Warum ist dieser Wein nicht ausverkauft?

Hohe Brisanz, kurzes Verfallsdatum
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susa
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Warum ist dieser Wein nicht ausverkauft?

Beitrag von susa »

http://www.captaincork.com/Meinung/waru ... usverkauft?

Selten fand ich einen CC-Artikel so lesenswert (und das liegt nicht nur an der für dieses Medium wohltuend unaufgeregten Diktion). Ob mit dem häßlichen Weinforum wir gemeint sind, will ich mal dahin gestellt sein lassen. Auch ob es der originäre Sinn und Aufgabe eines Weinforums ist, die Grundlagenarbeit zu leisten.

Meiner bescheidenen Meinung nach kommt vieles zusammen, warum der Prophet (sprich Wein) im eigenen Lande (sprich Deutschland) nichts oder wenig gilt.

1. die alte Leier, Wein hat keine Tradition und keine Reputation als Kulturgut, Weingenuss gilt als elitäres Vergnügen einer kleinen blasierten Gruppe Besserverdienender
1a. Deutschland ist ein Biertrinkerland (vielleicht klagen französische Bierbrauer ähnlich mit Blick nach Deutschland ;) )

2. die Unmenge an Bezeichnungen, Klassifizierungen, Lagen, Ordenundehrenzeichen sind für einen Verbraucher absolut verwirrend

3. Winzer werden in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, selbst die beiden in dem Artikel genannten nicht

4. deutscher Wein ist nicht sexy, jedenfalls nicht für mindestens 95% der deutschen Weintrinker, das gewisse Etwas meinen sie nur bei ausländischen Weinen zu finden

5. und nicht zuletzt die leidige Preisfrage, Wein gilt den besagten 95% als zu teuer

oder?

lieben Gruß
susa
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Gerald
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Re: Warum ist dieser Wein nicht ausverkauft?

Beitrag von Gerald »

Hallo Susa,
Ob mit dem häßlichen Weinforum wir gemeint sind, will ich mal dahin gestellt sein lassen.
dazu habe ich schon in einem anderen Thread gemeint ...
Deutsche Weinforen, selbst die beherztesten, schreiben immer noch über Wein, als stehe die Analyse vor dem Saufgenuss. Nicht, dass dies schlecht wäre, denn nirgendwo wird so klar und ehrlich über Wein verhandelt, wie in Deutschland. Aber in keinem Weinforum wird der Genuss greifbar gemacht. Schon gar nicht im größten Weinforum, das so schrecklich hässlich ist.
Na ja, mit der alles überstrahlenden und international Maßstäbe setzenden optischen Gestaltung von CC kann man natürlich leicht spotten :D
Ansonsten kann ich - auch ohne detaillierte Kenntnisse des deutschen Weinmarktes
Selten fand ich einen CC-Artikel so lesenswert
auch nicht ganz unterschreiben. Ich finde, Dirk Würtz hat die Sache sehr einleuchtend erklärt ...

http://wuertz-wein.de/wordpress/2013/03 ... itzenwein/

Grüße,
Gerald
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susa
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Re: Warum ist dieser Wein nicht ausverkauft?

Beitrag von susa »

Ich sehe Würtz nicht sehr weit entfernt vom CC-Artikel.

Das Grundproblem wird doch bei beiden gut herausgearbeitet, nämlich das einer fehlenden Kommunikation, der stringenten Konzentration auf das Wesentliche. Dass bei den vielen Großen Gewächsen und Ersten Gewächen und Ersten Lagen und was weiß ich noch alles, mal ein sinnvolles (und gebietübergreifendes) bereinigtes und verständliches System not tut, ist ebenfalls richtig.

lg
s
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Gerald
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Re: Warum ist dieser Wein nicht ausverkauft?

Beitrag von Gerald »

Und abgesehen davon hinkt der Vergleich vom Singerriedel mit der Gesamtheit deutscher GGs mehr als ein bisschen ;)

Auch in der Wachau haben viele Weingüter noch Weine aus früheren Jahrgängen, in den meisten Fällen nicht unbedingt deshalb, da sie absichtlich einen Teil für später zurückgelegt haben (das gibt es natürlich auch). Umgekehrt gibt es sicher auch in D Weingüter, wo man ab Hof nicht einmal den aktuellen Jahrgang so ohne weiteres kaufen kann.

