Autochthone Rebsorten in Würzburg

Berichte von Verkostungen mit Weinen aus mehreren Ländern/Regionen (sonst bitte im Länderforum einstellen)
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weinaffe
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Autochthone Rebsorten in Würzburg

Beitrag von weinaffe »

Hallo zusammen,

letzten Freitag trafen sich im Rahmen meiner VHS-Seminare wieder einige Weininteressierte, die eine Europa-Reise in Sachen autochthone Rebsorten unternehmen wollten.

Nach klassischer Definition sind autochthone Rebsorten solche Sortenvertreter, die in einem bestimmten Gebiet durch Zufallskreuzung entstanden sind und idealerweise heute möglichst nur dort angebaut werden. In einer globalisierten Weinwelt ist ein solcher Weintyp aber nur höchst selten anzutreffen. Ausserdem ist auch mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden heute nicht immer der genaue Ursprungsort einer Rebsorte zu lokalisieren. Aus diesem Grunde habe ich die ursprüngliche Definition doch ein kleines Stück relativiert ;) . Wesentlich war für mich, dass eine Rebsorte in einer bestimmten Region fest verankert ist und idealerweise seit Jahrhunderten die oder zumindest eine der führenden Rebsorten darstellt, auch wenn sie möglicherweise dort nicht entstanden ist. Aus diesem Grunde werden hier auch Rebsorten präsentiert, die wohl nicht in dem Gebiet entstanden sind, aber hier seit langer Zeit heimisch sind und in dem Ursprungsgebiet fast nicht mehr existent sind. In einem Fall wurde eine Rebsorte ausgewählt, die wohl in dem jeweiligen Gebiet oder Großraum entstanden ist und weiterhin dort führend ist, aber in einem anderen Land quasi eine zweite Heimat gefunden hat und dort auch eine führende Rolle spielt.
Eines war aber klar: es wird ein Abend werden, wo Cabernet, Merlot, Syrah, Pinot noir, Chardonnay, Riesling und der eine oder andere "Global-Player" durch Abwesenheit glänzen :lol: .

Insgesamt wurden 15 Weine (6x weiss, 9x rot) präsentiert, was zu einem bunten Mix aus durchaus bekannten und ziemlich unbekannten Rebsorten führte.

Langer Vorrede, kurzer Sinn, hier sind die 15 Weine, die wie immer "blind" verkostet wurden, mit Kommentaren meinerseits:

2021er Clos les Montys Muscadet Sevre et Maine Goulaine "1914" (Jeremy Huchet) -Loire-
Die hier verwendete Rebsorte heisst eigentlich Melon de Bourgogne, was schon auf ihre Herkunft hindeutet. Dort ist sie aber nicht mehr existent, weil wohl Chardonnay und auch Aligote vielleicht doch das größere Qualitätspotential besitzen. Das Bessere ist halt immer der Feind des Guten ;) Sie hat aber unter dem Synonym Muscadet im Mündungsbereich der Loire bei Nantes eine neue Heimat gefunden und wird vor allem als süffiger Seafood-Begleiter geschätzt. Leider sind die Qualitäten der meisten Vertreter recht einfach gestrickt. Dieser Wein mit gerade mal 12 Umdrehungen macht aber hier eine positive Ausnahme. Er stammt aus einem ca. 1ha großen Weinberg, der tatsächlich bereits seit 1914 bepflanzt ist. Alte Reben und die hervorragende Arbeit des Winzers führen zu einem Overperformer für diese Appellation: zartes helles Goldgelb mit grünlichen Nuancen, sehr feine, dezent gelbfruchtig-würzige Nase, recht elegant und finessenreich, am Gaumen richtig trocken mit zarter Säure, erstaunlich extraktdicht für dieses "Leichtgewicht", sehr saftig und harmonisch, gute Länge. Ein außergewöhnlich guter Muscadet, der sogar noch etwas Alterungspotential besitzt.
Die im Handel verlangten knapp 18 EURO sind sehr fair, zumal dieser Wein im Abverkauf für schlappe knapp 13 EURO schon fast verschenkt wurde.
Sicherlich ein Wein, den man mal probiert haben sollte.

