Na, das ist unvorstellbar, spätestens am Nachmittag sind die Hauptverkehrsströme in den Messehallen gnadenlos verstopft und ich vermute, manch ein hintermoldawischer Stand in verstecktem Hallenwinkel verdankt einen nicht unerheblichen Teil seiner Interessenten dem Wunsch, einfach mal in Ruhe einen Wein zu probieren, oder sich auch nur einmal auf einen Stuhl setzen zu können. Und dann schmeckt der Wein auch gleich noch einmal so gut.
Und wenn der letzte Schluck gespuckt, die letzte Hand geschüttelt und das letzte Glas umgekippt ist, werdet ihr feststellen, dass man Wein auch trinken kann.
Den 2009er Figeac, den konnte ich nicht spucken, hach war der gut, wieder zurück zu alten Tugenden und der letzte, den Thierry Manoncourt noch erlebt hat. Abgesehen davon ist die Anordnung und Anzahl der crachoirs bei der Union des Grands Crus eher übersichtlich, so dass der obligatorische Weinmesse-Dreikampf "Riechen-Schwenken-Spucken" zum Vierkampf mutiert "Riechen-Schwenken-Sprinten-Spucken". Auch plädiere ich für einen Spucknapfkodex, nach dem Motto Brillenträger spucken vor Kontaktlinsenträgern und Ladies first. Dann wäre mir ein äußerst kompliziert zu entfernender Rotweinfleck auf dem Pullover erspart geblieben. Ach ja, und der Herr Graf hat die Pullovermarke gewechselt

Das Schönste an der ProWein ist das Bier danach.
Da ist was dran. Das Bier danach gab es bei einer Podiumsdiskussion von Dirk Würtz zum Thema "Biowein" und war natürlich biologisch. Es heißt Meinklang, stammt aus einem österreichischen Biobetrieb, schmeckt angenehm bitter, war gut gekühlt (ich hatte eine Flasche vom Boden des Eiswürfelbeckens erwischt) und tat einfach gut.
Die Biowein-Diskussion war, u.a. dem knappen Zeitbudget geschuldet, ein wenig oberflächlich und wenn ich den rührigen Veranstaltern einen kleinen Tipp geben darf: Gerade wenn man wenig Zeit hat, ist eine sorgfältige Vorbereitung wichtig. Es reicht nicht, das Herz auf dem rechten (bzw. linken) ideologisch-einwandfreien Fleck zu haben.
Eine Frage, die aufgeworfen wurde, war, was denn "Biowein" sei und ob das Konzept beim Verbraucher ankomme.
Da hätte man es sich sicher einfach machen können: Ein Biowein ist ein nach den endlich verabschiedeten EU-Richtlinien erzeugter Wein (natürlich kann - und muss - man über die Kriterien noch erheblich diskutieren). Muss ein Verbraucher da eigentlich mehr wissen? Weiß "der Verbraucher" denn genau, welche Richtlinien gelten, damit ein Milchbauer "Bio" auf seine Milch oder seinen Käse pappen darf oder wann eine Leberwurst eine Bioleberwurst ist? Wichtig ist da die Glaubwürdigkeit der Produzenten und die Transparenz und Nachvollziehbarkeit bei den Kriterien, also dass, wer will und sich interessiert, sich zuverlässig informieren kann. Aber als Anforderung an den Konsumenten? Ich kann doch nicht von jeder Hausfrau ein Ökotrophologiestudium verlangen, nur damit sie unfallfrei 10 Eier einkaufen kann.
A propos Kriterien. Natürlich fiel irgendwo die Vokabel "Holzchips" und das Grauen, das die versammelte Zuhörerschaft befiel, war fast körperlich zu spüren. Ich musste ein wenig grinsen, weil ich kurz Zeit vorher einen sehr feinen Rotwein eines südfranzösischen Weinguts probiert hatte und gefragt hatte, ob der aus dem Barrique stamme. Nein, war die Antwort der charmanten Besitzerin, wir produzieren nachhaltig und umweltbewusst und wegen unserer Weine müssen weder Eichen- noch Korkwälder abgeholzt werden; wir verwenden Holzchips und es hat uns einige Zeit gekostet, bis wir den richtigen Einsatz herausgefunden haben.
Hat die Frau nicht recht?
Denn die Frage stellte sich danach unausweichlich: Sind Bioweine besser?
Martin Koesler, der bei der Diskussion den Handel vertrat, war natürlich davon überzeugt, dass Bioweine besser, individueller, regionaler seien und mehr Frische aufwiesen. Lotte Pfeffer-Müller, Vorsitzende des Verbands Ecovin, widersprach vehement: Darum ginge es nicht und das sei auch nicht das Anliegen. Es ginge um nachhaltiges ressourcenschonendes Wirtschaften, um die Problematik der Monokultur, die der Weinbau nun mal ist, möglichst zu vermeiden oder zu minimieren. Und dass ein Wein gut sein solle, sortentypisch, terroirtypisch, das verstehe sich von selbst.
