Bordeaux 2020

Medoc und seine Appellationen, Bourg und Umgebung, Fronsac, Pomerol, Saint Emilion und Umgebung, Entre Deux Mers, Graves und Pessac-Leognan, Sauternes und Co.
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vanvelsen
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Re: Bordeaux 2020

Beitrag von vanvelsen »

toska hat geschrieben:Ich hatte das Glück unlängst zahlreiche (ca. 25) 20er verkosten zu dürfen. Für genaue Notizen war keine Zeit, aber ohne einen vergleichbaren En primeur- Rahmen zu haben würde ich folgende Einschätzungen abgeben:

Von einem großen Jahrgang würde ich allgemein nicht sprechen, es gibt teils erhebliche Qualitätsunterschiede. Einzelne Weingüter haben underperformt und daher ist blind kaufen ein Risiko.

Auf der rechten Seite seh ich ähnliche Heterogenität. Fast jedes Sample hatte hier sehr präsenten Alkohol, das hat mich gestört und ohne die Alkoholgradienten zu wissen, würd ich hier eher nicht kaufen.

Lagrange hat zumindest in diesem Sample eine sehr schwache Performance gezeigt, gleich daneben St. Pierre, der klassisch, harmonisch, mit weit besserer Tanninqualität vollends zu überzeugen wusste. Von der linken Seite und gleichem Gebiet würd ich Gloria noch positiv hervorheben, der knapp an St. Pierre herankam, wenn auch insg. weniger Körper und Länge.

Die Einsteiger wie Citran, La Garde waren rustikal im Tannin und können sich vielleicht irgendwann zu netten Zechweinen entwickeln, mehr seh ich nicht. Sociando war abweisend, als sociandoaffiner Weintrinker ein völlig uninspirierendes Sample.

Haut Marbuzet zeigte eine starke Ladung von feinem Tannin und insg. stimmig in seiner harmonischen Fruchtausprägung, ist gut gelungen und wird in 5-10 Jahren sehr schön sein.

Lynch Moussas sehr schüchtern und nach viel Luft durchaus mit Charakter, aber letztlich wenig einprägsam.

Giscours ist füllig, aber noch wenig harmonisch, wird wohl gut werden, aber schwer zu beurteilen. D`Issan ebenfalls ähnliche Substanz, insg. das rundere Sample, hohe Tanninqualität und gute Länge, wird gut reifen und sehe ich auf Augenhöhe mit Giscours. Du Tertre zeigte sich sehr vegetal, schlanker als die beiden Letztgenannten, besserer Trinkfluss, weniger stoffig, präsente Bitternote, wie der 15er wiederum klar unter Giscours, Issan.

Fieuzal war sehr trinkig, ausgewogene Frucht, stimmig insg. gut, ohne Anspruch auf Größe. Smith Haut Laffite zeigte sich expressiv, nobel, viel feines Tannin und komplex in der Nase, sehr gut gelungen. Der Höhepunkt war H.Bailley, von der Nase bis zum Abgang groß, ein Mozart, fein, klassisch, von nichts zu viel oder zu wenig, viel besser kann ichs mir nicht vorstellen.


Domaine de LÉglise alkohollastig, sandiges Tannin, wenig einladend.

Laroque elegant, frisch, fruchtexpressiv auch Alkohol sehr gut eingebunden, das kann was. Frucht ist hier etwas vordergründig, aber ansonsten ein wirklich schöner Wein. La Gaffaliere, durchaus gut ohne Anspruch auf Größe, Alkohol zu präsent, muss man nicht kaufen. Canon La Gaffaliere elegant, feines Tannin, feine Fruchtausprägung, aber wiederum mit daneben stehendem Alkohol, eher enttäuschend, da nicht stimmig im Gesamten. Top dann Clos Fourtet, kein störender Alkohol, da einfach jede Menge Substanz, eine Ladung voll feinem Tannin, komplexes Bukett nach Zitrusfrüchten (Blutorange), Flieder, vegetal-schotig (Erbsen, weiße Bohnen), extrem distinktiv, ein großer Wein, rund, lang, komplex, in 10-20 Jahren ein Bomber.

Fazit: Kaufen würd ich Gloria, St. Pierre, Laroque und wenn das Geld keine Rolle spielt, dann HB und Clos Fourtet. Insg. kein Must-Have- Jahrgang, aber wenn der Preis stimmt, gezielt zuschlagen.

