Jürgen Kaube schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung von heute, 11. Mai, auf Seite 58 im Winnsenschaftsteil über eine Studie des Kölner Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung über das Thema "Wein als kulturelles Produkt". Der hübsche Artikel ist leider online nicht verfügbar, hier ist aber die Zusammenfassung der englischsprachigen Studie und ein Link auf das pdf. Interessant insbesondere für Etikettentrinker...
Beckert, Jens, Jörg Rössel and Patrick Schenk
Wine as a Cultural Product: Symbolic Capital and Price Formation in the Wine Field. MPIfG Discussion Paper 14/2. Cologne: Max Planck Institute for the Study of Societies.
Die Untersuchung der Grundlagen des Werts von Gütern ist gegenwärtig eines der zentralen Themen der Wirtschaftssoziologie. Besonders in Märkten für Güter, deren Nutzen vornehmlich in ästhetischen Qualitäten besteht, ist die Konstruktion von Wert ein komplexer sozialer Prozess, da Produktqualität hochgradig ungewiss ist. Der Wein- markt ist hierfür ein besonders gutes Beispiel. Die meisten Konsumenten und sogar Ex- perten sind nicht in der Lage, Wein an seinen sensorischen Qualitäten zu unterscheiden, und können einen Wein in Blindverkostungen auch nicht in eine Preisskala einordnen. Unser Ausgangspunkt ist die Annahme, dass wahrgenommene Qualitätsunterschiede nicht durch die sensorischen Qualitäten des Weins erklärt werden können. Stattdessen erklären wir Wertunterschiede durch soziale Prozesse, in denen Qualität konstruiert und kontrovers diskutiert wird. Dafür nutzen wir Bourdieus Feldtheorie, die in der em- pirischen Analyse des deutschen Weinfeldes starke Unterstützung findet. Es zeigt sich, dass sein Modell der Struktur des Weinfeldes erhebliche Erklärungskraft bei der Er- klärung von Preisunterschieden zwischen Weingütern hat und dass die Orientierung der Konsumenten auf je unterschiedliche Segmente des Feldes in Klassenhierarchien begründet liegt.
http://www.mpifg.de/pu/mpifg_dp/dp14-2.pdf
Wein und Sozialkapital - Paper des MPIfG Köln
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Re: Wein und Sozialkapital - Paper des MPIfG Köln
Habe den Artikel ein wenig quer gelesen und finde die Eingangsbehauptung/Vorraussetzung falsch.
Dort steht, dass Weine zwischen 1,99 und 300 Euro kosten. Nun ja, nehmen wir mal 90 Cent und 20.000 Euro. Dann liegen wir schon mal etwas richtiger. Das ist aber nicht der entscheidende Punkt, sondern mal wieder die Behauptung
"Many experimental studies have shown that even experts are at loss when it comes to describing and comparing different wines ..."
Also wenn man 1,99 Discounter mit, sagen wir, Topweinen ab 50,- Euro aus dem C9 oder Priorato vergleicht und dann keine Unterschiede beschreiben kann (...experts are at loss...); dann würde ich sagen: "Leute, Entschudlgung für die Ehrlichkeit, aber ihr seid schlichtweg keine Weinexperten."
Wo ich zustimmen würdet: Weine so ab ca. 30,- Euro wirklich zu differenzieren von Weinen für 200/500 oder 4000 Euro. Ich glaube, hier sind die Unterschiede verdammt klein und da kommt viel Prestige (Lafite, ...usw) mit rein. Es zeigt sich ja auch, dass viele Weine im C9 für besagten Preis von 30-50 Euro immer mal wieder Top-Bewertungen bekommen.
Aber bitte...ein Wein für 1,99 hat einfach überhaupt keine Chance mit einem schönen C9dP/Priorato für ca. 50,- Euro mitzuhalten. Einfach...keine....Chance. Es sei denn, man ißt vorher einen ganzen Top Mega-Scharf-Chilli, dann wird es eng mit dem Schmecken...siehe die beiden Sommelier-Beiträge auf 3Sat. Da sieht man, was echte Experten in der Lage sind, alles zu riechen und zu schmecken. Und oben besagte Weine blind zu beschreiben und einzuteilen...dett traue ich mir schon zu
...bzw. ist ja auf diversen Hobby-Blind-Verkostungen auch schon häufig genug vorgekommen, sowas.
