Gerald hat geschrieben:Für mich gibt es eigentlich nur zwei in sich konsistente Ansätze: entweder "es geht rein um den Geschmack, alle Zusätze (solange gesundheitlich unbedenklich) sind OK, wenn es den Geschmack verbessert" - oder eine Art "Reinheitsgedanke" (nur Trauben, sonst nichts) wie bei den "vin naturel"-Anhängern.
Für meine Begriffe ist diese Perspektive eine typisch "naturwissenschaftliche" - und mir wird wieder einmal deutlich, dass ich aus sehr triftigen persönlichen Gründen kein Naturwissenschaftler geworden bin, denn meine Art des Denkens ist einfach eine andere.
Ich sehe hier keinen Dualismus von zwei in sich konsistenten Ansätzen, sondern ich sehe vielmehr ein historisch gewachsenes (die Herstellung und Bewertung von Wein findet ja nun mal nicht in einer Art kulturellem Vakuum statt - gewisse Formen der Geschmacksveränderung beim Wein galten schon vor Jahrhunderten als "Panschen") Spannungsfeld zwischen den Polen der
nötigen und der
möglichen "Manipulation" des Traubenmaterials. Und innerhalb dieses Feldes muss jeder für sich den Punkt, auf dem er zu stehen wünscht, suchen. Zwischen den Extrempositionen "Nur Trauben, sonst nichts" und "Alles ist erlaubt, wenn es ohne Gefährdung der Gesundheit der Geschmacksverbesserung dient" kann ich schon noch eine Menge anderer möglicher Standpunkte erkennen - diese mögen dann zwar aus der wissenschaftlichen Perspektive nicht "in sich konsistent" sein, aber trotzdem sind sie aus meiner Perspektive alles andere als komplett unsinnig!
Ich zum Beispiel (es handelt sich jetzt wirklich nur ein exemplarisches Detail!) bevorzuge ohne die Verwendung von Reinzuchthefen vergorene Weine, lehne aber Weine, die mit Reinzuchthefen produziert wurden, nicht kategorisch ab. Andere sehen das weit puristischer als ich, noch anderen (durchaus erfahrenen und kompetenten) Weinfreunden ist die Hefefrage komplett wumpe. Wie schon gesagt: Jeder muss den für ihn ganz subjektiv passenden Ansatz finden, denn auf dem weiten Feld der Ästhetik (auf dem wir uns aus meiner Sicht beim Weingenuss befinden) gibt es nun mal keine absolute Objektivität. Das Trinken und Beurteilen von Weinen hat am Ende auch viel mit der emotionalen (und mit der "historischen") Ebene zu tun.
Herzliche Grüße
Bernd