Auf ein Glas ..... 2007 Santa Duc, Gigondas
Verfasst: Di 7. Feb 2012, 08:21
"Schatz" sagt die beste Ehefrau von allen zum ebenso allerbesten Gatten "Scha_hatz, wir müssen mal reden!"
Schockschwerennot!
Man sollte meinen, die Eröffnung ist überhaupt nicht gut gewählt, "wir müssen reden" ist normalerweise so ziemlich die riskanteste Gesprächseröffnung, die frau wählen kann; "wir müssen reden" lässt selbst gestandenen Männern, die ohne jeglichen Protest ganz alleine die neue Waschmaschine in den Keller transportieren und selbstständig und ohne weitere Aufforderung auch gleich anschließen, das Blut in den Adern gefrieren. Apokalyptische Szenarien von tränenfeuchten Taschentüchern, schluchzend hervorgebrachten Wortfetzen, verschmiertem Mascara* und endlosen Schilderungen unverständlicher Befindlichkeiten tauchen vor Schatzens geistigem Auge auf.
Oder sie ist mal wieder nicht richtig in die Garage gekommen. Oder Helga kommt übers Wochenende.
Natürlich ist das das alles wohl durchdacht, mindestens so ausgeklügelt wie die Grünfeld-Indische Eröffnung.
"Weißt Du Schatz, wir haben doch diesen Monat noch ein bisschen Geld übrig!"
Man sieht förmlich ganze Gerölllawinen von des Gatten Herz stürzen, Gottseidank, es geht nur um Geld. Wenn sich die Sache mit Geld lösen lässt, dann ist es eine einfache, und kein emotionsgeladenes Beziehungsgedöns, wo man immer aufgefordert wird, was zu sagen, und dann passt es doch wieder nicht.
Und das ist der Moment, wo Schatz sich eine kleine Unaufmerksamkeit leistet.
"Schau mal, heute ist der neue Prospekt von Pinards bester Weinzeche gekommen, Sonderangebot, und wir haben ja mal wieder keinen einfachen Weißwein, so einen, den ich auch mal zum Kochen nehmen kann! Und da hab ich gedacht, ich bestell mal schnell ein Kistchen, das ist doch o.k., oder? Begrenztes Angebot stand da."**
"Klar, ist das o.k.!" Jessas, dass Frauen die Sache aber auch immer so kompliziert machen müssen, sie hat ne Kiste Wein gekauft, gut, wär nicht nötig gewesen, es sind ja noch ungefähr 1600 Flaschen im Keller, aber das ist wahrscheinlich so wie mit dem Schrank voller Kleider und nix anzuziehen.
Aber: Hätte frau nur beiläufig beim Abendessen gesagt "Du, ich hab übrigens bei Dolomiti eine Kiste Wein bestellt" hätte es eine längere Abhandlung zum Thema "hättest Du aber auch mal mit mir absprechen können und ausgerechnet der und warum hast Du davon nicht auch was mitbestellt…" gegeben und Schatz hätte sich schon aus Prinzip ein bisschen aufgeregt.
Vom weiteren Verlauf der abendlichen Unterhaltung hängt dann ab, ob Frau Schatz auch noch den Ankauf der neuen Schuhe ins Spiel bringt.
Danach begibt Schatz sich in den Keller, stellt fest, dass man bei den einfachen Weißweinen wirklich ein bisschen schwach sortiert ist und holt sich einen Feierabendwein raus.
Halt, lieber Mann! Feierabendwein, so haben wir letztens erst beim Korkkapitän gelernt, geht gar nicht; genauso wenig wie Terrassenwein oder Alltagswein, ja noch nicht mal ein schönes Glas Wein darf man sich genehmigen. Einfach Wein, ohne jede weitere Verzierung, schnörkellos, ohne Plüsch. In Deutschland, so argumentiert der Käptn, sei es ja so, dass Wein nicht zur Alltagskultur gehöre, sondern zu den schon fast extravaganten Genüssen, die man natürlich dementsprechend auch verbal adeln müsse; selbst wenn es sich nur um die fragwürdigsten Discounterangebote handele.
