Hallo Weinforum,
ach was gab es viele Zweifler, die einfach nur gesagt haben, diese
alten Weine sind nichts mehr und vor allem, viel zu teuer. Nach einer
ersten Probe mit 61er Bdx und älter hieß es, Ihr habt einfach nur
Glück gehabt. Diese Aussagen hörte ich von Leuten, die ich durchaus
als Kenner der Bordeaux-Materie betrachte und damit automatisch auch
als Liebhaber.
Gewagt haben diesen ersten Versuch vor einigen Monaten dann doch
einige begeisterungsfähige Weinfreunde, die all diese Weine auch
nicht aus der Portokasse bezahlen konnten, sondern entschieden haben,
das ist es uns wert. Einschließlich des verbleibenden Restrisikos.
Einen Abend in kleiner, gemütlicher Runde, ohne zeitlichen
Probierdruck, mit einem ordentlichen Schluck Wein im Glas und keine
Minipfütze (beim letzten vielleicht sogar nur noch mit Depot). Dieser
Abend hatte sich gelohnt. Das Geld war gut investiert. Man erinnert
sich auch heute noch gerne daran. Entscheidender Punkt: sorgfältige
Auswahl der Weine aus zuverlässiger Quelle. Ist vielleicht etwas
teurer, dafür aber gut. Was hilft mir ein günstig über ebay
eingekaufter 61er Latour, der offensichtlich inter dem Kopfkissen
gelagert wurde.
Bei alten Burgundern scheint es fast noch schlimmer zu sein. Da
trägt man eine Anzahl wirklich alter, roter Burgunder aus
zuverlässiger Quelle zusammen und spricht gezielt Burgund-Liebhaber
an und ist anschließend richtiggehend frustriert, wie wenig
Begeisterungsfähigkeit einem aus diesem Kennerkreis entgegen kommt.
Nun ja, der Beweis der Burgunder wird noch anzutreten sein.
Zurück zum Bdx. Nachdem unsere Bewertungen in der Vergangenheit wohl
nicht wirklich ernst genommen worden sind, haben wir uns dazu
entschlossen, einen respektierten Weinkenner des Bdx für unsere Sache
zu gewinnen. Und ihm war es wert, den Aufwand einer langen Zugreise zu
betreiben um an dem erhofften, gemeinsamen Erlebnis teilzuhaben.
Genug des Vorspanns. Am 7.11.2009 trudelten so nach und nach folgende
Weinliebhaber in Oberhausen ein:
Doris Elsing
Sabine Heyer
Michael Herr
Rainer Elsing
Peter Züllig
und die Gastgeber Wera und Norbert Kreutzer.
Folgende Weine wurden in der gelisteten Reihenfolge verkostet, vom
Eröffnungs-, Überbrückungswein, über Essensbegleiter
(Fischgericht) (Hauptgericht) und (Nachtisch). Am jeweils jüngeren
Jahrgang zu erkennen. Dazwischen die alten Schätze. Alle Weine hatten
eine Top-Abfüllung (mindestens very top shoulder bis into the neck).
Eine bewusste in Kauf genommene Ausnahme wird gesondert erwähnt. Alle
Weine wurden mindestens ein halbes Jahr (meist länger) in meinem
Keller gelagert, 8 Tage vorher aufrecht gestellt und erst kurz vor dem
jeweiligen Probieren aufgezogen. Im Hinblick auf das Alter wurde auf
Karaffieren verzichtet. Leider zu oft sind alte Weine über das
Karaffieren zu schnell zerfallen. Hier wurde lieber das Risiko der
Depotaufwirbelung in Kauf genommen. Bei max. 8 Personen aber ein eher
geringes Risiko, da das Depot doch meist in der Flsche verbleiben
kann.
1.
1979 Chateau l'Enclos
Pomerol
Ziegelrote Farbe mit braunem Rand, in der Nase finde ich eine
ehrwürdig gereifte Frucht, wirkt durchaus nobel, deutet auf einen
eher leichtgewichtigen Wein hin, bleibt aber sauber, keinerlei
unangenehme Animalik, Urinal, was auch immer, was ich leider vor
einigen Wochen bei einer 86er Bdx-Probe in Siegburg allzu häufig -
bei mehreren Weinen - wahrgenommen habe (allerdings fast gegen den
Rest der Welt, Torsten G. weiß aber worüber ich schreibe) und was im
Bdx absolut nichts zu suchen hat (bei der Rhone ist es ja fast
normal), hier war es nicht zu finden, Peter bezeichnete den Ton als
"alte Bibliothek". Positiv gemeint. Das könnte stimmen. Im Wein
von leichtem bis mittleren Körper, schöne Reife, hat auch noch einen
Fruchtkern, ganz leichte Fruchtsüße, wirkt für diesen schwierigen
Jahrgang erstaunlich stabil, die Säure ist hinten heraus durchaus
präsent, überwiegt aber noch nicht, ordentliche Länge, ja, eine
durchaus positive Überraschung aus der Anfangszeit meiner
Bdx-Einkäufe, bestimmt mehr als 25 Jahre im eigenen Keller gelagert,
86 NK Punkte
2.
