Bordeaux 2010

Medoc und seine Appellationen, Bourg und Umgebung, Fronsac, Pomerol, Saint Emilion und Umgebung, Entre Deux Mers, Graves und Pessac-Leognan, Sauternes und Co.
Benutzeravatar
UlliB
Beiträge: 4960
Registriert: Mo 6. Dez 2010, 18:27

Re: Bordeaux 2010

Beitrag von UlliB »

Weiter geht es mit einigen Weinen vom linken Ufer.

Haut Batailley (Pauillac 5e GCC) 13%Vol. Dunkles Kirschrot. Offen, reife rote Früchte, das Holz sehr gut eingebunden, ansprechend. Im Gaumen mit nicht allzu dichter Struktur, immer noch reife rote Frucht, wirkt aber etwas grobmaschig und lose geknüpft, "easy drinking". Alles andere als schlecht, bleibt aber doch unter den Möglichkeiten des Jahrgangs. Ich werde bei Haut Batailley das Gefühl nicht los, dass sich aus diesem Betrieb deutlich mehr herausholen lassen sollte.

Völlig anders und die Tischrunde polarisierend zeigte sich Langoa Barton (St. Julien 3e GCC). Langoa kommt mir eher selten ins Glas . Ebenfalls 13% Vol, aber völlig anders gestrickt: die Farbe dunkler, schwarzfruchtig, im Gaumen wesentlich dichter, straff und fest, an der Grenze zur Härte; viel Säure, viel Tannin. Im langen Abgang ein wunderbares, komplexes Rückaroma. Mir gefällt der Wein außerordentlich gut, andere monieren die Kombination aus auffallend hoher Säure und harschem, leicht bitterem Tannin. Erinnert mich irgendwie an manche junge 1986er. Dürfte sehr lange brauchen, um wirklich trinkreif zu werden.

Im gleichen Besitz wie Haut Batailley, aber ein paar Gewichtsklassen höher kämpfend: Grand Puy Lacoste (Pauillac 5e GCC) 13,5%. Fast schwarz. Deutlich weicher als der Langoa, und mit absolut enormer Konzentration aller Komponenten - sämtliche Regler am oberen Anschlag: dunkle Frucht, sattes, aber feinkörniges, fast süßes Tannin, aber auch ordentlich Säure. Ungemein beeindruckend, aber mir schon fast zu viel; der Wein sättigt schnell. Muss sich finden, was wohl lange dauern wird. Eine echte Granate.

Dann kam mein persönlicher Wein des Abends: Léoville Barton (St. Julien 2e GCC) 13,5%Vol. Etwas heller als der GPL. Schon in der Nase wesentlich transparenter, was sich Gaumen trotz hoher Konzentration fortsetzt; völlig klar, vielschichtig, neben roter und blauer Frucht auch Blütennoten, frische Säure gibt dem Ganzen viel Schwung, macht ungemein Spaß. Für LB etwas ungewöhnlich diesmal ganz auf der superfeinen Seite. Sehr lang.

Ich habe in meinem Leben schon sehr, sehr viele Leo Bartons im Glas gehabt, aber noch keinen in dieser wirklich erstklassigen Qualität - und das Wort erstklassig darf man hier schon wörtlich nehmen. Sehr viel besser geht es in Bordeaux nicht mehr.

Zum Schluss gab es dann noch den mit 100 Parker-Punkten versehenen Pontet Canet (Pauillac 5e GCC). Hier fällt zunächst einmal der Alkoholgehalt auf - der ist mit 14,5% Vol. einen vollen Prozentpunkt höher als beim GPL und LB. Ich dachte, Biodynamie reduziert den Alkoholgehalt im Vergleich zur konventionellen Arbeitweise? - Ansonsten ist der Wein genauso rätselhaft wie der 2009er: für Pauillac völlig ungewöhnliche Aromatik, die zunächst wieder an die Rhone erinnert, dann auch an Burgund, schleßlich an südfranzösische Grenache - am wenigsten aber an Bordeaux. Der Wein hat außerordentlich hohe Qualität, keine Frage, da sitzt alles wohlproportioniert an der richtigen Stelle, aber für mich ist er schlicht atypisch. Ich verstehe ihn einfach nicht.

Die Biodynamiker beanspruchen für sich, dass ihre Arbeitweise das Terroir am klarsten und unverstellt herausarbeitet. Wenn das so ist, scheint das Terroir von Pauillac etwas völlig anderes zu sein als das, was sämtliche Nachbarn in den letzten 40 Jahren daraus interpretiert haben :?