2021er Tokaj Furmint szaraz (Gergö Filep, Tallya) -Tokaj-
Dieser Wein stammt aus der von dem Burgenländer Winzer Roland Velich initiierten Serie der "Hidden Treasures"-Weine, die die unbekannte Seite der pannonischen Weine auf ungarischer Seite highlighten soll. Dieser Furmint ist tatsächlich auch ein Statement für diese tolle Sorte, die Hauptbestandteil der gefeierten edelsüssen Weine dieser Region ist.
Zarte Zitronenfarbe, in der Nase etwas Quitte, alte Apfelsorten und sehr viel Mineralität, die deutlich über die Frucht siegt. Am Gaumen knalltrocken mit spürbarer, aber integrierter Säure, absolut straight und präzise, wiederum etwas Quitte und Lagerapfel, kräutrige Noten, ein Hauch Altholz und eine brutal steinige Mineralität, die den Wein in den langen Abgang trägt. Die 12,5 Umdrehungen sind perfekt verpackt, viel Extrakt, und trotzdem enormer Trinkfluss, definitif aber kein Wein für Fruchtfetischisten. Wer, wie ich, klare und mineralisch fundierte Weine schätzt, sollte diesen Wein unbedingt einmal probieren. Ein knalltrockener Furmint par excellence und eine gute Alternative zum Chablis.

2022er "TX" Txakoli Getariako Txakolina DO (Txomin Etxaniz, Getaria) -Baskenlnd-
Die hier verwendete Rebsorte heisst eigentlich Hondarrabi Zuri, sie wird aber meist unter dem Namen Txakoli vermarktet. Der Txakoli ist quasi der Hauswein der Basken, mit dem sie die Vielzahl an leckeren Pinchos und Meeresfrüchten herunterspülen. Tatsächlich haben wir hier mal das Musterbeispiel einer autochthonen Rebsorten, die vermutlich aus dieser Gegend stammt und -vielleicht aus Qualitätsgründen, sicher aber wegen der Unaussprechlichkeit des Rebsortennamens :lol: nirgendwo anders angepflanzt wird. Der "normale" Txakoli ist auch recht einfach gestrickt: knackige Säure, saubere Frucht und relativ leicht im Alkohol. Das hier vorgestellte Exemplar von über 80 Jahre alten Reben geht aber über das Pauschalbild doch etwas hinaus: hellgelbe Farbe, in der Nase elegante Fruchtnoten (Pfirsich, Agrumen, ein Hauch Exotik in Richtung Sauvignon), ein ganz dezenter Tick Holz (6 Monate französisches Akazienholz), macht Lust auf den ersten Schluck, am Gaumen absolut trocken, die Säure ist präsent, aber in keiner Weise spitz, mittlerer Körper (12,5 Vol%), sehr saftig, deutliche Frucht,kräutrig-florale Nuancen, ein Hauch Holz, saftig und vergnüglich, ein relativ unkomplizierter Wein, der dennoch einen gewissen Anspruch hat.

2022er Timorasso "Derthona" Colli Tortonesi DOC (Vietti) -Piemont-
Auch hier ein gutes Beispiel für eine autochthone Rebsorte, die fast ausgestorben war und erst in den letzten 20 Jahren eine Renaissance erlebt hat. Walter Massa war hier einer der ersten, die sich für diese Rebsorte stark gemacht hat und überzeugende Weine aus dieser Rebsorte gekeltert hat. Die Rebsorte bringt leider nur geringe Erträge und hat für den Winzer die unangenehme Eigenschaft, das die Beeren an einer Traube unterschiedlich reifen. also nix mit Maschinenlese. Hier ist knallharte Handselektion gefragt ;) Trotzdem haben mittlerweile auch einige "big player" im Piemont den Wert dieser Rebsorte erkannt, so eben auch Vietti.
mittelkräftiges Goldgelb, deutliche, aber nicht plakative Frucht, die mich etwas an hochwertigen Kerner aus Südtirol erinnert, Grapefruit, Zitrus, kräutrig, etwas floral, durchaus kraftvoll, am Gaumen trocken, mittelkräftige Säure, die den durchaus kraftvollen Wein auf Linie hält, extraktreich, kräftige, tiefe Gelbfrucht, Hauch Lakritze, sehr saftig, integrierter Alkohol (13,5 Vol%), gute Länge. Ein durchaus wertiger Wein, der aber auch seinen Preis hat (ca. 30 EURO im hiesigen Handel).

