Also, liebe Würmer, wenn Euch Euer Leben lieb ist, dann bleibt einfach länger im Bett liegen. Dann haben die Vögel nämlich das Nachsehen und müssen sich etwas anderes überlegen.
Wäre ich ein Vogel, käme mir das sehr zupass, denn dann hätte ich als später Vogel auch noch ein Frühstück sicher. Ich bin das, was man gemeinhin einen Morgenmuffel nennt, vogeltechnisch ausgedrückt: eine Eule.
Vom Aufstehen bis zum Wachwerden braucht meine Maschine schon einige Zeit, bis sie auf Touren kommt. Solange sei niemandem, auch sehr nahestehenden und eng verbundenen Menschen geraten, ein ernsthaftes Gespräch mit mir führen zu wollen. Verabredungen, die in diesem Zustand getroffen werden, sind sowieso nach internationalem Vertragsrecht ungültig, da ich als Vertragspartner zum Zeitpunkt des Abschlusses nicht zurechnungsfähig bin, ich werde mich noch nicht einmal daran erinnern können.
Was man angeblich alles verpasst am frühen Morgen, Sonnenaufgänge, menschenleere Sandstrände, sanftes Blätterrauschen im Weinberg oder das lustige Gezwitscher der frühen Vögel im Wald. Und die Luft sei noch so kühl und klar. Und man könne besser denken und konzentrierter arbeiten.
Mag sein, aber so ein morgendliches Bett ist weich und warm, mein Kopfkino kann es mit jeder romantischen Morgenstimmung aufnehmen und hat zudem noch den Vorteil, dass ich mir im taunassen Gras keine nassen Füße hole und keine Konversation betreiben muss.
Was hat denn so ein Frühaufsteher davon? Der Frühburgunder zum Beispiel, eine früh reifende Pinot Noir Spielart, als erstes reif und die Vögel fallen in Scharen drüber her um sich an den kleinen süßen Beeren gütlich zu tun.
Nun, dem Frühburgunder ist das wahrscheinlich sogar recht, die Vögel gehören zu seinem natürlichen Lebenskreislauf, die unverdaut ausgeschiedenen Kerne sichern durch weite Streuung den Fortbestand der Art und weder der Frühburgunder noch die Vögel scheren sich um ampelographische, weinbauliche oder önologische Petitessen.
Winzer sehen das naturgemäß oder sagen wir lieber von Berufs wegen anders. Die wollen doch glatt die Beeren selber ernten und daraus Wein machen. "Der Frühburgunder ist unser Vogelfutter" pflegt Thomas Nelles, vom Weingut Nelles an der Ahr zu sagen. Immerhin ringt er den Vögeln, die natürlich andererseits auch zum ökologischen Gleichgewicht im Weinberg beitragen z.B. durch Insektenfang, noch genug Trauben ab, um ca. 2000 Flaschen zu erzeugen (oder waren es 2000 Liter?, egal, auch das wären jetzt nicht gerade Unmengen).
In anderen Gebieten sieht das auch nicht wesentlich anders aus mit dem Frühburgunder. Was jammerschade ist, denn diese Rebsorte kann so wunderbar filigrane, fruchtig florale Weine hervorbringen, durchaus feminine. Im Französischen nennt man diese Rebsorte u.a. auch Pinot Madeleine, Madeleine Noire oder leicht verspielt Petit Noir Précoce, das klingt doch viel charmanter. Die Rebsorte ist recht kompliziert, sie neigt zum Verrieseln, ist krankheitsanfällig und ertragsarm. Man muss schon ein ziemlicher Enthusiast sein, um sich dieser Traube mit all der Sorgfalt zu widmen, die sie braucht.
Damit das weiterhin geschieht, wurde sie übrigens von der Slow-Food-Vereinigung in den Kanon der Lebensmittel aufgenommen, die durch industrielle Landwirtschaft und Nahrungsmittelerzeugung gefährdet und deswegen vom Verschwinden bedroht sind. http://www.slow-food.de/biodiversitaet/ ... burgunder/ .
Es ist allerdings nicht nur der überall eher übersichtlichen Menge und dem überproportionalen Arbeitsaufwand geschuldet, dass Frühburgunder meistens nicht im preislichen Basissegment der Winzer zu finden sind. So auch beim
2009 Frühburgunder Simonroth
Weingut Rainer Schnaitmann, Württemberg
der in vielerlei Hinsicht bemerkenswert ist und jeden Cent seiner je nach Jahrgang zwischen 25.00 und 30.00€ wert ist.
Zuerst einmal widerlegt Herr Schnaitmann meine Etikettentheorie, wie angehängtes Bild beweist. Nix -> je scheußlicher das Etikett, desto besser der Wein (JSDEDBDW-Theorie), die angenehm zurückhaltende graphische Gestaltung der Schnaitmannschen Etiketten überzeugt, gut durchdacht von der Kapselgestaltung bis zum dezent eingeprägten "S", wer das entworfen hat, versteht sein Handwerk.
Aber ein aufrechter Weinliebhaber lässt sich ja auch von den allerscheußlichsten Etiketten nicht vom Probieren abhalten, und wichtig ist allemal im Glas.
Da erstaunt der Wein zuerst einmal mit einer für einen (deutschen) Pinot sehr dichten und dunklen Farbe, sein Duft ist eher zurückhaltend, Kirsche, Rauch, Nelkengewürz und am Gaumen kraftvoll und straff, schmelzig, elegant, Kirsche, Schokolade, erdig, mineralisch, langer sehr dichter Abgang.
Den Schnaitmannschen Frühburgundern früherer Jahre wurde oft vorgeworfen, dass sie zu holzbetont seien; das Problem hat man inzwischen im Griff. Vielleicht haben die Fässer auch jetzt gerade das richtige Alter erreicht, in dem sie gerade nur noch ganz wenig Aroma an den Wein abgeben, so wie es dieser filigranen Rebsorte entspricht.
Prost!
PS
Jedes Mal, wenn ich nach vollbrachter Tat meinen Text durch die Rechtschreibprüfung gebe (was ihn dann allerdings immer noch nicht fehlerfrei macht, das ist auch so ein Mysterium), bietet es mir für schmelzig schmalzig an.
