Bernd Schulz hat geschrieben:
Der "echttrockene" Wein produziert aber mitnichten genau dasselbe Ergebnis. Ein trockener Wein, der 2 Jahre alt ist, zeigt - abgesehen vom deutlich höheren Alkoholgehalt, den ich als nachteilig empfinde - ein völlig anderes Geschmacksbild als eine 20jährige, ehemals moderat restsüße Spätlese.
Und ein trockener Wein, der 20 Jahre alt ist, hat auch ein voellig anderes Geschmacksbild als einer, der nur 2 Jahre alt ist, und als eine leichte Moselauslese, die 20 Jahre hat. Ja. Und?
Und wenn wir von 40 Jahren Lagerung reden, dürften die wenigsten "echttrockenen" Weißweine diese Frist überleben. 71er Spät- und Auslesen aus dem Rheingau dagegen sind vielfach heute noch mit Vergnügen zu trinken. Und sie passen nicht nur für meinen Geschmack ausgezeichnet zu einer deftigen Wurst, zur Käseplatte, kurz, zu vielen Dingen, die der Deutsche gerne zur Vesper verspeist. Wer das noch nicht ausprobiert hat und nicht glaubt, sollte dringend mal einen eigenen Versuch machen!
Aber wir reden doch gar nicht von x Jahren Lagerung, sondern von "trocken" vs. "nichttrocken" zum Essen. Dem Trockentrinker eine 71er Auslese anzudienen, ihn erwartungsvoll anzuschauen und dann "Siehste? Siehste? Schmeckt voll trocken, gell?" zu feixen, bestaetigt hoechstens seine Meinung, dass es trocken zum Essen sein muesse. Das einzige, das er gelernt hat, ist, dass auch in ihrer Jugend deutlich suesse Weine irgendwann mal trocken schmecken koennen (wobei die Grenze zu "gezehrt" fuer einige Kritiker sehr oft ueberschritten ist, z.B. Hofschuster).
Aber, und das ist der Haken, um den Preis (den Gewinn) einer veraenderten Aromatik,
die man schon moegen muss. Es mag ja sein, dass wir das tun, aber sogar du hast noch vor keinen 10 Jahren beim Thema Altwein lange Zaehne bekommen - und du bist schon damals ein Weinfreak gewesen und nicht der "Mann vonner Strasse", von dem Armin spricht und der eben die Masse der Konsumenten ausmacht. ("Frauen vonner Strasse" seien da eher experimentierfreudig, sagte mir eine befreundete Sommeliere.)
So, und bevor ihr nun auf den Siebecks dieser Welt schimpft: Mir ist
keine regionale Kueche bekannt, die es in den kulturellen Mainstream geschafft hat und per default suesse Getraenke reicht. Der Grund ist natuerlich darin zu finden, dass zuckerfrei fermentierte und/oder vergorene bzw. frisch abgekochte Getraenke laenger haltbar sind. Gegen diesen zehntausendjaehrigen Vorsprung im kulturellen Gedaechtnis der Menschheit muessen sich die "Technologieweine" (wertfrei gemeint) erstmal durchsetzen, zumal ein Maul voll Schwefel auch im Mittelalter nicht jedermanns Sache war.
Ulli, natuerlich war es auch Anfang des 19. Jahrhunderts relativ schwer, einem maessig vorgeklaerten Most das Durchgaeren zu verleiden, sogar wenn es saurer Riesling war (Chablis ist ja auch nicht gerade basisch). Es gibt doch auch heute noch genug knalltrockene
echte Spontangaerer, sogar im achsokalten Deutschland. Die meisten Moste wurde ja eher nicht mit 100 Oe gelesen, und die alkoholstarken Auslesen von frueher waren botrytisbehaftetet, was neben dem hohen Zuckergehalt den Hefen den Job zusaetzliche erschwerte (Sauternes etc.). Und wenn du 1921er probieren konntest, die
immer noch restsuess waren, dann kann man sich vorstellen, wie unglaublich suess diese Weine in ihrer Jugend geschmeckt haben muessen. Sicherlich kein Fall fuer die Vesper (schon wegen der hohen Weinqualitaet nicht) - und fuer die hier gefuehrte Argumentation auch nicht.
Armin, aufgespriteter Wein ist natuerlich eine Sache fuer sich, aber so wie die 71er Moselauslese vielleicht kein praktikabler Weg, um das Argument "restsuesser Wein zum Essen" zu stuetzen, sondern eher die sprichwoertliche Ausnahme von der Regel. Aber, und das ist ja das schoene an der Sache: jeder nach seiner Fassong. Ich hatte mal einen lieblichen Spaetburgunder einer badischen WG zu einem perfekt mediumgebratenen Rinderfiletsteak. Hat sehr gut funktioniert.
Und zuletzt noch an octopussy: Ich wollte dir nichts in den Mund legen. Ich habe das nur geschrieben, weil z.B. der GM lange Zeit propagierte, Riesling profitiere von Restsuesse. Auch nur eine Meinung, aber halt eine ziemlich wirkmaechtige. Man darf sich davon halt nicht beeindrucken lassen.
Cheers,
Ollie
Yeah, well, you know, that’s just like, uh, your opinion, man.
Parfois, quand c'est trop minéral, on s'emmerde.
"Souvent, l'élégance, c'est le refuge des faibles." (Florence Cathiard)