...daß Du ein Weltbürger und Tausendsassa bist...Bernd Schulz hat geschrieben:Was soll ich jetzt soziologisch gesehen daraus schließen?

...daß Du ein Weltbürger und Tausendsassa bist...Bernd Schulz hat geschrieben:Was soll ich jetzt soziologisch gesehen daraus schließen?
Ja, das scheint mir der Grundgedanke der Soziologen, dass Individuum und Gesellschaft nicht von einander getrennt betrachten werden können, sondern im Gegenteil fundamental voneinander abhängen.Bernd Schulz hat geschrieben:Primär deshalb, weil jeder unabhängig von seiner Umgebung/seinem "Milieu" ein individuelles Individuum ist. Das Grundproblem jedweder Soziologie liegt für mich in der Überbetonung von äußeren Umständen.
Zumindest betreffend Musik gibt's da einen lesenswerten Artikel – zum Musikalischen Allesfresser – "vom Snob zum Omnivore":Bernd Schulz hat geschrieben: Im Übrigen trinke ich nicht nur gerne Riesling, Silvaner, Muskateller, Scheurebe, Veltliner, Müller-Thurgau, Weißburgunder, Grauburgunder, Spätburgunder, Blaufränkisch, Syrah, Grenache, Tempranillo...etc. usf....... - sondern auch Primitivo und Dornfelder, wenn der betreffende Wein denn etwas taugt. Was soll ich jetzt soziologisch gesehen daraus schließen?
Jedenfalls, als von Beruf Künstler (bzw. Musiker) und mit Vorlieben für Schopenhauer, Wein und klassische Musik bist du wahrscheinlich für Soziologen kein schwieriger Fall. Eine größere Herausforderung wäre dann wohl soziologisch zu analysieren, warum du die Goldbergvariationen lieber von Lang Lang als auf dem Cembalo hörst und was das damit zu tun hat, dass du gerne restsüße Moselauslesen und deutschen Spätburgunder trinkst.Ungeachtet der fehlenden empirischen Evidenz spricht vieles dafür, dass sich Offenheit im Umgang mit kultureller Diversität als ein bedeutsamer Wert sowie als Handlungsmaxime in bildungsnahen Kreisen etabliert hat. Beobachten lässt sich ein Wandel, der am ehesten als Übergang von ästhetischen hin zu moralischen Grenzziehungen beschrieben werden kann. Waren es in Bourdieus Analyse vor allem die symbolischen Grenzen zwischen Hoch- und Popu- larkultur, die klassenspezifische Hierarchien verfestigt haben, sind es bei den Omnivores moralische Grenzen, die in klassenspezifischer Hinsicht relevant werden. Der Anspruch auf soziale Superiorität wird legitimiert durch Offenheit und Aufgeschlossenheit – Werte, die, wenngleich nicht von allen gleichermaßen praktisch umgesetzt, so doch von kaum jemandem prinzipiell bezweifelt oder in Frage gestellt werden. Genau damit aber wäre jenes Einverständnis der Beherrschten gegeben, das als grundlegende Voraussetzung für symbolische Herrschaft gilt.
Puh, alleine diese Sprache verursacht mir eine gewisse Übelkeit...empirische Evidenz....kulturelle Diversität....Handlungsmaxime....soziale Superiorität....jessesmaria hat geschrieben:..."Ungeachtet der fehlenden empirischen Evidenz spricht vieles dafür, dass sich Offenheit im Umgang mit kultureller Diversität als ein bedeutsamer Wert sowie als Handlungsmaxime in bildungsnahen Kreisen etabliert hat. Beobachten lässt sich ein Wandel, der am ehesten als Übergang von ästhetischen hin zu moralischen Grenzziehungen beschrieben werden kann. Waren es in Bourdieus Analyse vor allem die symbolischen Grenzen zwischen Hoch- und Popu- larkultur, die klassenspezifische Hierarchien verfestigt haben, sind es bei den Omnivores moralische Grenzen, die in klassenspezifischer Hinsicht relevant werden. Der Anspruch auf soziale Superiorität..."
Von meinem unter anderem auch ausgeübten Beruf als ausführender Musiker kann ich nicht leben (zur Zeit schon mal gar nichtjessesmaria hat geschrieben:Jedenfalls, als von Beruf Künstler (bzw. Musiker)...
