Gereifte Bordeaux-Weine in Würzburg

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weinaffe
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Gereifte Bordeaux-Weine in Würzburg

Beitrag von weinaffe »

Hallo zusammen,

letzten Montag konnte ich an einer Weinprobe gereifter Bordeaux des örtlichen Wein-Dealers teilnehmen, die wieder einmal eindrücklich zeigte, das im Hinblick auf eine langsame Alterung die Kellertemperatur und Feuchtigkeit eine große Rolle spielen. Viele der folgenden Weine stammen aus einem Keller, der eine permanente Temperatur von nur 6(!) Grad Celsius aufweist, was zu einer sehr langsamen Alterung geführt hat. Insofern kann man den sensationellen Zustand vieler Weine nicht auf alle gleichartigen, am Markt gehandelten Weine übertragen.
Doch der Reihe nach:

Nach einem Willkommenschäumer (Rose Brut von Burkardt/Schür) ging es an die Arbeit. Zunächst 2 mal dasselbe Chateau aus unterschiedlichen Jahren:
2007er Chateau d'Issan und2005er Chateau d'Issan
Der aus einem eher kleinen Jahr stammende 2007 machte noch sehr viel Spass, Kaffee, Hauch Bret in der Nase, klassisch, elegant, schlank, aber nicht dünn, Cassis, voll auf der Höhe, repräsentiert vorbildlich einen kühleren Jahrgang, mittlere Länge. Sehr gelungen!
Der 2005er hat deutlich mehr Dichte, in der Nase viel Cassis, reife Pflaumen, aber nicht marmeladig, ätherisch, am Gaumen extraktsüss, feinkörniges Tannin, perfekt gemachter, eher "moderner" Bordeaux. Hat noch viel Potential, ist aber schon gut antrinkbar. Fazit am Tisch: der 2005er bekommt klar mehr Punkte, aber eigentlich macht der 2007er momentan mehr Spass ;)

Als nächstes ein solider Vertreter aus einem warmen Jahr:
2003er Chateau Cantemerle
sicherlich kein ganz großer Bordeaux, aber momentan sehr schön zu trinklen: zartfruchtige, ausgeglichene Nase, angenehm gereift, weitgehend abgeschmolzenes Tannin, mittler Abgang. Jetzt voll auf dem Punkt, wird wohl nicht mehr besser werden. Gehört sicherlich nicht zu den schlechtesten 2003er.

Jetzt gehen wir ein Jahrzehnt zurück:
1996er Chateau Troplong Mondot
fast reiner Merlot (89%),anfangs ein Hauch Oxidation, die sich jedoch mit Luft verliert, kraftvolle, konzentrierte Nase nach reifen Waldbeeren, Cassis,aber keine Spur marmeladig dank stabiler Säure, äusserst lebendig, Tannin noch nicht abgeschmolzen, dicht und lang. Trotz 28 Jahren noch fast jugendlich, das könnte tatsächlich an dem extrem kühlen Keller liegen.

Jetzt kommt die große Überraschung... nicht so hoch gehandeltes Weingut, aber großartiger Wein:
1990er Chateau Marquis de Terme
in diesem Stadium ist der Wein eine Schönheit und genauso, wie man sich einen Top-Margaux in optimaler Reife vorstellt: ebenmässige, hochelegante Nase zum Reinknien, zarte Rotfrucht, ein Hauch Bret, sehr klassisch, am Gaumen etwas extraktsüss, aber auch eine kühle, ätherische Note, sehr würzig, hier passt einfach alles, langer Abgang. Nur 12,5 Vol%, aber viel Extrakt, Finesse und Länge. Toller Wein. In dieser Verfassung ein Nachkauf-Must, zumal die Weine dieses Weinguts mit Sicherheit erschwinglich sind.

Der nächste Wein performte leider nicht wie gewünscht. In der Nase leicht dumpf und muffig, am Gaumen erstaunlicherweise weit weniger geschädigt. Schade, die Substanz, Frucht und Dichte wären ansonsten sehr gut gewesen, aber die Nase machte leider vieles zunichte.
Es war der
1989er Lagrange

Als Ersatz wurde ein sehr eleganter und feiner Rotwein, ebenfalls 1989, blind ausgeschenkt. In der Nase pure Klassik, Tabak, feines Leder, zartes Cassis, am Gaumen extraktsüss, ebenmässig gereift, fast abgeschmolzenes Tannin, tolle Länge. So geht Bordeaux richtig.... aber halt, das war gemeinerweise gar kein Bordeaux. Es war der
1989er Laurel Glen Cabernet Sauvignon Napa Mountains
Puh, eigentlich war mir schon immer bewusst, dass die Kalifornier den besseren Bordeaux fabrizieren :lol: Chapeau und das ist nur der "einfache" von Laurel Glen, der damals sicher nicht die Welt gekostet hat. Genialer Wein und Knock-out-Pirat für jede Bordeaux-Probe.