Ja Käptn, mein Käptn, so isses nun mal, und die Vergangenheit können wir nicht ändern und wenn in der Gegenwart Wein eben noch zu den besonderen Genüssen gehört, sozusagen zum Sonntagsstaat und – egal in welcher Form er daher kommt – eine besondere Würdigung und Wertschätzung auch sprachlich erfährt, Dschiehses Kraist, es gibt wahrlich schlimmeres. Und im Lande, wo der Wein zu Alltagskultur gehört, hat das auch zur Folge, dass ich gute (darf ich das hier schreiben?) Weine aus Zahnputz- oder Ballongläsern, randvoll gefüllt, trinken muss – auch nicht der wahre Genuss.
Auch stecke da so ein Schubladendenken hinter, den Terrassenwein trinke man nicht vor dem Kamin und den Feierabendwein nicht zum Samstagsbrunch und den Alltagswein nicht an Silvester.
Na ja, man kann an allem was finden, und wenn man es zu einer deutschen Untugend erklärt, dann ist einem der Beifall des Feuilletons sicher. Ich nenn meinen er-tanzte-nur-einen-Sommer frischen knackigen Wein weiterhin Terrassenwein und die warm-gewürzigen Rhôneweine meine Kaminweine und den Wein, den ich ins Ragout gebe, einen Kochwein.
Also schüttelt Schatz diesen philo/sozio/oenologischen Exkurs ab, er will jetzt nur seine Ruhe haben, ein feines (jawoll) Glas Wein trinken, seine Lieblingsmusik hören und abspannen, der Tag im Büro war stressig genug, drei Sitzungen an einem Tag und wenn nicht jeder alles dreimal gesagt hat, dann gilt es ja nicht als gesagt und als nicht beschlossen.
Ins Glas kommt
2007 Santa Duc, Gigondas
der ist aus dem kühlen Keller zwar ein bisschen zu kalt, aber das ist ja Gottseidank eine Eigenschaft, die mit der Zeit von alleine besser wird. Im Glas entwickelt sich ein ganz feiner Duft nach Pflaumenmus, dem richtig dicken süßen aus getrockneten Pflaumen, nach Heidelbeeren, Bouquet garni, auch ein wenig Pfeffer. Wenn man die Augen schließt kann man sie deutlich vor sich sehen, die hügelige Landschaft und wie man oben an einer Felsruine steht, der Wind pfeift ordentlich und trägt einem die Düfte aus den Weinfeldern zu, und von den Wildrosenhecken. Unten glänzt die Rhône silbrig in der Nachmittagssonne und man hat noch den Kaffee und das kleine Schokolädchen aus dem Café im Dorf auf der Zunge.
Und dann ein Schluck, ruhig über die Zunge rollen lassen und noch einmal alle Aromen aufnehmen, das samtraue Tannin spüren, die Kraft und die Wärme, die dieser Wein ausstrahlt, genießen.
Ruhige Musik, Philip Catherine, diese Leichtigkeit, mit der er die Gitarre spielt, die Melodien perlen, noch ein Schluck, der Wein hat nun gerade die richtige Temperatur, dadurch wirkt er harmonischer, die Aromen abgerundeter, und jetzt einfach die Augen schließen und die kostbaren Stunden genießen, bevor am nächsten Tag die Tretmühlen wieder losgehen und man sich zu allem Gedanken machen muss, zu allem eine Meinung haben muss, Entscheidungen treffen muss und höllisch aufpassen, dass man nicht in der Eile eine falsche Vokabel für irgendwas benutzt.
http://www.youtube.com/watch?v=HaSWo1mmlu4
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* Mascara, so weiß der fortgeschrittene Schatz ist mitnichten eine Provinz am Persischen Golf, sondern das sind diese kleinen Bürstchen, die in farbbefüllten Röhrchen stecken, mit deren Hilfe sich jedes weibliche Wesen mit traumwandlerischer Sicherheit die Wimpern färbt, ohne auch nur einmal den Augapfel zu verletzen. Allerdings verschmiert Mascara bei der kleinsten Träne. Es gibt auch wasserfestes Mascara, das ist allerdings so wasserfest wie bügelfreie Oberhemden bügelfrei.
** Das stand zwar nicht direkt da, macht sich aber in dem Zusammenhang gut und fällt unter die Kategorie künstlerische Freiheit (vulgo Notlüge). Außerdem wird jeder Mathematiker bestätigen, dass auch die Ganzzahl 314.758 keineswegs unendlich ist.
