Studien zum Thema Wein und Gesundheit

Neues aus Wissenschaft, Medizin und Spökenkiekerei
Benutzeravatar
Winedom
Beiträge: 467
Registriert: Di 3. Mai 2011, 22:36

Re: Studien zum Thema Wein und Gesundheit

Beitrag von Winedom »

Der zweite Teil ist da mit einigen Hintergründen.
Wen es interessiert!
Inclusive Leserbriefe!
Blindflug 146: Der tödliche Tropfen (2)

https://www.schnutentunker.de/alkohol-dwa-deg-movendi/
Viele Grüße
Rainer


"Nein, Alkohol trinke ich nicht. Ich trinke hier einen Schoppen Winzerwein!"
Benutzeravatar
maha
Beiträge: 1287
Registriert: Di 18. Jun 2013, 15:56
Wohnort: FFM

Re: Studien zum Thema Wein und Gesundheit

Beitrag von maha »

In der Facebook Weingruppe "Hauptsache Wein" hat der Wein Blogger und Chemiker Rainer Schönfeld einen interessanten Post über die gesundheitlichen Risiken des Alkohol Konsums geposted. Mit seiner Erlaubnis kopiere ich den Artikel hier mal rein.
Rainer Schönfeld aus Facebook:

Weil auf Basis einer WHO-Mitteilung unter einem privaten FB-Account geschrieben wurde, dass bereits geringste Mengen von Alkohol gesundheitsschädlich oder krebserregend seien, habe ich mir die Mühe gemacht, diese Aussage richtigzustellen. Und weil es in dieser Gruppe um Wein geht, teile ich meinen Text auch hier.

Obwohl es in einigen Medien immer wieder behauptet wird, ist es wissenschaftlich NICHT belegt, dass schon der Konsum geringer Mengen Alkohols gesundheitlich schädlich ist. Auch die WHO-Meldung, auf die sich diese Aussagen beziehen, und die übrigens keine wissenschaftliche Veröffentlichung ist, behauptet das nicht. Vielmehr sagt die WHO, dass der Nachweis einer Schwelle, unter der Alkoholkonsum unschädlich ist, wissenschaftlich nicht möglich ist. Der Unterschied zwischen diesen Aussagen ist ungefähr (aber nicht exakt) so wie der Unterschied zwischen den Aussagen, dass die Nichtexistenz Gottes nicht wissenschaftlich nachweisbar ist, und der, dass es Gott gibt, weil seine Nichtexistenz nicht nachweisbar ist.

Ich muss jetzt etwas ausholen. Für die Beurteilung von Messwerten ist die statistische Signifikanz ein wesentliches Kriterium. Diese gibt im Prinzip an, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Ergebnis auf Zufall basiert. Teilchenphysiker und Mediziner schlagen sich sehr viel mit statistischer Signifikanzanalyse herum. Teilchenphysiker, weil sie versuchen, winzig, winzig kleine Effekte in einem Meer von Rauschen zu messen, und Mediziner, weil sie mit winzig, winzig kleinen Kohortengrößen in einem Meer von Rauschen etwas finden wollen. Ein Chemiker arbeitet mit 10 hoch 20 Individuen - das sind 10 Milliarden mal 10 Milliarden. Ein Mediziner kann eine Studie vielleicht mit 1.000, in seltenen Fällen mit 10.000 Individuen durchführen. Das ist deshalb so relevant, weil die Gesamtzählrate (also die Anzahl der beobachteten Individuen) unmittelbar die Varianz oder Messunsicherheit beeinflusst. Als breiten Daumenwert kann man nach Ruiz und Howerton aus der Gesamtzählrate die Varianz abschätzen, ohne eine detaillierte Varianzanalyse mit Bestimmung der Dispersionsparameter durchzuführen.

Nun gibt es neben Einzelstudien bzw. Einzelexperimenten in der Wissenschaft auch Metastudien, bei denen die Ergebnisse vieler Einzelstudien in einen Topf geworfen und analysiert werden. Deren größter Vorteil ist, dass sie auf sehr viel größere Gesamtzählraten kommen als eine Einzelstudie.

In einer wissenschaftlichen medizinischen Fachzeitschrift wurde eine sehr umfangreiche Metastudie zur Schädlichkeit des Alkoholkonsums veröffentlich.* Weil sie sehr viele Einzelstudien einbezog, kommt sie auf eine für medizinische Studien beeindruckende Gesamtzählrate mit 121.029 Datenpunkten. Damit liegt nach Ruiz und Howerton die Standardabweichung bei größer als 0,3%. (Sie kann beliebig größer, aber nicht kleiner sein.) Über den Daumen und ganz grob kann man sagen, dass jede Abweichung vom Durchschnitt unterhalb von 0,3% Rauschen ist.