Da bin ich ganz bei Frau Müller, oder Frau Pfeffer. Mir ist aufgefallen, dass bei der Thematik gerade unter den Weinaficionados, oder Wein-Nerds wie Würtz es ausdrückte, einige sind, die ihrer ganze Wein- und Winzer"romantik" (fast hätte ich "Heilserwartung" geschrieben) auch in den Begriff "bio" packen und damit Äpfel und Birnen gleich in einen Topf werfen. Es entstehen sofort die sattsam bekannten Vokabeln von Handlese, Spontanvergärung und Verzicht auf Schönung oder Filtration oder was der magischen Vokabeln mehr sind, die mit Spitzenweinerzeugung in Verbindung gebracht werden.
Und was ist mit dem 1,99-Biowein aus dem Discounter? Ist der nicht "Bio", alles Etikettenschwindel? Ich bin davon überzeugt, dass Etikettenschwindel bei jeder Art der Erzeugung möglich ist, denn schwarze Schafe gibt es überall, da sind auch Bioerzeuger nicht außen vor, aber das ist doch gar nicht das Thema. Wieso sollte es unmöglich sein, dass ein Massenerzeuger mit einem Ausstoß von mehreren 100.000 Flaschen und Weinen von gleichbleibenden Geschmacksbildern pro Jahr nicht nachhaltig wirtschaften kann? Er kann genauso gut biologische Maßnahmen der Bodenoptimierung anwenden, auf bestimmte Chemikalien verzichten, er kann seinen Vollernter auf Biodiesel umrüsten und seine Tanklager mit Solarstrom oder Windenergie versorgen, er kann alle geforderten Kriterien erfüllen bis zum chlorfrei gebleichten Recyclingpapier im Büro (das gräuliche, von dem man immer so schlecht kopieren kann).
Was mir noch bei dem Thema auffällt, ist das Weinangebot in Bioläden oder Biosupermärkten, eine eigene Nische, von deren Weinen (ich bekomme manchmal als Maßnahme der Kundenbindung eine Flasche in die wöchentliche Gemüsekiste gesteckt) mir bisher noch keiner geschmeckt hat. Fast, als habe man Angst, die immer noch stark vertretene grobsockige "Müslikundschaft" durch zu viel Finesse und Struktur zu vergrätzen. Das muss nach Anstrengung schmecken, nicht nach Genuss und Lust. Vielleicht tu ich denen ja unrecht, vielleicht ist es auch nur die Unkenntnis der Bioladenbetreiber mit der Materie und daraus folgende Fehler bei Einkauf und Lagerung (Literrieslinge aus 2005 gehören heute wirklich nicht mehr ins Regal, auch wenn sie "Bio" sind).
Nach soviel trockener (ich bekam mein Bier erst nach der Diskussion) Theorie hab ich dann noch ein bisschen Praxis getankt (also gespuckt) und den allerletzten Wein wiederum hab ich auch geschluckt. Erstens, weil auch der es verdient hatte und zweitens weil ich mich für meinen heldenhaften Einsatz ein wenig belohnen wollte.
2010 Theilheimer Altenberg Blauer Silvaner Kabinett
Weingut Deppisch, Franken
Das Gut ist seit 2011 Demeter-zertifiziert, dieser Wein stammt also noch aus der Vor-zertifizierungsphase, aber wer weiß, dass so ein Übergang gut und gerne seine sieben Jahre dauert, der kann sich vorstellen, dass auch der 2010er schon ganz überwiegend nach den Demeter-Richtlinien erzeugt worden ist.
Und, auch das ein recht einhelliges Credo der versammelten Diskustanten, "wichtig ist im Glas" und das war ein wunderbarer zartgliedriger, frischer Silvaner, mit seinen etwa 7 gr Restzucker mehr nominell als faktisch trocken, die Süße aufgefangen von einer feinen Säure und mit zarten Zitrus- und Kernobstaromen, angenehm frisch, klare eher zurückhaltende Mineralik und ein passabler Abgang.
Ich war eigentlich überzeugt, die Preisliste mitgenommen zu haben, kann sie aber gerade in meinem Papierwust, den es noch aufzuarbeiten gilt, nicht finden; aber ich erinnere mich, dass ich noch einmal angenehm überrascht war, als ich den Preis sah; wenn Preis-Leistung ein Kriterium ist, dann ist der Wein richtig groß! Und ein Beweis, dass Biowein auch nicht zwangsläufig teurer sein muss als konventionell erzeugter.