2021er "Michika" Vino blanco de Segovia (Esmeralda Garcia) -Segovia-
Auf dem Papier ein einfacher spanischer Tafelwein aus der Rebsorte Verdejo, da die Winzerin sich nicht den Regularien der DO Rueda unterwerfen will.
Aber was für ein bockstarker Wein ! Ich liebe die Weine dieser hochbegabten Winzerin, die über Lagen mit uralten, wurzelechten Rebsöcken verfügt, die deutlich über 100 Jahre, teilweise sogar über 200 Jahre alt sind. Sie produziert auf ihren 5,5 ha jährlich ca. 18.000 Flaschen, wobei die Lagenweine jeweils nur eine Auflage von wenigen hundert Flaschen haben. Der Ausbau erfolgt überwiegend in der Amphore, teilweise auch etwas im großen Holzfass. Auch dieser Wein ist ein Einzellagenwein, wobei hier ein kleiner Anteil in einem alten Sherry-Fass unter Florhefeeinfluss ausgebaut wurde. Ein Experiment, aber ein sehr gelungenes: sehr sauber in der Nase ohne jeglichen flüchtigen Noten, ruht völlig in sich, schwer zu fassende Frucht, komplex, etwas Curry, würzig-kräutrig, wirklich nur ein Hauch "Fino"-Feeling in der Nase, wunderbar ausgewogen am Gaumen, trocken mit harmonischer Säure, die 13,5 Umdrehungen sind in keiner Weise spürbar, stoffig, aber mit selbstverständlicher Abgeklärtheit und Eleganz, hallt lange nach, ohne auch nur ein Funken in Richtung Fülle zu gehen. Toller, einzigartiger Wein, der zeigt, dass "Naturwein" auch fehlerfrei, elegant und auch für viele Weintrinker, die den Naturweinen skeptisch gegenüberstehen, eine unwiderstehliche Versuchung sein kann. Die Weine von Esmeralda Garcia sind in Anbetracht ihrer Qualität extrem günstig (der Ortswein zwischen 20 und 25 EURO, die Lagenweine zwischen 30 und 35 EURO im Handel), wobei die Lagenweine meist ruckzuck ausverkauft und schwer erhältlich sind. Wer keinen Lagenwein bekommt, kann sich mit dem ebenfalls hervorragenden Ortswein "Sanyuste" trösten, von dem jedes Jahr doch in etwa 10.000 bis 12.000 Flaschen vermarktet werden.

2022er Pfaffstättener Tagelsteiner Rotgipfler QW tr. (Stadlmann, Traiskirchen) -Thermenregion-
zum Abschluss noch einen kraftvollen Wein aus der lokalen Rebsorte Rotgipfler. Nach neuesten Analysen handelt es sich hierbei um eine natürliche Kreuzung aus Traminer und Rotem Veltliner, die sich auf den kalkreichen, geschützten und gut erwärmbaren Lagen der Thermenregion sehr wohl fühlt. Sie erbringt qualitativ hochwertige Weine, wie dieser Wein hier beweist: helles Goldgelb, dezente Gelbfruchtnase (Birne,Mirabelle), die etwas an reifen fränkischen Silvaner erinnert, kraftvoller Naseneindruck, Hauch floral, am Gaumen zwar trocken, aber aufgrund des wohl hohen Extraktes ein dezentes Süssegefühl,stimmige, integrierte Säure, kraftvoller Körper, die 13,5 Umdrehungen sind aber gut eingebunden, die wahrscheinlichen Kreuzungspartner finden sich geschmacklich auch in dem Wein, ein Tick Florales ala Traminer und die Kraft, Gelbfruchtigkeit und Würze des Roten Veltliners. Kraftvoll und lang im Abgang ohne schmeckbaren Holzeinfluss. Sehr hochwertiger Sortenvertreter, der sicherlich noch lange reifen kann, jetzt aber schon mit genügend Luft gut zu trinken ist. Angemessener Preis (34 EURO ab Weingut).

Die 9 Rotweine folgen in Kürze !

LG
Bodo
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OsCor
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Re: Autochthone Rebsorten in Würzburg

Beitrag von OsCor »

Lieber Bodo,

solche übermässig mundwässernden Beiträge gehören verboten!

