Hallo,
gehen wir es mal juristisch an

Arbeitgeber sind gesetzlich gehalten die Arbeitszeugnisse von Arbeitnehmern "wohlwollend" abzufassen. Warum? Arbeitgeber und Arbeitnehmer teilen häufig ein Näheverhältnis, das nicht dazu führen soll, dass nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses allzuheftig "ausgeteilt" wird. Denn die Erfahrung zeigt, dass ein anderer Arbeitgeber mit den Leistungen des Arbeitnehmern sehr viel besser zu Rande kommt. Das führt dann zu der mancmal grotesken Situation, dass man in ein Zeugnis übervorsichtige Forumulierungen wie "Er hat sich immer bemüht" unterzubringen, wo jeder, der diesen Code kennt, nur noch mit dem Kopf schüttelt.
Kann man das Gesagt auf Weinbeschreibungen übertragen

Die Antwort liegt auf der Hand.

Punkt 1) Zwischen Kritikern und Winzern gibt es ebenfalls ein Näheverhältnis. Spätestens im nächsten Jahrgang sieht man sich wieder. Was dem einen Kritiker schmeckt, findet der nächste grausig. Man kann das beklagen, aber nicht ändern. Denn ausser den Weinbauverbänden mit ihren billigen Medaillen kann niemand die Winzer zwingen, ihre Weine vorzuführen (zu lassen). Siehe Figeac und Parker. Punkt 2) Genausowenig wie bei der Bewertung von Arbeitsleistungen gibt es bei der Bewertung von Wein eine vollständige Objektivität. Für Arbeitsleistungen kann ich einzelne Parameter wie Fehlzeiten, grobes Fehlverhalten etc. heranziehen. Aber alle diese Punkte können stimmen und trotzdem muss ich mit einem Arbeitnehmer nicht zufrieden sein (und umgekehrt). Bei Wein gibt es natürlich ebenso grobe Fehler, aber manches was als Verstoß gegen die Statuten von irgendwas zählt, ist in Wirklichkeit eine kleine Revolution. Alkohol, Säure-, Tannin-, Zuckerwerte etc. sind eben nicht alles.
Am Ende bleibt nur eines. Man muss anfangen, Weinbeschreibungen wie Codes zu lesen. Am Anfang meiner "Karriere" habe ich ziemlich blindlings tollen Beschreibungen geglaubt. Wenn heute irgendwo "Paprika" zu lesen ist, kann ich das Buch gleich schließen. Ähnliches gilt bei mit für "vollmundig" oder "starkes Rückrat". Aber wie bei Arbeitnehmern auch, macht man sich besser ein eigenes Bild.
Aber das ist natürlich ein teures Verfahren
Grüße,
wolf