TTT - Terry Theise & Terroir
Verfasst: Mi 15. Jun 2011, 23:59
Ich weiß - der Begriff Terroir und die Diskussion darüber geht vielen Leuten mittlerweile tierisch auf den Keks. Ich muss aber noch einen Aspekt dazu in den Ring werfen, der mir schon seit längerem durch den Kopf geht, den ich aber bislang noch nicht vollständig greifen konnte und auch jetzt noch nicht vollständig greifen kann.
Zum Glück habe ich zufällig gerade ein sehr bereicherndes Buch über Wein gelesen, das den Aspekt, um den es mir geht, richtig gut beschreibt. Das Buch heißt Reading between the Wines und ist von Terry Theise (University of California Press, Berkley, 2010).
Kurz zum Autor (falls ihn jemand noch nicht kennen sollte): Terry Theise schreibt über Wein, ist aber v.a. Weinimporteur in die USA. Er hat drei Spezialitäten: deutsche Weine (v.a. von der Mosel), österreichische Weine und Erzeuger-Champagner. Ohne Terry Theise wäre v.a. der restsüße Mosel-Riesling in den USA nicht so populär wie er ist. Sein Buch "Reading between the Wines" ist absolut lesenswert und eines der besten Weinbücher, die ich bislang gelesen habe, jedoch nur bis einschließlich Kapitel 4. Danach wird es etwas zu spezifisch und mäandert etwas vor sich hin. Die ersten 4 Kapitel sind aber absolut großartig. Terry Theise sagt selbst, er sei agnostisch bezüglich des Buddhismus. Mit dem Buddhismus vertraut muss er aber sein, seine Denkweise und seine Ansätze haben viel vom Zen-Buddhismus, soweit ich das mit meiner sehr beschränkten Erfahrung mit dem Buddhismus beurteilen kann (also eigentlich so gut wie gar nicht, ich hau diese Aussage trotzdem mal raus
).
Zurück zum Thema: Auch wenn Terry in dem Buch nur am Rand auf den Begriff Terroir eingeht, beschreibt er sehr anschaulich, worum es für ihn beim Wein eigentlich geht. Er betont v.a. Begriffe wie Distintiveness, Artisanality, Connectedness und Specificity, um zu verdeutlichen, worauf es ihm ankommt. Er ist fasziniert vom Weinbau an der Mosel, wo Betriebe von einer Generation der nächsten Generation übergeben werden, von Nachbarn, die am 24. Dezember um 6 Uhr morgens bei der Eiswein-Lese helfen, von harter landwirtschaftlicher Arbeit und von der Kommunikation zwischen einem Winzer und seinem Weinberg.
Für Terry Theise erschöpft sich Terroir nicht in einer bestimmten Bodenbeschaffenheit, einem bestimmten Mikroklima und Traubensorten, die dort die besten Ergebnisse hervorbringen. Für ihn gehören die lokale Küche, die Art der Menschen, die dort leben, ihre Nachbarschaft, ihre Familie und die Landschaft, in der der Wein wächst, genauso dazu.
Damit kann ich mich komplett identifizieren. Eigenschaften wie Reife, Konzentration, Fruchtsüße und -intensität, Körper und Kraft lassen sich heutzutage mit den nötigen technischen Hilfsmitteln leichter als früher erzielen. Herkunft, Persönlichkeit, Lokalität und traditionelle Typizität und erst recht eine individuelle Geschichte hingegen lassen sich nicht herzaubern. Sie sind da oder eben nicht. Sie lassen sich höchstens durch ein bestimmtes Bewusstsein für die lokale Herkunft und die Kenntnis der Tradition hervorrufen. Für mich ist es viel schöner, etwas zu trinken, zu essen, zu hören oder zu sehen, was ohne die formelhafte Anwendung von Verfahren, die etwas "besser" machen sollen, entstanden ist, als etwas, das vermeintlich "gut" ist, aber keine Geschichte erzählen kann.
