Wo ist die Weinkritik?

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octopussy
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Wo ist die Weinkritik?

Beitrag von octopussy »

Im Vorfeld wurde ein bisschen über ihn diskutiert, nun ist er da: der Falstaff Deutschland Weinguide 2014 .

Es gibt auch schon eine erste "Rezension", nämlich von Weinblogger Dirk Würtz. Das Wort "Rezension" steht in Anführungszeichen, da die Besprechung des Weinguides für mich keine Rezension ist. Sie sucht und beschreibt das Positive, Kritik spart sie aus - nahezu vollständig. Ein Zitat hat mich besonders nachdenklich gestimmt:
Dirk Würtz hat geschrieben:Sehr angenehm ist die Tatsache, dass die Wein nicht nur bepunktet, sondern eben auch beschrieben werden. Was ebenfalls sofort auffällt: es fehlt der berüchtigte “Kritiker-Zeigefinger”. Alles wirkt eher positiv. Es werden Weine empfohlen und nicht kritisiert.
Ich möchte jetzt gar nicht auf die Frage eingehen, was für einen Nutzen bzw. was für eine Glaubwürdigkeit ein Weinguide hat, den man bezahlen muss, wenn man darin vorkommen möchte. Vielmehr geht es mir um einen allgemeinen Trend, den ich meine, ganz deutlich festzustellen, seit sich das geschriebene Wort über Wein immer mehr ins www verlagert hat.

Diese Entwicklung hat für mich zwei Effekte: der klassische Weinjournalismus, bei dem jemand von den Lesern (ggf. mittelbar über eine Publikation, für die Leser bezahlen) dafür bezahlt wird, über Wein zu schreiben, gerät immer mehr unter Druck. Es fehlen die Einnahmequellen. Ein paar sehr wenige Journalisten wie Stuart Pigott, seine Ehefrau Ursula Heinzelmann oder Stefan Reinhardt werden von einer Zeitung dafür bezahlt (hoffe ich doch), dass sie darin über Wein schreiben. Hinzu kommen vor allem englische und US-amerikanische Weinkritiker mit Bezahlseiten wie Parker, Jancis Robinson, John Gilman, Stephen Tanzer, Allen Meadows, usw. Im Übrigen wird es nach meiner Wahrnehmung immer schwerer, als wirklich unabhängiger Autor vom Schreiben über Wein und ggf. verwandte Themen seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können.

Auf der anderen Seite gibt es die Blogszene, deren Flagschiff unstreitbar Captain Cork sein dürfte. Und dort fällt mir eines sehr stark auf: gerade die Blogs, die Weine beschreiben, die ihnen zur Verkostung (kostenfrei) zugeschickt werden, konzentrieren sich sehr häufig auf reine Empfehlungen. Gefällt ein Wein oder eine Serie von Weinen nicht, gibt es schlicht keinen Artikel darüber. Gefällt ein Wein oder eine Serie von Weinen, so gibt es einen Artikel, und zwar - das ist kein Wunder - eigentlich immer einen positiven. Auch wenn Captain Cork - so meine ich mich zu erinnern - das Motto ausgegeben hat, dass es nur Weinempfehlungen und keine Kritik gibt, finden sich doch in letzter Zeit (soweit ich es lese) hin und wieder auch kritische Gedanken, z.B. vor kurzem über das Weingut Keller. Daran zeigt sich: Captain Cork scheint eine Relevanz erreicht zu haben (und hat einen streitbaren, aber unstreibar mutigen Chef), die es der Seite jedenfalls ansatzweise erlaubt, auch mal kritische Gedanken zu äußern, ohne sich gleich den Ruf in der Szene kaputt zu machen.

Umso kritischer finde ich es, wenn im Sinne des allgemeinen Trends zum ausschließlich Positiven nunmehr auch ein Weinguide dafür gelobt wird, dass er ausschließlich im positiven Sinne Weine empfiehlt. Offenbar kommen alle Weine, die die Falstaff Jury unter 85 Punkten bewertet hat, im Falstaff Guide schlicht nicht vor.

