out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekrise

Medoc und seine Appellationen, Bourg und Umgebung, Fronsac, Pomerol, Saint Emilion und Umgebung, Entre Deux Mers, Graves und Pessac-Leognan, Sauternes und Co.
glycosid
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Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

Beitrag von glycosid »

octopussy hat geschrieben:Das setzt erst einmal für ein paar Jahre einen Negativzyklus in Gang, der nun wieder umgedreht werden muss.
Um Gottes WIllen! Kein wirklicher Bordeaux-Liebhaber (mit "wirklich" ist dabei gemeint, dass er die Weine des Genusses wegen erwirbt...) kann sich das Umdrehen jenes "Negativzyklus" doch ernsthaft wünschen! Soll das Zeug denn etwa noch teurer werden als es jetzt, im angeblichen Negativzyklus, ohnehin schon ist?

Und wenn man sieht, wieviele engagierte Beiträge zum Thema "Bordeaux - megaout?" hier innerhalb weniger Tage auflaufen und dass der Grundtenor der meisten davon das ärgerliche Gegrummel wegen zu hoher Preise der sehr wenigen abgehobenen Prestige-Abüllungen ist, dann muss man ja doch wohl zu dem Schluss kommen, dass es sich bei dem besagten "Megout" von Bordeaux weder um eine Gefahr oder gar eine Tatsache, sondern vielmehr bloß um einen sehnlichst erhofften Wunschtraum vieler Bordeaux-Fans handelt... :mrgreen:
Kle
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Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

Beitrag von Kle »

Zurzeit stellt sich mir Bordeaux doppelt kurios dar. Ich glaube, was ich in Wahrheit an der Region mag – und was auch in niedrigpreisigen Vertretern enthalten sein kann – ist ausgerechnet das Terroir. Die Kiesböden, Huckelhöhen, die Lage zwischen Wald, Fluss und Meer und die Atlantikwinde scheinen ein einmaliges Aroma hervorzubringen. Zuerst habe ich über diese natürlichen Gegebenheiten des Weinbaus nur gelesen. Als ich sie dann erlebte, wurde mein Gefühl bestätigt, dass die Winzer nur bessere oder schlechtere Ausführende dieser Bedingungen sind. Insofern hätte ich einen Haltepunkt innerhalb der Moden gefunden, bis klimatische Veränderungen vielleicht alles umwälzen.
Die zweite Kuriosität aber, die mit der ersten nicht leicht in Zusammenhang zu bringen ist: Niedrigpreisige Bordeauxweine schmecken oberflächlich besser als früher und lassen gerade deshalb an der Tugend der Region zweifeln. Bereits bei Vertretern um oder unter zehn Euro verströmt das Glas dichte Beerenaromen, wo früher ein wässerig-säuerliches Gebräu zu erwarten war. Heute erlebt beim Le Tour Granins Grand Poujeaux 2006, vor ein paar Tagen ahnungslos im Ladengeschäft für knapp 15 Euro erstanden. Erschreckend ist, wie hier mit dunkler Farbe und ab dem ersten Schluck inszeniert wird, was Freunde des Bordeaux erwarten.
Vielleicht tue ich dem Wein unrecht, da ich erst wenig davon getrunken habe. Zurzeit freut mich am meisten, dass der Wein recht dünn ist und mir damit widerspricht. Ziemlich dünn sogar.

Gruß, Kle
Bernd Schulz
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Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

Beitrag von Bernd Schulz »

Das Problem der etablierten Qualitaet (aka Bordeaux):