Ich trinke zwar gerne restsüße Moselauslesen, aber ebenso gerne trinke ich knochentrockene fränkische Silvaner. Das dürfte die soziologische Analyse meiner Weinvorlieben noch einmal erschweren....jessesmaria hat geschrieben:Eine größere Herausforderung wäre dann wohl soziologisch zu analysieren, warum du die Goldbergvariationen lieber von Lang Lang als auf dem Cembalo hörst und was das damit zu tun hat, dass du gerne restsüße Moselauslesen und deutschen Spätburgunder trinkst.
Wenn man auf die weiter oben verlinkte Homepage vom Sinus-Institut geht, sieht man, dass es genau darum geht: um die Definition von Zielgruppen für "maßgeschneiderte" Marketing-Kampagnen.Gerald hat geschrieben: In bestimmten Situationen kann es durchaus sinnvoll sein, die Menschen nach zwei oder mehr Dimensionen in Gruppen einzuordnen, z.B. wenn man als Unternehmer darauf eine Marketingstrategie aufbauen möchte (also welche der Gruppen möchte ich überhaupt mit meinem Produkt/Dienstleistung ansprechen, muss ich je nach Gruppe meine Maßnahmen unterschiedlich ausrichten etc.).
...das sehe ich als generelles, berufsspezifisches Problem, man neigt häufig zur Ausbildung einer gewissen Branchensprache, da nehme ich mich selbst nicht aus. Selbst innerhalb meiner Projekte muß man in der "interdisziplinären Kommunikation" höllisch aufpassen, damit auch wirklich jeder jeden richtig versteht, um Chaos zu vermeiden.Bernd Schulz hat geschrieben:Puh, alleine diese Sprache verursacht mir eine gewisse Übelkeit
interessant wäre ja schon, ob wir alle nur ausführende Funktionen eines sozialen Programms sind und uns Individualität vorgaukeln. Eine mehr oder weniger unbewusste Steuerung unseres Denkens und Handelns wird ja in vielen Theorien angenommen. Sie sind verführerisch, da sie Chaos und Widersprüche rückführen und auf eine Formel zu bringen scheinen. Je besser das theoretische Paralleluniversum auf alle möglichen Probleme und Beobachtungen anzuwenden ist, sie gewissermaßen „erleuchtet“, desto fragwürdiger erscheint es allerdings meist bald.Gerald hat geschrieben:Ich verstehe persönlich nicht ganz den Sinn dieser Klassifizierung von Weinkonsumenten. In bestimmten Situationen kann es durchaus sinnvoll sein, die Menschen nach zwei oder mehr Dimensionen in Gruppen einzuordnen, z.B. wenn man als Unternehmer darauf eine Marketingstrategie aufbauen möchte (also welche der Gruppen möchte ich überhaupt mit meinem Produkt/Dienstleistung ansprechen, muss ich je nach Gruppe meine Maßnahmen unterschiedlich ausrichten etc.).
Aber ohne weiteres davon ausgehendes Ziel (oder habe ich es nur nicht gefunden?) die Gruppeneinteilung vorzunehmen, da ist mir der Sinn einfach nicht klar. Oder geht es da rein um Unterhaltung, so wie die regelmäßig in Boulevardmedien präsentierten Selbsttests in der Art von "Welcher Reise-Typ bist du"?
meine Beobachtungen sind anders. Viele spätere Weinenthusiasten berichten, in einer Soziowelt mit recht bodenständigem Weingeschmack aufgewachsen zu sein und durchs Probieren einfachster Konsumweine, die nach einer Weile weniger gut schmeckten, die Lust auf komplexere, subtilere Sachen entwickelt zu haben - weil es sonst langweilig geworden wäre und, wie bei jedem Interesse, aus Entdeckerfreude. Je anspruchsvoller der Geschmack, desto schwieriger wird es, damit eine soziale Blase zu finden. Dort, bei Verkostungsrunden etwa, kommt es dann recht deutlich zu äußerlichen Beeinflussungen hinsichtlich Weinauswahl und -bewertung. Das ist meist aber offensichtlich und wird entsprechend reflektiert.jessesmaria hat geschrieben: Ich finde es spannend, auch mal ab und zu sich selbst zu hinterfragen bzw. reflektieren, warum man eigentlich so konsumiert wie man konsumiert, warum man das Gefühl hat, mit manchen Menschen auf einer Wellenlänge zu sein und mit anderen gar nicht, warum der eine Primitivo trinkt und der andere Dornfelder (was ja wohl selten damit zu tun hat, dass beide beides gleichermaßen unvoreingenommen probiert und sich dann für das ein oder andere entschieden haben) und wie diese Dinge zusammenhängen.