Wie soll denn ein Konsument aus der Vielzahl von Weinen, die es gibt, wählen, welchen Wein er will, wenn er ausschließlich positive Empfehlungen liest? Wenn ich ins Geschäft gehe, will eine blaue Chino und frage die Verkäuferin, welche Hose sie mir für meinen Typ empfiehlt, und sie sagt "Die sind alle gut", hat mich das kein Stück weitergebracht. Hat nicht Weinkritik, die sich nicht nur so nennt, sondern auch Weinkritik sein will, die Aufgabe, auch dazu zu stehen, wenn sie einen Wein mal nicht so gelungen findet? Aus meiner Sicht ist diese Frage ganz eindeutig mit Ja zu beantworten. Eine Weinbeurteilung, in der weniger gelunge Weine schlicht verschwiegen werden und die ausschließlich die als gut beurteilten Weine empfiehlt, ist für mich - anders als für Dirk Würtz - nicht "frisch", sie ist hasenfüßig oder von kommerziellen Zwängen geprägt reiner Pragmatismus.

Ich als Konsument will nicht nur Empfehlungen. Ich erwarte eine kritische Auseinandersetzung mit der Materie, mit der sich ein Autor beschäftigt. Wenn zum Beispiel zwei meiner Lieblings-Musikautoren - Jan Wigger und Andreas Borcholte (Spiegel Online "Abgehört") - nur ihre Empfehlungen abgeben würden, nicht aber auch relevante Alben kritisieren würden, wäre ich extrem enttäuscht. Kritik will gelernt sein, sie ist ein viel schwereres Terrain als die reine Empfehlung. Aber wer kann schon etwas gegen faire Kritik sagen? Kritik, die sich Häme, Herablassung, Besserwisserei und Zynismus spart und sich auf die Sache konzentriert. Eine solche zu schreiben, ist eine Kunst. Eine Kunst, die sich die Vertreter der "Positive Only" Einstellung nicht zutrauen oder die sie schlicht zur Konfliktvermeidung umgehen?
Beste Grüße, Stephan
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maha
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Re: Wo ist die Weinkritik?

Beitrag von maha »

octopussy hat geschrieben: Wie soll denn ein Konsument aus der Vielzahl von Weinen, die es gibt, wählen, welchen Wein er will, wenn er ausschließlich positive Empfehlungen liest?
Indem er z.B. auf das Medium Weinforum zurückgreift :mrgreen: (Zumindest mach ich es so)

Man muss die Frage stellen ob ein Weinguide in erster Linie ein Verkaufskatalog ist, oder ein Bewertungs-Nachschlagewerk. Man muss wissen wie die Netzwerke hinter den Kulissen aussehen und wie die Auswahlkriterien sind um in so einen Führer hinein zu kommen. Ferner muss man ein wenig Erfahrung haben nach welchen Kriterien dort Weine bewertet werden
Das alles ist gar nicht so einfach rauszubekommen.
Und welcher Winzer sieht sich schon gerne in einem Weinführer mit schlechten Noten? Dann lieber gar nicht drin stehen.

Ich persönlich halte nichts von solchen Weinguides, eben genau aus den von Dir angeführten Gründen.

Wenn ich in den Urlaub fahren möchte und ein Hotel suche, dann schau ich mir lieber die Kritiken von Leuten an die schon mal dort gewohnt haben (Tripadvisor, ...) als z.B. einer Empfehlung aus einem Reiseführer zu folgen.
Wenn ich was über die Qualität eines Produktes erfahren möchte, lese ich mir gerne Rezessionen auf Amazon durch (falls das Produkt dort verkauft wird).
Gut, da ist auch nicht alles Gold was glänzt, aber die grobe Richtung stimmt schon immer.

Und so mache ich es auch mit Wein. Ich vertraue dem Urteil eines Forumsmitglieds (dessen Stil ich meine ein wenig zu kennen) mehr als einer Empfehlung in einem Weinführer.

Deswegen find ich ja dieses Medium Forum so toll. Und man kann Nachfragen stellen. Das kann ich beim Falstaff nicht.

Gruss
Marko
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Gerald
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Re: Wo ist die Weinkritik?