Gruß
Ulli
Benutzeravatar
vanvelsen
Beiträge: 1021
Registriert: Mi 3. Nov 2010, 10:22
Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken
Wohnort: Windisch
Kontaktdaten:

Re: Bordeaux 2010

Beitrag von vanvelsen »

Danke Uli

beim Pontet Canet 2010 sprichst du mir aus dem Herzen.

Gruss

Adrian
Benutzeravatar
octopussy
Beiträge: 4405
Registriert: Do 23. Dez 2010, 10:23
Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken
Wohnort: Hamburg

Re: Bordeaux 2010

Beitrag von octopussy »

UlliB hat geschrieben: Zum Schluss gab es dann noch den mit 100 Parker-Punkten versehenen Pontet Canet (Pauillac 5e GCC). Hier fällt zunächst einmal der Alkoholgehalt auf - der ist mit 14,5% Vol. einen vollen Prozentpunkt höher als beim GPL und LB. Ich dachte, Biodynamie reduziert den Alkoholgehalt im Vergleich zur konventionellen Arbeitweise? - Ansonsten ist der Wein genauso rätselhaft wie der 2009er: für Pauillac völlig ungewöhnliche Aromatik, die zunächst wieder an die Rhone erinnert, dann auch an Burgund, schleßlich an südfranzösische Grenache - am wenigsten aber an Bordeaux. Der Wein hat außerordentlich hohe Qualität, keine Frage, da sitzt alles wohlproportioniert an der richtigen Stelle, aber für mich ist er schlicht atypisch. Ich verstehe ihn einfach nicht.

Die Biodynamiker beanspruchen für sich, dass ihre Arbeitweise das Terroir am klarsten und unverstellt herausarbeitet. Wenn das so ist, scheint das Terroir von Pauillac etwas völlig anderes zu sein als das, was sämtliche Nachbarn in den letzten 40 Jahren daraus interpretiert haben :?
Hallo Ulli,

erstmal danke für die Notizen zu den 2010er Bordeaux. Das klingt alles gut, aber so, dass ich die nächsten 10 Jahre mit dem Jahrgang nicht viel zu tun haben will.

Zu Pontet Canet und der Biodynamie und dem Alkohol: einige Zugpferde des biodynamischen Weinbaus erzeugen Weine mit sehr hohen Alkoholwerten. Nicolas & Virginie Joly haben in den letzten Jahrgängen beim Coulée de Serrant nach meinem Wissen letztlich nie unter 14% Vol. auf die Flasche gebracht (2009 hatte 15,5% Vol.). Und auch bei Olivier Humbrecht (Domaine Zind-Humbrecht) haben die Weine in einigen Jahrgängen recht hohe Alkoholgehalte, siehe nur der 2006 Rangen de Thann Riesling mit 14% Vol. Alkohol bei 32 g/l Restzucker. Beim Pinot Gris und Gewürztraminer geht es hier und da auch noch höher.

Mit der Betriebsphilosophie bei Pontet Canet kenne ich mich zu wenig aus, aber ist denn deren Ziel, einen besonders Pauillac-typischen Pauillac zu erzeugen oder einen besonders geschmacklich expressiven/intensiven Rotwein?
Beste Grüße, Stephan
Benutzeravatar
chris75
Beiträge: 76
Registriert: Fr 13. Apr 2012, 20:02

Re: Bordeaux 2010

Beitrag von chris75 »

Guten Morgen,

vielen Dank für den Wasserstandbericht bzgl. 2010 des linken Ufers. Zufälligerweise hatte ich die o.g. Weine en primeur im Glas....und die Beschreibungen kann ich 100%ig nachvollziehen.
GPL 2010fand ich gegenüber Lynch Bages etwas zurückhaltender vinifiziert, aber stilistisch sehr ähnlich
LeoB empfand ich als eine Mischung aus Pichon Comtesse und Baron, immer changierend zwischen Blau- und Rotfruchtigkeit mit kaum wahrnehmbaren Tanninen und sehr lang...und Pontet Canet....ein stilistischer Außenseiter (zumindest 2010 und 2012) mit fast nur schwarzer Kirschfrucht und mehr Likörnoten....wo die Reise da über die Zeit hingeht bzgl. Typizität...am ehesten noch Richtung Mouton vielleicht? Hmmm.

Eine Frage an die Experten: ein paar kleinere 2010 wirken aktuell deutlich verschlossener (ganz zu sind sie nicht), lohnt es sich noch die 2010er anzutesten?
Gruß,
Christian
Benutzeravatar
innauen
Beiträge: 3507
Registriert: Mi 3. Nov 2010, 11:33
Wohnort: Berlin

Re: Bordeaux 2010

Beitrag von innauen »

Hallo,

ich fand Senejac recht zugänglich, Malescasse kann man auch antrinken. Chasse-Spleen dagegen recht zugenagelt. Generell mache ich um die 2010er in der Fruchtphase eher die Biegung. Auch bei Pontet Canet würde ich abwarten. Im Laufe von 20 Jahren wird er sein Fett schon abtrainieren und dann erst wird der Vergleich entschieden.