Ich versuch's mal in einfachen Worten so zusammenzufassen, wie ich's verstanden habe:Bernd Schulz hat geschrieben: Puh, alleine diese Sprache verursacht mir eine gewisse Übelkeit...empirische Evidenz....kulturelle Diversität....Handlungsmaxime....soziale Superiorität....
Ich könnte mir schon vorstellen, dass das bei der Vermarktung gerade bei Wein eine große Rolle spielt. Belvini und Lobenberg z. B. scheinen gänzlich unterschiedliche Zielgruppen anzusprechen. Gut, bei Lobenberg mag das noch der persönlichen Überzeugung bzw. dem persönlichen Geschmack des Händlers geschuldet sein, bei Belvini wohl eher nicht. Und beide müssen sich überlegen, wie sie ihre Weine präsentieren und wie etwa der Online-Shop aufgemacht ist, wie die Mitarbeiter am Telefon mit den Kunden kommunizieren usw., und sich dabei an den Vorstellungen und Vorlieben ihrer Zielgruppe orientieren. Die Shops sehen ja direkt auf den ersten Blick entsprechend ganz anders aus. Bei Belvini wird man gleich auf der Startseite mit scheinbaren Schnäppchenpreisen und Punkten zubombadiert. Lobenberg erscheint demgegenüber gediegen und aufgeräumt. (Der Stil scheint mir ähnlich verschieden wie z. B. die Internetauftritte der FAZ und der Welt.)UlliB hat geschrieben:Wenn man auf die weiter oben verlinkte Homepage vom Sinus-Institut geht, sieht man, dass es genau darum geht: um die Definition von Zielgruppen für "maßgeschneiderte" Marketing-Kampagnen.
Bei Wein glaube ich eher nicht, dass das da funktioniert.
Sicher, aber spannend ist ja, warum nur manche (quantitativ sehr wenige) Menschen diese Entwicklung durchmachen und von welchen sozialen Faktoren das abhängt, nicht? Viele Menschen verlassen sich gerne auf Marken, die möglichst immer gleich schmecken (egal ob Wein oder Schokolade); bestimmte industrielle Verfahren garantieren dies mehr oder weniger (z. B. Reinzuchthefen beim Wein, Aromastoffe bei Schokolade). Andere besitzen die von dir genannte Entdeckerfreude und suchen stets das Neue, Unbekannte.Kle hat geschrieben:Viele spätere Weinenthusiasten berichten, in einer Soziowelt mit recht bodenständigem Weingeschmack aufgewachsen zu sein und durchs Probieren einfachster Konsumweine, die nach einer Weile weniger gut schmeckten, die Lust auf komplexere, subtilere Sachen entwickelt zu haben - weil es sonst langweilig geworden wäre und, wie bei jedem Interesse, aus Entdeckerfreude.
Und genau so funktioniert es in der Realität eben nicht.jessesmaria hat geschrieben: Einfach gedacht mag es wohl idealerweise so funktionieren: Der Verkäufer verkauft den Wein, der ihm gefällt. Da dieser vorwiegend die Menschen seines Milieus anspricht (da diese denselben Wein mögen), muss er ihn nur nach seinen Vorstellungen präsentieren und spricht damit automatisch die richtigen Leute an.
Genau darauf wollte ich eigentlich hinaus: dass diese idealistische Vorstellung naiv ist; weil man eben nicht von sich auf seine Kunden schließen kann, macht die Auseinandersetzung mit den Sinus-Milieus ja überhaupt erst Sinn. Man muss sich zuweilen eben gar so präsentieren, dass man niemals selbst sein Kunde würde. Dinge anbieten, die man nie kaufen würde. Oder noch besser: auf so viele verschiedene Weisen präsentieren, dass man gänzlich unterschiedliche Gruppen zugleich anspricht. Dafür muss man verstehen, wie potenzielle Zielgruppen ticken, auch wenn man ihnen selbst nicht angehört.UlliB hat geschrieben: Und genau so funktioniert es in der Realität eben nicht.
