Woher kommt bitter im Weisswein?

Was Sie schon immer über Wein wissen wollten, aber nie zu fragen wagten
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OsCor
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Woher kommt bitter im Weisswein?

Beitrag von OsCor »

Hallo!

Ich habe mir den Spaß gemacht und zwei Gutedel miteinander verglichen, die verschiedener nicht hätten sein können:
  • Ergänzung: Claus Schneider Gutedel Weiler Schlipf Qualitätswein 2013
und
  • Louis Bovard Dézaley Grand Cru AC 2012
Für eine Beschreibung muss ich mir allerdings erst noch eigene Formulierungen zurechtlegen, weil mir eure sensorischen Fähigkeiten abgehen.
Der Chasselas ist ein wunderbarer Wein mit Schmelz und einer stofflichen Fülle, bei der man das Gefühl hat, jede einzelne Zelle im Mund würde benetzt. Da ich jeden Tag nur ein Glas zu wechselnden Gerichten, aber auch zu Weichkäse und z.B. Lebkuchen getrunken habe, dauert es jetzt schon eine ganze Woche und er ist noch nicht weg. Am dritten Tag fand die Kombination mit dem Käse statt. Danach schien mir am Gaumen ein Hauch von Bitterton aufzukommen, wirklich nur ganz schwach und ich dachte, er passe vielleicht gar nicht zu diesem Käse.
Aber obwohl der Wein auch nach einer Woche noch sehr gut schmeckt, ist dieser Bitterton am Gaumen, bzw. im Abgang immer noch vorhanden. Bitter kommt doch normalerweise vom Tannin. Aber Tannin im Weisswein?

Woher kann das noch kommen?

Gruß
Oswald
Zuletzt geändert von OsCor am So 9. Nov 2014, 16:55, insgesamt 1-mal geändert.
Bernd Schulz
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Re: Woher kommt bitter im Weisswein?

Beitrag von Bernd Schulz »

Die bitteren Noten rühren oft von Phenolen her. Im Weißwein gibt es davon weniger als im Rotwein, aber dafür schmecken sie stärker durch.

Viele Grüße

Bernd
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Gerald
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Re: Woher kommt bitter im Weisswein?

Beitrag von Gerald »

Hallo,
Die bitteren Noten rühren oft von Phenolen her. Im Weißwein gibt es davon weniger als im Rotwein, aber dafür schmecken sie stärker durch.
das scheint mit doch ein bisschen unpräzise und auch keine Erklärung für die eigentliche Frage.

Phenole sind eine sehr große Stoffgruppe (eigentlich alle Substanzen, die zumindest eine Hydroxylgruppe an einem aromatischen Ring tragen - und da gibt es quasi unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten), sehr viele im Wein vorkommende Substanzen gehören dazu - und sicher nur ein kleiner Teil davon schmeckt bitter.

http://de.wikipedia.org/wiki/Phenole

Umgekehrt gibt es auch sehr viele andere bittere Substanzen, die keine Phenole sind.

Entwicklungsbiologisch wird angenommen, dass die Wahrnehmung "bitter" auf möglicherweise giftige Produkte hinweist, also "Finger weg!". Bei vielen Bitterstoffen (besonders Alkaloide) trifft das auch zu.

Dazu hat man auch herausgefunden, dass die Bitterwahrnehmung nicht bei allen Menschen gleich funktioniert, manche nehmen Bitterstoffe generell weniger wahr, andere wieder nur bestimmte Substanzen. Wenn ein Wein also für Verkoster A bitter schmeckt, heißt das noch nicht, dass Verkoster B das auch so empfinden wird.

http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-73 ... 11-15.html

Im Weißwein dürften die wichtigsten Bitterstoffe aus der Stoffgruppe der Tannine stammen, die wiederum zu den Phenolen (bzw. Polyphenolen) gehören. Je nach Einzelsubstanz bzw. wie sie im "Gesamtbild" des Weines eingebettet sind, werden sie manchmal eher bitter, manchmal eher adstringierend schmecken.

http://de.wikipedia.org/wiki/Phenole_im_Wein

Im Weißwein - ohne längeren Kontakt mit den Schalen - stammen sie vor allem aus Trubstoffen (also bei geringer Vorklärung) oder natürlich, wenn Traubenkerne gequetscht bzw. Stiele mitverarbeitet wurden.

Meiner Ansicht nach muss aber eine leichte Bitternote im Weißwein nicht unbedingt ein Makel sein, in manchen Fällen passt sie gut ins Gesamtbild. Zum Beispiel oft bei Veltliner, während ich mir einen Riesling mit Bitternoten nicht so gut vorstellen kann.