==> Vorraussetzung falsch ==> Schlüsse, die gezogen werden, falsch.
...wobei die beziehen das auf deutsche Weine
...da mag das dann doch stimmen

Dort steht, dass Weine zwischen 1,99 und 300 Euro kosten. Nun ja, nehmen wir mal 90 Cent und 20.000 Euro. Dann liegen wir schon mal etwas richtiger. Das ist aber nicht der entscheidende Punkt, sondern mal wieder die Behauptung

"Many experimental studies have shown that even experts are at loss when it comes to describing and comparing different wines ..."
Also wenn man 1,99 Discounter mit, sagen wir, Topweinen ab 50,- Euro aus dem C9 oder Priorato vergleicht und dann keine Unterschiede beschreiben kann (...experts are at loss...); dann würde ich sagen: "Leute, Entschudlgung für die Ehrlichkeit, aber ihr seid schlichtweg keine Weinexperten."
Wo ich zustimmen würdet: Weine so ab ca. 30,- Euro wirklich zu differenzieren von Weinen für 200/500 oder 4000 Euro. Ich glaube, hier sind die Unterschiede verdammt klein und da kommt viel Prestige (Lafite, ...usw) mit rein. Es zeigt sich ja auch, dass viele Weine im C9 für besagten Preis von 30-50 Euro immer mal wieder Top-Bewertungen bekommen.
Aber bitte...ein Wein für 1,99 hat einfach überhaupt keine Chance mit einem schönen C9dP/Priorato für ca. 50,- Euro mitzuhalten. Einfach...keine....Chance. Es sei denn, man ißt vorher einen ganzen Top Mega-Scharf-Chilli, dann wird es eng mit dem Schmecken...siehe die beiden Sommelier-Beiträge auf 3Sat. Da sieht man, was echte Experten in der Lage sind, alles zu riechen und zu schmecken. Und oben besagte Weine blind zu beschreiben und einzuteilen...dett traue ich mir schon zu

==> Vorraussetzung falsch ==> Schlüsse, die gezogen werden, falsch.
...wobei die beziehen das auf deutsche Weine



"wine is sunlight held together by water" (Galileo Galilei)
Auch eine Enttäuschung, wenn sie nur gründlich und endgültig ist, bedeutet einen Schritt vorwärts. (Max Planck)
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Re: Wein und Sozialkapital - Paper des MPIfG Köln
So wie ich das verstehe, geht es in der Studie nicht darum zu untermauern, dass qualitativ kein Unterschied zwischen einem 1,99 & 50 Euro Wein besteht. Es geht um Informationsasymetrie (was kostet eine "gute Flasche Wein" in der Produktion?) und daraus folgendem Marktversagen, dass dazu führt das die Gleichung: höhere Produktionskosten = besserer Wein = höherer Preis zuviele Unbekannte enthält (für den Verbraucher) D.h ist ein zB 8 Euro wein näher an den tatsächlichen Produktionskosten als ein 50 Euro Wein (da die Produktionskosten hier auch nicht jenseits der 10 Euro liegen). Die Differenz/Spanne ist ein von den Anbietern initiierter Prozess um soziale Klassenunterschiede zu bedienen (bspw. "ich kann mir das leisten"). Ausreißer nach unten (1,99) mal außen vor, da die Produktionskosten hier nicht über den Erlös gedeckt sind.
Ist jetzt nicht unbedingt eine neue Erkenntnis, aber eine mal ne Studie zu diesem Thema.
Ist jetzt nicht unbedingt eine neue Erkenntnis, aber eine mal ne Studie zu diesem Thema.
wenns läuft, dann läufts. Aber bis es läuft, dauerts...
Re: Wein und Sozialkapital - Paper des MPIfG Köln
Auch wenn mir an andere Stelle unterstellt wurde, ich würde 1,99 EUR Wein das Wort reden, kann ich mir das auch schlecht vorstellen, dass es nicht eine positive Korrelation zwischen Preis und (Geschmacks-)Qualität gibt, d.h. dass ein teurer Wein tendenziell "besser schmeckt" als ein billiger. Das gilt natürlich nicht in jedem Fall aber für eine ausreichend große Stichprobe sollte das der Fall sein, wobei die extreme nach oben sicher keine Rolle spielen, will sagen ab 100 EUR/ 200 EUR/ mehr EUR wird diese Korrelation vermutlich sehr schwach. Aber im Bereich zwischen 1 EUR und 50 EUR würde ich das nicht von der Hand weisen, aus eigener Erfahrung aber auch aus Rückmeldungen wenn ich nicht Experten schöne (teure) Weine einschenke.
