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Re: Bordeaux 2014

Verfasst: Fr 8. Mai 2015, 18:08
von Matthias Hilse
octopussy hat geschrieben:...Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass es da auch Koppelungsgeschäfte gibt wie "ihr nehmt jetzt nochmal einen Schwung 2006er, 2007er und 2011er und dafür kriegt ihr jetzt folgende Vergünstigung auf die 2014er" oder so ähnlich. Wie viele 2006er, 2007er und 2011er Bordeaux zuletzt in den französischen Supermärkten angeboten wurde, war wirklich auffällig.

Die Frage, die ich mir stelle ist, ob ein Negociant eigentlich genauso wie ein Endkundenhändler agieren kann, also z.B. entscheiden kann, dass er in einem Jahr einfach mal Château xyz nicht oder kaum nimmt, weil er Sorge hat, dass er die Weine nicht wird verkaufen können, auch auf das Risiko hin, dass er Château xyz dann auf absehbare Zeit gar nicht mehr bekommt?
Jedes System hat ja so seine Tücken oder Spezialitäten. Das ist im Subskriptionsgeschäft nicht anders. Der entscheidende Begriff ist "Allokation". Er besagt, dass mit dem Erwerb eines Weins in der Subskription (sowohl durch den Negociant als auch durch den Händler) im Kauf eine Option enthalten ist, die gleiche Menge (Preis ist unbekannt) im nächsten Jahr ebenfalls kaufen zu dürfen (altmodisch ausgedrückt: Verkauf einer Kaufoption durch Negoce/Chateau). Nun sind aber die Ernten selten gleich gross, so dass Allokationen bei kleineren Ernten automatisch verkleinert werden. Wenn die Ernte 2013 nur zwei Drittel der Menge von 2012 hergibt, werden die Allokationen entsprechend angepasst.
Es sind zwar weitestgehend die gleichen Akteure am Markt, aber manchmal steigt jemand aus (wie in Deutschland zuletzt Pinard oder auch die Weinbastion), es kommen aber auch neue Firmen hinzu. Wenn man neu im Geschäft ist, hat man naturgemäss keine Allokation. Da kann es schon einmal vorkommen, dass man sich diese dann durch den Erwerb älterer, lieferbarer Jahrgänge "verdienen" muss.
Aussteigen wiederum gilt garnicht seitens der Negociants. Vielleicht verstehen Sie mit diesem Informationen etwas besser, was ich meine, wenn ich behaupte, dass es momentan zwei Klassen von Chateaux am Place de Bordeaux gibt: jene, die sich sicher sein können, ihre Weine an die Negciants zu verkaufen, weil es für diese Güter Allokationen gibt (also die gesamte Haute-Volee). Diesen Chateaux ist es schlicht egal, ob es Endkunden für ihre Weine zu den von Ihnen geforderten Preisen gibt. Sie können sich auf die "fidelité" der Negociants verlassen. Nur so sind ja solche Preise wie z.B. für Chateau Angelus zu erklären...-:))
Dann gibt es noch die anderen, die ihre Weine wirklich verkaufen müssen, weil ihr Renommee nicht ausreicht, Allokationen darauf zu begründen (das ganze Heer der Weine um Senejac, Mille Roses, Paloumey, Belle-Vue, Moulin Haut Laroque..etc etc); diese Weine sind daher (besonders auch im historischen Vergleich, wie ich heute in einem sehr interessanten Gespräch mit einem Forumsmitglied erfahren habe) günstig - oder sagen wir: diese Chateaux bieten ihre Weine zu Preisen an, von denen sie erwarten, dass diese mit einem entsprechenden Kaufinteresse seitens der Endkunden goutiert werden.
Betrachtet man die Kampagne 2014 unter diesem Aspekt, wird schnell deutlich, wer in welches Lager gehört.
Allokationen gehen also unmittelbar bei einmaligem Aussetzen verloren, weswegen die Marktteilnehmer so sehr genau überlegen müssen, ob sie ihre mühsam erarbeiteten Allokationen beim erstbesten mittelmässigen Jahrgang "sausen" lassen.
Jetzt habe ich beim Schreiben etwas den Überblick verloren über die Stringenz meiner Aussage - ich hoffe, es passt einigermassen.

