Bordeaux 2018

Medoc und seine Appellationen, Bourg und Umgebung, Fronsac, Pomerol, Saint Emilion und Umgebung, Entre Deux Mers, Graves und Pessac-Leognan, Sauternes und Co.
Benutzeravatar
UlliB
Beiträge: 5027
Registriert: Mo 6. Dez 2010, 18:27

Re: Bordeaux 2018

Beitrag von UlliB »

la-vita hat geschrieben:Was mir immer bei Kampagnen in warmen Jahrgängen merkwürdig vorkommt ist, dass die Zunft der Verkäufer und Weinschreiber den Alkoholgehalt regelmäßig bagatellisiert. [...] Wenn man als Verkoster nur ein Probeschlückchen verkosten muss und dann spuckt, ist das natürlich kein Problem. Der Endverbraucher jedoch will die Weine auch "trinken". Für mich als Bordeauxliebhaber und Endverbraucher stellt sich mir die Frage zu welchem Essen ich diese Weine trinken soll. Soll man nur noch trinkfeste Gäste einladen?
Man könnte es ja so halten wie mit Fassstärke-Whisky: vor dem Genuss mit etwas stillem Wasser auf Trinkstärke herabsetzen :mrgreen:

Dass die Verkäufer die potentiellen Probleme eines Jahrgangs bagatellisieren, kann ich sehr gut verstehen. Wer vom Verkauf lebt, wird das zum gerade zum Verkauf anstehende Produkt seinen potentiellen Kunden nicht madig machen. Und so werden wir vergeblich auf eine Werbebotschaft wie diese warten:

"Bordeaux 2018: noch nie war subskribieren so günstig wie dieses Jahr. Denn aus 2018 brauchen Sie nur eine Halbflasche, um volltrunken zu sein (es sei denn, Sie sind Alkoholiker). Im Moment verdeckt die reiche Frucht noch den Alkohol, aber keine Sorge: wenn die Fruchtphase erst einmal vorbei ist, werden die begehrten Noten von Kirschwasser, Jamaica-Rum und altem Brandy in den Vordergrund rücken. 2018 - der ideale Jahrgang für den Schnapstrinker."

Warum die Weinschreiber das Spiel mitmachen und sich mittlerweile jedes Jahr einen Wettbewerb liefern, wer mehr Weine mit 90 Punkten und deutlich darüber bewertet, ist schon etwas schwieriger zu erklären...

Gruß
Ulli
Benutzeravatar
innauen
Beiträge: 3512
Registriert: Mi 3. Nov 2010, 11:33
Wohnort: Berlin

Re: Bordeaux 2018

Beitrag von innauen »

Segla hat geschrieben:Angelus wäre draußen, wer will, zu etwa 350,- EVP..... :?
Hab´s weiter oben schon einmal geschrieben. Angelus ruft damit den Preis von 2015 auf und nicht den nochmal höheren Preis von 2016 oder gar einen neuen Preisrekord. Mir persönlich ist das in jeder der beiden Varianten zu viel Geld. Aber für Bordeauxfans, die sich in dieser hochalpinen sauerstoffarmen Preisgruppe tummeln, ist das ein vernünftiger Preis.
Grüße,

wolf
„Es war viel mehr.“

Johnny Depp dementiert, 30.000 Dollar im Monat für Alkohol ausgegeben zu haben. (Quelle: „B.Z.“)
Ollie
Beiträge: 2273
Registriert: Mo 6. Jun 2011, 12:54

Re: Bordeaux 2018

Beitrag von Ollie »

Ach, es gibt schon Haendler, die durchaus kritische Toene aeussern, die man gut einsortieren kann, wenn man die Quelle kennt. Das ist bei AFG nicht anders als bei Farr oder bei J&B, die zu Angélus schreiben:

We wrote last year that Stephanie de Bouard was trying to take Angelus in a new direction, one of purity and finesse. The 2016 seemed to deliver on that promise; it was vibrant, sleek and juicy. The 2017 was less convincing, and the 2018 has proved utterly divisive. To some it was bright, fragrant and mouth-watering, with notes of strawberries, tayberries and a refined saline finish, to others it was dark and mineral, with lots of cocoa and dried cherry notes. Firm and structured, but lacking joy. We're as divided as our politicians... It is clearly not the roaring success of 2016, but there is material here. Hubert has a great track record, so it would be surprising if this didn't win us over in time.