Man mag die Musik von z.B. Matt Valentine & Erika Elder (Vermont Terroir), The Gentle Good oder den Super Furry Animals (Wales Terroir), Rachel Unthank & the Winterset (Nord-Englisches Terroir), Velvet Underground (Manhattan Terroir), Smif'n'Wessun (Brooklyn Terroir) oder Burial (East London Terroir), um nur einige wenige Beispiele zu nennen, im Einzelnen nicht gut finden. Jeder einzelne dieser Künstler ist jedoch (nicht immer, aber in den besten Momenten) ganz typisch für seine Zeit, den Ort der Herkunft, den Ort des Schaffens und die Umgebung.
Das Gleiche gilt m.E. für Wein. Insofern ist das von jeglicher Herkunft beurteilbare (oder auch nicht beurteilbare) Ergebnis im Glas zwar wichtig, aber bei weitem nicht das wichtigste. Viel wichtiger ist der Kontext des Weins und sein lokaler Zusammenhang. Warum werden im heißen Priorat oder im Roussillon oder in Sizilien auch Weißweine gekeltert? Aus rein technischen Gesichtspunkten ergibt das vielleicht nicht den größten Sinn. Trotzdem braucht man für die jeweils lokale Küche auch Weißweine als Begleiter. Was sonst sollte man zu Sardinen und anderen Fischen essen, die in der Nähe gefischt werden können?
Was ich mit diesem langen Sermon sagen will? Der wahre Charakter und die wahre Qualität vieler Weine erschließt sich mir persönlich nur, wenn ich den Zusammenhang kennenlernen kann, in dem diese Weine stehen. Wanderungen durch die Weinberge, der Besuch von Märkten, von regionalen Restaurants, die jeweils vor Ort gesprochene Sprache, die Art der Menschen: all diese Dinge helfen einem bei dem Verständnis. Das will nicht heißen, dass Weine, die auf eine vom regionalen Bezug losgelöste Qualität setzen, nicht richtig gut sein können. Aber die Herkunft, der lokale Bezug zur Landschaft und zum Essen, sind ebenfalls verdammt viel wert, wenn nicht sogar noch mehr. Das macht Terry Theise glasklar und gut verständlich klar. Deshalb kommt von mir auch ein uneingeschränkter Kauftipp für das Buch.
Zum Glück habe ich zufällig gerade ein sehr bereicherndes Buch über Wein gelesen, das den Aspekt, um den es mir geht, richtig gut beschreibt. Das Buch heißt Reading between the Wines und ist von Terry Theise (University of California Press, Berkley, 2010).
Kurz zum Autor (falls ihn jemand noch nicht kennen sollte): Terry Theise schreibt über Wein, ist aber v.a. Weinimporteur in die USA. Er hat drei Spezialitäten: deutsche Weine (v.a. von der Mosel), österreichische Weine und Erzeuger-Champagner. Ohne Terry Theise wäre v.a. der restsüße Mosel-Riesling in den USA nicht so populär wie er ist. Sein Buch "Reading between the Wines" ist absolut lesenswert und eines der besten Weinbücher, die ich bislang gelesen habe, jedoch nur bis einschließlich Kapitel 4. Danach wird es etwas zu spezifisch und mäandert etwas vor sich hin. Die ersten 4 Kapitel sind aber absolut großartig. Terry Theise sagt selbst, er sei agnostisch bezüglich des Buddhismus. Mit dem Buddhismus vertraut muss er aber sein, seine Denkweise und seine Ansätze haben viel vom Zen-Buddhismus, soweit ich das mit meiner sehr beschränkten Erfahrung mit dem Buddhismus beurteilen kann (also eigentlich so gut wie gar nicht, ich hau diese Aussage trotzdem mal raus
Zurück zum Thema: Auch wenn Terry in dem Buch nur am Rand auf den Begriff Terroir eingeht, beschreibt er sehr anschaulich, worum es für ihn beim Wein eigentlich geht. Er betont v.a. Begriffe wie Distintiveness, Artisanality, Connectedness und Specificity, um zu verdeutlichen, worauf es ihm ankommt. Er ist fasziniert vom Weinbau an der Mosel, wo Betriebe von einer Generation der nächsten Generation übergeben werden, von Nachbarn, die am 24. Dezember um 6 Uhr morgens bei der Eiswein-Lese helfen, von harter landwirtschaftlicher Arbeit und von der Kommunikation zwischen einem Winzer und seinem Weinberg.
