Diesem Umstand verdanken unzählige Bücher ihre Existenz, sachliche und sauber recherchierte, literarisch anspruchsvolle, launig-humoristische und einfach nur doofe. Und wenn Nichtweinkenner Weinkennern etwas schenken wollen und sich nicht auf das Glatteis des Weinkaufes begeben wollen, dann schenken sie eben ein Buch; ein Buch über Wein. Was immer noch besser ist als Korkenzieher mit poliertem Rebwurzelholzgriff, Kellerschürzen (was immer das sein mag) mit krampfhaft lustigen Sprüchen, oder einen Satz Gläser, die zu gar nix passen, schon gar nicht zu Wein.
So hat wohl jeder von uns inzwischen frei- und unfreiwillig eine ziemliche Bibliothek über Wein angesammelt, neben den unabdingbaren Nachschlagewerken und Verkostungsschwarten der Kritiker uV noch ein paar Grundsatzwerke und Weinlexika. Wie sonst sollten wir wohl den Geheimnissen der Unterscheidung von Sacchariden, Saccharomyces und Saccharose auf die Spur kommen, ohne die ein ordnungsgemäßer Weingenuss schier unmöglich scheint.
Und neben den wichtigen und schwierigen Sachen werden zunehmend auch die humorvollen manchmal nur regional bekannten Weinbegriffe erklärt, zB was ein Fluchtviertel ist (nämlich der letzte Schoppen, den der Trinker in der Kneipe bestellen kann – etwa so wie die "last order" im englischen Pub), oder der Reparaturwein (der die vom vielen Verproben gestresste Zunge beruhigt und neutralisiert, damit sie sich dem nächsten -> Flight widmen kann), sogar das Reparaturbier ist zu finden oder der Gänsewein (hierzu hörte ich von einer französischen Dame mal den Begriff Clairet de Jonzac

Einen Begriff aber vermisse ich, dabei haben wir diesen Wein wahrscheinlich alle schon mal im Glas gehabt, den Grenzwein.
Stellt Euch also vor: Es ist Urlaub, die Sonne scheint, man sitzt in einer Kneipe oder einer kleinen Probierstube, die Seele baumelt, um einen herum wunderschöne Natur und auf dem Tisch zu einer köstlichen landestypischen Mahlzeit wird einem der dazu gehörende lokale Wein mit entsprechendem Stolz präsentiert. Alles ist perfekt – auch der Wein, er schmeckt genau wie der Urlaub hell und schön und strahlend und klar. Und natürlich möchte man dieses Erlebnis nach Hause in den Alltag retten und erwirbt eine Kiste dieses köstlichen Getränks.
Und dann, sobald der Wein die Grenze seiner Heimat überschritten hat und Einzug in unseren Keller gehalten hat, dann ist es vorbei mit Wohlgeschmack und Genussfreude, der Wein schmeckt entweder langweilig oder übertrieben, unharmonisch, kantig oder sonst wie seltsam und wir fragen uns, was wir an dem gefunden haben. Tja Urlaub ist eben anders. Sind wir im Urlaub offener für neue Aspekte, oder sind wir unsensibler was Qualität angeht? Oder hat uns der freundliche Mensch etwa einen ganz anderen Wein verkauft, als er uns eingeschenkt hat? Letzteres schließe ich jetzt einfach mal aus! Der Wein hat eben in den Moment gepasst, er war Genuss für einen flüchtigen Augenblick und der ist vorbei.
Ernsthafte Weinliebhaber führen natürlich auch im Urlaub Verkostungsheft, Weinführer und Listen mit und können aufgrund jahrelanger Erfahrung derartige Überraschungen ausschließen, ihr Urteil ist immer unbestechlich und korrekt und ihre Auswahl ziel- und stilsicher, vor Ort und auch was etwaige Mitnahmen angeht. Gut so, aber ein bisschen was entgeht ihnen vielleicht doch.
Ich bin nun auch aus einem wunderschönen Urlaub an die Côte d'Azur zurück und werde demnächst noch etwas über die Weine und sonstiges zusammenschreiben und meinen persönlichen Grenzwein, den hatte ich auch
Rouge
Cooperative Pierrefeu du Var, VdT du Pays du Var
Der gibt es noch nicht mal in der Flasche zu kaufen, sondern nur im großen Gebinde angefangen in der 10-Liter-BiB und da kostet der ….., nein ich schreib's nicht. Den gab's am Nachmittag in dieser Niemandszeit zwischen Tag und Abend in der Kneipe, mit Blick auf den Hafen, unter dem Schatten von Platanen und Kastanienbäumen, ein paar Spatzen kloppten sich die Brotkrümel, die Schwalben flogen ziemlich hoch, ein wunderbarer Blick auf das tiefblaue Meer, das Maurengebirge, blühenden Ginster. Um die Ecke spielten ein paar ältere Herren Boule, mit dieser lässigen Mischung aus Ehrgeiz und Spielfreude, die uns nie gelingen will. Postkartenidylle. Kitsch. Meinetwegen.
Das Viertel Wein schmeckte kräftig, rotfruchtig, nach Sonne und Erde und Urlaub und er verdient es, einmal lobend erwähnt zu werden. Dazu gab es einfach ein paar Oliven und etwas kalte Pissaladière und in diesem Augenblick hätte es schon einiges bedurft, mich von diesem Ort wegzulocken.
Prost!