In diesem Zshg. ist diese Paper interessant, auf das sich der Autor bezieht:
http://www.darkcoding.net/research/wine ... %203_1.pdf
Individuals who are unaware of the price do not derive more enjoyment from more expensive
wine. In a sample of more than 6,000 blind tastings, we find that the correlation between price
and overall rating is small and negative, suggesting that individuals on average enjoy more
expensive wines slightly less. For individuals with wine training, however, we find indications of a
non-negative relationship between price and enjoyment. Our results are robust to the inclusion of
individual fixed effects, and are not driven by outliers: when omitting the top and bottom deciles
of the price distribution, our qualitative results are strengthened, and the statistical signifi cance is
improved further. These findings suggest that non-expert wine consumers should not anticipate
greater enjoyment of the intrinsic qualities of a wine simply because it is expensive or is appreciated
by experts. (JEL Classifi cation: L15, L66, M30, Q13)
Journal of Wine Economics, Volume 3, Number 1, Spring 2008, Pages 1–9
Hier wird anhand von Proben ermittelt, das diese positive Korrelation für "Weinexperten" schon gilt, für Weinlaien dagegen nicht - sie wäre negativ. Zumindest interessant zu lesen - finde ich.
Gruß, christoph Green
In diesem Zshg. ist diese Paper interessant, auf das sich der Autor bezieht:
http://www.darkcoding.net/research/wine ... %203_1.pdf
Individuals who are unaware of the price do not derive more enjoyment from more expensive
wine. In a sample of more than 6,000 blind tastings, we find that the correlation between price
and overall rating is small and negative, suggesting that individuals on average enjoy more
expensive wines slightly less. For individuals with wine training, however, we find indications of a
non-negative relationship between price and enjoyment. Our results are robust to the inclusion of
individual fixed effects, and are not driven by outliers: when omitting the top and bottom deciles
of the price distribution, our qualitative results are strengthened, and the statistical signifi cance is
improved further. These findings suggest that non-expert wine consumers should not anticipate
greater enjoyment of the intrinsic qualities of a wine simply because it is expensive or is appreciated
by experts. (JEL Classifi cation: L15, L66, M30, Q13)
Journal of Wine Economics, Volume 3, Number 1, Spring 2008, Pages 1–9
Hier wird anhand von Proben ermittelt, das diese positive Korrelation für "Weinexperten" schon gilt, für Weinlaien dagegen nicht - sie wäre negativ. Zumindest interessant zu lesen - finde ich.
Gruß, christoph Green
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Re: Wein und Sozialkapital - Paper des MPIfG Köln
Nachtrag: Jetzt ist auch der Artikel von Jürgen Kaube aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 11. Mai 2014 online:
Soziale Systeme: In vino nobilitas
Eine Studie des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung hat sich die unterschiedlichen Weinpreise vorgenommen und untersucht, wer warum welchen Wein kauft. Das Ergebnis: Teurer Wein muss nicht sein. Für manche aber doch.
Obwohl sie im Großen und Ganzen dieselbe chemische Struktur aufweisen, kosten manche Weine 1,99 und andere 300 Euro die Flasche. Wie kommt das? Mit dieser Ausgangsfrage liefern sich die Autoren einer Studie des Kölner Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung sogleich dem Vorwurf des Banausentums aus. Ja wissen sie denn nicht, dass es eben nicht Alkohol, sondern Wein ist, den man trinkt? Dass zwischen Amselfelder (2,99 Euro) und Romanée-Conti (23 000 Euro für eine Flasche aus dem Jahrgang 2005) ganze Welten an Geschmack liegen? Dass Marktpreise Knappheitspreise sind?
Doch, sie wissen es schon. Aber sie möchten gerne herausfinden, was für Welten das sind und woher die Knappheit kommt. Denn die Preisunterschiede von Weinen sind weitgehend unabhängig von den Produktionskosten. Und sie reflektieren auch nicht die Abstände im Geschmack, jedenfalls dann nicht, wenn man das Urteil ausgewiesener Weinexperten zugrunde legt, das diese bei echten Blindverkostungen abliefern.
