Vor einigen Tagen gab es in nicht allzu großem Kreis die fünf „offiziell“ klassifizierten 2002er
1ers vom linken Ufer: Lafite, Latour, Margaux und Mouton sowie
last but not least Haut Brion.
Nun, was soll man groß von einer Probe berichten, die letztlich die in sie gesetzten hohen Erwartungen vollständig erfüllt hat und eindrucksvoll bewiesen hat, dass ein Pauschalurteil über den Jahrgang 2002 als „klein“ oder – wie der Titel dieses Threads nahelegt – womöglich gar „überflüssig“ zumindest auf diesem Niveau ziemlich weit daneben liegt?
Die Weine waren alle nach kurzer Dekantierzeit zugänglich, wenn auch naturgemäß noch nicht voll entwickelt (das trifft insbesondere auf Latour zu) und machten eine Menge Spaß. Von Korkschmeckern und sonstigen Flaschenfehlern sind wir glücklicherweise verschont geblieben.
Eine kurze Zusammenfassung meiner Eindrücke zu den einzelnen Weinen:
Haut Brion: zunächst eine irritierende, metallisch-herbe und nicht ganz „hasenreine“ Nase, stabilisiert sich aber schnell an der Luft, wird sauber und zunehmend typisch. Hohe Dichte, sehr würzig, kräftiges, noch etwas flockiges Tannin. Im Rückblick der aromatisch am weitesten entwickelte Wein der Probe. Was hier am meisten beeindruckt hat, ist die Länge des Abgangs; der Wein klingt wirklich minutenlang nach. In seiner Art absolut beeindruckend, lag aber für mich diesmal auf den hinteren Rängen.
Weiter nach Norden -
Chateau Margaux. Zeigt ganz genau das, was ich an einem gelungenen Chateau Margaux so liebe: absolut perfekte Proportionen. Da ist nichts zu viel oder zu wenig, alles sitzt genau an der richtigen Stelle, und alle Komponenten sind harmonisch verbunden, das ist Schönheit pur. Ein Volltreffer und für mich der Wein des Abends. Wobei ich gerne zugebe, dass ich für Chateau Margaux eine ziemliche Schwäche habe
Latour: ok, das war Kindermord. Zwar zugänglich, aber doch reichlich unentwickelt, mit einem unglaublich dichten, undurchdringlichen Fruchtkern (Blaubeerkonzentrat der Extraklasse), superklar, superstraff, superfest. Wenn man die gleiche Probe in zwanzig oder dreißig Jahren wiederholt, könnte er vielleicht alle anderen hinter sich lassen. Könnte – oder auch nicht. Wer davon hat: erst mal die Finger davon lassen.
Dann
Lafite. Wer wissen möchte, was Präzision bei einem Wein bedeuten kann, sollte versuchen, diesen Wein einmal ins Glas zu bekommen. Messerscharfe Definition, blitzsaubere Linien und Kanten, spiegelblanke Politur, dabei betörend elegant und superkomplex. Ein bekannter norddeutscher Händler spricht in manchen seiner Notizen von „Geradeauslauf“, dieses Bild passt hier für mich einmal sehr gut. Der aktuelle Marktpreis ist zwar einigermaßen absurd, aber bei diesem Wein versteht man schon, wie Lafite zu seinem Ruf gekommen ist. Für die anderen am Tisch Nummer eins des Abends, ich mochte den Margaux noch einen Tick mehr. Aber das ist wirklich rein subjektiv.
Schließlich noch
Mouton. Ja, auch der entsprach voll und ganz meinen Erwartungen; leider. Mouton nach 1990 und ich: das wird keine echte Freundschaft mehr. Der absolute Gegenpol zum Nachbarn Lafite: springt einen unmittelbar aus dem Glas an, üppig und opulent, gewissermaßen vollbusig (in der rein männlichen Verkostungsrunde hat einer dafür einen etwas drastischeren Terminus verwendet), dekliniert das gesamte Spektrum an reifer roter Frucht durch, wie bei Mouton üblich ist das Ganze mit viel röstigem Holz unterlegt. Breitwandkino in Technicolor, nur kommt hinter der bunten Fassade nicht mehr allzu viel Substantielles. Wie zur Bestätigung ist der Abgang der kürzeste aller Weine dieser Probe.
Ok, um die Sache ins richtige Verhältnis zu rücken: in einem anderen Kontext hätte der Mouton vermutlich immer noch geglänzt und wäre in vielen Proben ganz sicher ein absolutes Highlight. In diesem Umfeld konnte er sich aber nicht behaupten, und in der Bordeaux-erfahrenen Tischrunde konnte sich auch niemand für ihn erwärmen. Für mich hat sich hier zum wiederholten Male gezeigt, dass Mouton nach dem Tod des Barons 1988 aus dem Tritt gekommen ist und mittlerweile seinen nominellen Rang nicht mehr verdient. Aber das werden ein paar Mouton-Fans sicher anders sehen.
Einerlei: die Probe hat mir mal wieder gezeigt, warum ich ein Bordeaux-Fan bin und bleibe
Gruß
Ulli