es gibt immer wieder Weinproben, die mich nahezu zwingen, etwas für die Nachwelt zu erhalten.
Wann hat man schon Gelegenheit Riojas aus sehr guten bis exzellenten Jahren aus dem Zeitfenster 1925 bis 1970 zu verkosten.
Nun, Weinfreund Norbert Lappas hat sich angeboten, für einen ausgesuchten Kreis von Weinliebhabern, diese Weinraritäten zu opfern.
Weinfreund Reinhard Fulde hat seine Räumlichkeiten für einen Personenkreis von 11 Personen zu Verfügung gestellt und uns zusätzlich noch hervorragend bekocht. Nicht zum ersten Mal.
Interessante Anmerkung: aus dem Kreis der üblichen Verdächtigen haben einige Weinfreunde angesichts des Themas „Rioja“ abgewinkt. Ein Fehler wie ich meine.
Ich gebe zu, ich war selber skeptisch. Meine Vorurteile angesichts der Vergangenheitserlebnisse mit Riojas traditioneller Bauart, die ich meist oxidativ, überaltert und völlig holzüberladen in Erinnerung hatte, wurden gut gepflegt. Anfang der 70er hatte ich mir aufgrund der Hornickel-Empfehlungen traditionelle Riojas zusammengekauft. Nach meinem damaligen Verständnis eine einzige Enttäuschung.
Damals galt „Bordeaux über alles“. Na ja, die Zeiten ändern sich. Jetzt genieße ich auch Burgund und Priorat. Was für ein Gegensatz.
Im Laufe der Jahre habe ich dann auch modern gemachte Riojas kennen gelernt, z.B. Remirez de Ganuza Reserva und Gran Reserva oder von der Bodegas Lan, den Lan Roble bzw. Seleccion Limitada.
Das kam mir dann schon mehr entgegen.
Vor einigen Monaten hat mir Weinfreund Rainer Kaltenecker, der übrigens auch an der hier besprochenen Probe teilgenommen hat, einen unglaublich guten 1925er Rioja Castillo Ygay Gran Reserva vorgesetzt. Ein Traum von Wein und letztlich Auslöser für diese Probe. Wenn dieser Wein nicht gewesen wäre, hätte es vermutlich noch eine Bordeaux oder Burgunder-Probe gegeben.
Aber wir wollen uns ja auch im Alter die Negier erhalten.
Nachfolgend für Interessierte meine Verkostungsnotiz über eine Rioja-Raritäten-Weinprobe am 27.9.2014 in Gütersloh. Ich habe mich bemüht, den Ist-Zustand zu bewerten und nicht die Ehrfurcht vor dem Alter. Ob das immer gelungen ist bleibt die Frage. Die Wein wurden offen serviert und nur kurz vor dem Ausschenken karraffiert.
1.
ohne Jahrgangsangabe (soll aus den 30ern stammen)
Rioja Gran Reserva Blanco
Paternina
Goldgelbe Farbe, in der Nase klare, saubere Frucht die mich etwas an Mirabelle erinnert, das soll ein Wein aus den 30er Jahren sein?, im Wein leichter bis mittlerer Körper, auch hier präsentiert sich eine erstaunlich frische Frucht, Mirabelle und Kräuternoten, leichte Röstnoten, trockenes, sauberes Geschmacksbild, präsente Säure, da der Wein nur einen ganz leichten Reifeansatz zeigt frage ich mich, was den Wein über die Jahre getragen haben soll, Tiefe oder Extrakt ist es jedenfalls nicht, es bleibt allein die Säure, passable Länge, der Wein hinterlässt mich sprachlos, 84 NK Punkte
2.
1946 Rioja Gran Reserva Especial Blanco
Castillo Ygay
Im Glas finde ich eine recht braune, an einen Oloroso-Sherry erinnernde Farbe, in der Nase reif, oxidativ, auch hier an Sherry erinnernd, bleibt über 6 Stunden stabil, im Wein von mittlerem Körper, eindeutiger Sherry-Eindruck im trockenen Bereich, extraktreich, belegt den Gaumen, viel Säure, schöne Länge, diesem Wei kaufe ich das Alter ab, 92 NK Punkte, es soll sich um eine bei Rioja-Spezialisten sehr gesuchte Rarität handeln
3.
1985 Rioja Reserva Blanco
Marques de Murrieta
Dieser Wein war ein Mitbringsel eines Weinfreundes aus der Schweiz und hatte also einen sehr langen Transport hinter sich, rötlich-braune Farbe, in der Nase deutlich gereift, an getrocknete Rosinen erinnernd bzw. an einen Fino-Sherry, im Wein leichter bis mittlerer Körper, feine Reife, prägnante Säure, auffallend leicht in der Struktur, vermutlich hat er Holz gesehen, gute Länge, was mich angesichts der Struktur des Weines etwas überrascht, 86 NK Punkte
4.