Gruß, Toska
Sehe ich sehr ähnlich! Haut-Bailly war top und auch der 2. Wein Haut-Bailly II und Ch. Le Pape!

Gruss,

Adrian
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vanvelsen
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Re: Bordeaux 2020

Beitrag von vanvelsen »

Winedom hat geschrieben:Hallo Adrian!
Auch von mir vielen Dank für deine ausführlichen Notizen!
Sehr hilfreich!
Sehr gerne! Heute Nachmittag verkoste ich nochmals rund 20 Weisse, dann bin ich abgesehen von Las Cases und Nenin wohl etwa durch.

Cheers,

Adrian
kristof
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Re: Bordeaux 2020

Beitrag von kristof »

Lieber Adrian,

auch von mir "Vielen Dank!" für die informativen und ausführlichen Notizen!
Viele Grüße,

Christoph
toska
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Re: Bordeaux 2020

Beitrag von toska »

Nachtrag:
Heute nochmals Sociando: recht herb, aber weit eleganter als bspw. Fieuzal, mittlerer Körper, durchaus ansprechende Länge, Tanninqualität u. Quantität würd ich am ehesten dem 08er zuordnen, der unlängst 2x sehr schön zu trinken war, in Summe etwas feiner als 08, klar kühler als 09 und deutlich weniger Körper als 10.

Branaire Ducru: eher dezent extrahiert, gute Tanninqualität, feinfruchtig, zuerst zurückhaltend, klassisch, der typische „Bordeaux-Trinkfluss“, ad hoc deutlich hinter St.Pierre und für mich auch leicht hinter Gloria. (schließt mit Luft allerdings immer mehr auf), dürfte etwas über dem Niveau des 06ers liegen, gefällt mir grundsätzlich ganz gut, wäre hier nicht dieser nachwärmende Effekt

Domaine de LEglise: viel mittelklassiges Tannin, Loch in der Mitte, alkoholisch
La Croix du Casse: kräftig, herb, durchaus elegant, feines Tannin, mit reichlich Alkohol

Corbin: kräutrig CF-expressiv, feinfruchtig, feines Tannin, trinkig, wärmend
Trottevieille: CF-expressiv, elegant, mittlerer Körper, noch unharmonisch mit danebenstehendem Alkohol
Peby Faugeres: Amarone aus St. Emillion, harmonisch, dicht, geballte Ladung an reifem hochklassigem Tannin, wirklich top gemacht, stilistisch sicher extrem, aber Qualität an allen Ecken und Enden

Fazit: Dass 20 weniger Alkohol haben soll als 19 überrascht mich, sogar der Branaire zeigte dahingehend nicht die erhoffte Harmonie. Rechtsseitig zeigt sich abgesehen von den 1er GCC >100€ und Laroque ein konsequent wärmend-alkoholischer Abgang. DIE Entdeckung und Must-Buy für mich: St. Pierre (ein prototypischer Bordeaux, hochklassig, im leistbaren Bereich).

Gruß, Toska
stollinger
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Re: Bordeaux 2020

Beitrag von stollinger »

Danke Toska, liest sich erfrischend plausibel.
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small talk
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Re: Bordeaux 2020

Beitrag von small talk »

Yves Beck ist gerade hier und probiert 2020.
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Abends bei verschiedenen Weinen (...) haben wir sehr gute Gespräche. Er meint, dass trotz der analytisch gemessenen niedrigen Säuregehalte, in den Proben der verschiedenen 2020er die Säuren durchaus sehr präsent und ausdrucksstark sind. Alles andere als langweilig.
Beste Grüße aus Médoc
Stefan
Die Wahrheit liebt es, sich zu verstecken. (Heraklit - Interpretation)
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demidblanc
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Re: Bordeaux 2020

Beitrag von demidblanc »

Nach etwa 1200 bewerteten Fassmustern, meine ich eine gewisse Übersicht zu haben. Giscours, Fieuzal und Lagrange fand ich top, vor allem Giscours, der ein bemerkenswertes Niveau erreicht hat und zu den ganz grossen Giscours gehört, ebenso wie Fieuzal, der allerbeste rote Fieuzal den ich je hatte. Alle Weine sind bei yvesbeck.wine in der Datenbank auffindbar u du das digitale Magazin erscheint am 22. Mai 2021.