Schockschwerennot!
Man sollte meinen, die Eröffnung ist überhaupt nicht gut gewählt, "wir müssen reden" ist normalerweise so ziemlich die riskanteste Gesprächseröffnung, die frau wählen kann; "wir müssen reden" lässt selbst gestandenen Männern, die ohne jeglichen Protest ganz alleine die neue Waschmaschine in den Keller transportieren und selbstständig und ohne weitere Aufforderung auch gleich anschließen, das Blut in den Adern gefrieren. Apokalyptische Szenarien von tränenfeuchten Taschentüchern, schluchzend hervorgebrachten Wortfetzen, verschmiertem Mascara* und endlosen Schilderungen unverständlicher Befindlichkeiten tauchen vor Schatzens geistigem Auge auf.
Oder sie ist mal wieder nicht richtig in die Garage gekommen. Oder Helga kommt übers Wochenende.
Natürlich ist das das alles wohl durchdacht, mindestens so ausgeklügelt wie die Grünfeld-Indische Eröffnung.
"Weißt Du Schatz, wir haben doch diesen Monat noch ein bisschen Geld übrig!"
Man sieht förmlich ganze Gerölllawinen von des Gatten Herz stürzen, Gottseidank, es geht nur um Geld. Wenn sich die Sache mit Geld lösen lässt, dann ist es eine einfache, und kein emotionsgeladenes Beziehungsgedöns, wo man immer aufgefordert wird, was zu sagen, und dann passt es doch wieder nicht.
Und das ist der Moment, wo Schatz sich eine kleine Unaufmerksamkeit leistet.
"Schau mal, heute ist der neue Prospekt von Pinards bester Weinzeche gekommen, Sonderangebot, und wir haben ja mal wieder keinen einfachen Weißwein, so einen, den ich auch mal zum Kochen nehmen kann! Und da hab ich gedacht, ich bestell mal schnell ein Kistchen, das ist doch o.k., oder? Begrenztes Angebot stand da."**
"Klar, ist das o.k.!" Jessas, dass Frauen die Sache aber auch immer so kompliziert machen müssen, sie hat ne Kiste Wein gekauft, gut, wär nicht nötig gewesen, es sind ja noch ungefähr 1600 Flaschen im Keller, aber das ist wahrscheinlich so wie mit dem Schrank voller Kleider und nix anzuziehen.
Aber: Hätte frau nur beiläufig beim Abendessen gesagt "Du, ich hab übrigens bei Dolomiti eine Kiste Wein bestellt" hätte es eine längere Abhandlung zum Thema "hättest Du aber auch mal mit mir absprechen können und ausgerechnet der und warum hast Du davon nicht auch was mitbestellt…" gegeben und Schatz hätte sich schon aus Prinzip ein bisschen aufgeregt.
Vom weiteren Verlauf der abendlichen Unterhaltung hängt dann ab, ob Frau Schatz auch noch den Ankauf der neuen Schuhe ins Spiel bringt.
Danach begibt Schatz sich in den Keller, stellt fest, dass man bei den einfachen Weißweinen wirklich ein bisschen schwach sortiert ist und holt sich einen Feierabendwein raus.
Halt, lieber Mann! Feierabendwein, so haben wir letztens erst beim Korkkapitän gelernt, geht gar nicht; genauso wenig wie Terrassenwein oder Alltagswein, ja noch nicht mal ein schönes Glas Wein darf man sich genehmigen. Einfach Wein, ohne jede weitere Verzierung, schnörkellos, ohne Plüsch. In Deutschland, so argumentiert der Käptn, sei es ja so, dass Wein nicht zur Alltagskultur gehöre, sondern zu den schon fast extravaganten Genüssen, die man natürlich dementsprechend auch verbal adeln müsse; selbst wenn es sich nur um die fragwürdigsten Discounterangebote handele.
