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Genossenschaftsweine

Hohe Brisanz, kurzes Verfallsdatum
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UlliB

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Re: Genossenschaftsweine

BeitragSo 4. Apr 2021, 09:58

Georg R. hat geschrieben:Wie haben denn z.B. die Südtiroler diesen Knoten gelöst?

Die Geschichte ist recht schnell erzählt:

Anfang der 80er kam es nach mehreren Weinskandalen zum völligen Zusammenbruch des Marktes für die Vernatsch-basierten Weine, St. Magdalener und vor allem Kalterer See. Diese Weine bildeten damals aber das wirtschafliche Rückgrat des gesamten Südtiroler Weinbaus, die Wertschöpfung beruhte zu über 80% darauf. Praktisch stand man plötzlich vor dem Nichts - die Alternative war, den Weinbau ganz aufzugeben und sein Geld anders zu verdienen, oder sich grundlegend neu zu erfinden. Tatsächlich waren es dann einige Genossenschaften, die den Karren aus dem Dreck gezogen haben. Dabei war die Notlage auch den Mitgliedern so evident, dass die bei der Neuausrichtung willig mitgezogen haben.

Eine vergleichbare Situation hat es bei den deutschen Genossenschaften nicht gegeben. Zwar ging es denen schon mal wesentlich besser, aber der wirtschaftliche Niedergang ist schleichend, und so lange man noch von den Ausschüttungen leben kann, sieht man nicht die Notwendigkeit für einschneidende Maßnahmen. Man muss allerdings auch einräumen, dass die Ausgangssituation für die Südtiroler insofern günstig war, als dass es in Italien einen Mangel an frischen und aromatischen Weißweinen gab und man in diese Lücke erfolgreich vorgestoßen ist und damit (zumindest für lange Zeit) ein Alleinstellungsmerkmal hatte. Die Marktverhältnisse in Deutschland sind grundlegend anders, hier gibt es umfangreiche Möglichkeiten zur Substitution.

Gruß
Ulli
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Georg R.

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Re: Genossenschaftsweine

BeitragSo 4. Apr 2021, 21:50

Danke für die Hintergrundinfo.

In dem Beispiel war es dann wohl ein gordischer Knoten, der nur mit "Gewalt" gelöst werden konnte.

Unsere Grosskellereien waren ja damals nicht ganz unbeteiligt, das hatte aber wohl keinen Einfluss auf das Kaufverhalten.
Vielleicht hätte das ein Wendepunkt sein können.


Gruss
Georg
Man kann die Erkenntnisse der Medizin auf eine knappe Formel bringen: Wasser, mäßig genossen, ist unschädlich.
Mark Twain
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UlliB

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Re: Genossenschaftsweine

BeitragMo 5. Apr 2021, 10:43

Georg R. hat geschrieben:Unsere Grosskellereien waren ja damals nicht ganz unbeteiligt, das hatte aber wohl keinen Einfluss auf das Kaufverhalten.

Ich bin nicht sicher, ob Du das hier nicht mit dem österreichischen Weinskandal (1985) verwechselst, in den tatsächlich ein paar deutsche Großkellereien hineingezogen wurden. Die Südtiroler hatten ihren Skandal schon ein paar Jahre früher, und ich kann mich nicht daran erinnern, dass daran deutsche Kellereien beteiligt waren. Das mediale Echo in Deutschland war auch wesentlich geringer, da in Südtirol keine potentiell gesundheitsschädliche Chemikalie dem Wein zugesetzt wurde, sondern "nur" massiv gepanscht worden war ;)

Eine Parallele gibt es allerdings darin, dass auch der österreichische Weinskandal zum völligen Zusammenbruch des Marktes geführt hat und die resultierende Krise im Ergebnis heilsam war.

Gruß
Ulli
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Georg R.

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Re: Genossenschaftsweine

BeitragMo 5. Apr 2021, 12:37

UlliB hat geschrieben:
Georg R. hat geschrieben:Unsere Grosskellereien waren ja damals nicht ganz unbeteiligt, das hatte aber wohl keinen Einfluss auf das Kaufverhalten.


Ich bin nicht sicher, ob Du das hier nicht mit dem österreichischen Weinskandal (1985) verwechselst...


Hab das nochmal nachgelesen, und mein professionelles Halbwissen wurde wieder einmal bestätigt :lol:

Wenn wir schon dabei sind: Soweit ich weiss, werden einige (oder gar die Mehrzahl) der Genossen bei uns nicht nur nach Menge, sondern auch nach Mostgewicht bezahlt?

Wenn das so wäre, würde es so manchen fetten Burgunder erklären.