1959 Rioja Gran Reserva “Glorioso”
Bodegas Palacio
Ziegelrote Farbe mit braunem Rand, in der Nase feinreif mit deutlich animalischer Ausprägung, im Wein von mittlerem Körper, recht saubere, etwas säurebetonte Frucht, Waldpilze, Kräuter, Holz steht hier nicht im Vordergrund, der Wein hat nahezu burgundische Ansätze, wenig Tiefgang, ordentliche Länge, 89 NK Punkte
5.
1928 Rioja Gran Reserva
Paternina
Tiefrote Farbe mit nur leicht braunem Rand, in der Nase ausdrucksstarke, blitzsaubere Frucht von dunkelroten Beeren, Zimt, Gewürznelken, erstaunlich, im Wein von mittlerem Körper, feinreife, saubere Frucht mit lebendigem Säurekern, hat immer noch Saft, wirkt unglaublich frisch, schöne Länge, toller Wein, 93 NK Punkte
6.
1928 Rioja Vieja Reserva
Bodegas Bilbainas
Tiefe, rubinrote Farbe, in der Nase reife, etwas animalisch rüberkommende Frucht, im Wein von mittlerem Körper, recht saftige, an rohes Fleisch erinnernde Frucht, es kommen auch Kaffee-Noten durch, schöne Säure-Struktur, wirkt dadurch ungemein frisch, mir persönlich ist der Wein etwas zu animalisch, sonst hätte ich ihn noch höher gewertet, aber der Wein besticht durch seine fast jugendliche Saftigkeit, gute Länge, 93 NK Punkte
7.
1952 Rioja Reserva
Marques de Riscal
Ziegelrote Farbe mit braunem Rand, in der Nase reife, feinwürzige Frucht, verhalten süßlich wirkend, im Wein von mittlerem Körper, saftige, kräuterige Frucht mit prägnanter Säure, der Wein hat Biss, dezente Reifenoten, ordentliche Länge, 89 NK Punkte
8.
1925 Rioja Reserva
Marques de Riscal
60% Cabernet Sauvignon, 40% Tempranillo
Ziegelrote Farbe mit braunem Rand, in der Nase reife, leicht oxidative Frucht, mit ausreichend Luft wird das aber zunehmend besser, im Wein von mittlerem Körper, erstaunlich schmelzige, nahezu süßliche Frucht, Marzipan, Schokolade, Rumtopf, Säurespitzen hauchen dem Wein aber Leben ein, sehr ausdrucksstark, sehr langer Abgang, groß, 95 NK Punkte, ich kann mich noch erinnern, dass Marques de Riscal Weine aus jüngeren Jahrgängenvor ca. 40 Jahren für relativ kleines Geld bei Kaufhof oder Karstadt angeboten wurden, soweit ich mich erinnere war aber die Qualität der Weine aus den 60er-70er Jahren nicht mit den zuvor beschriebenen Qualitäten zu vergleichen, erneut erstaunlich
9.
1962 Rioja Reserva Especial « Vina Real »
CVNE
Ziegelrote Farbe mit braunem Rand, in der Nase unangenehm penetrant wirkende, animalische Frucht, Stall, im Wein von mittlerem Körper, straff-jugendliche Frucht mit Biss, hat Saft, rotbeerig, die kräftige Säure ist mir zu heftig, gute Länge, 85 NK Punkte
10.
1954 Rioja Reserva Especial « Vina Real »
CVNE
Ziegelrote Farbe mit braunem Rand, in der Nase reife, dezent animalische Frucht, kaum Ausdruck, im Wein von mittlerem Körper, oxidativ, leichter Essig-Stich, nicht zu bewerten
11.
1970 Rioja Gran Reserva “Vina Tondonia”
Lopez de Heredia
In der Farbe helles ziegelrot mit braunem Rand, unangenehm stallige, ins Gesicht springende Nase, löst bei mir eher einen Brechreiz aus, im Wein leichter Körper, säuredominante, dünne Frucht, etwas eindimensional, knapper Abgang, bei mir nur 83 NK Punkte, andere Teilnehmer, vermutlich alle auf dem Bauernhof aufgewachsen, werten den Wein deutlich höher
12.
1961 Rioja Gran Reserva “Vina Tondonia”
Lopez de Heredia
In der Farbe helles ziegelrot mit braunem Rand, in der Nase feinreife, beerige Frucht mit nur verhaltener Animalik, im Wein von leichtem bis mittleren Körper, schlanke, säurebetonte Frucht, rote Johannisbeere, sauber, kaum Alterstöne, in der Gesamtwirkung aber eher rustikal, einfach gestrickt, knapper Abgang, 86 NK Punkte
13.