Danach geht es aber wieder mit "richtigem" ;) Bordeaux weiter:
1983er Chateau Chasse Spleen
ein echter Klassiker, perfekt gereift, nicht ganz die feine Klinge, aber in seiner dezenten und ehrlichen Rustikalität noch voll auf der Höhe, cabernetbetonte Nase, nach über 40 Jahren noch völlig intakte Rotfrucht, stabile Säure, mittelgewichtig, noch lange nicht über dem Punkt, erstaunlicher Jahrgangsvertreter mit hohem Spassfaktor.

Beim nächsten Wein hätte ich vom Papier her keinen Cent auf Trinkfreude gesetzt... aber da habe ich mich gründlich geirrt. Ein 50 Jahre alter Bordeaux aus einem ganz kleinen Jahr.... der saukalte Keller machts möglich.
1974er Clerc Milon
optisch eher Burgunder als Bordeaux, aber noch voller Leben, zarte Dunkelfrucht, kleiner Tanninrest, aber nicht unreif, stabile Säure, sicherlich bestenfalls mittelgewichtig, aber eindeutig einer der besten Weine, die ich bisher aus diesem unterirdischen Jahrgang getrunken habe. Macht auch ohne Altersbonus noch Spass.

Jetzt noch einmal ein Jahrzehnt zurück:
1966er Clos Fourtet
stammt ebenfalls aus dem berüchtigten 6 Grad-Keller, sensationelle Nase, zarte Dunkelfrucht, steht wie eine 1 im Glas, Eleganz pur, völlig intakte Frucht am Gaumen, extraktsüss, sogar noch ein Tanninrest, senstionelle Verfassung, keine Oxidation, kein Liebstöckel oder tertiäre Aromen,diesen 58 Jahre alten Wein hätte ich eher in den 90iger Jahren verortet. Großartig!!

Wir bleiben in den 60er-Jahren:
dem nächsten Wein merkt man das Alter schon deutlicher an, auch wenn er noch viel Spass macht:
1964er Branaire Duluc-Ducru
hier ist in der Nase schon etwas Oxidation, gereift, etwas Bratensosse, aber auch noch Fruchtreste, schon über dem Höhepunkt, aber noch mit Genuss zu trinken.

Der letzte Wein wurde wieder blind eingeschenkt. Optisch ein zartes Rotgold, in der Nase deutlich Bortrytis, am Gaumen schon abgeschmolzene Süsse,Bortrytis im Beerenauslese-Stil, Hauch Tannin, stabile Säure, ein wunderschön gereifter Süsswein, da das Thema ja Bordeaux war, musste es dann auch ein Sauternes sein. Damit lagen wir richtig. Nur das Alter konnte keiner erraten; wenn er nicht entkorkt worden wäre, hätte dieser Wein in 3 Jahren seinen 100ten Geburtstag feiern können. Es war der
1927er Sigalas-Rabaud 1er Cru Classe
Ein unkaputtbarer Süsswein mit Klasse.

Toller Abend mit überraschenden Weinen und angenehmen Mitstreitern.

Demnächst kommt der große 1982er Rundumschlag in Sachen Weltklasse-Bordeaux.

Bericht folgt zu gegebener Zeit!

LG
Bodo
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harti
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Re: Gereifte Bordeaux-Weine in Würzburg

Beitrag von harti »

Hallo Bodo,

tolle Probe, danke für die schönen Beschreibungen. Eine Frage zum Keller: Wie gelingt es, eine gleichmäßige Temperatur von 6 Grad zu halten? Klimatisierung?

Grüße

Hartmut
Ollie
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Re: Gereifte Bordeaux-Weine in Würzburg

Beitrag von Ollie »

Eine gute Frage, die ich ergänze um: wozu?

