Interessant: Spontanvergärung

Von der Weinbergspflege bis zur Kellertechnik
Benutzeravatar
UlliB
Beiträge: 4959
Registriert: Mo 6. Dez 2010, 18:27

Re: Interessant: Spontanvergärung

Beitrag von UlliB »

Bernd Schulz hat geschrieben:Vollenweider wäre ein weiterer Name, der mir einfiele. Oder Mosbacher. Allerdings findet man, wenn ich nicht falsch informiert bin, bei diesen beiden Betrieben inzwischen auch einzelne Spontis.....
Bei Mosbacher gibt es gelegentlich restsüße Rieslinge, die mit Spontangärung hergestellt wurden und das auch deutlich merken lassen. Ob dort im trockenen Bereich ebenfalls hin und wieder mit Sponti gearbeitet wird, weiß ich nicht.

Ein extrem interessanter Fall von "sowohl als auch" ist Emrich-Schönleber. Hier habe ich mich in manchen Jahren schon gefragt, ob das von vielen Weinfreunden immer wieder attestierte "schwierige, aber auch tiefgründige und komplexe" Erscheinungsbild des Halenbergs im Vergleich zum "fröhlich-fruchtigeren" Frühlingsplätzchen nicht darauf beruht, dass der eine (vorwiegend) spontanvergoren ist, während der andere (vorwiegend) mit RZH verarbeitet wird... nur so eine Idee... ;)
da wäre es dann die Frage, warum solche erfolgreichen Winzer überhaupt mit Spontanvergärung experimentieren, wenn die Hefefrage stilistisch eigentlich kaum eine Rolle spielt ?
Gegenfrage: wenn die Hefe für die Stilistik keine Rolle spielt, warum werden denn Aberdutzende von verschiedenen RZH angeboten? Wenn die alle mehr oder minder das gleiche Ergebnis bringen würden, kauft man als ratronal handelnder Winzer doch einfach die billigste, oder?

Gruß
Ulli
Benutzeravatar
Gerald
Administrator
Beiträge: 7714
Registriert: Do 24. Jun 2010, 08:45
Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken
Wohnort: Wien

Re: Interessant: Spontanvergärung

Beitrag von Gerald »

Hallo Ulli,
Gegenfrage: wenn die Hefe für die Stilistik keine Rolle spielt, warum werden denn Aberdutzende von verschiedenen RZH angeboten? Wenn die alle mehr oder minder das gleiche Ergebnis bringen würden, kauft man als ratronal handelnder Winzer doch einfach die billigste, oder?
im Prinzip sicher richtig, allerdings geht es bei der Hefeauswahl ja auch zumindest zum Teil um Faktoren, die nicht direkt mit der angestrebten Stilistik zu tun haben. Zum Beispiel wenn man eine Hefe möchte, die bei schwierigen Bedingungen (z.B. hohes Mostgewicht, starke Schwefelung o.ä.) noch zuverlässig gärt.

Apropos Aromahefen - das Thema wurde ein paar Seiten weiter vorne erwähnt: das sind ja auch keine "Frankenstein"-Mikroben ;), sondern nur speziell selektierte Stämme, die in Richtung Produktion bzw. Freisetzung von Aromen aktiver als der Durchschnitt sind. Beim genannten Vergleich mit dem "Teebeutel" würde ich da viel eher an die Verwendung neuer Barriques denken (die bringen tatsächlich fremde Aromen ein).

Grüße,
Gerald
Benutzeravatar
UlliB
Beiträge: 4959
Registriert: Mo 6. Dez 2010, 18:27

Re: Interessant: Spontanvergärung

Beitrag von UlliB »

Gerald hat geschrieben: Apropos Aromahefen - das Thema wurde ein paar Seiten weiter vorne erwähnt: das sind ja auch keine "Frankenstein"-Mikroben ;), sondern nur speziell selektierte Stämme, die in Richtung Produktion bzw. Freisetzung von Aromen aktiver als der Durchschnitt sind.
Hallo Gerald,

das ist natürlich richtig. Eine Abgrenzung zwischen Aromahefen einerseits und Reinzuchthefen andererseits existiert nicht; das eine ist lediglich eine Untergruppe des anderen, und die Entscheidung, was noch eine "neutrale" RZH und was schon eine Aromahefe ist, ist rein willkürlich. Insofern ist die weiter oben in einem Posting geäußerte Meinung "Aromahefe, igitt" einerseits und das gleichzeitige Akzeptieren von RZH ein wenig schizophren. Ich bin darauf nicht näher eingegangen, weil der "Teebeutelvergleich" auch bei mir den Verdacht erweckt hat, dass hier ein paar Dinge gründlich verwechselt wurden.

Natürlich hast Du auch damit Recht, dass die Auswahl einer RZH auch unter anderen Gesichtspunkten als unter der beabsichtigten Weinstilistik erfolgt. Das ändert aber nichts daran, dass die Hefe bei der Aromabildung eine ganz entscheidende Rolle spielt, und man mit der Hefewahl auch die Weinstilistik beeinflusst.