Wein ist wenig ohne das ganze Gespräch darüber
Insider des Weinhandels haben den Soziologen bestätigt, dass auch die teuersten Weine in der Produktion selten mehr als zehn Euro pro Flasche kosten. Und weder Kritiker noch gar Konsumenten sind imstande, durch Probieren Weine ihrem Preis zuzuordnen. Das jedenfalls haben Experimente zweifelsfrei bewiesen.
Alles also nur Einbildung? Doch weshalb hat die Einbildung eine Struktur, weshalb ist sie relativ stabil? Diese Frage beantworten heißt, auf das Umfeld des Weinhandels zu schauen. Der Wein ist wenig ohne seine Beschreibung, ohne die Händler, die Auktionshäuser und die Weinexperten mit ihren Geschichten und Bildern. Denn Wein hat - wie Gemälde, Immobilien, Automobile, Urlaubsorte - vor allem einen symbolischen Wert. Kurz: Wein ist wenig ohne das ganze Gespräch darüber.
Das wissen auch manche Produzenten, die, ähnlich wie Galeristen, sich vom Wein als bloß ökonomischem Gut ausdrücklich distanzieren. Man stelle ihn nicht um des Gewinns willen her. Der Trinker müsse ihn erst verstehen lernen. Nicht jeder Kunde sei reif für jeden Wein. Weintrinken sei eine Art autonomes Kunsterleben. Und so weiter.
Kein Einfluss des Bildungsgrades der Käufer
Die Kölner Soziologen haben nun mehr als 1000 Weine von 110 Winzern danach klassifiziert, ob die Hersteller sich als Künstler verstehen, welche besonderen Bodenqualitäten als Ursache für den Geschmack angegeben werden, welche Geschichten über die Weinberge erzählt werden und welche über die Traditionen der Region, etwa alte Rebsorten oder Herstellungsweisen. Am anderen Ende dieser Skala ordneten sie Winzer ein, die Massenproduktion nach dem Publikumsgeschmack, nach modernen Techniken auf ihre Fahnen schreiben.
Dass Winzer, die viel symbolisches Kapital aufgebaut haben, höhere Preise nehmen, ist ökonomisch nicht überraschend. Erstens gehört zu dieser Strategie eine Verknappung der Menge, die entsprechend kompensiert werden muss. Zum anderen ist auch der Aufbau von edler Reputation nicht umsonst zu haben, und auch diese Kosten müssen wieder eingespielt werden.
Interessanter ist der Blick auf die Konsumenten, der zu analogen Befunden kommt: Je höher ihr Einkommen liegt, desto häufiger kaufen sie nicht nur teure Weine, sondern desto mehr ziehen sie auch trockene Weine den süßen vor. Der Bildungsgrad dagegen scheint keinen so großen Einfluss auf den Weingeschmack und das Kaufverhalten zu haben.
Der „Fetischcharakter“ des Weins
Das Ausmaß der Beschäftigung mit Wein hingegen schon. Wer direkt beim Winzer kauft, zieht teure Weine vor. Und je wohlhabender und gebildeter die Leute sind, desto mehr hängen sie der Meinung an, was für ein Wein jemand trinke, sage etwas über die soziale Stellung der betreffenden Person aus. Auch für diese Auffassung nimmt ihnen der Handel Geld ab.
Theodor W. Adorno hatte einst vom „Fetischcharakter“ manchen Konzertbesuchs gesprochen: Die Leute konsumieren in Salzburg den Preis der Konzertkarte und erst in zweiter Linie das Konzert. Die Kölner Soziologen könnten ergänzen, dass der Preis des Weins ein Signal für mehrere Gebrauchswerte der Ware ist. Man kann sie trinken, aber auch schon genießen, dass man sie hat, sie sich leisten kann, dass andere das anerkennen und dass man damit teilhat an einer Sonderwelt gepflegter Freizeitgestaltung.
Man kann die These der Studie darum auch so formulieren: Es gibt nicht erst teure Weine, und die Leute kaufen sie dann. Sondern weil es Leute gibt, die kaufkräftig genug und interessiert daran sind, beim Wein auch den Preis und sein kostbares Drumherum zu genießen, werden für sie eigens teure Weine hergestellt.