Gruß
Oswald
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Re: Autochthone Rebsorten in Würzburg

Beitrag von EThC »

weinaffe hat geschrieben: Di 18. Feb 2025, 19:58 Nach klassischer Definition sind autochthone Rebsorten solche Sortenvertreter, die in einem bestimmten Gebiet durch Zufallskreuzung entstanden sind und idealerweise heute möglichst nur dort angebaut werden. In einer globalisierten Weinwelt ist ein solcher Weintyp aber nur höchst selten anzutreffen.
...wir hatten die Diskussion auch schon mehrfach anläßlich ähnlich gelagerter Weinrunden, wie eng oder weit man das Thema auslegt. Und da viele Leute im Keller auch bei respektabler Flaschenzahl letztlich doch nur Riesling, Chardonnay und BDX-Cuvées liegen haben, landete dann eben doch Chardonnay aus dem Burgund im Rennen, auch wenn ich der engen Definition näher stehe. Das hat aber dem Charme der betreffenden Runden auch nicht weiter geschadet... :D
Viele Grüße
Erich

Nicht was lebendig, kraftvoll, sich verkündigt, ist das gefährlich Furchtbare. Das ganz Gemeine ist's
DAS EWIG GESTRIGE
was immer war und immer wiederkehrt und morgen gilt, weil's heute hat gegolten.

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Re: Autochthone Rebsorten in Würzburg

Beitrag von weinaffe »

.... und weiter geht es mit den hoffentlich auch mundwässernden ;) roten Autochthonen:

2009er Taurasi DOCG "Le Surte" (Macchialupa) -Kampanien-
Der Taurasi aus dem Hinterland von Neapel gehört für mich zu den unterschätztesten, großen Rotweinen Italiens, der es auf andere Art und Weise qualitativ durchaus mit einem Barolo aufnehmen kann. Er wird zu 100% aus der Rebsorte Aglianico, vielleicht eine Verballhornung der schon unter den alten Griechen bekannten Vitis hellenica, gewonnen. Diese lockerbeerige und hartschalige Rebsorte liebt vulkanische Böden und wird praktisch nur in den Gebieten Kampaniens und der angrenzenden Basilicata angebaut. Die Weine besitzen ein ausgezeichnetes Alterungspotential und können hochqualitative Weine liefern. Da die Rebfläche für den Taurasi gerade einmal 450 ha beträgt, wird der Aglianico wahrscheinlich immer recht unbekannt bleiben, zumal es auch zu wenig ernsthafte Produzenten mit dem entsprechenden Know how gibt.
Macchialupa war mir bisher kein Begriff, der Wein ist aber wirklich ausgezeichnet und jetzt noch im Handel für relativ kleines Geld zu haben.
Im Kern leicht durchscheinendes Rubinrot, für das Alter sehr vitale Farbe, in der Nase etwas Graphit und Feuerstein, deutet schon in der Nase Tiefe an, Brombeere, Kirsche, ein Hauch Holz, am Gaumen zwar trocken, aber mit deutlicher Extraktsüsse,integrierte Säure, noch etwas Resttannin, das für Struktur sorgt, Alkohol gut verpackt, reife, satte Dunkelfrucht, aber ohne plüschige oder überreife Nuancen, körperreich, aber nicht marmeladig, satter, extraktreicher Abgang. Das ist schon ein reifer Wein des Südens, der sich dennoch auch ein Tick nordische Kühle erhalten hat. Wie gesagt, im Handel aktuell für gut 22 EURO erhältlich. Da kann man wirklich nicht meckern....

2018er Moulin-a-Vent "Champ de Coeur" (Richard Rottiers) -Beaujolais-
auch der Gamay, aus dem dieser Moulin-a-Vent produziert wurde, gehört zu den autochthonen Rebsorten und spielt nur noch im Beaujolais als rote Hauptsorte eine Rolle. Die Rebsorte besitzt kompakte Trauben mit dünner Beerenhaut und ist frühreifend. Sie liefert bei höheren Erträgen süffige Alltagsweine, wobei gereiftere Exemplare von Top-Produzenten manchmal einem guten Pinot noir der Cote d'Or recht nahe kommen können. Vor allem die Crus des Beaujolais leisten hier manchmal Erstaunliches, wobei der Moulin-a Vent in puncto Alterungsfähigkeit häufig herausragt.
Mitteldichtes Kirschrot, jugendlicher Eindruck, in der Nase ein Hauch Flieder und Veilchen, Sauerkirsche, Brombeere, recht kühler Naseneindruck, auf der Zunge ganz trocken mit saftihger Säure, noch etwas eckiges, aber feinkörniges Tannin, nur mittelgewichtig (13 Vol%), wirkt noch etwas gehemmt, hat aber zweifellos gute Anlagen, braucht unbedingt Luft, ich würde diesen Wein aber noch 3-5 Jahre im Keller belassen, da wird sich sicher noch etwas Positives tun (ca. 25 EURO im Handel).