Herzliche Grüsse,
Matthias Hilse

Re: Bordeaux 2014

Verfasst: Fr 8. Mai 2015, 18:43
von UlliB
Matthias Hilse hat geschrieben: Jetzt habe ich beim Schreiben etwas den Überblick verloren über die Stringenz meiner Aussage - ich hoffe, es passt einigermassen.
Nein, passt schon, danke.

Das Allokationssystem gibt es anderswo ja auch, ich kenne sogar Burgund-Händler, die dieses mit ihren Endkunden betreiben. Einmal raus und man darf sich wieder hinten anstellen...

Es ist aber doch fraglich, wie lange es die Negociants aushalten, sich die Läger mit Weinen quasi zwangsweise vollstopfen zu lassen, die sie am Ende nicht schnell genug verkaufen können. Längerfristig kann das doch nur funktionieren, wenn die Marge aus den Verkäufen mindestens die Kapital-, Lager-, und Versicherungskosten für die Bestände deckt. Und die Bestände dürften die letzten Jahre eher angestiegen sein; gut waren die Verkäufe ja nicht. Das und das vorhandene Risiko einer späteren Abschreibung oder wenigstens deutlichen Wertberichtigung mit lediglich 20% Marge abzüglich Courtage zu decken, dürfte nicht einfach sein.

Sind aus Ihrer Sicht die Chateaux gerade dabei, die Negociants zu ruinieren? Oder hält die Jahrhunderte alte "belle alliance" zwischen den Partnern auch heute noch?

Gruß
Ulli

Re: Bordeaux 2014

Verfasst: Fr 8. Mai 2015, 19:14
von Matthias Hilse
UlliB hat geschrieben: Sind aus Ihrer Sicht die Chateaux gerade dabei, die Negociants zu ruinieren? Oder hält die Jahrhunderte alte "belle alliance" zwischen den Partnern auch heute noch?

Gruß
Ulli
Ich glaube, an dieser Stelle muss man wieder Robert Parker ins Spiel bringen. Der Place de Bordeaux ist eine arbeitsteilige Einrichtung: das gibt es die Erzeuger und die Verkäufer (Negociants) und diejenigen, die dazwischen vermitteln. Die Stärke der Negociants ist es, für die Chateaux den roten Willkommensteppich in den einzelnen Märkten auszurollen. Sie haben die Potenz, neue Märkte sehr schnell effizient mit den richtigen Mengen der richtigen Weine zu versorgen.
Nun hat aber, besonders in den letzten 20 Jahren, ein einziger Weinkritiker quasi im Alleingang die Bordeauxweine mit seiner grosszügigen Zuwendung von entsprechenden Punkten verkauft. Nicht umsonst gibt es ja kaum Händler, die nicht gerne mit ihm Werbung machen. Das haben die Chateaux nicht wirklich verstanden. Für sie sind es ihre (in vielen Fällen nun wirklich) grossartigen Weine. Ich habe meinen englischsprachigen Blogeintrag breit nach Bordeaux zirkuliert und werde dafür zum Teil mit abgrundtiefer Verachtung bestraft. Es ist wie überall auf der Handelswelt. Es entstehen Oligopole, deren Genese viele sogar noch begrüssen, weil der Kampf um die begehrten Plätze mit der Grosszügigkeit ruinierender Preispolitik geführt wird. Aktuell gibt es in Bordeaux noch über 400 Negociants. Es ist absehbar, dass die kleineren unter ihnen - oder diejenigen, deren Kapitaldotation nicht so üppig ist, es zunehmend schwerer haben werden. Warum? Weil sie es sich eben nicht leisten können, Weine, deren Preis man einfach nur als absurd bezeichnen kann, so lange "mitzuschleppen", bis der nächste Jahrhundertjahrgang wieder ein neues Preisniveau schafft. Sie verlieren an Attraktivität, weil ihr Sortiment kleiner wird und sie so weniger Möglichkeiten haben, ihre Kunden (also z.B. mich) zu - was ich einmal als panaschiertes Ordern bezeichnen möchte - zu bewegen: ich bekomme die Kiste Mouton, wenn ich auch die Apfel, Birnen und Karotten nehme. Die letzteren bekomme ich überall, also warum soll ich noch dort kaufen, wo es den Mouton nicht mehr gibt.
Man könnte übrigens die Tendenz der letzten Jahre, dass zunehmend mehr Chateaux ihre Weine nicht mehr bei den UGCB-Verkostungen zeigen, sondern exklusiv "bei sich zu Hause", als Indiz für die Positionierung in einem neuen Marktgeflecht, das dann nur noch auch Weingut und Händler besteht, deuten. Denn meine Kundendaten lasse ich mit meiner Visitenkarte ja überall zurück...