Ja Käptn, mein Käptn, so isses nun mal, und die Vergangenheit können wir nicht ändern und wenn in der Gegenwart Wein eben noch zu den besonderen Genüssen gehört, sozusagen zum Sonntagsstaat und – egal in welcher Form er daher kommt – eine besondere Würdigung und Wertschätzung auch sprachlich erfährt, Dschiehses Kraist, es gibt wahrlich schlimmeres. Und im Lande, wo der Wein zu Alltagskultur gehört, hat das auch zur Folge, dass ich gute (darf ich das hier schreiben?) Weine aus Zahnputz- oder Ballongläsern, randvoll gefüllt, trinken muss – auch nicht der wahre Genuss.
Auch stecke da so ein Schubladendenken hinter, den Terrassenwein trinke man nicht vor dem Kamin und den Feierabendwein nicht zum Samstagsbrunch und den Alltagswein nicht an Silvester.
Na ja, man kann an allem was finden, und wenn man es zu einer deutschen Untugend erklärt, dann ist einem der Beifall des Feuilletons sicher. Ich nenn meinen er-tanzte-nur-einen-Sommer frischen knackigen Wein weiterhin Terrassenwein und die warm-gewürzigen Rhôneweine meine Kaminweine und den Wein, den ich ins Ragout gebe, einen Kochwein.
Also schüttelt Schatz diesen philo/sozio/oenologischen Exkurs ab, er will jetzt nur seine Ruhe haben, ein feines (jawoll) Glas Wein trinken, seine Lieblingsmusik hören und abspannen, der Tag im Büro war stressig genug, drei Sitzungen an einem Tag und wenn nicht jeder alles dreimal gesagt hat, dann gilt es ja nicht als gesagt und als nicht beschlossen.
Ins Glas kommt
2007 Santa Duc, Gigondas
der ist aus dem kühlen Keller zwar ein bisschen zu kalt, aber das ist ja Gottseidank eine Eigenschaft, die mit der Zeit von alleine besser wird. Im Glas entwickelt sich ein ganz feiner Duft nach Pflaumenmus, dem richtig dicken süßen aus getrockneten Pflaumen, nach Heidelbeeren, Bouquet garni, auch ein wenig Pfeffer. Wenn man die Augen schließt kann man sie deutlich vor sich sehen, die hügelige Landschaft und wie man oben an einer Felsruine steht, der Wind pfeift ordentlich und trägt einem die Düfte aus den Weinfeldern zu, und von den Wildrosenhecken. Unten glänzt die Rhône silbrig in der Nachmittagssonne und man hat noch den Kaffee und das kleine Schokolädchen aus dem Café im Dorf auf der Zunge.
Und dann ein Schluck, ruhig über die Zunge rollen lassen und noch einmal alle Aromen aufnehmen, das samtraue Tannin spüren, die Kraft und die Wärme, die dieser Wein ausstrahlt, genießen.
Ruhige Musik, Philip Catherine, diese Leichtigkeit, mit der er die Gitarre spielt, die Melodien perlen, noch ein Schluck, der Wein hat nun gerade die richtige Temperatur, dadurch wirkt er harmonischer, die Aromen abgerundeter, und jetzt einfach die Augen schließen und die kostbaren Stunden genießen, bevor am nächsten Tag die Tretmühlen wieder losgehen und man sich zu allem Gedanken machen muss, zu allem eine Meinung haben muss, Entscheidungen treffen muss und höllisch aufpassen, dass man nicht in der Eile eine falsche Vokabel für irgendwas benutzt.
http://www.youtube.com/watch?v=HaSWo1mmlu4
-------------------------------
* Mascara, so weiß der fortgeschrittene Schatz ist mitnichten eine Provinz am Persischen Golf, sondern das sind diese kleinen Bürstchen, die in farbbefüllten Röhrchen stecken, mit deren Hilfe sich jedes weibliche Wesen mit traumwandlerischer Sicherheit die Wimpern färbt, ohne auch nur einmal den Augapfel zu verletzen. Allerdings verschmiert Mascara bei der kleinsten Träne. Es gibt auch wasserfestes Mascara, das ist allerdings so wasserfest wie bügelfreie Oberhemden bügelfrei.
** Das stand zwar nicht direkt da, macht sich aber in dem Zusammenhang gut und fällt unter die Kategorie künstlerische Freiheit (vulgo Notlüge). Außerdem wird jeder Mathematiker bestätigen, dass auch die Ganzzahl 314.758 keineswegs unendlich ist.