Markus Vahlefeld hat geschrieben:Im Ernst: ja, die Anbindung von Qualität an eine Lage ist altes Denken. Burgundy calling, 1000 Jahre Geschichte. Die Neuzeit spielt im Bordelais, wo keine Lagen, sondern die Weingüter klassifiziert sind. Und Weingüter sind Marken.
In 500 Jahren, wenn sich die Grossen Gewächse etabliert haben und nicht mehr nur als Marketing-Gag wahrgenommen werden, werden die Weine das gleiche Problem haben, wie die aus dem Burgund. Wo eine Grosse Lage draufsteht, muss noch lange keine gute Qualität drin sein. Ach Gott, das ist jetzt schon so? Ts ts, habe ich ganz verdrängt...
Fair enough. Das ist ein vertretbarer Standpunkt. Ich war nur nicht ganz sicher, ob du es auch so meinst.
Wie siehst du eine Klassifikation der Weingüter anhand ihrer Qualität - etwas unabhängiger (aber nicht ganz unabhängig) von der Lage - nach dem Vorbild des Bordelais? Es gäbe mehrere Möglichkeiten (nur theoretisch, praktisch halte ich weder im VDP noch in einer sonstigen Zweckverbindung eines dieser Systeme für realisierbar - die Grabenkämpfe wären zu groß):
1. ein Klassifikationssystem nach dem Vorbild der Klassifikation von 1855.
2. ein Klassifikationssystem mit einer fluiden Klassifizierung nach Mitgliedschaft sowie innerhalb der Mitgliedschaft. Beispiel: St.-Emilion.
3. kein Klassifikationssystem, das durch einen Zweckverband vorgegeben wird; stattdessen eine reine Orientierung am Markt (Beispiel: Pomerol).
Ich finde das Klassifikationssystem anhand der Lage für deutschen Wein sehr gut. Ich finde auch anhand meiner sehr begrenzten Erfahrung zum Beispiel nicht, dass man sich im Burgund gar nicht an dem Renommée einer Lage orientieren kann. Die einzigen wirklich "unzuverlässigen" Grand Crus sind die drei ganz großen: Corton, Clos de Vougeot und Echézeaux. Ansonsten gibt es immer Erzeuger in Grand Cru Lagen, die den Ansprüchen nicht gerecht werden. Aber diese sind eher die Ausnahme als die Regel. Bei Premier Crus gibt es schon weniger Verlässlichkeit. Aber jeder Winzer, der für seine Premier Crus dauerhaft ordentliches Geld verlangen will, muss definitiv auf die Qualität achten und darauf, dass sein Meursault Premier Cru Génevrières besser ist als sein Bourgogne Blanc.
Im Bordelais ist im Übrigen die Klassifikation genauso wenig verlässlich. Man vergleiche nur einige der 2eme und 3eme Cru Classés des Médoc (plakatives Beispiel: Rauzan Gassies, 2eme Cru Classé) mit einigen 5eme Cru Classés (plakatives Beispiel: Lynch Bages, 5eme Cru Classé).
Markus, das "Problem" der Underperformer in einem starren Klassifikationssystem, sei es nun nach Lagen oder nach Weingütern, wird man immer haben. Und ein durchlässiges Klassifikationssystem mit vielen Zugängen und v.a. unfreiwilligen Abgängen, ist m.E. nicht durchsetzbar, zumal die Entscheidungsinstanz in einem sich selbst verwaltenden Verband wie dem VDP sich immer dem Vorwurf der Interessenkonflikte wird ausgesetzt sehen. Beispiele für die Grabenkämpfe, die in einem fluiden System entstehen können, sind die Cru Bourgeois auf dem linken Ufer und die Grand Cru Einteilung in St.-Emilion
Es ist auch kein Zufall, dass Schäfer-Fröhlich für seine GGs mittlerweile zwischen 30 und 40 Euro verlangen kann, wohingegen viele Rheingauer mit ihren EGs die 30 Euro Marke nicht überschreiten können, ohne auf ihrem Wein sitzen zu bleiben. Die Käufer sind nicht ganz blöd. Sie wissen - mit zahlreichen Ausnahmen - auch, dass der Erzeuger eine wichtige Rolle spielt und man sich nicht allein auf das Label "Großes Gewächs" verlassen kann. Das ist auch im Bordelais nicht anders, wo Rauzan Gassies nicht mal ansatzweise den Preis von Lynch Bages verlangen kann. Das ist auch im Burgund nicht anders, wo ein Chambolle Musigny 1er Cru Les Amoureuses deutlich höhere Preise erzielt als die allermeisten Corton Grand Crus oder wo Coche Dury und Leroy für ihre Bourgogne Rouge und Blanc deutlich mehr verlangen können, als viele Premier Crus oder teils sogar Grand Crus von anderen Erzeugern.