Gruss
Georg
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Mark Twain
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UlliB

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Re: Genossenschaftsweine

BeitragMo 5. Apr 2021, 13:35

Georg R. hat geschrieben: Soweit ich weiss, werden einige (oder gar die Mehrzahl) der Genossen bei uns nicht nur nach Menge, sondern auch nach Mostgewicht bezahlt?

Wenn das so wäre, würde es so manchen fetten Burgunder erklären.

Ja, zumindest dort, wo ich mich nach den Modalitäten erkundigt habe, ist das so. Bei der Anlieferung wird gewogen und beprobt, und die Auszahlung richtet sich nach Menge und Mostgewicht. Man braucht zur Festlegung der Auszahlung halt objektive Kriterien (=Messwerte), und Dinge wie "physiologische Reife" sind eben nicht objektivierbar.

Natürlich könnte man das Problem dadurch lösen, dass man die Auszahlung nach Mostgewicht deckelt oder sogar ab einem bestimmten Punkt invertiert. Aber vielleicht liegt das eigentliche Problem überhaupt nicht da. Es gibt unter den Genossenschaften durchaus erkennbar einen Wettbewerb um Prämierungen - Medaillen des jeweiligen Weinbauverbands, der DLG, Mundus Vini, AWC, etc. Und da gilt eigentlich immer: je fetter, desto Prämie (ein generelles Problem von Massenverkostungen). Wahrscheinlich müsste man erstmal da ansetzen.

Gruß
Ulli
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robertz

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Re: Genossenschaftsweine

BeitragMo 5. Apr 2021, 16:32

Bei den guten (italienischen und österreichischen) Genossenschaften, die ich kenne, gibt der Kellermeister den Mitgliedern (Weinbauern = Weingartenbesitzern) ihre Arbeit vor, er kennt zum Teil ihre Weinberge genauso gut wie die Winzer selbst. Da werden, die Trauben nicht nach Öchsle und schon gar nicht nach Menge bezahlt, sondern es müssen die Vorgaben eingehalten werden, damit die Trauben die Qualität für die angestrebten Weine erfüllen. Nur so können die angestrebten Weinqualitäten, die damit verbundenen Preise und somit Einnahmen für die Genossenschaften und somit Mitgliedern (Traubenproduzenten) erzielt werden.

Dies bedeutet natürlich auch viel Arbeit für den engagierten Kellermeister, der seinen Job als Winzer wirklich liebt und lebt.

Bei manchen Genossenschaften kann man inzwischen sogar schon im Internet nachlesen, welcher Lagenwein von welchen Besitzerfamilien kommt (und somit ihre Weingartenarbeit nochmals ins Rampenlicht gestellt wird).

Schöne Grüße aus Wien, Robert
Vergeblich klopft, wer ohne Wein ist, an der Musen Pforte. ;)
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OsCor

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Re: Genossenschaftsweine

BeitragMo 5. Apr 2021, 17:14

Die WG Ihringen hat laut ihrer Website 600 Mitglieder und 300 ha Rebfläche. Aus diesen Zahlen schließe ich, dass hier sehr viele Nebenerwerbswinzer am Werk sind, die einem anderen Beruf nachgehen. Es könnte doch sein, dass für Mondscheinwinzer der Aufwand, der für höherwertige Produkte erforderlich wäre, zu hoch sein könnte - objektiv oder auch subjektiv.
Das Denken der Genossenschaftsmitglieder wird auch nach meinem Empfinden dominiert vom Streben nach absatzfördernden Prämierungen. Ich finde gerade die Seite nicht mehr, auf der in großen Buchstaben der Titel „Abgesahnt” zu lesen war - also Absahnen bei Bewertungen, aber das trifft es.
Ich kann mir im Moment auch nicht vorstellen, wie es aussähe, wenn alle oder wenigstens die meisten WGs nur noch qualitativ hochwertigen Wein zu entsprechenden Preisen produzierten. Das wäre den Selbstvermarktern vermutlich gar nicht recht, denn damit entfiele ihre Geschäftsgrundlage. Und der „gehobene” Otto Normalverbraucher würde dann vermutlich ins Ausland wechseln, vermute ich mal.

Gruß
Oswald
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UlliB

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Re: Genossenschaftsweine

BeitragMo 5. Apr 2021, 17:33

OsCor hat geschrieben:Die WG Ihringen hat laut ihrer Website 600 Mitglieder und 300 ha Rebfläche.