2008 Sigalas Santorini - Assyrtiko
Griechischer Weißwein von der Kykladeninsel Santorini
Alc. 13,5%
Ausgezeichnet mit einer Goldmedaille und immerhin 90 Parker Punkten
Zitronengelbe Farbe, in der Nase frische, lupenreine Frucht mit
Zitrusnoten, Orange, hat Ausdruck, eine pikante Finesse, im Wein von
mittlerem Körper, pikante, saftige Frucht mit exotischen Komponenten,
hat überraschend viel Druck, Schmelz, und das war gut so, denn es war
ein Fischgericht angekündigt und ich hatte einen eher leichten,
trockenen Weißwein erwartet, da das von Doris vorbereitete
Fischgericht (Jakobsmuscheln, Garnelen, Pilze und Pasta mit frisch
gehobeltem Trüffel aufgewertet wurde) half dieser Schmelz dabei, dass
sich der Wein überhaupt behaupten konnte, eine schöne Säurestruktur
gab dem Wein zusätzlich Lebendigkeit, gute Länge, 86 NK Punkte, ich
habe bisher noch keinen derartig guten, griechischen Weißwein
getrunken, kann man empfehlen, kostete allerdings die Kleinigkeit von
EUR 16
3.
1937 Chateau Vrai Canon Boyer
Canon Fronsac
Schloßabfüllung (Laporte)
Rubinrote Farbe mit braunem Rand, in der Nase für einen 71 Jahre
alten Wein unglaublich fest, Unterholz, Waldboden, Pilze, einfach
schön, im Wein von mittlerem Körper, wunderschön gereift, intakter
Fruchtkern, hat auch noch Fruchtsüße, wirkt insgesamt sehr präsent,
gut integrierte Säure, das Tanningerüst ist reif aber noch fest,
gute Länge, einfach toll, nicht nur im Hinblick auf einen 37er Canon
Fronsac, der Füllstand war mit into the neck aber auch perfekt, das
Etikett sauber, der Korken alt und durchweicht, mit diesem Wein hätte
ich auf jedes Wettangebot eingehen können, dass das niemand
herausfindet, eine faszinierende Erfahrung, 90 NK Punkte
Den 37er hatte eigentlich kein Mitprobierer in der umlageorientierten
Probe haben wollen. Ob da wohl mangelndes Vertrauen eine Rolle
spielte??
4.
1938 Chateau Montrose
Saint Estephe
Schloßabfüllung
Ziegelrote Farbe mit braunem Rand, anfangs in der Nase Liebstöckel,
Maggi, das verfliegt aber schnell, danach verströmt der Weine eine
altehrwürdige aber doch schon etwas fragile Reife, im Wein von
leichtem bis mittleren Körper, präsente Säure, es fehlt
Fruchtsüße und Schmelz, wirkt in diesem Zustand etwas mager, ist
aber noch gut trinkbar, sauberes Geschmacksbild mit den typischen
Tönen von Waldboden, hat sich auch am nächsten Tag (kleine
Trinkreste in der Flasche) nicht nachteilig verändert, mit anderen
Worten: hat sich keinen Luftton eingehandelt, was bei sehr alten Bdx
am nächsten Tag häufiger auftritt, knapper Abgang, 84 NK Punkte
5.
1966 Chateau Montrose
Saint Estephe
Barriere-Abfüllung
Ziegelrote Farbe mit braunem Rand, in der Nase finde ich eine
filigrane, sehr schön gereifte Frucht, die im Hintergrund an Mon
Cherie erinnert, Unterholz ist natürlich auch dabei, im Mund leichter
bis mittlerer Körper, die Frucht ist von Bitterschokolade geprägt,
Tannine sind gereift aber noch sehr präsent, aber auch dieser
Montrose hat eine erstaunlich präsente Säure,
ordentliche bis gute Länge, eine der besseren Barriere-Abfüllungen,
87 NK Punkte
6.
