Das ist wirklich ein spannendes Thema. Meine Sicht der Dinge ist - neben den vielen schon zutreffend angemerkten Punkten - die:
1. Bordeaux hat u.U. nur eine partielle Krise
Ich bin nicht sicher, ob die Verkäufe in den letzten drei Jahren (geringere Erntemengen als 2009/2010 herausgerechnet) bei
allen Châteaux zurückgegangen ist. Jedenfalls wird allenthalber berichtet, dass die Erzeuger in den weniger prestigeträchtigeren Gebieten des Bordelais, also vor allem diejenigen an den
Côtes, in der AOC Bordeaux und in Entre Deux Mers sowie evtl. auch noch in den Graves und bei nicht klassifizierten St. Emilions und ihren Satelliten große Absatzprobleme haben (siehe z.B. hier:
http://www.dasweinforum.de/viewtopic.php?f=21&t=3268).
Im Übrigen könnte ich mir vorstellen, dass einige sprunghafte Châteaux, die in den letzten Jahren extrem volatil im Preis waren (z.B. Lascombes, Beychevelle oder andere), Probleme haben, andere, die jahrein/jahraus mehr oder weniger preislich stabil und verlässlich gute Qualitäten abliefern und dementsprechend eine treue Stammkundschaft haben (z.B. Sociando Mallet, Batailley, Domaine de Chevalier), weniger Probleme. Aber das ist nur gemutmaßt.
2. Problemursachen
Die preisliche Hausse einiger Châteaux in den Jahren 2009 und 2010 und die Weigerung danach, in den Preisen wieder substantiell runterzugehen, stellt m.E. nur einen Grund dar, warum die Bordelaiser Kunden verloren bzw. nicht neu dazu gewonnen haben. Andere Gründe, die mir einfallen, sind:
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as anonyme Absatzsystem fördert volatile Preise. Nach der Abgabe an die Négociants verlieren die Châteaux größtenteils die Kontrolle darüber, wohin ihre Weine verkauft werden. Wenn - wie Matthias Hilse es andeutet - irgendwann mal die 2010 und 2011 aus den Jahrgängen 2009 und 2010 erworbenen Weinfonds-Quantitäten liquidiert werden und alle gleichzeitig auf den Markt gehen, bin ich mal gespannt, was passiert. Diese Unsicherheiten hat ein Erzeuger nicht in demselben Maße, der seine Weine an Händler, die Gastronomie und Endkunden verkauft. Bei volatilen Preisen aber springen Kunden schneller ab.
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das anonyme Absatzsystem bindet keine Kunden. Mittlerweile denken die Bordelaiser um und lassen häufig Château-Besuche zu, denken sich was für den Erlebnis-Tourismus aus, etc. Aber am Ende kaufen die allermeisten Kunden ihren Bordeaux immer noch im Supermarkt oder beim Händler, ohne den Erzeuger jemals besucht zu haben. Wer aber einmal eine nette Kellerführung mit dem Winzer gemacht hat, hält diesem evtl. auch in schlechteren Jahrgängen eher mal die Treue, wenn er z.B. die Preisliste zugeschickt bekommt, als derjenige, der beim Händler kauft mit Bestpreis kauft und sich gut klammheimlich in Jahrgängen wie 2011 verabschieden kann. Nach allem sind ja auch die Mengen so groß, dass es nur bei sehr wenigen Weinen Allokationen für Endkunden gibt, die man in Folgejahren bei Nichtbestellung verliert.
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Bordeaux verschwindet zunehmend aus der Gastronomie. Der klassische Sternerestaurant-Weinkeller bestand immer aus vielen Bordeaux in beeindruckender Jahrgangstiefe. Das wollten auch viele Restaurants eine Stufe drunter nachahmen, kann sich aber heute kaum noch jemand leisten (Kapitalbindung). Es sind eher "Schnelldreher" gefragt, übrigens auch in der Sterne-Gastronomie. Dafür ist roter Bordeaux der klassischen Schule nicht so gut geeignet. Er hat ein gutes Trinkfenster in den ersten ein bis drei Jahren, verschließt sich dann aber auch auf Cru Bourgeois Level gerne mal für fünf bis zehn Jahre. In diesen Jahren will den eigentlich im Restaurant keiner trinken. Hinzu kommt, dass roter Bordeaux gerade mit der heute auf der einen Seite fleischärmer werdenden, auf der anderen Seite teils auch derber werdenden Küche nicht mehr so gut harmoniert wie mit der klassischen französischen Küche mit ihren Lammsatteln, Wildgerichten, Steak au Poivre, usw.
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das Verhalten einiger hat den Ruf aller ramponiert. Einige Erzeuger (z.B. Angélus, Pavie, Figeac, u.a.), haben ihre Stammkunden derart brutal vor den Kopf gestoßen und das Renommée des teuren Luxusweins geprägt, dass dieses Image nunmehr auf alle Weine projiziert wird. Es gibt Weingüter wie Lascombes, die zunächst den Parkerpunkten hinterherhecheln, um dann bei erstbester Gelegenheit (94+ PP!!!) preislich ans Maximum zu gehen. Tatsächlich sind ja zahlreiche Weingüter, gerade in den unteren Preisbereichen, auch 2009 und 2010 auf dem Teppich geblieben. Über den Preis eines Batailley, Haut-Batailley, Giscours, Lanessan, Senejac, Ferriere, Fourcas-Hosten, etc. kann man sich wirklich nicht beklagen. Aber selbst ein Lanessan, den man für deutlich unter 15 Euro auch in Spitzenjahrgängen subskribieren kann, hat den Ruf des teuren Bordeaux weg. Und diejenigen, die sich über den teuren Bordeaux beschweren, kaufen genüsslich den Poulsard des Kulterzeugers aus dem Jura für 30 Euro und mehr. Wie man das hätte verhindern können? Schwierig.
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Bordeaux ist das Großbrauereien-Bier der Weinwelt. Beim Bier, aber auch bei anderen Getränken wie Cola und Limonaden, sieht man ganz gut, wie sich die Konsumwelt immer weiter ausdifferenziert. Hat man früher Warsteiner oder Krombacher getrunken, weil es halt ausgeschenkt wurde, wollen die Leute heute was probieren. Zuerst waren in Berlin und Hamburg Biere aus Süddeutschland in (Rothaus, Tegernseer, Augustiner), jetzt kommt eigentlich kaum noch eine Kneipe ohne eine größere Auswahl an Craft-Bieren aus. Coca Cola und Pepsi-Cola bekommen in einigen Märkten immer größere Absatzprobleme, weil eben die Kraft der Marke nicht mehr zieht. Die Leute wollen sich von anderen Leuten absetzen, individuell sein. Am Ende sind Bordeaux Markenweine. Kaum jemand kann eine tolle Geschichte erzählen. Das geht viel besser über den Jungwinzer mit seinem Hut oder über den bärtigen alten Mann, der sich bald zur Ruhe setzen wird, und seine attraktive Tochter, die auch eine talentierte Winzerin ist.
Aktuell gibt es Bordeaux-Marketingkampagnen wie "Apéro-Bordeaux", aber ich fürchte, es werden noch einige Kampagnen dieser Art ins Land gehen, bevor der Bordeaux wieder eine länger anhaltende Hausse haben wird.