Für Terry Theise erschöpft sich Terroir nicht in einer bestimmten Bodenbeschaffenheit, einem bestimmten Mikroklima und Traubensorten, die dort die besten Ergebnisse hervorbringen. Für ihn gehören die lokale Küche, die Art der Menschen, die dort leben, ihre Nachbarschaft, ihre Familie und die Landschaft, in der der Wein wächst, genauso dazu.
Damit kann ich mich komplett identifizieren. Eigenschaften wie Reife, Konzentration, Fruchtsüße und -intensität, Körper und Kraft lassen sich heutzutage mit den nötigen technischen Hilfsmitteln leichter als früher erzielen. Herkunft, Persönlichkeit, Lokalität und traditionelle Typizität und erst recht eine individuelle Geschichte hingegen lassen sich nicht herzaubern. Sie sind da oder eben nicht. Sie lassen sich höchstens durch ein bestimmtes Bewusstsein für die lokale Herkunft und die Kenntnis der Tradition hervorrufen. Für mich ist es viel schöner, etwas zu trinken, zu essen, zu hören oder zu sehen, was ohne die formelhafte Anwendung von Verfahren, die etwas "besser" machen sollen, entstanden ist, als etwas, das vermeintlich "gut" ist, aber keine Geschichte erzählen kann.
Man mag die Musik von z.B. Matt Valentine & Erika Elder (Vermont Terroir), The Gentle Good oder den Super Furry Animals (Wales Terroir), Rachel Unthank & the Winterset (Nord-Englisches Terroir), Velvet Underground (Manhattan Terroir), Smif'n'Wessun (Brooklyn Terroir) oder Burial (East London Terroir), um nur einige wenige Beispiele zu nennen, im Einzelnen nicht gut finden. Jeder einzelne dieser Künstler ist jedoch (nicht immer, aber in den besten Momenten) ganz typisch für seine Zeit, den Ort der Herkunft, den Ort des Schaffens und die Umgebung.
Das Gleiche gilt m.E. für Wein. Insofern ist das von jeglicher Herkunft beurteilbare (oder auch nicht beurteilbare) Ergebnis im Glas zwar wichtig, aber bei weitem nicht das wichtigste. Viel wichtiger ist der Kontext des Weins und sein lokaler Zusammenhang. Warum werden im heißen Priorat oder im Roussillon oder in Sizilien auch Weißweine gekeltert? Aus rein technischen Gesichtspunkten ergibt das vielleicht nicht den größten Sinn. Trotzdem braucht man für die jeweils lokale Küche auch Weißweine als Begleiter. Was sonst sollte man zu Sardinen und anderen Fischen essen, die in der Nähe gefischt werden können?
Was ich mit diesem langen Sermon sagen will? Der wahre Charakter und die wahre Qualität vieler Weine erschließt sich mir persönlich nur, wenn ich den Zusammenhang kennenlernen kann, in dem diese Weine stehen. Wanderungen durch die Weinberge, der Besuch von Märkten, von regionalen Restaurants, die jeweils vor Ort gesprochene Sprache, die Art der Menschen: all diese Dinge helfen einem bei dem Verständnis. Das will nicht heißen, dass Weine, die auf eine vom regionalen Bezug losgelöste Qualität setzen, nicht richtig gut sein können. Aber die Herkunft, der lokale Bezug zur Landschaft und zum Essen, sind ebenfalls verdammt viel wert, wenn nicht sogar noch mehr. Das macht Terry Theise glasklar und gut verständlich klar. Deshalb kommt von mir auch ein uneingeschränkter Kauftipp für das Buch.