Créot hat geschrieben:Sicherlich wird bei den Händlern die Erwartung mitspielen, ob man einen Jahrgang in großer Menge verkaufen kann. Lobenberg geht davon anscheinend nicht aus und verkauft lieber 2010 bis 2012 ab oder verweist auf sein umfangreiches anderes Programm (und schafft sich damit auch ein Stück Street-Credibility). Hilse (mehr auf Bordeaux konzentriert) will den Jahrgang an den Mann bringen (und versucht auf diesem umgekehrten Wege auch seine Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit unter Beweis zu stellen).
Man tut m.E. den Händlern aber auch unrecht, wenn man nur diesen Aspekt beurteilt. Ich gehe schon davon aus, dass Hilse meint, der Jahrgang lohnt bei mehreren Weinen und dass Lobenberg dies nur in einer deutlich begrenzteren Anzahl von Weinen sieht. Ich habe mich gerade bei der 2009er Subs auf diese beiden Händler verlassen (recht naiv damals - gerade die 47 Aromen pro Wein bei Lobenberg haben mich in einen Rausch versetzt

- und heute würde ich es so auch nicht mehr machen) - aber das Ergebnis war zum größten Teil gut. Zwei Jahre später bei der Lieferung, etwas, aber auch nicht viel schlauer, habe ich erst mal gedacht: Was hast du dir da bestellt? Aber beim ersten Antesten war ich bei der Mehrzahl der Weine, die besonders durch Lobenberg oder Hilse gepusht wurden, eigentlich sehr zufrieden.
Insofern sind Einschätzungen von seriösen Händlern für mich schon ein Hilfsmittel (und ich gehe einfach davon aus, dass sie mich lange als Kunde behalten wollen). Aber zu glauben, dass kein Marketing dahinsteckt wäre sicherlich naiv.
Grüße
Stefan
Man darf bei der ganzen Diskussion um den Bordeauxjahrgang 2013 nicht vergessen, dass sie, zumindest was den Preisaspekt betrifft, überhaupt nur so möglich ist, weil es bei den Primeurpreisen negative Steigungen gibt. Und genau das setzt die Genese einer Erwartungshaltung in Gang, die heute, in Zeiten globaler Vernetzung, schnell eine früher so nicht gekannte Dynamik erfährt.
Es dürfte kein Kraut dagegen gewachsen sein, als Händler immer im Verdacht zu stehen, Dinge deshalb zu "pushen", weil man viel davon hat. Belächelt wird eher der kontinuierliche Hinweis, die "Promotion" sei doch wohl eher Folge der eigenen Begeisterung. Oder es spricht dafür, dass Weinhändler im Allgemeinen eben nicht als seriös angesehen werden.
Ob man nun als Verkoster den Jahrgang 2013 in der Spitze gut findet (vielleicht muss man aktuell besser, der allgemeinen Erwartungshaltung wegen, sagen "gar nicht so schlecht") oder nicht, hat zunächst noch nichts mit dem eigenen Einkaufsverhalten zu tun. Unsere Subskriptionen 2012 und 2011 und auch schon 2010 waren so gut, dass sich daraus kein Bedarf ableitet, 2013 schlecht zu reden.
Vielleicht entsinnt sich der ein- oder andere noch an die frühe Phase der Subskription 2008. Die allgemeine Stimmung war schlecht, die Weine wurden über die Maßen bekrittelt, als Verfasser positiver Rezensionen stand man damals ebenso im Verdacht, nicht redlich zu sein wie jetzt wieder- bis zu dem Zeitpunkt, als der Grossdegustator mit seiner Veröffentlichung die Mehrzahl der Verkoster zu einer Neukalibrierung zwang. Damit ich nicht falsch verstanden werde: 2013 liegt qualitativ hinter 2008. Den Weinen werden aber nicht selten Dinge angedichtet, die das allgemeine Verdikt immer wieder zu bestätigen scheinen. Wenn Schönheit nicht nur etwas mit opulenter Fülle, sondern eben auch mit Balance und Symmetrie in den einzelnen Kategorien zu tun hat, und wenn überdies eine weniger ausgeprägte Fruchtdominanz z.B. im Margaux Bouquets freilegt, die von feinster Distinktion zeugen, dann gibt es sehr schöne 2013er.
Keine Verkostungsnotiz kann übrigens das persönliche Gespräch ersetzen, denn sie ist ja monolateral. In einem Gespräch, besonders wenn es zuvor schon Erfahrungen über Verkostungserlebnisse gab, läßt sich gerade das für den jeweiligen Kunden Interessante (weil es eben Aspekte, die besonders geschätzt werden, viel besser am einzelnen Wein exemplifizieren kann) viel besser fokussieren.
Meine Semantik ist angewandtes Marketing, meine Einschätzungen sind es nicht.
Herzliche Grüße,
Matthias Hilse