Quelle: http://www.faz.net/aktuell/wissen/natur ... 33446.html
Soziale Systeme: In vino nobilitas
Eine Studie des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung hat sich die unterschiedlichen Weinpreise vorgenommen und untersucht, wer warum welchen Wein kauft. Das Ergebnis: Teurer Wein muss nicht sein. Für manche aber doch.
Obwohl sie im Großen und Ganzen dieselbe chemische Struktur aufweisen, kosten manche Weine 1,99 und andere 300 Euro die Flasche. Wie kommt das? Mit dieser Ausgangsfrage liefern sich die Autoren einer Studie des Kölner Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung sogleich dem Vorwurf des Banausentums aus. Ja wissen sie denn nicht, dass es eben nicht Alkohol, sondern Wein ist, den man trinkt? Dass zwischen Amselfelder (2,99 Euro) und Romanée-Conti (23 000 Euro für eine Flasche aus dem Jahrgang 2005) ganze Welten an Geschmack liegen? Dass Marktpreise Knappheitspreise sind?
Doch, sie wissen es schon. Aber sie möchten gerne herausfinden, was für Welten das sind und woher die Knappheit kommt. Denn die Preisunterschiede von Weinen sind weitgehend unabhängig von den Produktionskosten. Und sie reflektieren auch nicht die Abstände im Geschmack, jedenfalls dann nicht, wenn man das Urteil ausgewiesener Weinexperten zugrunde legt, das diese bei echten Blindverkostungen abliefern.
Wein ist wenig ohne das ganze Gespräch darüber
Insider des Weinhandels haben den Soziologen bestätigt, dass auch die teuersten Weine in der Produktion selten mehr als zehn Euro pro Flasche kosten. Und weder Kritiker noch gar Konsumenten sind imstande, durch Probieren Weine ihrem Preis zuzuordnen. Das jedenfalls haben Experimente zweifelsfrei bewiesen.
Alles also nur Einbildung? Doch weshalb hat die Einbildung eine Struktur, weshalb ist sie relativ stabil? Diese Frage beantworten heißt, auf das Umfeld des Weinhandels zu schauen. Der Wein ist wenig ohne seine Beschreibung, ohne die Händler, die Auktionshäuser und die Weinexperten mit ihren Geschichten und Bildern. Denn Wein hat - wie Gemälde, Immobilien, Automobile, Urlaubsorte - vor allem einen symbolischen Wert. Kurz: Wein ist wenig ohne das ganze Gespräch darüber.
Das wissen auch manche Produzenten, die, ähnlich wie Galeristen, sich vom Wein als bloß ökonomischem Gut ausdrücklich distanzieren. Man stelle ihn nicht um des Gewinns willen her. Der Trinker müsse ihn erst verstehen lernen. Nicht jeder Kunde sei reif für jeden Wein. Weintrinken sei eine Art autonomes Kunsterleben. Und so weiter.
Kein Einfluss des Bildungsgrades der Käufer
Die Kölner Soziologen haben nun mehr als 1000 Weine von 110 Winzern danach klassifiziert, ob die Hersteller sich als Künstler verstehen, welche besonderen Bodenqualitäten als Ursache für den Geschmack angegeben werden, welche Geschichten über die Weinberge erzählt werden und welche über die Traditionen der Region, etwa alte Rebsorten oder Herstellungsweisen. Am anderen Ende dieser Skala ordneten sie Winzer ein, die Massenproduktion nach dem Publikumsgeschmack, nach modernen Techniken auf ihre Fahnen schreiben.
Dass Winzer, die viel symbolisches Kapital aufgebaut haben, höhere Preise nehmen, ist ökonomisch nicht überraschend. Erstens gehört zu dieser Strategie eine Verknappung der Menge, die entsprechend kompensiert werden muss. Zum anderen ist auch der Aufbau von edler Reputation nicht umsonst zu haben, und auch diese Kosten müssen wieder eingespielt werden.
Interessanter ist der Blick auf die Konsumenten, der zu analogen Befunden kommt: Je höher ihr Einkommen liegt, desto häufiger kaufen sie nicht nur teure Weine, sondern desto mehr ziehen sie auch trockene Weine den süßen vor. Der Bildungsgrad dagegen scheint keinen so großen Einfluss auf den Weingeschmack und das Kaufverhalten zu haben.