Schaut man sich jetzt die Ergebnisse dieser Studie an, ergibt sich das folgende Bild: Von 100.000 Menschen erkranken durch 1 Glas Wein am Tag 4 Menschen mehr als weitgehend Alkoholfreie. Das sind 0,004%. Bei fünf Gläsern (also rund einer Flasche Wein) am Tag sind es 338 zusätzliche Erkrankungen, also 0,3%. Die korrekte Schlussfolgerung ist: Bis zu einer täglichen Flasche Wein ist ein erhöhtes Krankheitsrisiko wissenschaftlich nicht nachweisbar. Das heißt nicht, dass es kein erhöhtes Risiko gibt, es ist nur nicht messbar. Man kann daraus nicht den Schluss ziehen, dass ein Glas Wein am Tag nicht zu einem Gesundheitsrisiko führt. Man weiß es schlichtweg nicht!

Nun will ich weder Alkohol verharmlosen, noch will ich zum Alkoholkonsum verführen. Tatsache ist, dass Ethanol beim Menschen krebserregend ist. Der regelmäßige Konsum von größeren Mengen Alkohols erhöht eindeutig und statistisch signifikant das Risiko, an Krebs zu erkranken. Daran gibt es keine Zweifel. Man weiß aber nicht, unterhalb welcher Menge Alkohol nicht krebserregend ist. Aus der Tatsache, dass es aus statistischen Gründen nicht möglich ist, einen Schwellenwert zu ermitteln, unter dem Alkohol überhaupt nicht gesundheitsgefährdend ist, kann man aber nicht ableiten, dass Alkohol schon in geringsten Mengen gesundheitsgefährdend (z.B. krebserregend) ist.

Hinzu kommt, dass Alkohol in vielen Lebensmitteln natürlich vorkommt, weil Hefen ubiquitär sind. Brot enthält 0,1 bis 0,3% Alkohol, Sauerkraut, Bananen, Apfel- und Orangensaft enthalten bis 0,5% Alkohol.

* https://www.thelancet.com/article/S0140 ... 2/fulltext
Der schönste Sport ist der Weintransport!
Benutzeravatar
Gerald
Administrator
Beiträge: 7705
Registriert: Do 24. Jun 2010, 08:45
Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken
Wohnort: Wien

Re: Studien zum Thema Wein und Gesundheit

Beitrag von Gerald »

Das Hauptproblem ist vermutlich, dass man hier nur mit Vergleichsstudien arbeiten kann und abgesehen vom Alkoholkonsum noch unzählige andere bekannte wie unbekannte Unterschiede zwischen den "Untersuchungsobjekten" existieren. Also dass man hier einfach nie die Aussagekraft eines geplanten Experiments erreichen wird. Letzteres ist halt ein bisschen schwierig, denn da müsste man ja Versuchspersonen dazu verpflichten, ihren täglichen Alkoholkonsum über Jahrzehnte nach Vorgabe einzurichten.

Auch wenn einiges für eine bestimmte Annahme spricht, kann man es eben nicht wirklich unbezweifelbar belegen - und das nützen die Vertreter der entsprechenden Wirtschaftszweige (da geht es ja um Milliardenbeträge) gerne aus. Nach strengsten Kriterien kann man wahrscheinlich überhaupt keine ernährungsbezogenen Aussagen treffen. Aus meiner persönlichen Sicht ist es aber trotzdem keine schlechte Idee, den aktuellen Stand der Wissenschaft - auch wenn es nur Vermutungen ohne absolute Absicherung sind - zu berücksichtigen. Aber das muss natürlich jeder für sich selbst enscheiden. Mir persönlich gefällt die weiter oben zitierte Regel mit max. 100 g Alkohol pro Woche ohne Reduktion der Lebenserwartung gut als Richtwert - diese Interpretation oder sagen wir "Faustregel" stützt sich ja meines Wissens ebenfalls auf die zitierte Metastudie.

Grüße
Gerald
amateur des vins
Beiträge: 4788
Registriert: Sa 10. Mär 2012, 21:47
Wohnort: Berlin

Re: Studien zum Thema Wein und Gesundheit

Beitrag von amateur des vins »

Danke, Marko!

Ich finde, der zitierten Lancet-Metastudie kann man die Beteiligung am Narrativ nicht so ganz absprechen, denn da steht:
Interpretation
Alcohol use is a leading risk factor for global disease burden and causes substantial health loss. We found that the risk of all-cause mortality, and of cancers specifically, rises with increasing levels of consumption, and the level of consumption that minimises health loss is zero. These results suggest that alcohol control policies might need to be revised worldwide, refocusing on efforts to lower overall population-level consumption.
Dieser Schluß ist zwar griffig formuliert, ist aber aus zwei Gründen fragwürdig: Zum einen schreiben sie "health loss", was impliziert, daß es bei Alkoholkonsum zwangsläufig zu einer Verschlechterung kommt. Richtig wäre, von einem Risiko zu schreiben. Zum anderen schreiben sie "the level", was impliziert, daß es genau einen Level gibt, der das Risiko minimiert, und daß dieser Level null ist. Und auch, wenn das plausibel ist, ist es eben statistisch so nicht belegbar, sondern man kann nur einen Schwellwert angeben unterhalb dessen das Risiko statistisch ununterscheidbar ist, wie Rainer schön dargelegt hat.