Beitrag von Gerald »

Hallo Stephan,

ich könnte mir vorstellen, dass Falstaff Deutschland hier einfach das in Österreich seit vielen Jahren etablierte Modell fortgesetzt hat. Sowohl in der Zeitschrift als auch im Weinguide wurde meiner Ansicht nach immer der genannte "Kuschelkurs" verfolgt, wo Kritik zwar an allgemeinen Zuständen geübt wurde (z.B. am Pinot noir in Österreich), so gut wie nie aber an konkret benannten Weingütern bzw. Personen. Auch die Weinbeschreibungen von Peter Moser sind fast immer nur positiv formuliert, so dass man sie 1:1 in Werbeprospekte übernehmen kann (was ja auch in der Praxis sehr oft vorkommt). Eine eventuelle "Abwertung" findet nur über die Punkte statt, und da - wie man weiß - auch sehr vorsichtig.

Für meinen Teil habe ich mein Falstaff-Abo vor einigen Jahren gekündigt und auch den Guide schon jahrelang nicht mehr gekauft, da er für mich einfach keinen Nutzen hat. Umgekehrt scheint er aber für die Winzer in Österreich sehr viel gebracht zu haben und weiterhin zu bringen, so gut wie alle Weingüter sind im Guide vertreten.

So gesehen scheint - wenn ich das richtig interpretiere - die Ausrichtung einfach eine andere zu sein, nicht als knallharter Testbericht aus Konsumentensicht, sondern als Vermarktungs- und PR-Hilfe für die Weinwirtschaft. Und dafür zahlen die Weingüter ja letztendlich auch ihren Beitrag. Ist ähnlich wie die Teilnahmekosten an einer Messe zu verstehen.

Grüße,
Gerald
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octopussy
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Re: Wo ist die Weinkritik?

Beitrag von octopussy »

Gerald hat geschrieben:So gesehen scheint - wenn ich das richtig interpretiere - die Ausrichtung einfach eine andere zu sein, nicht als knallharter Testbericht aus Konsumentensicht, sondern als Vermarktungs- und PR-Hilfe für die Weinwirtschaft. Und dafür zahlen die Weingüter ja letztendlich auch ihren Beitrag. Ist ähnlich wie die Teilnahmekosten an einer Messe zu verstehen.
Hallo Gerald,

das ist auch aus meiner Sicht völlig in Ordnung. Es spricht überhaupt nichts gegen PR-Publikationen im redaktionellen Stil - wenn dies entsprechend offengelegt wird. Ob der Falstaff-Guide dies tut, werde ich mir demnächst im Buchladen mal ansehen (kaufen werde ich mir das Buch nicht). Was ich sehr kritisch sehe, ist der schleichende Prozess, den ich wahrzunehmen meine, mit dem in der Öffentlichkeit diese PR im redaktionellen Stil als frisch und zukunftsweisend gepriesen wird. Man mag ja das Konzept an sich aus PR- bzw. kommerzieller Sicht für gut gelungen halten (davor habe ich auch Respekt), man mag auch die allgemeinen Texte für gut geschrieben halten, wenn man aber diesen "auf einem Auge blind" Ansatz als solchen nicht einmal thematisiert, finde ich das ebenfalls auf einem Auge blind.
Beste Grüße, Stephan
Weinbertl
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Re: Wo ist die Weinkritik?

Beitrag von Weinbertl »

vielleicht sollte dieser Guide dahingehend verstanden werden, dass alle darin beschriebenen Weine empfehlenswert sind (also im Sinne der Umkehrschluss-Logik) und es nur noch eine Frage des Geschmacks und des Geldbeutels ist, welche Weine man für sich herauspickt.

Das alles hat mit Weinkritik nicht im Geringsten zu tun, deshalb habe ich mich schon lange davon verabschiedet, in solche "Führer" zu gucken. Wie ich bereits an anderer Stelle (thread über die VKN-Datenbank) bemerkt habe, finde ich gerade deshalb das Hinterfragen/Diskutieren von/über Verkostungseindrücken besonders bereichernd und anregend.
Grüße
Robert
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Gerald
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Re: Wo ist die Weinkritik?

Beitrag von Gerald »

Hallo Stephan,
Es spricht überhaupt nichts gegen PR-Publikationen im redaktionellen Stil - wenn dies entsprechend offengelegt wird.
diese ganz klare Offenlegung gab es meines Wissens beim Falstaff nie, auch nicht die sofort erkennbare Trennung redaktionelle zu PR-Beiträgen.