Gruß
Ulli
Zuletzt geändert von UlliB am Mi 17. Aug 2011, 08:41, insgesamt 1-mal geändert.
Benutzeravatar
octopussy
Beiträge: 4405
Registriert: Do 23. Dez 2010, 10:23
Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken
Wohnort: Hamburg

Re: Interessant: Spontanvergärung

Beitrag von octopussy »

Gerald hat geschrieben: Apropos Aromahefen - das Thema wurde ein paar Seiten weiter vorne erwähnt: das sind ja auch keine "Frankenstein"-Mikroben ;), sondern nur speziell selektierte Stämme, die in Richtung Produktion bzw. Freisetzung von Aromen aktiver als der Durchschnitt sind. Beim genannten Vergleich mit dem "Teebeutel" würde ich da viel eher an die Verwendung neuer Barriques denken (die bringen tatsächlich fremde Aromen ein).
Ich finde trotzdem, dass bei manchen Weinen durch den Einsatz bestimmter Hefen (vielleicht aber auch durch die Enzyme, ich weiß es nicht) völlig künstliche Aromen entstehen, die man gar nicht mehr mit dem Ausgangsprodukt (der Traube) in Verbindung bringen kann. Das fällt mir ganz stark bei einigen italienischen Weißweinen auf. Die schmecken dann manchmal nach Campino Bonbon in verschiedenen Geschmacksrichtungen. Zwar haben auch manche Trauben ein leichtes Gummibärchen-Aroma (z.B. die Regent-Trauben aus dem Garten meiner Eltern, die ich manchmal zu essen bekomme), das kommt mir aber im Geschmack doch deutlich natürlicher vor als das Bonbon/Gummibärchen-Aroma, das man manchmal in Weinen antrifft.

Woran liegt es eigentlich, dass die Spontangäraromen bei bestimmten Traubensorten stärker erkennbar sind als bei anderen? Neben Riesling fällt mir noch Chenin Blanc ein, bei dem man m.E. die Spontangärung erkennen kann. Bei Pinot Noir sehe ich jedenfalls das Potenzial der erkennbaren Unterscheidung, ich persönlich könnte wahrscheinlich die Unterscheidung nicht verlässlich treffen. Bei Weiß- und Grauburgunder zum Beispiel ist mir nie wirklich aufgefallen, ob der Wein nun spontan vergoren wurde oder mit Reinzuchthefe. Kann mir jemand Erzeuger nennen, die Weiß- und/oder Grauburgunder im Angebot haben, bei denen die Spontanvergärung erkennbar wird (Deutschland oder Elsass)? Jürgen Leiner fällt mir da ein, aber eine Spontinase konnte ich da nicht so richtig erkennen. Auch bei Koehler-Ruprecht, dessen Rieslinge ja schon oft recht heftig "stinken", riecht der Weißburgunder finde ich erheblich moderater. Auch bei Holger Koch oder Siener fällt mir beim Weißburgunder oder im Falle Kochs beim Grauburgunder keine erkennbare Spontinote auf.
Beste Grüße, Stephan
Benutzeravatar
Gerald
Administrator
Beiträge: 7714
Registriert: Do 24. Jun 2010, 08:45
Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken
Wohnort: Wien

Re: Interessant: Spontanvergärung

Beitrag von Gerald »

Hallo Stephan,
Ich finde trotzdem, dass bei manchen Weinen durch den Einsatz bestimmter Hefen (vielleicht aber auch durch die Enzyme, ich weiß es nicht) völlig künstliche Aromen entstehen, die man gar nicht mehr mit dem Ausgangsprodukt (der Traube) in Verbindung bringen kann.
meines Wissens gehören die Aromen im Wein (zumindest die Primäraromen) überwiegend zu zwei Klassen: Terpene und Ester.

Die Terpene sind bereits in der Traube enthalten, meist aber an Zuckerreste (glykosidisch) gebunden und werden erst durch hefeeigene Enzyme während der Gärung in ihre geruchsaktive Form gespalten. Manche Hefestämme ("aromafreisetzend") können das besser als andere. Die Zusammensetzung der Terpene dürfte direkt mit der Rebsorte zusammenhängen, besonders die Bukettsorten wie Traminer oder Muskateller haben ganz typische Muster.

Ester werden hingegen aus "neutralen" Stoffen durch den Stoffwechsel der Hefe gebildet und dürften daher weniger von der Rebsorte, sondern mehr vom Hefestamm und vor allem von den Gärungsbedingungen abhängen. Besonders bei "Kaltvergärung" sollen die genannten Bonbonaromen (die meines Wissens hauptsächlich von Estern kommen) in größerem Maß als sonst entstehen. Ester sind allerdings nicht dauerhaft stabil, sie können sich in kurzer Zeit verändern, abbauen oder auch ganz neu bilden.