Herzliche Grüsse,
Matthias Hilse

Re: Bordeaux 2014

Verfasst: Fr 8. Mai 2015, 19:30
von Matthias Hilse
Den letzten Absatz aus meinem letzten Eintrag kann man nur dann richtig verstehen, wenn man weiss, dass die Chateaux im bisherigen System nicht wissen, wer ihre Weine kauft. Ihr Kontraktpartner ist ja der einzelne Negociant.
Das weicht gerade auf, und die Chateaux verwenden dabei unisono das Argument, dass man ihre Weine eigentlich nur dort richtig verkosten kann, wo sie herkommen. Das Argument ist zwar sachlich nicht schlecht, gleichwohl geht es darum sicherlich nicht. Das Sammeln von Visitenkarten ist gerade sehr en vogue...

Herzliche Grüsse,
Matthias Hilse

Re: Bordeaux 2014

Verfasst: Fr 8. Mai 2015, 20:12
von chris75
Matthias Hilse hat geschrieben: Es sind zwar weitestgehend die gleichen Akteure am Markt, aber manchmal steigt jemand aus (wie in Deutschland zuletzt Pinard oder auch die Weinbastion), es kommen aber auch neue Firmen hinzu.
Nur der Richtigkeit halber: Die Wein-Bastion ist aus dem Subsgeschäft nicht ausgestiegen, sondern hat 2013 lediglich ausgelassen.

Gruß,
Christian

Re: Bordeaux 2014

Verfasst: Fr 8. Mai 2015, 20:29
von Matthias Hilse
chris75 hat geschrieben: Nur der Richtigkeit halber: Die Wein-Bastion ist aus dem Subsgeschäft nicht ausgestiegen, sondern hat 2013 lediglich ausgelassen.

Gruß,
Christian
Ich wollte nichts in den Raum stellen, was nicht stimmt; auslassen ist aber nichts anderes als neu anfangen, zumindest im Bezugsrahmen meines postings. Mea culpa was meine mangelnde philologische Sorgfalt hier betrifft.

Herzliche Grüsse,
Matthias Hilse

Re: Bordeaux 2014

Verfasst: Fr 8. Mai 2015, 20:42
von UlliB
Matthias Hilse hat geschrieben: Man könnte übrigens die Tendenz der letzten Jahre, dass zunehmend mehr Chateaux ihre Weine nicht mehr bei den UGCB-Verkostungen zeigen, sondern exklusiv "bei sich zu Hause", als Indiz für die Positionierung in einem neuen Marktgeflecht, das dann nur noch auch Weingut und Händler besteht, deuten.
Ich nehme an, dass "Händler" sich in diesem Fall nur noch auf diejenigen Händler bezieht, die an den Endverbraucher verkaufen? Und dass sich damit sich für die Chateaux die Möglichkeit ergibt, die Marge von Courtier und Negociant auch noch einzustreichen, nachdem sie sich schon alle potentiellen Spekulationsgewinne im Subsgeschäft einverleibt haben?

Die logisch darauf folgende Endstufe wäre dann DTC; die Marge des Einzelhändlers kann man ja auch noch mitnehmen. Die Bereitstellung der notwendigen Strukturen für Portal- und Logistikdienstleistungen ist heute kein Problem mehr, dafür gibt es Profis. Amazon & Co. lassen grüßen. Und dann kennen die Chateaux nicht nur die Händler persönlich, sondern tatsächlich die Endverbraucher - der feuchte Traum der ganzen Marketingbranche.

Na, wird wohl noch eine Weile dauern, bis es so weit ist. Und dann interessiert mich's eh nicht mehr :|

Gruß
Ulli

Re: Bordeaux 2014

Verfasst: Fr 8. Mai 2015, 21:19
von Matthias Hilse
UlliB hat geschrieben: Ich nehme an, dass "Händler" sich in diesem Fall nur noch auf diejenigen Händler bezieht, die an den Endverbraucher verkaufen? Und dass sich damit sich für die Chateaux die Möglichkeit ergibt, die Marge von Courtier und Negociant auch noch einzustreichen, nachdem sie sich schon alle potentiellen Spekulationsgewinne im Subsgeschäft einverleibt haben?

