Und wenn wir auch noch 10 Minuten vorher auf dem Schulhof unseren Freunden die abenteuerlichsten Dinge zu berichten wussten, alles Geschichten in deren Mittelpunkt wir heldenhaft schier unglaubliche Abenteuer erlebt und erfolgreich bestanden haben, so wurden wir angesichts des leeren Heftes und des fordernd auf uns gerichteten Füllfederhaltes von einer Schreibblockade gerade zu kafkaesker Dimensionen gequält. Denn Fräulein K. pflegte nach Durchsicht unserer Heldentaten mit durchdringendem Blick zu fragen "Ist das denn auch wirklich alles wahr?".
Inzwischen sind wir erwachsen und allein schon deswegen der Wahrheitsliebe verpflichtet. Gut, im Urlaub ist der Himmel immer ein wenig blauer, das Essen immer viel köstlicher, die Weine wunderbar (siehe Grenzwein) und die Erlebnisse ganz einmalig. Das ist nicht gelogen, das ist so. Urlaub ist ein wenig wie frisch verliebt. Und schlechten Urlaub haben immer nur die anderen, die, die auch schlechten Sex haben.
Genug der Vorrede, ich bin von einem wunderbaren Urlaub zurück und komme nun zu einem Urlaubserlebnis, wie sich das gehört. Ob es das Schönste war, darüber lässt sich lange sinnieren, jedenfalls kam es unverhofft und die unerwarteten Erlebnisse sind doch immer die interessantesten.
Wir waren nach Bandol gefahren, warum wohl? Klar, eine wunderschöne Strecke. Ein netter kleiner Hafen, malerische Küste, auf dem Weg in Cassis bei Gilbert gibt es eine der besten Bouillabaisses und im Hinterland gibt es Wein. Die Syrah- und Mourvèdrereben standen prächtig, bei den Weingütern unseres Vertrauens sah alles zum Besten aus. Auf Bandol freuen wir uns immer ganz besonders, die Weine sind doch insgesamt von wesentlich besserer Qualität als die Provenzalen (Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel).
Auf der Heimreise stellten wir fest, dass wir noch ein bisschen Wein als Begleiter fürs Abendessen einkaufen sollten, außerdem hatte Herr susa ja (wie man inzwischen weiß mit Erfolg) die Fußballgötter beschworen und gelobt, im Falles des Nichtabstieges unserer wackeren Fohlenelf eine Flasche Rosé zu trinken – ganz alleine – und das will was heißen. Der wollte auch gekauft sein.
Am Straßenrand entdeckte ich ein Hinweisschild "Domaine Val d'Astier" und bemerkte, dass ich diesen Wein auf der Karte eines sehr renommierten Lokals gesehen habe, der Wirt ist ein ziemlicher Weinnarr und hat u.a. auch die imposanteste Bordeaux- und Burgunderauswahl, die ich da unten gesehen habe, z.T. nicht nachkalkuliert wenn Ihr versteht was ich meine.
Es bedurfte nichts weiter, Herr susa bog in einen staubigen Feldweg ein und nach ungefähr zwei Kilometern fragten wir uns schon, ob wir die Wegweisung missinterpretiert hätten, weit und breit nichts zu sehen, nur Weinfelder in ein sanft geschwungenes von Korkeichenwald umsäumtes Tal gepflanzt. Und Gemüse. Nach einem weiteren Kilometer eine kleine Garage, oder etwas was mit einer Garage eine ziemliche Ähnlichkeit hat. Davor eine hübsche Sitzecke und ein paar Pflanzkübel mit Olivenbäumchen und Oleander und ein Schild "Vente du vin – sonnez svp". Rechts davon mit etwas Abstand ein paar Gebäude.
Auf unser Klingeln erschien ein braun gebrannter gut gelaunter junger Mann in Badeshorts, T-Shirt und barfuss. Er sei gerade mit den letzten Füllungen des 2010er Jahrgangs beschäftigt im cave und ob wir probieren wollten. Eigentlich wollten wir nur drei Flaschen kaufen, wir seien im Urlaub und unser Gepäckvolumen leider sehr begrenzt.
Pas de problème, hier bei ihm vor Ort da könnten wir ja wohl wenigstens mal probieren, wo wir nun schon einmal da seien. Es ist uns ja immer ein wenig peinlich, wenn wir so nett empfangen werden, uns gleich das ganze Sortiment aufgebaut wird und wir dann nur ein paar Flaschen mitnehmen können. Aber da mussten wir durch, die Garage entpuppte sich als in den Felsen gehauener Lager- und Verkostungsraum, mit natürlicher Kühlung durch einem kleinen Bach, den Monsieur geschickt um das Bauwerk gelenkt hat.