Meiner Meinung nach ist der Artikel ziemlich inhaltsleer, Ähnliches gilt bestimmt für viele andere Länder genauso. Gab es nicht vor einigen Jahren eine Umfrage, wo 80% der jungen Franzosen noch nie den Namen "Montrachet" gehört haben?

Grüße,
Gerald
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VillaGemma
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Re: Warum ist dieser Wein nicht ausverkauft?

Beitrag von VillaGemma »

Also der Artikel ist schon reichlich polemisch und in der Sache z.T. falsch, meiner Meinung nach.

Es wird erstmal so getan, als wäre Riesling der Inbegriff des Superweins. :roll: ...ich will nichts gegen Leute sagen, die solche Weine mögen. Ich mag sie nicht, auch weil ich generell sehr sehr wenig Weißwein trinke, auch nur wenn ich muss. Für meinen Geschmack (!!!) kommt ein Weißer nie - auch nur ansatzweise - mit einem Roten mit. Und Riesling wäre dann für mich auch noch vollkommen der Falsche. Grenache blanc kann man trinken. Manchmal auch einen gut gemachten Chardonnay. Das wars für mich; für meinen Geschmack bei Weißen Weinen.

So und bei roten Weinen sieht es in Deutschland schon mal gänzlich anders/viel ermbärmlicher aus. Mir ist bislang noch kein guter untergekommen, und dann auch vor allem nicht in den Preisligen, wo die Spanier, Franzosen und manchmal auch die Italiener spielen. Dort bekommt man für 10,- Euro durchaus sehr brauchbare Weine. Habe ich so in Deutschland nicht gefunden, wie gesagt jeweils in der Preisliga.

Das sollte der Schreiberling einfach auch mal zur Kenntnis nehmen. Dazu kommt dann, dass es eben sehr sehr wenige Menschen gibt, die überhaupt Wein beim Händler für mehr als 7,- Euro kaufen. An meiner Arbeitsstätte waren das exakt niemand sonst (50 Kollegen) und ich galt als der "durchgeknallte Irre". Und das waren fast alles gute Einkommen/Akademiker bzw. gesunder Mittelstand.

Wenn man dieser Wahrheit ins Gesicht sieht, dann sieht die Welt gleich ganz anders aus.
"wine is sunlight held together by water" (Galileo Galilei)

Auch eine Enttäuschung, wenn sie nur gründlich und endgültig ist, bedeutet einen Schritt vorwärts. (Max Planck)
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Gerald
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Re: Warum ist dieser Wein nicht ausverkauft?

Beitrag von Gerald »

Im übrigen habe ich den Eindruck, Klimek möchte in seinen Beiträge unbedingt die Unterschiede zwischen verschiedenen Nationen extrem stark herausarbeiten. In der Politik ist Österreich die korrupte Bananenrepublik, in D funktioniert alles viel besser (daher lebt er ja so gerne in Berlin). Umgekehrt haben "die Deutschen" kein Gefühl für Genuss, es zählt nur der kleinste Preis etc.

Das sei ihm in seiner journalistischen Freiheit gegönnt, sehr realistisch scheint es mir aber nicht wirklich. Auch in Ö tobt der Preiskampf, Junkfood ist der Normalfall etc. In Wirklichkeit sind wir uns alle viel ähnlicher als Meister K. darstellt, nur kann man damit keinen Artikel schreiben, der entsprechende Reichweite bringt.

Ich darf wieder einmal Wikipedia zitieren:

http://de.wikipedia.org/wiki/Boulevard_%28Medien%29

Grüße,
Gerald
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sorgenbrecher
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Re: Warum ist dieser Wein nicht ausverkauft?