http://www.zeit.de/zeit-magazin/2014/39 ... -geschmack

Ich glaube, das isses zu einem Gutteil.
Mit dem verlinkten Artikel aus dem Zeit-Magazin kann ich nichts anfangen, da ich in meinem Gesichtsfeld niemanden finde, der sich auch nur ansatzweise wie ein "Besserbürger" geriert. Es handelt sich für mich um ziemlich typisches Journalistengeschreibsel, das durch meine Erfahrung widerlegt wird. Oder kenne ich einfach nur die falschen (bzw. die richtigen :mrgreen: ) Leute? --
Bereits bei Vertretern um oder unter zehn Euro verströmt das Glas dichte Beerenaromen, wo früher ein wässerig-säuerliches Gebräu zu erwarten war. Heute erlebt beim Le Tour Granins Grand Poujeaux 2006, vor ein paar Tagen ahnungslos im Ladengeschäft für knapp 15 Euro erstanden. Erschreckend ist, wie hier mit dunkler Farbe und ab dem ersten Schluck inszeniert wird, was Freunde des Bordeaux erwarten.
Vielleicht tue ich dem Wein unrecht, da ich erst wenig davon getrunken habe. Zurzeit freut mich am meisten, dass der Wein recht dünn ist und mir damit widerspricht. Ziemlich dünn sogar.
Kle, ich schätze deine Fähigkeit, mit paradoxen Formulierungen zum Nachdenken anzuregen, sehr - aber dort, wo bei dir eine Mischung aus Schrecken und Freude entsteht, bleibt bei mir nur noch der Schrecken übrig. Du beschreibst einen für für heutige BDX-Verhältnisse nicht untypischen Wein, der zunächst einmal gestylt wirkt und sich dann bei näherer Betrachtung doch als "dünn" erweist. Letztere "Dünne" mit "Terroir" in Verbindung zu bringen, gelingt mir bei diesem Typus auch mit viel gutem Willen nicht, da die beerig-vanillige Einheitskosmetik schon am Anfang keinen richtigen Gedanken an Authentizität aufkommen lässt. Genau solche Rotweine möchte ich eigentlich gar nicht im Glas finden (und erst recht nicht zu einem Preis von immerhin 15 Euro).

Herzliche Grüße

Bernd
Kle
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Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

Beitrag von Kle »

Hallo Bernd,

tut mir leid, wenn ich es nicht deutlicher ausdrücken konnte: Ich schrieb von zwei Kuriositäten, die erst einmal wenig miteinander zu tun hätten.
1. Letztlich mag ich im Anti-Terroir-Land Bordeaux vor allem eine Art Terroir.
2. Erschrickt mich eine vermeintliche Verbesserung der kleinen Qualitäten und die Tatsache, dass sie auf den ersten Schluck eher trinkbar erscheinen als früher, ähnlich wie die Entdeckung prallfruchtiger deutscher Spätburgunder vor zehn Jahren.
Dass der Wein dünn schmeckte – nicht konzentrierter zu sein vorgab, als er war – war ein kleiner Hoffungsschimmer für seine Glaubwürdigkeit.
Und wunderbarerweise wurde das Kuriositätenkabinett später dadurch aufgelöst, dass er noch eine zarte, salzig-mineralische Schönheit entwickelt hat. Da war sie wieder, die südliche Weinregion in Meeresbrise.

Gruß, Kle
la-vita
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Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

Beitrag von la-vita »

In den letzten Jahren haben die Bordelaiser in der alten Welt so viele Kunden verloren, sind von so vielen Restaurantkarten geflogen und von so vielen Händlern ausgelistet worden.
Ich frage mich warum der Diskurs über die gestiegenen Preise und den damit verbundenen Verlust vieler Kunden in der alten Welt an der Oberfläche verweilt und nicht zum Kern vordringt. Woran liegt es denn, dass sich viele der hier Schreibenden den geliebten Palmer, Calon Segur etc. nicht mehr leisten können? Arbeiten wir weniger? Nein. Eher länger. Vielleicht haben manche ihre Arbeit auch verloren. Meiner Meinung kann man am Thema Bordeaux schön die katastrophalen Auswirkungen von mitterweile 20 Jahren neoliberaler Politik in der alten Welt beobachten. Gestiegene Staatsverschuldungen, damit einhergehende Steuererhöhungen für die Allgemeinheit, Senkung der Spitzensteuersätze für die Reichen, Steuerschlupflöcher für Firmen, negative Reallohnentwicklung für die Mittelschicht, Explosion der Guthaben der Wohlhabenden, zunehmende Ausradierung der Mittelschicht. Nur mal um ein paar Schlagwörter zu nennen.
Beobachten lässt sich dieser Prozess am immensen Wachstum der Branchen für Luxusgüter. Die Reichen wissen einfach nicht mehr wohin mit ihrem Geld.
Also, alle die, die in den letzten Jahren brav ihr Kreuzchen bei den etablierten Parteien gemacht haben, dürfen sich nun nicht über die Auswirkungen wundern.
Mann sollte sich nur mal vor Augen halten, dass ausgerechnet die Manager der Banken, welche mit unseren Steuergeldern gerettet wurden, sich weiterhin ihre Bordeauxkistchen in den Keller legen können.

Im Prinzip kann man bei der Entwicklung der Bordeauxpreise schön den Effekt der Refeudalisierung beobachten. Der Kleinsparer hat gefälligst das ihm zustehende zu konsumieren: nämlich bestenfalls die bürgerlichen Gewächse. Die klassifizierten Gewächse sollen weiterhin dem Geldadel zustehen. Sämtliche durch Revolutionen gewonnenen Freiheiten der demokratischen Gesellschaften werden durch den Neoliberalismus klammheimlich wieder zurückgeführt.