Egal wie die Antworten ausfallen: Großartig, wenn Weinkeller mit mehr Sorgfalt geplant werden als Endlager für Atommüll. :lol: :lol: :lol:

Cheers,
Ollie
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Re: Gereifte Bordeaux-Weine in Würzburg

Beitrag von EThC »

harti hat geschrieben: Do 21. Nov 2024, 13:45 Wie gelingt es, eine gleichmäßige Temperatur von 6 Grad zu halten?
...wenn man tief genug im Berg drin ist, geht das ohne weitere Hilfsmittel. Es gibt hier in der Ecke auch einige aufgelassene Bunker (z.B. das Warnamt X bei Tutzing), die in den letzten Jahren an Privatleute verkauft wurden, die wollten die teils auch als Lager en detail vermieten, ggf. auch für Wein. Weiß aber nicht, ob das auch geklappt hat...
Viele Grüße
Erich

Nicht was lebendig, kraftvoll, sich verkündigt, ist das gefährlich Furchtbare. Das ganz Gemeine ist's
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harti
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Re: Gereifte Bordeaux-Weine in Würzburg

Beitrag von harti »

Nicht nur die Tiefe, auch die klimatischen Verhältnisse am Standort spielen eine Rolle. Tendenziell werden m.W. bestenfalls Temperaturen im langjährigen Mittel des Standorts erreicht, egal wie tief man gräbt. Bei 6 Grad muss es sich dann schon um eine Höhenlage handeln.

Grüße

Hartmut
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amateur des vins
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Re: Gereifte Bordeaux-Weine in Würzburg

Beitrag von amateur des vins »

harti hat geschrieben: Do 21. Nov 2024, 15:08 Nicht nur die Tiefe, auch die klimatischen Verhältnisse am Standort spielen eine Rolle. Tendenziell werden m.W. bestenfalls Temperaturen im langjährigen Mittel des Standorts erreicht, egal wie tief man gräbt. Bei 6 Grad muss es sich dann schon um eine Höhenlage handeln.
Das mit dem langjährigen (Luft-)Temperaturmittel stimmt. Es ist in den letzten gut 100 Jahren von ca. 7°C auf ca. 10°C angestiegen; die Bodentemperatur in ein paar Metern Tiefe dürfte Jahrzehnte hinterhinken. Ca. 6°C sind je nach konkreten Gegebenheiten (Höhe üdM, Tiefe des Kellers/Stollens, Verdunstung, Meßfehler :P) nicht vollkommen unplausibel. Bin aber weder Geologe noch Meteorologe.
Besten Gruß, Karsten
weinaffe
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Re: Gereifte Bordeaux-Weine in Würzburg

Beitrag von weinaffe »

Hallo zusammen,

laut Auskunft des Weinhändlers wurde der Weinkeller mit Kühlaggregaten auf konstant 6 Grad runtergekühlt. Abgesehen vom enormen Stromverbrauch erschließt sich mir der Sinn dieser Kühlaktion auch nicht, es sei denn, der "Highlander" wollte die Weine noch mit Genuss in seinem zweiten oder dritten Leben geniessen :lol: Da hat er sich aber geschnitten... wir waren schneller ;)

LG
Bodo
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Re: Gereifte Bordeaux-Weine in Würzburg

Beitrag von amateur des vins »

weinaffe hat geschrieben: Do 21. Nov 2024, 17:45 laut Auskunft des Weinhändlers wurde der Weinkeller mit Kühlaggregaten auf konstant 6 Grad runtergekühlt.
Absurd.
Besten Gruß, Karsten
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Re: Gereifte Bordeaux-Weine in Würzburg

Beitrag von EThC »

weinaffe hat geschrieben: Do 21. Nov 2024, 17:45 laut Auskunft des Weinhändlers wurde der Weinkeller mit Kühlaggregaten auf konstant 6 Grad runtergekühlt. Abgesehen vom enormen Stromverbrauch erschließt sich mir der Sinn dieser Kühlaktion auch nicht
...wenn die Temperatur nur für den Wein gefahren wird, verstünde ich's auch nicht, zumal die absolute Luftfeuchte ja dann schon deutlich in den sprichwörtlichen Keller geht und das die Korken dann ja auch "aussaugt", auch wenn die relative Luftfeuchte bei der Temperatur vielleicht sogar etwas höher sein sollte (was ich wiederum nicht glaube, da ja auch Kondensat an den Kühlflächen ausfallen wird). Oder einfach eine Beifangnutzung eines Kühlraums, der eigentlich aus anderen Gründen auf der Temperatur gehalten wird?
Viele Grüße
Erich

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