2017er "Santa Cecilia" Sicilia Noto DOC (Planeta, Menfi) -Sizilien-
Dieser Wein stammt aus dem äussersten Südosten Siziliens und ist zu 100% aus der Nero d'Avola-Traube produziert, einer typischen Rebsorte Süditaliens. Hier mit einem recht dunklen Rubinrot, in der Nase meint man schon die Kraft dieses Weins zu riechen, satte Dunkelfrucht, kandierte Kirschen, reife Pflaumen, etwas Ätherik, am Gaumen satte Dunkelfrucht mit viel Extrakt,Hauch Cola, Spur marmeladig, leider sind die 14,5 Umdrehungen auch etwas spürbar, ein typischer, südlich inspirierter Powerwein für Liebhaber dieser Stilistik (im Handel ca. 20 EURO). Mir persönlich war das etwas zuviel Power :lol:

2020er Tattendorfer Frauenfeld St. Laurent QW tr. (Reinisch) -Thermenregion-
St. Laurent ist eine Spielart des Pinot noir und stammt vermutlich auch aus Frankreich. Dort ist er aber nicht mehr existent und hat vielmehr in Österreich (vor allem Thermenregion und Neusiedlersee) eine neue Heimat gefunden. In Deutschland,Tschechienund der Slowakei trifft man ihn mitunter an, auch wenn er dort jeweils keine große Rolle spielt.In Österreich ist der St.Laurent jedenfalls seit 1856 urkundlich erwähnt und bringt dort auf kalkhaltigen Böden oft bessere Ergebnisse als der Pinot noir. Der Vertreter des Rotweinspezialisten Reinisch macht jedenfalls eine gute Figur: recht sattes Granatrot, reife, überhaupt nicht kitschige Kirschfrucht, kräutrig-kühle Noten, nach dem kraftvollen Sizilianer sehr angenehm, angenehmer Hauch Holz, saftiger Eindruck, am Gaumen kühler Eindruck, Sauerkirsche, Brombeere, Hauch Himbeere, kräutrige Würze, stimmige Säure, integrierter Alkohol (13 Vol%), schmackhaftes Mittelgewicht mit feinkörnigem Tannin, mittellanger Abgang. Der Wein trinkt sich aktuell schon sehr schön, wird aber in einigen Jahren auch noch bestens munden. Gelungener St. Laurent, der gut den Mittelweg zwischen Gehalt und Eleganz findet (ca. 25 EURO).

2015er Bürgstadter Centgrafenberg "J" Frühburgunder (Josef Walter, Bürgstadt) -Franken-
Der Frühburgunder ist eine Mutation aus dem Spätburgunder und stammt mit großer Wahrscheinlichkeit auch aus Frankreich. Dort wird er aber aus nachvollziehbaren Gründen nicht mehr angebaut. Ist der Pinot noir schon eine "launische Diva", so gilt das in fast noch größerem Ausmaß für den Frühburgunder. Die Erträge sind von Natur aus schon gering und werden durch die starke Neigung zur Verrieselung (Abfallen der Blütenansätze) noch weiter verringert, so dass der Anbau dieser Rebsorte schon einen Luxus für den Winzer darstellt. Der weitere Anbau dieser Rebsorte lässt sich nur dadurch rechtfertigen, dass diese Rebsorte überragende Qualitäten liefern kann, die manchmal sogar den Pinot noir übertreffen. Durch die kleinen Beeren hat der Frühburgunder ein anderes Verhältnis von Saft und Beerenhaut, was meist etwas tieffarbenere und etwas tanninreichere Weine im Vergleich zur Muttersorte liefert.
Der Wein vom nur 3,6 ha grossen Weingut Walter zeigt sich noch in bester Form. leicht durchscheinendes Rubin, reife Kirsche, Hauch Holz, wirkt noch sehr frisch, am Gaumen ohne jegliche Süsse, saftige Säure, elegante Kirschfrucht, trotz 13,5 Vol% kein Schwergewicht, trinkt sich jetzt sehr schön und wird auch in den nächsten paar Jahren noch Spass machen. Damals 25 EURO ab Weingut, aktuelle Jahrgänge liegen jetzt bei über 30 EURO. Aktuell werden auch noch 2 Weine aus dem Jahrgang 2014 als "ten years after"-Weine verkauft, erstaunlicherweise zu praktisch demselben Preis der aktuellen Jahrgänge. Ein wirkilch lobenswerter Kundenservice !