Beitrag von sorgenbrecher »

welch schizophrene diskussion !

wenn sich winzer darüber ärgern, dass sie ihre produkte nicht noch teurer losschlagen können, dann habe ich dafür ja noch verständnis, aber wenn jetzt auch die konsumenten darin einstimmen und meinen, dass man mehr (teure) ikonenweine aus deutschland braucht, dann fehlt mir das verständnis. bei jedem anderen produkt wäre der konsument vermutlich glücklich und zufrieden, dass er eine exzellente qualität zu günstigen preisen erwerben kann, würde sich freuen, dass er auch zu annehmbaren preisen in breiter auswahl ein tolles angebot präsentiert bekommt, aber nein, bei wein schreit man nach einem vermeintlich großen namen auf dem etikett......warum ? vertraut man nicht in den eigenen geschmack.....? liegt es vielleicht daran, dass der "qualitätsbegriff" beim wein derart subjektiv und schwammig ist, dass viele meinen, dass oft nur der preis und der name auf der flasche eine halbwegs verlässlicher indikator für qualität ist ?

und die fragestellung bei cc passt meines erachtens auch nicht, es gibt fast überall auf der welt eine ausreichende menge an spitzenweinen (das burgund in der spitze aufgrund der extrem geringen mengen mal ausgenommen), im bordeaux dürften selbst im 1er bereich abertausende flaschen eines beliebigen jahrgangs in den kellern der chateaus schlummern, da wird der markt künstlich verknappt.
Gruß, Marko.
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susa
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Re: Warum ist dieser Wein nicht ausverkauft?

Beitrag von susa »

Gerade was die Rotweine angeht, ist meine Wahrnehmung, dass sich in Deutschland Entscheidendes getan hat und dass es inzwischen sehr viele deutsche Rotweine gibt, die die ausländische Konkurrenz nicht zu fürchten brauchen. Das Problem ist, niemand kennt sie. Ich habe erst dieses Wochenende einen Spätburgunder von Kreuzberg (2008 Schieferlay Spätburgunder GG) getrunken, der braucht einen Vergleich selbst mit dem Burgund nicht zu scheuen.

Riesling gilt schon so ein wenig als deutsche "Leitrebe"; fragt man die besagte "Normalos" welche Rebsorten sie kennen, ist der Riesling immer unter den ersten Genannten. Insofern ist in dem Artikel die Konzentration auf diese Rebsorte nicht ganz schlecht gewählt, auch weil Deutschland ähnlich wie Österreich wohl in der allgemeinen auch internationalen Wahrnehmung immer noch als Weißweinland gilt.

Ob, stark verallgemeinert ausgedrückt, Rotwein besser ist als Weißwein, das halte ich ja schon fast für einen Äpfel-Birnen-Vergleich. Entspricht aber sicher auch der allgemeinen Wahrnehmung.

Und dass sich ausländische, vor allem französische und italienische, Weine in Deutschland größerer Beliebtheit erfreuen als einheimische, ist doch ein untersuchenswertes Phänomen, vor allem im Zusammenhang mit vielen urban legends, die sich teils hartnäckig halten.

lg
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harti
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Re: Warum ist dieser Wein nicht ausverkauft?

Beitrag von harti »

Hallo zusammen,

für mich ist die Begründung dieses Phänomens viel banaler. Die deutschen Weinjournalisten geben einfach zu wenig Punkte für trockene Weine. Während die österreichischen Journalisten für ihre eigenen Gewächse mit Punkten nur so um sich schmeißen (und damit tendenziell übers Ziel hinausschießen), wird hierzulande mit einem Punktesystem gearbeitet, das sich im Vergleich zur Parkerschen Punkte-Skala deutlich nach unten absetzt. 95 Falstaff-Punkte lassen sich beim Durchschnittskonsumenten halt besser verkaufen als 90 Gault-Millau-Punkte oder 88 wein-plus-Punkte.

Grüße

Hartmut
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susa
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Re: Warum ist dieser Wein nicht ausverkauft?

Beitrag von susa »

harti

das hab ich auch erst gedacht, andererseits sind es doch die wenigsten, die nach Punkten kaufen.
Die "Normalos" kennen die Punkte doch meistens nicht und die Aufgeklärten brauchen sie nicht. Für deutschen und österreichischen Wein gibt es ja keinen Parker in dem Sinne.

lg
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