Ulli, zum Alkohol: Der letzte Jahrgang in diesem Jahrtausend, der grossflaechig 12.5% sah und der allgemein als sehr guter eingeschaetzt wird, wann war der? Und sieh's mal positiv: Schoeneren, weil Grenache-freien Châteauneuf bekommst du nirgends. :lol:

Cheers,
Ollie
Yeah, well, you know, that’s just like, uh, your opinion, man.

Parfois, quand c'est trop minéral, on s'emmerde.

"Souvent, l'élégance, c'est le refuge des faibles." (Florence Cathiard)
Benutzeravatar
UlliB
Beiträge: 5027
Registriert: Mo 6. Dez 2010, 18:27

Re: Bordeaux 2018

Beitrag von UlliB »

Ollie hat geschrieben: Und sieh's mal positiv: Schoeneren, weil Grenache-freien Châteauneuf bekommst du nirgends. :lol:
Dass 2018 ein Bordeaux-Jahrgang für den Châteauneuf-Liebhaber ist, hatte ich ja schon etliche Seiten weiter oben geschrieben. Für den Begriff "Grenache-freier Châteauneuf" für Bordeaux 2018 solltest Du Dir allerdings die Warenzeichenrechte sichern :lol:

Tatsächlich stoße ich bei Alkoholgehalten im Wein auf ein Phänomen, das der klassischen Dosis-Wirkungs-Beziehung widerspricht: eine Flasche mit 12,5% kann ich über den Abend verteilt auch schon mal alleine trinken, und mir geht es am nächsten Tag gut. Trinke ich aber nur eine halbe Flasche mit 14,5%, bin ich danach bedröhnt und merke das noch am nächsten Morgen. Irgendwie nimmt die Bekömmlichkeit mit steigendem Alkoholgehalt nicht linear ab, sondern exponentiell.

Für mich hört sich dieses Jahr vieles nach Troplong-Mondot 2009 an. Halt Bordeaux für Leute, die eigentlich keinen Bordeaux mögen.

Gruß
Ulli
Benutzeravatar
Tomschki
Beiträge: 82
Registriert: Mo 18. Jul 2011, 15:02
Wohnort: Solothurn, Schweiz

Re: Bordeaux 2018

Beitrag von Tomschki »

Hallo Ulli

Ich bin im Prinzip absolut Deiner Meinung, ich mag zu hohe Alkoholwerte auch nicht. Trotzdem bin ich in letzter Zeit überrascht worden, wie trinkig auch Alkoholstärkere BXD aus dem Jahrgang 2015 daher kommen. Ein Ch. Canon 2015 z.B. welcher 15% Alk. (!) hat war einfach nur genial. Gazin 2015 (14,5%), soeben an einer Weinmesse über 10 Tage verfolgen können, einfach nur ein Traum...

Wie die Dinger altern, dazu fehlt mir zugegebenermassen die Erfahrung. In 8 Tagen reise ich für ein paar Tage ins Bordeaux und kann evtl. den einen oder anderen 18er selber degustieren.

Gruss Thomas
Benutzeravatar
vanvelsen
Beiträge: 1024
Registriert: Mi 3. Nov 2010, 10:22
Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken
Wohnort: Windisch
Kontaktdaten:

Re: Bordeaux 2018

Beitrag von vanvelsen »

Ollie hat geschrieben:Auf der Decanter-Seite hat Jane Anson ihre Top-Weine gelistet. Zwar sieht man nur mit dem Premium-Abo die ganzen Beschreibungen, aber die Rebsortenzusammensetzungen und (bei vielen Weinen) die Alkoholgehalte werden angegeben. Besonders interessant fand ich die Weine meiner Subs-Liste (ahem): Les Carmes Haut Brion mit 37% Cabernet Franc, 34% Cabernet Sauvignon und 29% Merlot und schlappen 13.8%. Figeac, auch ungefaehr mit Drittelmix, hat 14%, VCC absolut ertraegliche 14.4%, Mouton 13.8%... LLC zeigt mit 14.5% wohl an, wo es auf dem linken Ufer hingeht, wenn man gutes Terroir hat, aber das erscheint jetzt alles nicht so krass.