1967 Chateau Montrose
Saint Estephe
Berry Bros-Abfüllung
Rubinrote Farbe mit leicht braunem Rand, in der Nase staubig,
Holzspäne, alter Schrank, dieser Wein auch leicht animalisch, im Wein
von eher leichtem Körper, sehr präsente, vordergründige Säure,
wirkt grün, es fehlt einfach an Substanz, es gibt kein Gerüst (weder
Struktur, Frucht noch Tannine) um gegen die Säure anzukommen, auch im
Abgang finde ich nur Säure, ich kann dem Wein allenfalls 82er NK
Punkte zubilligen, da spielt aber der Respekt vor dem Alter schon eine
gewisse Rolle, soweit ich mich erinnere, gab es aber auch andere
Meinungen
7.
1959 Chateau Latour à Pomerol
Pomerol
Schloßabfüllung
Dieser Wein hatte einen Füllstandsverlust von ca. 7 cm und wurde nur
zu einem Bruchteil des Preises für eine völlig intakte Flasche
angeboten. Dies war ein vorher abgestimmter Test um einmal
festzustellen, wie sich dieser Füllstand auf einen ansonsten immer
noch großen Wein auswirkt.
Bräunlich trübe Farbe, in der Nase springen mir unangenehme,
chemisch gefärbte Töne entgegen, im Wein lässt sich erahnen, das er
sehr viel Struktur hatte, aufgrund des Füllstandes aber völlig
madeirisiert, Doris erinnert der Wein an einen alten, chinesischen
Pflaumenwein, durchaus lang, ich möchte den Wein aber nicht bewerten
sondern zukünftig lieber eine intakte Flasche probieren
8.
1948 Chateau Gazin
Schloßabfüllung
Ziegelrote Farbe mit braunem Rand, in der Nase strömt mir ein
wunderschöner Duft von Schokolade und Pilzen entgegen, natürlich in
Ehren gereift, im Wein leichter bis mittlerer Körper, ein passabler
Fruchtkern zeigt einen Hauch von Fruchtsüße, er hat aber auch etwas
Medizinales, es stört eine nahezu adstringierende Säure, die bei mir
zu einer deutlichen Abwertung führt, passable Länge mit reichlich
Säurespitzen, bei mir nur 84 NK Punkte, wurde aber von anderer Seite
besser gesehen
9.
1999 Chateau La Condamine Cuvée Mathilde
Corbières
Als Essensbegleiter mit Blick auf Peter gedacht, hatte aber leider
Kork. Im Normalzustand ein ausgesprochen, schöner Wein.
10.
1995 Chateau Sipian
Médoc
Damals als Garagenwein gekauft, Kork war mit Wachs versiegelt, beim
Entfernen brach der Flaschenhals glatt durch, Wein musste daher in
eine Karaffe dekantiert werden. Dieser Wein war als Ersatzwein
geplant, falls der 99er korkt. Welche sich erfüllende Vorahnung.
Rubinrote Farbe Farbe mit leicht braunem Rand, in der Nase
geöffnete, transparente Frucht von Waldbeeren, auch etwas Mon-Cherie,
im Wein von leichtem bis mittlerem Körper, saubere, recht präzise
Frucht, wirkt noch sehr jung und sehr fruchtbetont, es stehen keine
sperrigen Tannine im Weg, der Wein hat aber durchaus Gerüst, gute
Länge, 84 NK Punkte, leider wurde der Wein nicht von allen
Teilnehmern ernst genommen, verwöhnte Bande!!!!!!!
11.
1949 Chateau Lafleur
Pomerol
Schloßabfüllung
Ziegelrote Farbe mit leicht braunem Rand und dann beginnt es,
blitzsaubere, wunderschön gereifte Frucht mit Tiefe, immer noch
Waldbeeren, Schwarzkirsche, gepaart mit Unterboden und Pilzen, im Mund
mittlerer bis dichter Körper, ein Wein der nach 60 Jahren noch voll
im Saft steht, kleidet den Gaumen völlig aus, voller Intensität,
immer noch präsente, wenn auch vollreife Tannin-Struktur, der Wein
steht wie eine Eins, frisch wie irgendwas, langer Abgang, einfach
genial, bei mir 99 NK Punkte
12.