Letztendlich hat der Falstaff in Österreich sicher einen wesentlichen Anteil an der tollen Entwicklung im Bereich Wein der letzten 20 Jahre gehabt, einfach da er mitgeholfen hat, das Image österreichischen Weins zu steigern - und damit den Winzern, für höhere Qualitäten auch höhere Preise zu erlösen. Wenn das Konzept in Deutschland aufgehen sollte, könnte das auch in ähnliche Richtung gehen (der nicht optimale Ruf deutscher Weine bei deutschen Konsumenten wurde ja schon oft erörtert).

So gesehen hätte das auch für den Konsumenten auf lange Sicht Vorteile, allerdings als konkreten Ratgeber für Weinkäufe würde ich ihn ganz sicher nicht heranziehen ...

Grüße,
Gerald
Einzelflaschenfreund
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Re: Wo ist die Weinkritik?

Beitrag von Einzelflaschenfreund »

Stephan,

das geht imho alles weit über den Gegenstandsbereich Wein hinaus. Es ist ein allgemeiner Trend erkennbar - weg vom Journalismus, hin zur PR. Das hat ganz viele Ursachen, nicht zuletzt natürlich die Krise der Verlagshäuser bei gleichzeitiger Professionalisierung von PR und Marketing. Wenn Verlage Inhalte sozusagen "mundfertig" von Unternehmen geliefert bekommen, ist die Versuchung groß, sowas einfach 1:1 zu übernehmen. Viele Leser bemerken es wohl tatsächlich nicht; zumindest aber entsteht eine schleichende Veränderung der Medienrealität, in der kritische Worte in meterdicke Watte gepackt werden oder ganz verschwinden - bis man dann irgendwann bei "Empfehlungen statt Kritik" ankommt. Im Gegenzug stehen dann diejenigen, die sich noch an echter Kritik oder auch nur kritischer Nachfrage versuchen, häufig unter Rechtfertigungsdruck, z. T. sogar schon bei Lesern. Das endet dann irgendwann wieder bei Einstellungen, wie sie früher die Erziehung von Kindern geprägt haben: "Wenn du nichts Nettes zu sagen hast, sag lieber gar nichts."

Es herrscht vielerorts auch schon gar kein Verständnis und Gespür mehr dafür, dass Journalismus und PR oder Pressesprecher nicht im selben Boot sitzen. Ein Beispiel (nicht aus der Weinwelt) hier: http://www.geprothmannt.de/pressesprech ... /1602.html

Und so kommt es, dass man kostenlose Kinoverleiher-PR-Magazine bei Burger King als Journalismussurrogat verwendet, während gleichzeitig manche Filme schon gar nicht mehr in Pressevorführungen gezeigt werden, weil Kritiktermeinungen weder erwünscht noch vermarktungsrelevant sind. Til Schweiger ist dauerbeleidigt, weil er der Ansicht ist, der wirtschaftliche Erfolg seiner Filme sei auch ein ausreichender Grund, ihm noch massenhaft Filmpreise hinterherzuwerfen und ihm gebühre für hohe Zuschauerzahlen automatisch auch künstlerischer Respekt.

Eine ausgesprochen perfide Kehrseite haben diese Entwicklungen außerdem: Während Journalismus sich einerseits immer stärker selbst entwürdigt - PR-Inhalte, prekäre Arbeitsverhältnisse ..., bleibt er doch gleichzeitig auf einem hohen Ross der eigenen Bedeutsamkeit sitzen. Denn natürlich wissen viele Journalisten, welche Produkte doch nicht so toll sind, welche Reiseziele nicht so idyllisch oder welche Unternehmensbilanz durchaus mit Fragezeichen für die Zukunft behaftet. Und die "Weinempfehler" wissen auch, welche Weine sie für nicht empfehlenswert halten - aber das sagen sie ihren Lesern nicht. Zur Schönfärberei kommt also ein anachronistischer Paternalismus ("Sie wollen die Wahrheit wissen? Sie können die Wahrheit doch gar nicht vertragen!" - oder meinetwegen auch: "Ätsch, ich weiß was, aber ich sag's nicht!"), der aber wiederum in Zeiten von Foren, Blogs etc. (oder von Wikileaks et al für die etwas wichtigeren Themen) ohnehin nicht mehr durchzuhalten ist. Konsequenz: Je weichgespülter Journalismus wird, desto überflüssiger macht er sich. Ich halte es auch für hochwahrscheinlich, dass Falstaff et al sich in ein paar Jahren gar nicht mehr als Erzeuger journalistischer Produkte sehen und das auch nicht ehrenrührig finden. Sie sind dann eben "Contentlieferanten" oder reine Servicedienstleister (wes' Brot ich ess ...).