Die restlichen 4 Roten, die es wirklich in sich hatten, folgen morgen!

LG
Bodo
weinaffe
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Re: Autochthone Rebsorten in Würzburg

Beitrag von weinaffe »

... und weiter geht es mit den restlichen 4 Rotweinen:

2020er "ROC" Valtuille de Abajo Bierzo DO (Veronica Ortega) -Bierzo-
Die autochthone Rebsorte ist hier die Mencia, die hauptsächlich im Bierzo-Gebiet sowie noch etwas in Galicien (Rias Baixas, Valdeorras) angebaut wird. Die Rebsorte, die manchmal als spanische Antwort auf den Pinot noir genannt wird, soll eine natürliche Kreuzung aus Alfrocheiro und der relativ unbekannten Patorra sein. Somit dürfte die Herkunft tatsächlich auf der iberischen Halbinsel zu suchen sein. Auch wenn die Rebsorte tatsächlich nicht extrem tieffarbene Weine erbringt, hinkt der Vergleich mit dem Pinot etwas. Wenn allerdings eine talentierte und weitgereiste Winzerin wie Veronica Ortega, die u.a. bei Alvaro Palacios und 1 Jahr bei der Domaine de la Romanee-Conti gearbeitet hat, sich dieser Rebsorte annimmt, entstehen tatsächlich großartige Weine, die in puncto Eleganz und Finesse unzweifelhaft "burgundische Gene" ;) besitzen. Der 2020er ROC macht hier keine Ausnahme: leicht durchscheinendes Rubinrot, sehr verführerische Nase nach Kirsche und Himbeere, vermischt mit floralen und kräutrig-würzigen Aspekten,ganz zarte Holzunterstützung, wunderbar klar und fein, am Gaumen geht das folgerichtig weiter, elegante, tiefe Dunkelfrucht, floral, würzig, sehr saftig, strukturierende Säure, feinkörniges, noch leicht adstringierendes Tannin,trotz 13,5 Vol% voll auf der eleganten und feingliedrigen Seite, perfekt ausgewogen, langer Abgang. Ohne wenn und aber ein großer Wein, der höchstwahrscheinlich in ein paar Jahren noch besser sein könnte.
Für mich eine optimale Umsetzung dieser Rebsorte, die kraftvolle Weine bei hoher Eleganz und Finesse liefern kann. Veronica Ortega arbeitet sehr gerne auch mit einem geringen Anteil weißer Trauben, die sie dem Mencia zugibt, um einen Tick mehr Frische und Feinheit im Rotwein zu erreichen (ähnlich wie bei einigen Syrahs der Nordrhone). Großartiger Wein, der jeden Cent seiner ca. 30 EURO wert ist.