Monsieur Seignez der Besitzer erzählte uns dann auch mit sichtlichem Stolz die noch junge Geschichte seines Anwesens. Nämlich, dass er schon als Kind nichts lieber werden wollte als Winzer, er aber nicht das Glück hatte, in eine Winzerfamilie geboren worden zu sein und in der Gegend, der er entstamme gäbe es auch keinen Quadratzentimeter Rebfläche mehr zu kaufen oder pachten, selbst wenn man unvorstellbar viel Geld dafür hinzulegen bereit sei. Er kam, wie sich herausstellte, aus Puligny-Montrachet. Da hieß es eben, anderswo sein Glück versuchen. Also ließ er sich nach Abschluss der Weinbaufachschule in der Provence nieder mit dem Ehrgeiz, alle gebietstypischen Rebsorten anzupflanzen und zu vinifizieren und vor allem das Thema Rosé anzupacken, das ihn fasziniert. Vier Jahre musste er zunächst anpflanzen, pflegen und abwarten, da tat sich gar nichts, danach die ersten Erträge, die er komplett an die örtliche Genossenschaft abführte und 2008 dann der erste eigene Jahrgang, ganze 800 Flaschen! Sein Ziel ist es, auf den 18 ha, die er bewirtschaftet, 50.000 Flaschen zu erzeugen, das ist die Menge, die er zusammen mit seiner Frau gut alleine bewältigen kann. Seine Frau baut noch Biogemüse an und hält so die kleine Familie mit über Wasser.
Bruno Seignez sprühte vor jugendlichem Experimentiergeist, 12 unterschiedliche Rebsorten hat er angepflanzt, darunter z.B. die auch die Tibouren, eine authochtone Rebsorte, die einiges an Aufmerksamkeit erfordert, weswegen sie von vielen Winzern gegen unkompliziertere Sorten ausgetauscht wird. Auch Semillon und Muscadet gibt es, die natürlich nicht unter der AOC angeboten werden dürfen, nichtsdestotrotz einen sehr spannenden weil dichten und schmelzigen Wein ergaben.
Danach Besichtigung der "installations relatives à la production de mes vins". Was sich so hochtrabend anhörte (die Franzosen lieben ja blumige Formulierungen) war eine überdachte Terrasse, unter der sich sechs oder sieben Stahltanks befanden und ein verschlossener als Klimaschrank umgebauter Container (der cave à barriques), ein selbst gebautes Kühlaggregat mit wunderbar blinkender Steuerungseinheit hielt die einzelnen Gerätschaften auf Temperatur; daneben noch ein Notstromdiesel, falls mal wieder der Strom ausfällt. Eine selbst gebaute Abfüll- und Etikettieranlage komplettierte die Ausstattung. Monsieur Seignez ist – ganz Franzose - begnadeter Bastler (wahrscheinlich auch eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit) weswegen ebenfalls ein Motorrad in Einzelteilen in einer Ecke lag und seiner Vollendung harrte. Eine andere kleine Ecke war Madame für die Arbeit mit ihrem Gemüse vorenthalten. Vielleicht wolle man auch noch ein paar Obstbäume setzen, Pfirsiche vielleicht. Es müsse in jedem Fall ein Obst sein, dessen Erntezeitpunkt nicht mit der allgemeinen Weinlese zusammenfalle.
Unsere letzten Weingutsbesuche waren Vieux Château Certan und Canon gewesen und nun das. Unwillkürlich denkt man, dass so doch gar kein guter Wein entstehen kann, in diesem Durcheinander und noch nicht mal ein abgeschlossener Raum. Keine fast kathedralenartigen Räume, keine klinische Sauberkeit, dafür liebenswertes Durcheinander, alles funktional, manches sieht aus wie die allbekannten Provisorien, die ein Leben lang halten, alles nix fürs Auge und den gehobenen Anspruch.
Es ist gut, auch mal wieder diese Seite zu sehen, den Kopf von allen Visonen und Flausen zu leeren, die Erwartung ans Zelebrieren der Produktion mal wieder runterzuschrauben, den Wein und alles was damit zusammenhängt von seinem Piedestal herunterzuholen.
Monsieur Seignez Weine funktionieren übrigens auch hier über viele Departements- und Landesgrenzen hinweg, sie sind gut gemacht, haben Charakter und Kraft und zeigen viel von den Aromen ihres Terroirs, Mineral, Kräuter, Waldboden, Blütenduft. Und auf keinem Etikett sind Flecke drauf!
Freundlicherweise hat er mir auch noch ein paar Informationen zu den Weinen gemailt, die ich verkostet und gekauft habe. Ein wunderbarer Begleiter mediterraner Köstlichkeiten, vor allem der fischigen, ist der
2009 Blanc Lumière
Domaine Val d'Astier, AOC Provence
aus drei Rebsorten, wie das Datenblatt ausweist, der Clairette dite rose, Clairette dite olivette – also zwei unterschiedliche Spielarten der Clairette - und der Rolle, 13 vol%. Der Wein ist von einem zarten Gelb mit grünlichen Reflexen und duftet sehr fein nach Blüten und weißen Beeren, auch ein wenig Mineral, am Gaumen frische Kräuter, Zitrusfrüchte, Stachelbeere, Melone und ein zartes vanilliges Holzaroma (vier Monate in neuen Barriques, die Seignez nach einmaliger Belegung an einen Freund und Schulkollegen im Languedoc weiter verkauft), Mineral, mittellanger Abgang nicht sehr intensiv. Es liegt sicher nicht nur an Monsieurs Herkunft, aber mit seiner zarten Mineralnote hat der Wein eine burgundische Anmutung.
Manchmal, so denk ich, ist doch bei vielem was die ganz Großen so zelebrieren eine ganze Menge Voodoo dabei, so für die Galerie

Prost!