Ich kenne aktuelle Kalifornier nicht, und vielleicht sind deren Weine mittlerweile ja total anders, aber was ich aus den mittleren 90er-Jahren im Glas hatte (um 2004?), schmeckte definitiv nicht nach Bordeaux. Die Frage ist also, ob und wie weit die 2018er Bordeaux wirklich kalifornisch schmecken oder eben "nur" ein kalifornisches Tanninprofil haben. Was also meint Chris Kossack, wenn er schreibt (im 2016er-Strang):

These are atypical wines for the region, in some cases looking more seductively Californian than Médocian (...)

Noch etwas zur Gaertemperatur: Farbstoffe sind wasserloeslich, Tannine alkoholloeslich. (Deswegen der "cold soak" im waessrigen Millieu.) Die niedrigere Temperatur verlaengert die alkoholische Gaerung, verschiebt also auf der Zeitachse die Tanninausbeute nach "spaeter" (weniger steiler Anstieg des Alkoholpegels) und "langsamer" (Temperaturabhanegigkeit der Extraktion). Das beeinflusst die Rate, mit der Tannine polymerisieren und "weicher" werden und senkt die Gesamttanninausbeute, falls man die Maischestandzeit nicht entsprechend verlaengert. Diese Information wird leider nicht gegeben, und selbst wenn: Wie der BB&R-Mann im Blog schrieb, ist die Frage nach pigeage, délestage oder remontage wohl von Weingut zu Weingut unterschiedlich beantwortet worden.

Eingedenk der extrem hohen IPT-Werte koennte man aber denken, dass soooo wenig Polyphenole nun auch wieder nicht extrahiert wurden; "natuerlich" stellt sich die Frage, welches wohl das Verhaeltnis von Anthocyanen (Farbstoffen) zu Polyphenolen (Tanninen) ist, aber selbst wenn wir's wuessten, koennten wir halt leider nicht auf den Geschmack der Weine schliessen. ;)

Cheers,
Ollie
Ich teile deine Bedenken grundsätzlich und kam mit entsprechend kritischer Haltung nach Bordeaux. Was ich im Glas vorfand, war, mit Ausnahmen natürlich, wirklich sehr frisch und deutlich weniger "dick" als manche Weine aus 05, 09 oder 10. Wer den schlanken, eleganten und alkoholschwachen Jahrgang sucht, ist sicherlich falsch im 2018 aber ich mach mir bei 2018 nicht so Sorgen wie z.B. bei 2003. Dort war weniger Säure mit im Spiel und trotz Unkenrufen trinken sich viele 03er aktuell wunderbar und sind weit weg von tot (St-Estephe, St-Julien und Pauillac vornehmlich).

Übrigens: der famose Cheval Blanc 1947 hatte 14.9% Alkohol und 3 Gramm Restzucker (!!!), das hat mir der Kellermeister während den 2018er-Verkostung erklärt. Ich würde diesen heute nicht ausleeren wollen.

Gruss,

Adrian
Benutzeravatar
UlliB
Beiträge: 5027
Registriert: Mo 6. Dez 2010, 18:27

Re: Bordeaux 2018

Beitrag von UlliB »

Tomschki hat geschrieben: Ich bin im Prinzip absolut Deiner Meinung, ich mag zu hohe Alkoholwerte auch nicht. Trotzdem bin ich in letzter Zeit überrascht worden, wie trinkig auch Alkoholstärkere BXD aus dem Jahrgang 2015 daher kommen. Ein Ch. Canon 2015 z.B. welcher 15% Alk. (!) hat war einfach nur genial. Gazin 2015 (14,5%), soeben an einer Weinmesse über 10 Tage verfolgen können, einfach nur ein Traum...