Grüße,
Gerald
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OsCor
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Re: Woher kommt bitter im Weisswein?

Beitrag von OsCor »

Gerald hat geschrieben:Meiner Ansicht nach muss aber eine leichte Bitternote im Weißwein nicht unbedingt ein Makel sein
Hallo Gerald,

ich habe den Bitterton auch nicht als Makel empfunden, sondern war lediglich überrascht über sein Auftauchen. Es ist wirklich nur ein Hauch davon.
Der Vergleich des überaus filigranen Gutedel von Schneider mit dieser Wuchtbrumme von Chasselas hat aber schon Fragen in mir aufgeworfen, was Louis Bovard da macht - außer dem Chaptalisieren, von dem ich ausgehe. Ich dachte etwa an längere Maischestandzeit, bei der Phenole, [Ergänzung: in dem Fall Flavonoide,] extrahiert werden können.

Gruß
Oswald
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Charlie
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Re: Woher kommt bitter im Weisswein?

Beitrag von Charlie »

Die bitteren Stoffe sind eher in der Schale, in den Kernen, in den Rappen und in den Blättern als im Traubensaft. In den Wein kommen sie also am ehesten durch Maischestandzeit oder Maischegärung. In den letzten Jahren ist Maischestandzeit bei Weissweinen in Mode gekommen (vor allem in D und Ö) und deshalb schnmecken auch immer öfter bitter.
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Re: Woher kommt bitter im Weisswein?

Beitrag von Einzelflaschenfreund »

Gerald hat geschrieben:während ich mir einen Riesling mit Bitternoten nicht so gut vorstellen kann.
Moin Gerald,

Bitternoten kommen im Riesling häufig vor, und bis zur jeweiligen individuellen Toleranzschwelle kann das auch sehr animierend sein. Dummerweise schwankt diese Toleranzschwelle nicht nur zwischen verschiedenen Personen, sondern auch die jeweilige persönliche Empfindlichkeit kann an einem Tag ganz anders ausfallen als an einem anderen.
Bei Säure, Tannin, Petrol, Botrytis etc. gibt es nach meiner Beobachtung idR eine gewisse Konsistenz, sprich: Wenn man die Leute kennt, weiß man irgendwann, wer auf welchen dieser Aspekte positiv, negativ oder gar nicht reagiert.
Bei Bitternoten ist das imho nicht so, da scheint die Sensibilität stärker zu schwanken.

Viele Grüße
Guido
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OsCor
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Re: Woher kommt bitter im Weisswein?

Beitrag von OsCor »

Charlie hat geschrieben:In den letzten Jahren ist Maischestandzeit bei Weissweinen in Mode gekommen (vor allem in D und Ö) und deshalb schnmecken auch immer öfter bitter.
Leider finde ich den Text nicht mehr, den ich heute morgen noch gelesen habe. Da wurde behauptet, dass die deutschen Winzer die Nachteile einer längeren Maischestandzeit bei Weißwein noch nicht so gut im Griff hätten wie die südlichen Nachbarn, die das schon länger praktizierten.

Wenn ich die Stelle wiederfinde, verlinke ich sie hier.

Gruß
Oswald
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Gerald
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Re: Woher kommt bitter im Weisswein?

Beitrag von Gerald »

Wobei sich bei der Thematik auch noch die Frage stellt, ob Bitternoten im Weißwein unbeabsichtigt passieren (also quasi als Fehler), als "Nebenwirkung" des gewählten Stils in Kauf genommen werden oder ob es auch Fälle gibt, wo die Bittertöne ausdrücklich angestrebt werden?

Grüße,
Gerald
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Charlie
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Re: Woher kommt bitter im Weisswein?

Beitrag von Charlie »

Gerald hat geschrieben:... die Frage stellt, ob Bitternoten im Weißwein unbeabsichtigt passieren (also quasi als Fehler), als "Nebenwirkung" des gewählten Stils in Kauf genommen werden oder ob es auch Fälle gibt, wo die Bittertöne ausdrücklich angestrebt werden?
All das kommt vor. In D nennt man das oft "mineralisch". Grrrr. Aber manchmal gefällt es mir.
Muellimov
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Re: Woher kommt bitter im Weisswein?

Beitrag von Muellimov »

Bittergeschmack kann auch durch die Anwesenheit von Gluconsäure entstehen. Gluconsäure wiederum ensteht als Stoffwechselprodukt von Botrytis.
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