Bernd Schulz hat geschrieben: Sie wollen "Naturwein" oder "natürlichen Wein" oder "handwerklich ehrlich hergestellten Wein" oder "traditionellen Wein" und verstehen nicht nur nicht, dass es den gar nicht gibt, sondern vor allem, dass, wenn es ihn gäbe, er scheusslich schmecken würde.
Klar, Wein ist immer in gewisser Hinsicht ein *Kunstprodukt*. Aber diese Feststellung rechtfertigt doch nicht jedwede Form der Geschmacksmanipulation, oder? Wenn es eh keinen "Naturwein"oder "natürlichen Wein" oder "handwerklich ehrlich hergestellten Wein" oder "traditionellen Wein" gibt, warum dann nicht gleich künstliche oder "naturidentische" Aromen oder Invertzucker oder was auch immer noch hinzufügen? Immer nur rin mit dem aus Sägespänen gewonnenen Erdbeergeschmack!
Ja, sollen die doch machen! Ich habe damit kein ideologisches Problem, solange es nicht gesundheitsschädlich ist. Du spielst beim Erdbeergeschmack auf die berühmten Joghurts an. Da hatte ich folgendes Erlebnis: mir schmeckte dieser süße Pappkram einfach nicht mehr und ich habe mir mein Joghurt selbst angemischt, mit Marmelade und Zucker. Das Resultat: schmeckte auch nicht (aber ich habe gemerkt, WIEVIEL Zucker und Aroma so ein Joghurt braucht). Ich benutze Joghurt seitdem nur noch für Salatsoße
Die Frage ist doch, welches Ausmaß an Manipulationen, an "Styling" nötig und sinnvoll ist. Diese Frage stelle ich nicht nur als "Weinromantiker", ich stelle sie auch im Hinblick auf das, was mich geschmacklich reizt und herausfordert. Weine mit dropsigen Einheitsfruchtaromen schmecken mir auf Dauer nicht, sondern öden mich maßlos an.
Das ist IMHO das entscheidende Argument. Jeder soll nur das trinken, was ihm schmeckt. Und diese eindimensionalen Industriewässerchen sind geschmacklich so abseitig, dass ich vollständig auf sie verzichte. Aber nicht aus Ideologie, sondern rein aus Geschmack. Manchmal habe ich sogar den Eindruck, dass ich mich durch all diese Sponti-Weine saufe, um meiner alltäglichen Geschmacksverrohung, die mit der Inkorporation der "normalen" Nahrung einher geht, etwas dagegen zu setzen. Glücklicherweise kann ich - immer noch oder wieder - blind ein authentisches Produkt von einem Industrieprodukt unterscheiden. Denn dort, wo mein Sinnesapparat einfach wow, lecker, geil schreit, ist meist ein Industrieprodukt gemeint. Authentische Produkte sind schwieriger, langsamer, tiefer. Oder so
Aber bitte: das soll jetzt nicht zynisch klingen. Wenn jeder essen und trinken (und Musikhören oder was auch immer) soll, so wie es ihm passt, dann bin ich mir bewusst, dass 90% der Mitmenschen einen verrohten Geschmack haben, der sie lieber zu Industrieprodukten greifen lässt. Trotzdem würde ich weder die Industrieprodukte verbieten, noch meine Mitmenschen dafür zu xxxxx stempeln. In deren Augen habe ich vielleicht einen schlechten Urlaubsgeschmack und möchte auch nicht bekehrt werden