Der „Fetischcharakter“ des Weins
Das Ausmaß der Beschäftigung mit Wein hingegen schon. Wer direkt beim Winzer kauft, zieht teure Weine vor. Und je wohlhabender und gebildeter die Leute sind, desto mehr hängen sie der Meinung an, was für ein Wein jemand trinke, sage etwas über die soziale Stellung der betreffenden Person aus. Auch für diese Auffassung nimmt ihnen der Handel Geld ab.
Theodor W. Adorno hatte einst vom „Fetischcharakter“ manchen Konzertbesuchs gesprochen: Die Leute konsumieren in Salzburg den Preis der Konzertkarte und erst in zweiter Linie das Konzert. Die Kölner Soziologen könnten ergänzen, dass der Preis des Weins ein Signal für mehrere Gebrauchswerte der Ware ist. Man kann sie trinken, aber auch schon genießen, dass man sie hat, sie sich leisten kann, dass andere das anerkennen und dass man damit teilhat an einer Sonderwelt gepflegter Freizeitgestaltung.
Man kann die These der Studie darum auch so formulieren: Es gibt nicht erst teure Weine, und die Leute kaufen sie dann. Sondern weil es Leute gibt, die kaufkräftig genug und interessiert daran sind, beim Wein auch den Preis und sein kostbares Drumherum zu genießen, werden für sie eigens teure Weine hergestellt.
Quelle: http://www.faz.net/aktuell/wissen/natur ... 33446.html
Re: Wein und Sozialkapital - Paper des MPIfG Köln
danke, Knut, für die Texte, die mich allerdings etwas verwirren, denn es ist ja nicht neu, dass Produkte neben ihrem vermeintlichen Hauptzweck auch dem Image, Renommee, der Sammelleidenschaft, Vermögenssicherung, Spekulation etc. dienen. Und dieser „Mehrwert“ muss auch von denen bezahlt werden, die sich nicht für ihn interessieren.
Auch die große Kluft zwischen Produktions- und Marktkosten gilt für alle Waren, die stark von ihrem ästhetischen Reiz geprägt sind: Schuhe, Klamotten, Gemälde, Möbel, Autos, Restaurantgerichte, Musik etc.
Alles nur motiviert durch Geplapper? Es scheint mir ein Mangel zu sein, wenn Studien nicht genauer zeigen, wie es zur Wertschätzung eines solchen Reizes kommt.
Wenn ich darüber hinaus wissen will, wie das Preisbewusstsein speziell beim Wein tickt, muss ich eigentlich alle Motive ausklammern, die leicht auch durch andere Güter befriedigt werden könnten (Porsche fürs Image, Opernkarten fürs Renommee, Goldbaren als Geldanlage etc.).
Hinsichtlich Wein finde ich nur die Frage interessant, ob ich und andere für den Wert, den er für uns hat – nämlich den Genuss – mehr bezahlen, als wir müssten. Dass wir uns quasi dümmer verhalten als jemand, der gezielt protzen will, weil wir uns von Parker-Punkten, Forendiskussionen etc. über unseren eigenen Geschmack hinwegtäuschen.
Die Behauptung, selbst Experten könnten Weine nicht preislich zuordnen, ist da viel zu pauschal. Nach meinen Erfahrungen gelingen Zuordnungen relativ gut. Schwankungen mögen sich aber schon deshalb ergeben, weil man ja nicht weiß, wieviel „Mehrwert“ bezahlt werden muss, falls ein Wein zufällig gerade als Renommierprodukt in Mode ist. Wer diesen speziellen Wein liebt, ist bis zu einem gewissen Grade bereit, die für ihn wertlosen Interessen anderer mitzubezahlen.
Michael schenkte gestern verdeckt einen Mouton Rothschild 1970 aus. In einer zusammenhanglosen Revue von „Restflaschen“. Wir konnten also nicht ahnen, dass wir einen Cru Classé tranken (und nur ein Mitprobierer hat überhaupt den Geschmack eines Bordeaux erkannt). Trotzdem gingen die Bewertungen pfeilschnell nach oben (im Mittel etwa 94 Punkte) und der Mouton wurde, glaube ich, mit der zweitbesten Punktzahl insgesamt bedacht (die höchste war 97, die niedrigste lag in den tiefen 80ern). Für mich zeichnete sich Mouton 70 durch eine unglaublich expressive Mocca-Anmutung aus. Andere Noten blieben zurück hinter einem Gesamteindruck, als würden die Aromen frisch auf eine Palette getupft, wobei zwischen dem Kaffee lebendige Frucht zutage trat.