Grüße,
Gerald

P.S. Die "typischen" bzw. "reinen" Fruchtaromen sind meist auf Terpene zurückzuführen, während Ester zumindest in höherer Konzentration leicht künstlich oder sogar nach Lösungsmittel riechen. Klassische Beispiele sind Ethylacetat (Uhu) oder Butylacetat (Lack).
Benutzeravatar
UlliB
Beiträge: 4959
Registriert: Mo 6. Dez 2010, 18:27

Re: Interessant: Spontanvergärung

Beitrag von UlliB »

octopussy hat geschrieben:Kann mir jemand Erzeuger nennen, die Weiß- und/oder Grauburgunder im Angebot haben, bei denen die Spontanvergärung erkennbar wird (Deutschland oder Elsass)? Jürgen Leiner fällt mir da ein, aber eine Spontinase konnte ich da nicht so richtig erkennen. Auch bei Koehler-Ruprecht, dessen Rieslinge ja schon oft recht heftig "stinken", riecht der Weißburgunder finde ich erheblich moderater. Auch bei Holger Koch oder Siener fällt mir beim Weißburgunder oder im Falle Kochs beim Grauburgunder keine erkennbare Spontinote auf.
Da wäre mir auch Holger Koch eingefallen. Hier sind die Sponti-Noten durchaus zu erkennen, wenn man die Weine im direkten Vergleich mit den reinzüchtigen Nachbarn verkostet. Die Spontitöne sind allerdings wesentlich "leiser" als bei den meisten Rieslingen, das stimmt.

Bei Rotweinen habe ich, wie weiter oben schon gesagt, noch nie Sponti-Noten erkennen können. An welche Pinot noirs hast Du denn konkret gedacht?

Gruß
Ulli
Benutzeravatar
octopussy
Beiträge: 4405
Registriert: Do 23. Dez 2010, 10:23
Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken
Wohnort: Hamburg

Re: Interessant: Spontanvergärung

Beitrag von octopussy »

UlliB hat geschrieben: Bei Rotweinen habe ich, wie weiter oben schon gesagt, noch nie Sponti-Noten erkennen können. An welche Pinot noirs hast Du denn konkret gedacht?
Da müsste man wahrscheinlich mal direkte Vergleiche machen, am besten blind. Man könnte zum Beispiel auf die Idee kommen, dass eher stallige und erdige Noten deutlicher bei spontan vergorenen Pinot Noirs hervortreten als bei mit Reinzuchthefen vergorenen. Ob das tatsächlich so ist, habe ich aber für mich noch nicht feststellen können. Ich mache mir mal Gedanken über geeignete Vergleichspartner. Die Vergleichsweine müssten von ähnlichen Böden stammen, möglichst aus dem gleichen Jahrgang und aus dem gleichen Klima sowie jeweils von Produzenten mit vergleichbarem Qualitätsniveau. Vielleicht funktioniert aus Deutschland Holger Koch vs. Franz Keller oder Duijn vs. WG Affental?
Beste Grüße, Stephan
Bernd Schulz
Beiträge: 7157
Registriert: Sa 11. Dez 2010, 23:55
Kontaktdaten:

Re: Interessant: Spontanvergärung

Beitrag von Bernd Schulz »

Terpene hin, Ester her - empirisch erfahrbare Tatsache bleibt, dass Aromahefen häufig laute, aufgesetzt wirkende, die übrigen Feinheiten verwischende und zudem noch kurzlebige Fruchtnoten erzeugen. Ein H.G. Schwarz hat deshalb eben nicht mit einer Simi White gearbeitet. Und insofern finde ich es gar nicht schizophren, wenn man Reinzuchthefen differenziert betrachtet und hinsichtlich des manipulativen Charakters der jeweiligen Züchtung irgendwo (wo genau, wäre dann natürlich die Frage) eine Grenze zieht.

Die richtig guten Reinzuchthefenwinzer verwenden jedenfalls eher *neutrale* Hefen.

Beste Grüße

Bernd
Benutzeravatar
T's Weinblog
Beiträge: 155
Registriert: Sa 16. Jul 2011, 17:48
Wohnort: Kanzem

Re: Interessant: Spontanvergärung

Beitrag von T's Weinblog »

Ich bin genau deiner Meinung!
(Dieser Thread begeistert mich so, dass ich mich sogar gerade von der Arbeit melde. Natürlich alles ganz legal mit Erlaubnis...)

Gruß
Thorsten
Benutzeravatar
Gerald
Administrator
Beiträge: 7714
Registriert: Do 24. Jun 2010, 08:45
Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken
Wohnort: Wien

Re: Interessant: Spontanvergärung

Beitrag von Gerald »

Hallo Bernd,
Terpene hin, Ester her - empirisch erfahrbare Tatsache bleibt, dass Aromahefen häufig laute, aufgesetzt wirkende, die übrigen Feinheiten verwischende und zudem noch kurzlebige Fruchtnoten erzeugen.
ich glaube, man muss da schon ganz klar zwischen aromafreisetzenden (die traubeneigene Aromastoffe nur stärker zur Geltung bringen) und aromabildenden Hefen unterscheiden, "Aromahefen" ist da definitiv zu pauschal. Außerdem kommt es abgesehen vom Hefestamm auch stark auf die Bedingungen (Temperatur, Vorklärung und was weiß ich noch) an.

Grüße,
Gerald
Antworten

Zurück zu „Tendenzen im Weinbau“