Ich bin doch der Meinung,dass man über ein grosses Jahr sprechen kann, denn es gibt überall grosse Weine (zumindest was die Roten angeht). St-Estèphe und Pomerol sind deutlich vorne.
Viele Grüsse aus dem Médoc
Yves Beck
diogenes
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Re: Bordeaux 2020

Beitrag von diogenes »

vanvelsen hat geschrieben:So, liebe Weinfreunde und Weinfreundinnen. Gut 300 Weine aus dem aktuellen Primeur Jahrgang 2020 in Bordeaux sind verkostet. Der "Zwischenstand" online. Rund 20 Rotweine sollten noch eintreffen, und die Notizen zu einigen Weissweinen sowie Süssweinen folgen in den nächsten Tagen... https://vvwine.ch/2021/05/bordeaux-primeurs-2020/

Da ich den ganzen Blog im „Nebenamt“ mache und kein Lektorat habe, entschuldige man mir bitte die Tippfehler, von denen es sicherlich so einige hat. Melden darf man mir diese aber dennoch, denn angepasst sind die Tipser schnell. Danke für eure Argusaugen!

Herzlich,

Adrian
Hallo Adrian, danke fuer die tollen Verkostungsnotizen, und fuer das Interview mit Guillaume Pouthier. Interessant, dass sich durch Erhoehung des Zuckeranteils in der Hefe, der Alkoholgrad nach unten regulieren laesst. Super professionell erstelltes Video. LCHBfreundliche Gruesse.
carpe vinum!
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maha
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Re: Bordeaux 2020

Beitrag von maha »

demidblanc hat geschrieben:Nach etwa 1200 bewerteten Fassmustern, meine ich eine gewisse Übersicht zu haben. Giscours, Fieuzal und Lagrange fand ich top, vor allem Giscours, der ein bemerkenswertes Niveau erreicht hat und zu den ganz grossen Giscours gehört, ebenso wie Fieuzal, der allerbeste rote Fieuzal den ich je hatte. Alle Weine sind bei yvesbeck.wine in der Datenbank auffindbar u du das digitale Magazin erscheint am 22. Mai 2021.

Ich bin doch der Meinung,dass man über ein grosses Jahr sprechen kann, denn es gibt überall grosse Weine (zumindest was die Roten angeht). St-Estèphe und Pomerol sind deutlich vorne.
Viele Grüsse aus dem Médoc
Yves Beck
Grüezi Yves,

Schön von Dir auch jetzt hier im Forum zu lesen. Ich verfolge Deine Notizen schon länger auf FB und würde mich freuen auch hier von Dir zu lesen.

Grüße ins Medoc (und später in die Schweiz)

Gruss
Marko
Der schönste Sport ist der Weintransport!
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demidblanc
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Re: Bordeaux 2020

Beitrag von demidblanc »

Hallo Toska,

ungern antworte ich mit Gegenfragen, und daher lieber mit einigen Fakten:
- die erwähnten Fassmuster habe ich mindestens 3 mal verkostet
- Alle Fassmuster wurden vorort im Weingut verkostet

natürlich sind die Fassmuster die Frankreich verlassen stark inertiert, bzw. wird soviel Sauerstoff wie möglich entzogen. Da spielt die Menge SO2 keine grosse Rolle, aber es ist ein Märchen, zu behaupten, dass die Fassmuster (von Weinen die im Ausbau sind...!!!!!) die um die ganze Welt reisen, genau die gleichen sind wie am Weingut.

Wenn man nun an Giscours und Fieuzal vorbeigeht, ist dies kein wirkliches Problem ; es wird sich schon noch zeigen wie genial deren 2020er sind und wie akribisch sie erzeugt und ausgebaut werden. Ich möchte einfach noch einmal erinnern, dass ich die Fassmuster hier in Bordeaux vorort probiere, und das ist nun mal eine ganze andere Geschichte. Und wenn das nicht so wäre, kann man sich das ganze Theater in Zukunft ersparen ;-)

Und ja Toska, Fassmuster sind eben nur Fassmuster. Es gibt massive Differenzen von einem Echantillon zum anderen und es ist unsere Aufgabe als Weinkritiker diese Angelegenheit professionell und akribisch anzugehen; das kann man nur in Bordeaux machen und auch wenn es vielen nicht gefällt, ist es ein Fakt. Wenn JR bei Primeurs in irgendeine Weise relevant wäre, wüsste man das längst. Und wenn man nach 30 Muster bereits die Qualität eines Jahrgangs einstufen kann, dann ist man sackstark, da kann ich nur meinen Hut ziehen.

Santé et bonne nuit
Yves
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