auf Standardqualitäten besinnen durfte und die Jahrhundertjahrgänge eine wirkliche Ausnahme darstellten.
Aber jammern über vergangene Zeiten ist wie Klagen über vergossene Milch, nützt nix.
Lieber lasse ich noch einmal die Erinnerung an den 97er CLG Revue passieren, sehr dichtes dunkles Kirschrot und ein wunderbarer Duft nach süßen Kirschen, Marzipan und Gewürz in der Nase, am Gaumen dicht, seidig, Cassis, Pflaumenmus, Kirsche, Mocca, Leder, Butterscotch und ein langer duftiger intensiver Abgang in den samtiges Tannin einschwingt. Auch zeigt er noch keinerlei Anzeichen von Altersmüdigkeit, er wirkt sehr kraftvoll und frisch.
Und zur ausgleichenden Gerechtigkeit schreib ich dann bei Gelegenheit auch mal was über die Hemden von Stuart Pigott

Prost!