2018er Ruster Blaufränkisch Reserve QW tr. (Giefing, Rust) -Burgenland-
Der Blaufränkisch ist eine Kreuzung aus Blaue Zimmettrube x Weißer Heunisch und stammt vermutlich aus dem östlichen Donauraum (Österreich/Ungarn). Urkundlich ist der Blaufränkisch bereits seit dem 18. Jahrhundert in Österreich nachweisbar. Auch wenn diese Rebsorte unter dem Synonym Lemberger in Württemberg eine wichtige Rolle spielt, bleibt der Blaufränkisch für mich eine autochthone, österreichische Rebsorte.
Das Exemplar aus dem etwas unter dem Radar laufenden Weingut von Claudia (Kellermeisterin) und Erich Giefing ist ein starkes Statement für diese Rebsorte: kräftiges, noch jugendliches Purpurrot, ungewöhnlich elegante und ebenmäßige Nase mit viel Tiefe, schon in der Nase keine Spur Rustikalität, die dieser Rebsorte manchmal anhaftet, unheimlich mundwässernd, am Gaumen absolut trocken, aber viel Extrakt, der einen angenehmen Süsseeindruck hinterlässt, saftige Dunkelfrucht (reife Brombeere, Cassis), nur unterstützender Holzeinsatz, trotz 14 Umdrehungen in keiner Weise alkoholisch oder mastig, unheimlich feinkörniges Tannin, ebenmäßige Frucht, sehr tief, unheimlich elegant, tolle Länge. Das ist ein absoluter High-End-Blaufränker, den man kaum besser vinifiziern kann, ganz großes Kino ! Der Wein wurde auch erst 2022 bei der österreichischen Qualitätsweinprüfung angemeldet, man gibt den Weinen hier extrem viel Reifezeit. Vollkommen berechtigte 34 EURO ab Weingut.

2010er Barolo "Cannubi" DOCG (Francesco Rinaldi) -Piemont-
100% Nebbiolo, hochqualitative Rebsorte, die sich aber anscheinend nur im Piemont richtig wohl fühlt und dort großartige und alterungsfähige Weine erbringen kann. Der spätreifende Nebbiolo hat kompakte Trauben, dünnhäutige Beeren, relativ wenige Farbpigmente, aber dennoch reichlich Tannin.
Daher brauchen zumindest klassisch erzeugte Exemplare ihre Zeit, um ihre optimale Genussreife zu erlangen. Den "Cannubi" haben wir tatsächlich so ziemlich auf dem Höhepunkt erwischt: typisches, durchscheinendes Rubinrot mit etwas Ziegelrot-Reflexen , tolle, reife Nase mit saftiger Süsskirsche, etwas Altholz,ätherisch, null Liebstöckel, im Mund absolut trocken, integrierte Säure, fast abgeschmolzenes Tannin, das dennoch eine feste Struktur gibt, saftige Dunkelfrucht, ätherisch, perfekt integrierter Alkohol (14 Vol%), dicht und fest, klassischer Barolo mit deutlicher Länge. Wird sicherlich auch in 5-10 Jahren viel Spass machen. Hochwertiger traditioneller Barolo. Damals vor Ort ca. 45 EURO. Die Zeiten sind leider vorbei :(

2017er Brunello di Montalcino "Montosoli" DOCG (Altesino) -Toskana-
100% Sangiovese Grosso. Sangiovese ist d i e autochthone Rebsorte Mittelitaliens (vor allem Toskana), die welweit nur hie und da sporadisch angebaut wird, ohne irgendwo die in Italien erzielte Qualität zu erreichen. Der Brunello ist zweifellos eine der großen Weine Italiens, vor allem wenn er aus einer der besten Lagen vor Ort (Montosoli) stammt. Der Wein bestätigt dies auch voll und ganz, auch wenn der Wein zu seinem Optimum vielleicht noch 5-10 Jahr bräuchte. Mittelkräftiges Purpur, sehr feine, elegante Nase nach reifen, roten Früchten, dezenter, feinfühliger Holzeinsatz, dennoch fühlt man schon vom Geruch her die Kraft und Tiefe dieses Weines, selbstverständlich trocken, saftige Säure, die die 14,5 Umdrehungen gut austariert,das feinkörnige Tannin ist noch sehr präsent, Kirsche, Brombeere, dezent Kräuter, sehr dicht und elegant, noch etwas gehemmt, hat aber sicher Potential und wird sich noch besser entwickeln. Langer Nachhall. Toller Brunello mit feiner Klinge. Gekauft im Handel seinerzeit für gut 60 EURO.

Wie immer im Rahmen der VHS herrschte ein angenehmes Klima. Interessierte Menschen, feine Weine, was will man mehr?

In 8 Tagen geht es an selber Stelle mit einem Rundumschlag in Sachen Pinot-Familie in Rot und Weiss weiter. Bericht folgt!

LG
Bodo
amateur des vins
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Re: Autochthone Rebsorten in Würzburg

Beitrag von amateur des vins »

Toller Bericht; danke Bodo!
...und da habt ihr wahrlich mit ein paar Krachern abgeschlossen. :ugeek:
Besten Gruß, Karsten
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