Mit anderen Worten, bereits die Interpretation ist nicht neutral, sondern tendenziös formuliert. Das hat dann wohl die treibende Kraft hinter der WHO-Empfehlung gerne aufgegriffen.

Das gilt ungeachtet der Tatsache, daß ich Rainers konkrete Zahlen nicht alle nachvollziehen kann (woher kommen die Angaben "pro 100.000"?). Ich wüßte z.B. gerne, wieviel das relative Risiko von 5, bei 1 Flasche Wein pro Tag an Lippen- oder Mundhöhlenkrebs zu erkranken, in absoluten Zahlen bedeutet.
Besten Gruß, Karsten
Benutzeravatar
OsCor
Beiträge: 894
Registriert: Do 4. Okt 2012, 18:36
Wohnort: Oberrhein
Kontaktdaten:

Re: Studien zum Thema Wein und Gesundheit

Beitrag von OsCor »

Bei jeder Veröffentlichung einer Studie - nicht nur zum Alkoholgenuss - frage ich mich: Wem nützt das (finanziell hauptsächlich)?
Studien kosten Geld und das Ergebnis einer Studie wird tendenziell ja nicht selten nach dem Auftraggeber ausgerichtet/formuliert. Wer also steht hinter solchen Studien?

Naiv gefragt von
Oswald
amateur des vins
Beiträge: 4788
Registriert: Sa 10. Mär 2012, 21:47
Wohnort: Berlin

Re: Studien zum Thema Wein und Gesundheit

Beitrag von amateur des vins »

OsCor hat geschrieben: So 12. Jan 2025, 15:21 Bei jeder Veröffentlichung einer Studie - nicht nur zum Alkoholgenuss - frage ich mich: Wem nützt das (finanziell hauptsächlich)?
Studien kosten Geld und das Ergebnis einer Studie wird tendenziell ja nicht selten nach dem Auftraggeber ausgerichtet/formuliert. Wer also steht hinter solchen Studien?
Wer hinter "solchen Studien" (im Plural) steht, kann ich Dir nicht sagen. Die zitierte Lancet-Metastudie ist aber ganz offiziell von der "Bill & Melinda Gates Foundation" finanziert. Ob es da eine Agenda gibt, kann ich Dir auch nicht sagen (habe ganz kurz danach gesucht).
Besten Gruß, Karsten
Benutzeravatar
OsCor
Beiträge: 894
Registriert: Do 4. Okt 2012, 18:36
Wohnort: Oberrhein
Kontaktdaten:

Re: Studien zum Thema Wein und Gesundheit

Beitrag von OsCor »

Danke fürs Raussuchen! Es geht mir hier nicht darum, dass andere die Suchmaschine anwerfen, weil ich zu faul bin dazu.
Wenn irgend eine Institution der Weinwirtschaft eine Studie veröffentlicht, dass der Genuss von Wein grundsätzlich unbedenklich ist, kann ich das ja noch verstehen. Aber ich frage mich halt, wer ein (privates) Interesse haben kann, den Alkoholgenuss grundsätzlich zu verteufeln. Sind das jetzt nur amerikanische Bibeltreue oder wer denn noch?

Gruß
Oswald
amateur des vins
Beiträge: 4788
Registriert: Sa 10. Mär 2012, 21:47
Wohnort: Berlin

Re: Studien zum Thema Wein und Gesundheit

Beitrag von amateur des vins »

Kein Ding, Oswald - ich war schon vor Deinem Post soweit. ;)
Über die Beweggründe mag ich nicht spekulieren.
Besten Gruß, Karsten
Benutzeravatar
OsCor
Beiträge: 894
Registriert: Do 4. Okt 2012, 18:36
Wohnort: Oberrhein
Kontaktdaten:

Re: Studien zum Thema Wein und Gesundheit

Beitrag von OsCor »

amateur des vins hat geschrieben: So 12. Jan 2025, 18:10 Kein Ding, Oswald - ich war schon vor Deinem Post soweit. ;)
Dachte ich mir's doch. Aber stellt sich nicht die Frage, ob wir uns damit wirklich beschäftigen sollten? Wir wissen doch selber, dass unser Vergnügen nicht ganz ungefährlich ist :-)

Gruß
Oswald
Benutzeravatar
Winedom
Beiträge: 467
Registriert: Di 3. Mai 2011, 22:36

Re: Studien zum Thema Wein und Gesundheit

Beitrag von Winedom »

Gerade gefunden.
Eine tolle Zusammenfassung des Themas der Weinwirtschaft/Meininger Verlag.

Studien-Dschungel:
Viele Untersuchungen stellen positive Effekte des moderaten Alkoholkonsums fest. Die WHO & Co. ignorieren diese Ergebnisse.

https://www.meininger.de/wein/handel/kampf-der-papiere
Viele Grüße
Rainer


"Nein, Alkohol trinke ich nicht. Ich trinke hier einen Schoppen Winzerwein!"
Antworten

Zurück zu „Macht Wein krank oder gesund?“