1947 Rioja Gran Reserva “Vina Tondonia”
Lopez de Heredia
In der Farbe helles ziegelrot mit braunem Rand, in der Nase feinreife, dunkelbeerige Frucht, im Wein von leichtem bis mittlerem Körper, schlanke, sehr säurebetonte, aber vielleicht etwas grüne Frucht, wirkt gewissermaßen karg und spröde, dafür aber ausgesprochen sauber und, nicht zu vergessen, er verfügt über einen guten Trinkfluss, passable Länge, 87 NK Punkte
14.
1964 Rioja Gran Reserva “Vina Tondonia”
Lopez de Heredia
In der Farbe helles ziegelrot mit braunem Rand, in der Nase feinreife, dunkelbeerige, ausgesprochen reintönig-präzise Frucht, im Wein von mittlerem Körper, feste, gut strukturierte Frucht von dunkelroten Beeren, auffallend die kräftige, aber gut eingebundene Säure-Struktur, ordentliche Länge, 89 NK Punkte
15.
1959 Rioja Gran Reserva
Castillo Ygay
Rubinrote Farbe mit braunem Rand, in der Nase gewinnende, saubere Frucht von dunkelroten Beeren, auch Schokonoten, im Wein von mittlerem Körper, saubere, aber etwas säurelastige Frucht, wirkt dadurch etwas grün aber fest, hat Biss, angenehme Länge, sehr gut, 89 NK Punkte
16.
1942 Rioja Gran Reserva
Castillo Ygay
Rubinrote Farbe mit leicht braunem Rand, in der Nase finde ich eine ausdrucksstarke, noch jugendlich wirkende Beerenfrucht die diesen Hauch von Noblesse verströmt, die den großen Weinen häufig zu eigen ist, im Wein von mittlerem Körper, überzeugend klare, saftige Frucht von dunkelrote Beeren, Schokolade, harmonisch eingebundene Säure, feste Struktur, zeigt Tiefe, schöne Länge, Klasse, toller Wein, 96 NK Punkte
17.
1934 Rioja Gran Reserva
Castillo Ygay
Tiefrote Farbe, aber hier beginnt eine Korkdiskussion, macht eine faire Bewertung unmöglich, es liegt ein Schatten über der Frucht, sicher kein eindeutiger TCA, vermutlich ein verdeckter Kork, der Wein hat die Anlagen zu einem großen Wein, wirkt intensiv und lang, letztlich aber mit dieser Flasche nicht zu bewerten, schade
18.
1925 Rioja Gran Reserva
Castillo Ygay
Rubinrote Farbe mit leicht braunem Rand, dezent animalische Töne, im Wein von mittlerem Körper, feste, straffe Frucht, präsente Tannine, kräftige Säure, die Säure wird aber durch die Struktur des Weines aufgefangen, auch diese Flasche ein toller Wein mit langem Abgang, vielleicht nicht ganz so gut wie die vor einigen Monaten bei Rainer verkostete Flasche, aber ebenfalls groß, 95 NK Punkte
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Fazit:
Es sollte erwähnt werden, dass von “allen” Beteiligten der 1942er Castillo Ygay Gran Reserva an die erste Stelle gesetzt wurde. Platz 2 und 3 waren mit dem 1925er Castillo Ygay Gran Reserva und dem 1925er Marques de Riscal ebenfalls unstrittig. Bei einem Teilnehmer mogelte sich nach meiner Erinnerung der insgesamt auch hoch bewertete 1928er von der Bodegas Bilbainas dazwischen. Darunter gab es schon mal erhebliche Abweichungen zwischen den Teilnehmern. Hier leistete ich allerdings mit meiner Abneigung gegenüber stallig-animalischen Weinen einen erheblichen Beitrag.
Es war ein großartiges Erlebnis. Unglaublich wie viel Säure diese alten Riojas hatten. Das hat sie sicherlich in die heutige Zeit getragen.
Dank an Norbert Lappas für diese lehrreiche Probe und Dank an Reinhard für die wie immer perfekte Rundumbetreuung. Ochsenbäckchen und Tarte waren ein Gedicht. Der sardische Schinken von den schwarzen, freilaufenden Schweinen sowieso.
Dank auch an die anderen Teilnehmer für eine lebhafte und angenehm gesellige Runde. Auch wenn wir uns in dieser Zusammensetzung noch nie getroffen haben, irgendwo hat man sich schon mal gesehen. Unter anderem in der fernen Schweiz.
Ich möchte noch erwähnen, dass Reinhard einige Weißweine und einen Champagner vor der eigentlich Probe serviert hat, die ich allerdings nicht im Detail notiert habe. Auch Absacker hat es noch gegeben. Da hätte ich wohl nicht mehr notieren können.

Gruß aus Oberhausen
Norbert