Dass Dirk Würtz die Sache ganz anders bewertet, würde ich ihm gar nicht vorwerfen: Er ist kein Journalist und will es auch nicht sein.

Viele Grüße
Guido
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Gerald
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Re: Wo ist die Weinkritik?

Beitrag von Gerald »

Es ist ein allgemeiner Trend erkennbar - weg vom Journalismus, hin zur PR.
Meiner Ansicht nach ist das beim Falstaff aber keine neue Entwicklung, sondern war immer schon so (ich hatte das Magazin von 1994 bis 2011 im Abo). Für mein Gefühl - steht natürlich nirgends so geschrieben ;) - hat man sich dort seit langem mehr als Partner der Weinwirtschaft (insb. Weingüter und Handel) verstanden denn als kritischer Ratgeber für Konsumenten. Das ist sicherlich legitim und hat die Weinwirtschaft in Ö auch sehr gefördert. Und dass sich die "Weinfreaks" früher oder später davon abwenden, scheint den wirtschaftlichen Erfolg nicht zu schmälern, da es sich dabei ja um eine sehr kleine und finanziell unbedeutende Gruppe handelt.

So gesehen wirft man (z.B. E. Supp hier) dem Guide also eine schlechte Leistung in einer Rolle vor, die der Falstaff gar nicht spielen will ...

Grüße,
Gerald
Ollie
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Re: Wo ist die Weinkritik?

Beitrag von Ollie »

Ich bin ja immer fuer gepflegten Kulturpessimismus zu haben. Aber sich dabei ausgerechnet am Wein"journalismus" auszutoben, finde ich etwas verschwendete Liebesmueh. Vielleicht bin ich ja zu jung, um die Bluetezeit erlebt zu haben, oder zu alt, um mich noch daran zu erinnern, aber ich wuerde meinen: Weinjournalismus war im deutschsprachigen Raum noch nie gut, sondern eigentlich immer ziemlich schlecht.

Konkret zum Falstaff (oder jeden anderen Weinfuehrer, der aehnlich verfaehrt): Wenn ein 1000-Seiten-Fuehrer 100 Weine ueber 85 Punkte enthaelt, dann ist das vielleicht (vielleicht!) ein Hinweis auf den Zustand des besprochenen Weinlands, aber nicht wirklich hilfreich fuer den allgemeinen Leser, der die "hoechsten Punkte fuer die niedrigsten Preise" haben - und entsprechend bedient werden - will. (Die Punkteinflation ist IMO ein starkes Indiz dafuer, dass der Kunde wirklich so tickt bzw. geglaubt wird, dass der Kunde so ticke.)

Vor fehlerhaften Weinen zu warnen, indem man ihnen 83 Punkte :mrgreen: gibt, ist zwar aus akademischen Gruenden ganz nett, aber halt voellig irrelevant fuer die meisten Leser. Gerade in Zeiten, in denen sich Print mit Internet messen lassen muss - auch und gerade, was die Schnelligkeit betrifft, mit der man an eine gewuenschte Information herankommt! -, kostet es zuviel Zeit, das ganze "Rauschen" (Weine mit < 85P) zu ueberlesen, um irgendwann einmal endlich zum von der Fels mit 92+P zu kommen. Fuer Verisse, die Onliner gerne als "schonungslose, ehrliche und unparteiische Information" wahrnehmen, ist weder Platz noch Bedarf.

Vielleicht denkt der Falstaff so oder so aehnlich?

Cheers,
Ollie
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Re: Wo ist die Weinkritik?

Beitrag von Charlie »

Was immer so ein Führer ist, Journalismus sicher nicht.
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