1950 Chateau Lafleur
Pomerol
Schloßabfüllung
Ziegelrote Farbe mit leicht braunem Rand, in der Nase etwas reifer
als der Vorgänger, auch nicht so dicht, eher Pflaume, hat aber auch
Fruchtsüße und Waldboden, im Wein von mittlerem Körper, schmelzige,
feine Fruchtsüße, etwas vordergründiger, nicht so kompakt wie der
49er, auch etwas mehr Säure, ein toller Wein mit langem Abgang, der
aber im direkten Vergleich einfach etwas fragiler, schwächer wirkt,
aber immer noch groß. 96 NK Punkte
13.
1959 Chateau Lafleur
Pomerol
Schloßabfüllung
Ziegelrote Farbe mit braunem Rand, in der Nase reife, füllige,
süße Frucht, wider Pflaume und Waldboden, ähnelt eher dem 50er, im
Wein von mittlerem Körper, der Wein zeigt auch eine schöne, reife
Fruchtsüße, wirkt aber deutlich filigraner, hat das geringste
Strukturgerüst innerhalb der 3 Lafleurs und eine deutlich höhere
Säure, gute Länge, auch dies ein großer Wein, den ich mit 94 NK
Punkte aber hinter 49 und 50 werte, der 49er hat noch Zukunft, hier
wäre ich etwas vorsichtiger
14.
2008 Weinolsheimer Kehr Spätburgunder Blanc de Noir Eiswein
Erzeugerabfüllung Weingut Manz
0,375l
Alc. 8,5%
Kräftiges Gelb in der Farbe, in die Nase springt eine
Eiswein-typische, pikante Frucht entgegen, voller Klarheit und
Frische, Lebendigkeit, trinkanimierend, zu Sabines Schokoladen-Kuchen
ein Gedicht, im Wein von mittlerem Körper, kristallklare, lebendige
Frucht, Finesse und tolles Säurespiel, ein Klasse-Wein, auch ohne den
allseits beliebten Druck, und daher bekommt er bei mir auch 96 NK
Punkte (gegen die Überzeugung anderer Mittäter)
15.
2003 Chateau Lafaurie-Peyraguey
Sauternes
0,375l
Goldgelbe Farbe, in der Nase finde ich eine dunkle, schwere Süße,
Marzipan, Nüsse, ein völlig anderer Süßwein und abseits von einem
Chateau dâ€Yquem auch mal wirklich süß (natürlich gibt es auch
andere Weingüter) (diese Anmerkung resultiert aus so manch
fragwürdiger Erfahrung mit Sauternes, bei der ich die Bezeichnung
Süßwein in Frage gestellt habe), im Wein von mittlerem bis dichter
Körper, der Wein wirkt sicht und kompakt, mit konzentrierter Süße,
recht säurearm, bei mir dominieren Marzipan-Töne, sehr langer
Abgang, 95 NK Punkte
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Fazit:
Es war eine tolle Probe mit ausgesprochen netten Gästen. Ein
herzliches Dankeschön an Doris und Sabine, die Wera mit
Speisenbeiträgen entlasteten. Ein besonderer Dank an Peter Züllig,
der all die Mühe auf sich nahm um das Risiko auf sich zu nehmen. Nach
seiner Bemerkung (nachdem er den Wein probiert hatte), für den 49er
Lafleur wäre er auch nach Hamburg gefahren, war ich dann etwas
beruhigt. Ich habe keinen Wein bereut. Der 49er Lafleur war einfach
genial (war übrigens unter den teuren Lafleurs der deutlich
preiswerteste). So nach und nach steigt meine Achtung bezüglich der
Reifefähigkeit von Pomerol-Weinen. Ich habe hier nicht das erste Mal
sehr gute Erfahrungen gemacht. Der 37er Vrai Canon Boyer war für mich
die Überraschung des Abends. Wenn auch vom Händler meines Vertrauens
vorher gesagt. Das erhöht die Erwartungvorfreude für die im Januar
anstehende Altwein-Burgunder-Probe (1919-1947), da auch hier
eindeutige Empfehlungen Händler meines Vertrauens kamen.
Insgesamt hat sich meine mittlerweile gewachsene Meinung gefestigt,
lieber weniger gekauft und dafür fertig gereift aus sicherer Quelle
als eine Kiste überteuerter Bdx in jungen Jahren mit der stillen
Hoffnung, der wird mal etwas. Diese Hoffnung war trotz
Parker-Vorhersagen allzu oft trügerisch. Meine eigenen Vorhersagen
nach Jungweinproben leider auch.
Ich freue mich auf die nächste Bdx-Probe in dieser Runde, übrigens
mit einer ganzen Reihe von 61ern (ein berühmter Pomerol wird auch
dabei sein).
Gruß aus Oberhausen
Norbert