Grüße,

wolf
„Es war viel mehr.“

Johnny Depp dementiert, 30.000 Dollar im Monat für Alkohol ausgegeben zu haben. (Quelle: „B.Z.“)
Benutzeravatar
harti
Beiträge: 2593
Registriert: Mo 9. Aug 2010, 15:49
Wohnort: Deutschland

Re: Bordeaux 2010

Beitrag von harti »

Einige Bemerkungen zu Pontet Canet:

Hier werden schon seit etwa 2003/4 konzentriertere Weine mit starker Betonung der Frucht erzeugt. Am Beispiel des 2012ers lässt sich gut demonstrieren, dass in den Erstwein hochreifes Lesegut eingeht, anders kann ich jedenfalls die portigen Noten dieses Weins nicht deuten.

Die aktuellen Jungweine sind damit nicht gerade typisch für Pauillac, ich könnte mir aber vorstellen, dass sich das im Laufe der Jahre zurechtzieht, d.h. die Herkunft wird sich irgendwann im Wein auch ausdrücken.

Grüße

Hartmut
Ollie
Beiträge: 2237
Registriert: Mo 6. Jun 2011, 12:54

Re: Bordeaux 2010

Beitrag von Ollie »

re Antrinken: Ende November waren Monbrison, Poujeaux, Gloria und Sociando noch ganz fabelhaft zu trinken. Anfang Dezember ging Batailley im Laufe des Abends, war tags drauf aber etwas angeschlagen; d'Armailhac hingegen hat schon gegen Ende des Abends ein bisschen gezickt und war am Abend drauf ziemlich dicht. Der letzte Schluck aus der Flasche war Telegraphenmastsaft.

Cheers,
Ollie
Yeah, well, you know, that’s just like, uh, your opinion, man.

Parfois, quand c'est trop minéral, on s'emmerde.

"Souvent, l'élégance, c'est le refuge des faibles." (Florence Cathiard)
Benutzeravatar
dazino
Beiträge: 457
Registriert: Mo 6. Dez 2010, 11:08
Wohnort: Grossraum Winterthur, Schweiz
Kontaktdaten:

Re: Bordeaux 2010

Beitrag von dazino »

Hallo zusammen

Den Leoville Barton hatte ich bei der Arrivage im Glas und kann die euphorische Notiz von Ulli bestätigen. Ich bin normalerweise kein grosser Fan dieses Weingutes, doch der 2010er hat mich total begeistert.

Gruss
David
Benutzeravatar
UlliB
Beiträge: 4960
Registriert: Mo 6. Dez 2010, 18:27

Re: Bordeaux 2010

Beitrag von UlliB »

chris75 hat geschrieben: Eine Frage an die Experten: ein paar kleinere 2010 wirken aktuell deutlich verschlossener (ganz zu sind sie nicht), lohnt es sich noch die 2010er anzutesten?
Hallo Christian,

die oben genannten 2010er waren alle noch voll da - ich hatte die Weine nicht dekantiert (das mache ich bei Jungweinen nie); Zapfen raus und direkt ins Glas. Die hohe Konzentration von Säure und vor allem von Tannin macht die Weine aber nicht gerade leicht zu verkosten; die 2009er waren deutlich charmanter und haben in dieser Phase schon deutlich mehr Spaß gebracht.

Aber: bei der Verkostung am Samstag verblieb in den Flaschen jeweils ein gutes Glas, und ich habe gestern abend nachverkostet - da waren die Weine mit Ausnahme des Langoa völlig dicht. Die Verschlussphase scheint also unmittelbar bevorzustehen, und wer die Weine noch in der Fruchtphase erwischen möchte, sollte sich besser beeilen.

Gruß
Ulli
Benutzeravatar
chris75
Beiträge: 76
Registriert: Fr 13. Apr 2012, 20:02

Re: Bordeaux 2010

Beitrag von chris75 »

Vielen Dank Ulli. Was für ein klasse Forum!

Zu 2010: Mais ils sont chères......

Hier noch ein bezeichnendes Video (falls noch nicht bekannt) hierzu ab 52:20 min:

http://www.youtube.com/watch?v=JO-w55oX6Gs

Gruß!
Antworten

Zurück zu „Bordeaux und Umgebung“