Genau an diese WG dachte ich gerade - so ganz untypisch ist die Struktur nicht, ähnlich gelagerte Fälle gibt es noch etliche in Baden und Württemberg. Da ist die von Robert erwähnte Arbeitsweise faktisch unmöglich.
Aus diesen Zahlen schließe ich, dass hier sehr viele Nebenerwerbswinzer am Werk sind, die einem anderen Beruf nachgehen. Es könnte doch sein, dass für Mondscheinwinzer der Aufwand, der für höherwertige Produkte erforderlich wäre, zu hoch sein könnte - objektiv oder auch subjektiv.

Es kommt ja noch dazu, dass für diese Nebenerwerbswinzer der wirtschaftliche Ertrag aus ihrer Tätigkeit nachrangig oder sogar weitgehend irrelevant ist, das ist nur ein kleines Zubrot. Für viele ist da "ihre" Genossenschaft tatsächlich eher eine soziale Einrichtung, wie Georg schon weiter oben geschrieben hat. Das hat dann schon was von Sportverein oder Kegelclub... und auch da geht's ja um Pokale und Medaillen ;)
Ich kann mir im Moment auch nicht vorstellen, wie es aussähe, wenn alle oder wenigstens die meisten WGs nur noch qualitativ hochwertigen Wein zu entsprechenden Preisen produzierten.

Das ist überhaupt nicht möglich. Selbst die kleineren Genossenschaften sind in Deutschland immer noch so groß, dass sie ihr Produktionsvolumen unmöglich im Direktvertrieb oder im Fachhandel absetzen können (der Fachhandel macht hier meistens eh einen Bogen um die Genossenschaften). Man ist auf den Lebensmittelhandel als Vertriebskanal zwingend angewiesen - und der diktiert, was da angeliefert wird, und vor allem, zu welchen Preisen. Und das heißt da: billig.

Gruß
Ulli
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EThC

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Re: Genossenschaftsweine

BeitragMo 5. Apr 2021, 17:44

OsCor hat geschrieben:Die WG Ihringen hat laut ihrer Website 600 Mitglieder und 300 ha Rebfläche.

...das ist in Südtirol nicht sooo viel anders, ganz grob kann man da je Winzer bzw. Genossenschaftsmitglied 1 ha rechnen.
OsCor hat geschrieben:Ich kann mir im Moment auch nicht vorstellen, wie es aussähe, wenn alle oder wenigstens die meisten WGs nur noch qualitativ hochwertigen Wein zu entsprechenden Preisen produzierten.

Um bei Südtirol zu bleiben: die haben da einen gut florierenden Absatzmarkt, quasi ganz Italien steht da Schlange v.a. hinsichtlich frischerer Weißweine. Deshalb sind viele der dortigen Genossenschaften gar nicht so sehr drauf angewiesen, 5 Euronen-Weine in der Region zu verkaufen, z.B. bei der Cantina Terlan gibt's keinen Wein unter 10 EUR. Und bei den Umsätzen kann man sich dann schon intensiv um seine Mitglieder kümmern...

Tatsächlich sehe ich auch nicht, wo die deutschen WG's mit höherwertigen und damit höherpreisigen Weinen hin sollten, der Markt für Weine > 5...7 Euronen pro Flasche ist mengenmäßig doch recht begrenzt und Mangel herrscht da auch nicht wirklich...
Viele Grüße
Erich

Nicht was lebendig, kraftvoll, sich verkündigt, ist das gefährlich Furchtbare. Das ganz Gemeine ist's
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was immer war und immer wiederkehrt und morgen gilt, weil's heute hat gegolten.

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OsCor

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Re: Genossenschaftsweine

BeitragMo 5. Apr 2021, 18:38

EThC hat geschrieben:Tatsächlich sehe ich auch nicht, wo die deutschen WG's mit höherwertigen und damit höherpreisigen Weinen hin sollten, der Markt für Weine > 5...7 Euronen pro Flasche ist mengenmäßig doch recht begrenzt und Mangel herrscht da auch nicht wirklich...
Das sehe ich genauso.
Allerdings habe ich mich gerade gefragt, ob ich mich nicht verrenne, weil ich etwa die Tatsache, dass Kaiserstühler WGs ihre Weine nach dem Motto RZ = Säure oder RZ > Säure produzieren, als Beweis für mindere Qualität ansehe.
Aber natürlich frage ich mich, warum das Vorzeigeprojekt der WGs, der Pinot Magma (Cuvée aus Weiß- und Grauburgunder) durchweg mit deutlich geringeren RZ-Mengen angeboten wird (z.T. unter 1 g/l). Sehen die Verantwortlichen geringere RZ-Mengen möglicherweise doch als Qualitätsfaktor an?

Gruß
Oswald
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