Das wundert mich nicht! Im Lebensmitteleinzelhandel insgesamt zahlen die Deutschen sogar im Durchschnitt nur 3,12€ pro Liter (!). (Also 2,34€ pro 0,75l-Flasche.) Da es viel günstiger wegen der Steuern gar nicht geht, muss man sich nur mal überlegen, wie viele Menschen eigentlich eine Flasche für gar noch einige Cent weniger kaufen müssen, um statistisch den Kauf eines 20€-Weins aufzuwiegen...Ich bin mit einem Weinhändler befreundet, der hier vor Ort einen recht erfolgreichen Präsenzhandel betreibt. Von 100 Flaschen, die der Mann verkauft, kosten 98 weniger als 7,50 €. Er steht insofern zu diesen Weinen, als dass er meint, dass keiner davon eine "grobe Schweinerei" sei. Aber selber trinken tut er die nicht, keinen davon, der ist für sich selber preislich und qualitativ ganz woanders unterwegs.
In einer Kleinstadt hat man auch noch den Vorteil (oder den Nachteil, je nachdem), seine Kunden nicht nur zu kennen, sondern auch sozial einordnen zu können. Etliche seiner "immer-unter-7-Euro"-Kunden sind mehrfache Millionäre. So viel zur sozialen Schicht...
Und das, was hier beobachtet wird, kann kein Einzelfall sein - anders ließen sich der vom DIW seit Jahren ziemlich konstant berichtete Preis von etwa 6 Euro für eine Flasche Wein im Fachhandel (!) nicht erklären.
Ich denke, dass die meisten Leute gar nicht an der Sache selbst interessiert sind, sondern die Dinge gleichsam für soziale Zwecke instrumentalisieren – besonders ausgeprägt wahrscheinlich gerade die oberen Schichten, vor allem die "Konservativ-Etablierten". Genauso, wie sie sie sich die neueste, viel diskutierte Inszenierung in der Oper anschauen, um mitreden zu können, sich sehen zu lassen und das Ambiente vor Ort zu genießen, sich aber niemals eine Oper am Stück alleine zuhause anhören (aus reiner Freude an der Musik), trinken sie den prestigeträchtigen Wein vermutlich vor allem in feiner Gesellschaft bzw. beim geschäftlichen Dinner im gehobenen Restaurant und bekunden dort ihre Wertschätzung, während sie für sich allein zuhause selbstverständlich "immer-unter-7-Euro"-Wein kaufen. Nur so sind deine Zahlen ja überhaupt zu erklären.Und wenn man man etwas weiter auf die Marktrealitäten schaut, würde man sehen, dass auch die weit überwiegende Mehrzahl der Leute aus den Gruppen der "Konservativ Etablierten", "Liberal Intellektuellen", "Performern" und den anderen sogenannten Besserverdienern ihren Wein wie auch alle anderen beim Aldi oder im Supermarkt um die Ecke kaufen.
Klar, Lobenberg ist eine Nische. Der durchschnittliche Preis, den die Kunden bei ihm ausgeben, beträgt 20€ (sagt er selbst), das ist schon ziemlich hoch. Von seiner Kundschaft auf eine Allgemeingültigkeit bestimmter soziologischer Denkmodelle wollte ich auch gar nicht schließen, sondern nur bemerken, dass etwa das gediegene, aufgeräumte Design ohne etwa knallige Farben und animierte Bilder und mit viel schwarzem Text auf weißem Hintergrund wahrscheinlich kein Zufall ist (und in diesen Aspekten etwa dem Internetauftritt der FAZ ähnelt), sondern ganz bewusst auf seine Zielgruppe zugeschnitten.Ein Händler wie Lobenberg lebt in einer ziemlich engen Nische, Umsatz hin oder her. Von seiner (angenommenen) Kundschaft eine Allgemeingültigkeit bestimmter soziologischer Denkmodelle im Bezug auf Weinkonsumenten ableiten zu wollen, ist gelinde gesagt reichlich abwegig.