Die logisch darauf folgende Endstufe wäre dann DTC; die Marge des Einzelhändlers kann man ja auch noch mitnehmen. Die Bereitstellung der notwendigen Strukturen für Portal- und Logistikdienstleistungen ist heute kein Problem mehr, dafür gibt es Profis. Amazon & Co. lassen grüßen. Und dann kennen die Chateaux nicht nur die Händler persönlich, sondern tatsächlich die Endverbraucher - der feuchte Traum der ganzen Marketingbranche.

Na, wird wohl noch eine Weile dauern, bis es so weit ist. Und dann interessiert mich's eh nicht mehr :|

Gruß
Ulli
Ja, ich meinte die Endverbraucherhändler. Es wird nicht darum gehen, dass alle Chateaux dies im Sinn haben; aber einige. Bernard Magrez (Pape Clement, La Tour Carnet und 37 andere Chateaux) praktiziert das ja schon lange.
Ein Blick in die Modebranche dürfte hier hilfreich sein. Die bekannten "Labels" vermarkten ihre Ware in eigenen Shops und werden so zu Konkurrenten ihrer Kunden. Nebenbei bemerkt gibt es in Bordeaux mittlerweile nicht wenige Negociants, die "Endkundenbuden" betreiben (Duclot, Ulysse Cazabonne...etc); nicht zu vergessen Millesima. Ein Negociant, der an Endkunden verkauft. Ob nun solche Konstrukte wie Millesima später mit Chateaux, die ihre Weine selbst vermarkten, konkurrieren werden, mag ich nicht vorauszusagen. Auf jeden Fall geht es immer um eine Margenerweiterung.
Schaut man sich Chateau Pavie 2012 einmal genauer an, assoziiert man die Inszenesetzung des Weins leicht mit dem "Kleinen Schwarzen". Da wird nicht mehr ein Wein verkauft, sondern ein Accessoire für ein Rendezvous in den Spähren dem Normalmaß entrückter Welten.
Die arrivierten Chateaux sind sicherlich angezogen von den Verlockungen fortschreitender Algorythmisierung, die ihnen verheissen, dass sie mit der richtigen Technik die bisherigen Intermediäre kostensparend ersetzen können.
Ich glaube jedoch, dass sie da einem gewaltigen Irrtum unterliegen.

Herzliche Grüsse,
Matthias Hilse

Re: Bordeaux 2014

Verfasst: Fr 8. Mai 2015, 21:28
von sorgenbrecher
UlliB hat geschrieben:
Die logisch darauf folgende Endstufe wäre dann DTC; die Marge des Einzelhändlers kann man ja auch noch mitnehmen. Die Bereitstellung der notwendigen Strukturen für Portal- und Logistikdienstleistungen ist heute kein Problem mehr, dafür gibt es Profis. Amazon & Co. lassen grüßen. Und dann kennen die Chateaux nicht nur die Händler persönlich, sondern tatsächlich die Endverbraucher - der feuchte Traum der ganzen Marketingbranche.

Na, wird wohl noch eine Weile dauern, bis es so weit ist. Und dann interessiert mich's eh nicht mehr :|

Gruß
Ulli
Ulli, ja und ?
Das Modell heißt anderswo "Ab-Hof-Verkauf" und wird gemeinhin mit viel Sympathie begleitet...es muss also nicht per se etwas Schlechtes für den Verbraucher sein, die emotionale Kundenbindung zu den bevorzugten Chateau dürfte in jedem Fall höher sein als zu den Händlern. Im Burgund und Piemont, ganz zu schweigen von vielen deutschen Winzern, ist das ja noch immer ein sehr gängiges Modell und i.d.R. profitieren die Kunden vom Direktbezug.
Das Problem von Bordeaux dürfte nur die Distribution der riesigen Mengen und die weltweite Markenbildung und -pflege sein...

Re: Bordeaux 2014

Verfasst: Fr 8. Mai 2015, 21:42
von chris75
Hoffentlich muss jetzt Hr. Lagerfeld nicht jedes Jahr die Wachsmalkreide zücken......kleine Schwarze kann der auch...

Genau, dann gibt´s in jeder Metropole einen Bordeaux magical top 20 Store, wo man nur mit Kundenkarte kaufen kann....."ja, die Flasche ist aber hübsch....aber die Farbe Gold ist gerade out, gell?"

Ich sag nur Tulpenzwiebel.