Ein solches Geschmackserlebnis lässt sich schwer mit einem Preisschild versehen. Aber die Erfahrung und geschmackliche Bildung lehrt, dass es oft mit höheren Preisregionen in Zusammenhang steht. Und nun wäre für mich die Frage, wie weit ich den Preis mittrage, obwohl er für mich viel überflüssige Faktoren enthält. Wem der Mouton-Mokka 30 Euro wert ist, kann ihn trotzdem auf 80 schätzen und 100 dafür bezahlen. Was ihn interessiert, mag aber in erster Linie sein Genuss sein und meinethalben dann das Geplapper.
Im Zweifel empfehle ich Michaels Domaine de Marcous 2001. Der war fast noch besser.
Gruß, Kle
Auch die große Kluft zwischen Produktions- und Marktkosten gilt für alle Waren, die stark von ihrem ästhetischen Reiz geprägt sind: Schuhe, Klamotten, Gemälde, Möbel, Autos, Restaurantgerichte, Musik etc.
Alles nur motiviert durch Geplapper? Es scheint mir ein Mangel zu sein, wenn Studien nicht genauer zeigen, wie es zur Wertschätzung eines solchen Reizes kommt.
Wenn ich darüber hinaus wissen will, wie das Preisbewusstsein speziell beim Wein tickt, muss ich eigentlich alle Motive ausklammern, die leicht auch durch andere Güter befriedigt werden könnten (Porsche fürs Image, Opernkarten fürs Renommee, Goldbaren als Geldanlage etc.).
Hinsichtlich Wein finde ich nur die Frage interessant, ob ich und andere für den Wert, den er für uns hat – nämlich den Genuss – mehr bezahlen, als wir müssten. Dass wir uns quasi dümmer verhalten als jemand, der gezielt protzen will, weil wir uns von Parker-Punkten, Forendiskussionen etc. über unseren eigenen Geschmack hinwegtäuschen.
Die Behauptung, selbst Experten könnten Weine nicht preislich zuordnen, ist da viel zu pauschal. Nach meinen Erfahrungen gelingen Zuordnungen relativ gut. Schwankungen mögen sich aber schon deshalb ergeben, weil man ja nicht weiß, wieviel „Mehrwert“ bezahlt werden muss, falls ein Wein zufällig gerade als Renommierprodukt in Mode ist. Wer diesen speziellen Wein liebt, ist bis zu einem gewissen Grade bereit, die für ihn wertlosen Interessen anderer mitzubezahlen.
Michael schenkte gestern verdeckt einen Mouton Rothschild 1970 aus. In einer zusammenhanglosen Revue von „Restflaschen“. Wir konnten also nicht ahnen, dass wir einen Cru Classé tranken (und nur ein Mitprobierer hat überhaupt den Geschmack eines Bordeaux erkannt). Trotzdem gingen die Bewertungen pfeilschnell nach oben (im Mittel etwa 94 Punkte) und der Mouton wurde, glaube ich, mit der zweitbesten Punktzahl insgesamt bedacht (die höchste war 97, die niedrigste lag in den tiefen 80ern). Für mich zeichnete sich Mouton 70 durch eine unglaublich expressive Mocca-Anmutung aus. Andere Noten blieben zurück hinter einem Gesamteindruck, als würden die Aromen frisch auf eine Palette getupft, wobei zwischen dem Kaffee lebendige Frucht zutage trat.
Ein solches Geschmackserlebnis lässt sich schwer mit einem Preisschild versehen. Aber die Erfahrung und geschmackliche Bildung lehrt, dass es oft mit höheren Preisregionen in Zusammenhang steht. Und nun wäre für mich die Frage, wie weit ich den Preis mittrage, obwohl er für mich viel überflüssige Faktoren enthält. Wem der Mouton-Mokka 30 Euro wert ist, kann ihn trotzdem auf 80 schätzen und 100 dafür bezahlen. Was ihn interessiert, mag aber in erster Linie sein Genuss sein und meinethalben dann das Geplapper.
Im Zweifel empfehle ich Michaels Domaine de Marcous 2001. Der war fast noch besser.
Gruß, Kle
Das Schema der Wirklichkeit ist das Dasein in einer bestimmten Zeit
Immanuel Kant, Elementarlehre
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