Wer Interesse hat das Thema ein wenig zu vertiefen, dem liefern die folgenden Links noch ein paar Denkanstöße:

http://www.deutschlandfunk.de/wirtschaf ... _id=293979

der grandiose Volker Pispers: https://www.youtube.com/watch?v=OpFNlNK8j20

Beste Grüße
Detlef
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octopussy
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Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

Beitrag von octopussy »

Endlich mal ein bisschen zünftiger Klassenkampf :?.

Detlef, solch Populismus ist eigentlich gar nicht einlassungsfähig. Nur eins: alte Besitzstände (aka bezahlbare klassifizierte Bordeaux-Gewächse) hätten sich nur durch restriktiven Protektionismus halten lassen. Das heißt, das Rad der Geschichte ungefähr 50 Jahre zurückdrehen, den Euro wieder abschaffen, ebenso wie alle Freihandelszonen, Zollerleichterungen, etc. Sich in der guten alten BRD in einer Sechser-Europäischen-Gemeinschaft gegenüber allem abschotten und genügend Handelsbarrieren aufbauen, damit bloß niemand aus dem Ausland den armen Deutschen ihren Bordeaux wegkaufen kann. Ob du dir in dem fiktiven Szenario bei einer nicht stehen bleibenden Entwicklung im Rest der Welt heute überhaupt Wein leisten könntest, wage ich mal zu bezweifeln.
Beste Grüße, Stephan
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innauen
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Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

Beitrag von innauen »

Gerne vergessen. BDX war in den 80ern auch deshalb erschwinglich, weil die französische Währung ggü der DM stark an Wert verlor. Anfang der 80er sank der Kurs um 27%.
„Es war viel mehr.“

Johnny Depp dementiert, 30.000 Dollar im Monat für Alkohol ausgegeben zu haben. (Quelle: „B.Z.“)
Ollie
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Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

Beitrag von Ollie »

Also, um es mit dem verlinkten Pispers zu sagen: Wenn spaeter einer fragt, was ich in diesem Schweinesystem gemacht habe, kann ich ihm die leeren Bordeaux-Kisten zeigen und sagen: "Ich war im Widerstand - ich hab' den Bonzenschweinen den Wein weggekauft!"

Aufopferungsvoll:
Ollie
Yeah, well, you know, that’s just like, uh, your opinion, man.

Parfois, quand c'est trop minéral, on s'emmerde.

"Souvent, l'élégance, c'est le refuge des faibles." (Florence Cathiard)
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harti
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Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

Beitrag von harti »

Hallo Detlef,

dass wie uns hochklassige Bordeaux nicht mehr leisten können, hat mit der Einkommensentwicklung hierzulande herzlich wenig zu tun. Im Zeitraum von 1991-2007 sind die durchschnittlichen verfügbaren Nettoeinkommen je Kopf um 52 %, entsprechend rund 2,7 % pro Jahr gestiegen. Im Zeitraum 1991 bis 2010 sind die Subskriptionspreise für eine Flasche Latour hingegen von 55 € (1990er) auf 900 € (2009er) angewachsen, entsprechend 15,7 % pro Jahr. Gar nicht auszudenken, wenn sich unsere Nettoeinkommen mit ebensolchem Tempo entwickelt hätten, dann würde eine Flasche Latour jetzt vielleicht 100.000 € kosten :twisted: .

Grüße

Hartmut
Zuletzt geändert von harti am Fr 19. Sep 2014, 15:50, insgesamt 1-mal geändert.
Kle
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Re: out, megaout, Bordeaux. Ein Weinbaugebiet in der Imagekr

Beitrag von Kle »

… aber bitte nicht vergessen, dass die raffenden Chateauxbesizter in Wirklichkeit soziale Wohltäter sind und die wahre Reichensteuer eingeführt haben:
„…auch russische Millionäre und texanische Öltycoons sind scharf auf unseren Wein. Viele wollen ein und dieselbe Kiste ergattern. Es ist eine Schande. Aber ich nehme das Geld gern, denn damit kann ich Spitzenweinberge kaufen und über der Hälfte meiner Beschäftigten mehr als das Doppelte der Mindestlöhne für eine 35-Stunden-Woche zahlen. Wir haben als eines der ersten Unternehmen in Frankreich die 35-Stunden-Woche eingeführt. Und ich fliege auch lieber Business als Economy. So ist das Leben. Niemand wird zum Kauf gezwungen. Ist der Wein zu teuer, bleibt die Kundschaft aus. Das passiert in Bordeaux alles zehn Jahre einmal – und trotzdem geht das Leben weiter.“
Jean-Luc Thunevin/Ch. Valandraud laut Andrew Jefford
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