Wie die Dinger altern, dazu fehlt mir zugegebenermassen die Erfahrung.
Na ja, wo soll denn die Erfahrung herkommen? Es gibt eigentlich keine wirklich trinkreifen Bordeaux mit über 14,5%. Selbst der seinerseits als "kalifornisch" verschrieene Jahrgang 1989 hat nach meiner Erinnerung kaum Weine mit mehr als 13,5% ergeben. Werte von nahe 15% und darüber erinnere ich bei Bordeaux erst in den Jahrgängen ab 2009. Dass der Alkohol in der Fruchtphase völlig verdeckt wird, glaube ich gerne - aber eins ist sicher: die Frucht wird irgendwann verschwinden, der Alkohol aber ganz sicher nicht. Und das Problem der Bekömmlichkeit bleibt unabhängig vom Geschmacksprofil.
In 8 Tagen reise ich für ein paar Tage ins Bordeaux und kann evtl. den einen oder anderen 18er selber degustieren.
Ein Bericht danach wäre definitiv willkommen.

Gruß
Ulli
Benutzeravatar
Trapattoni
Beiträge: 333
Registriert: Mo 6. Dez 2010, 12:04

Re: Bordeaux 2018

Beitrag von Trapattoni »

vanvelsen hat geschrieben: Übrigens: der famose Cheval Blanc 1947 hatte 14.9% Alkohol und 3 Gramm Restzucker (!!!),
Ach, deswegen fand ich den 49er immer besser... :mrgreen:
Die besten Vergrößerungsgläser für die Freuden dieser Welt sind jene, aus denen man trinkt.
(Joachim Ringelnatz)
Benutzeravatar
Trapattoni
Beiträge: 333
Registriert: Mo 6. Dez 2010, 12:04

Re: Bordeaux 2018

Beitrag von Trapattoni »

UlliB hat geschrieben:Werte von nahe 15% und darüber erinnere ich bei Bordeaux erst in den Jahrgängen ab 2009.
2005 am rechten Ufer. Da habe ich mich zum ersten Mal komplett verweigert.
Grüße
Dieter
Die besten Vergrößerungsgläser für die Freuden dieser Welt sind jene, aus denen man trinkt.
(Joachim Ringelnatz)
Benutzeravatar
UlliB
Beiträge: 5027
Registriert: Mo 6. Dez 2010, 18:27

Re: Bordeaux 2018

Beitrag von UlliB »

vanvelsen hat geschrieben:Wer den schlanken, eleganten und alkoholschwachen Jahrgang sucht, ist sicherlich falsch im 2018 aber ich mach mir bei 2018 nicht so Sorgen wie z.B. bei 2003. Dort war weniger Säure mit im Spiel und trotz Unkenrufen trinken sich viele 03er aktuell wunderbar und sind weit weg von tot (St-Estephe, St-Julien und Pauillac vornehmlich).
Was die 2003er und deren Alkoholgehalte betrifft, trügt mitunter die Erinnerung ein wenig. Der zweifellose große Montrose 2003 hat deklarierte 13,0% und damit satte eineinhalb Prozentpunkte weniger als das, was am Ende beim 18er auf der Flasche draufstehen wird. Der ebenfalls grandiose Lafite 2003 hat gar nur 12,5% (!). Eineinhalb oder zwei Prozentpunkte Alkohol mehr können bei Wein aber schon Welten bedeuten.

Ein Borderline-Wein wie Cheval Blanc 47, der nicht nur viel Alkohol und Restzucker, sondern dazu auch noch ordentlich flüchtige Säure enthält (und nach den heute gültigen Regeln unter der AOC St. Emilion gar nicht verkehrsfähig wäre), kann als Unikat wohl kaum dafür herhalten, dass die Alkoholgehalte kein Problem für die weitere Entwicklung darstellen.

Gruß
Ulli
Antworten

Zurück zu „Bordeaux und Umgebung“