Vorgestern Falkenstein, gestern Emilia-Romagna... zwei Beiträge von mir generieren fünfeinhalb Seiten rohe Emotion... muss eine Nebenwirkung von Corona sein.
1. Spritz kommt von Spritzer, bajuwarisch für Weinschorle. Nach Abzug der Besatzer wurde in den befreiten Gebieten die Schorle kulturell appropriiert und italienisiert, und zwar durch Hinzufügen zuerst lokaler(!) Liköre (vgl. Kir), später dann großitalienischer Produkte wie eingelegte Oliven und Orangenscheiben. Der Aspekt "lokale Liköre" erklärt, weshalb man in Padova traditionell mit Aperol bzw. Cynar, in Milano hingegen mit Campari arbeitet. (Allerdings hält sich gerade in Padova wacker die Ansicht, der Aperol repräsentiere das Blut der im heroischen Befreiungskampf Gefallenen, und Campari natürlich nicht, weil: Milano, und Milano geht gar nicht.) Mischungen der Liköre sind aber völlig üblich, der Klassiker ist halb Campari, halb Aperol, kann man auch überall standardmäßig bestellen.
2. Ich selbst mag's bitterer und bevorzuge zwei Drittel Campari, ein Drittel Aperol, den Prosecco so trocken wir nur möglich (idealerweise einen Frizzante vom westlichen Gardasee), eine große Orangenscheibe und recht viele eingelegte Oliven. Drei Eiswürfel. Großes Rotweinglas. Das reduziert die Süße und verstärkt die grün-kräuterige Kompenente, der Spritz bleibt lange kühl, ohne zu wäßrig zu werden. Den Spritz trinke ich auch zum Essen weiter bzw fertig (
apericena), bevorzugt allerdings mit Sachen aus dem Veneto, und ggf. steige ich um auf Wein. In Bologna wird traditionell ein
tagliere misto gereicht, ein Teller mit lokalen Wurst- und Schinkenprodukten (
prosciutto di Parma, sopressa, Mortadella di Modena), zu denen mir ein Lambrusco oder (falls es ein Mischgetränk sein muss) ein Negroni besser passt (zumal der einen die italienische Gesamtsituation besser vergessen lässt).
3. Anfangs war das ein lokaler, auf die ehemalige Besatzungszone beschränkter Aperitivo. Natürlich wird mittlerweile in ganz Italien Spritz getrunken, so wie auch Hamburger Kölsch, Berliner Weiße oder bayrisches Weißbier trinken. (Völlig überraschend und unerwartet, ich weiß.) Allerdings fehlt diesen Italienern teilweise die "Spritz-Kultur" - das ist wie kühlschrankkaltes IPA oder die Schaumkrone vom Pils mit einem Messer abwischen -, deswegen schwankt die Qualität der Präsentation regional. Und, wie gesagt, nicht jede zum Apero gereichte Kleinigkeit passt optimal zum Spritz. Dann trinkt man halt was anderes.
4. Natürlich gab es niemals die Regel, Wein nur zum Essen zu trinken; auch "die Italiener" spielen Karten und schauen Sportschau oder haben romantische Abende auf Eisbärenfellen vor offenen Kaminen. Gleiches gilt auch für alle anderen Weinländer. Sorry, daß "die Deutschen" doch nichts Besonderes sind.
Cheers,
Ollie
Parfois, quand c'est trop minéral, on s'emmerde.
"Souvent, l'élégance, c'est le refuge des faibles." (Florence Cathiard, copropriétaire de Château Smith Haut Lafitte)