Aktuelle Zeit: Do 28. Mär 2024, 12:29


Rettet den restsüßen Spätburgunder Prädikatswein!

  • Autor
  • Nachricht
Offline

Kle

  • Beiträge: 947
  • Registriert: Fr 10. Dez 2010, 17:18
  • Wohnort: Hamburg

Re: Rettet den restsüßen Spätburgunder Prädikatswein!

BeitragMo 8. Sep 2014, 10:10

Hallo Andreas und Gerald,

die Theorie von den „negativen Aromen“ gerät in der Tat auf den ersten Blick ins Wanken, wenn man sie auch auf feste Lebensmittel anwendet. Nicht nur die in vielen Küchen mit langer Tradition verbreiteten scharfen Gewürze wären schwer zu erklären. Kulturübergreifend gibt zu denken, warum zahlreiche Früchte und Beeren, die bereits in der Steinzeit zu Grundnahrungsmitteln zählten, Bitternoten aufweisen. Warum sollten diese Noten lediglich eine warnende Funktion für den menschlichen Gaumen besitzen, während Oxydation, die auf einen chemischen Zersetzungsprozesse hinweist, zum „kindlichen“ Genussrepertoire“ gehören kann?
Nach meiner Erfahrung schmecken mir viele oxydierte Weine, weil ich mit der Zeit feine, interessante Geschmacknuancen in ihnen entdeckte. Gewöhnung bedeutet hingegen, wenn ich nicht mehr merke, dass ich einen oxydierten Wein trinke. Ein Phänomen, das während eines längeren Abends vorkommen kann.

Gruß, Kle
—People may laugh as they will—but the case was this.
Tristram Shandy
Offline
Benutzeravatar

Markus Vahlefeld

Administrator

  • Beiträge: 1689
  • Bilder: 2
  • Registriert: Do 4. Nov 2010, 10:43

Re: Rettet den restsüßen Spätburgunder Prädikatswein!

BeitragMo 8. Sep 2014, 10:47

Ich glaube, dass es rein weintechnisch recht schwer ist, Rotweine mit natürlicher Süße auf natürliche Weise entstehen zu lassen. Die Gründe sind ja hinlänglich aufgeführt. Wer jedoch Weine mit Süßreserve und roter Farbe schätzt, wird mit Andreas’ Aufruf zur Rettung derselben sicher etwas anfangen können.

Was mich diesen Aufruf sicher nicht unterschreiben lässt, ist seine Begründung. Sie gibt vor, allgemeingültig daherzukommen, statt einer persönlichen Vorliebe geschuldet zu sein. Der Satz „Ich liebe süße alkoholarme Rotweine mit Prädikat“ ist ein ganz anderer, als der Satz „Wer sich seine Geschmacksknospen noch nicht versaut hat, kann keine trockenen Weine mögen und muss daher den süßen Rotwein retten“. Abgesehen davon, dass ich den Satz für völlig falsch halte, fühle ich mich von ihm nicht angesprochen und ergo auch zu keiner Rettungstat veranlasst.

Die Unterstellung, die durchaus deutlich mitschwingt, dass, wer trockene Weine mit mehr als 10% Alkohol schätzt, in Wahrheit ein Grobschmecker mit verlotterter Sinneswahrnehmung ist, kommt mir zwar von Andreas’ Präferenzperspektive her als eine mögliche vor, allein ich halte sie bereits für den Ausdruck eines Defizits. Eine solche Unterstellung, die meint andere Geschmäcker erniedrigen zu müssen, um seinen eigenen Geschmack zu erhöhen, hat mit dem vermeintlich angesprochenen sinnlichen Genuss nur am Rande zu tun. Hier wird, wie so oft, die Lobpreisung des „zurück zum kindlich Ursprünglichen“ zu einem Herrschaftsargument, um sich über die grobe und schlechte irdische Welt zu erheben.

Gegen persönliche Präferenzen ist nichts einzuwenden. Wer jedoch meint, sie durch die Deklassierung anderer Präferenzen begründen zu müssen, findet meine Zustimmung nicht. So einfach ist das.
Offline

AH.

  • Beiträge: 92
  • Registriert: Mo 13. Dez 2010, 19:17

Re: Rettet den restsüßen Spätburgunder Prädikatswein!

BeitragMo 8. Sep 2014, 11:59

Und noch zum Wein: wenn man einen Wein mit - sagen wir - 13 Vol.% als sehr deutlich und unangenehm bitter empfindet, dann wird diese Empfindung bei 9 Vol.% etwas schwächer, aber noch immer sehr gut wahrnehmbar sein. Wenn man einen bitteren Aperitif mit etwas Mineralwasser verdünnt, schmeckt er ja auch noch immer bitter.

So gesehen dürfte Andreas überhaupt keinen Wein trinken, weder mit 7,5 noch mit 14 Vol.%


Hallo Gerald,

ich hatte schon in einem Beitrag vorher darauf hingewiesen, daß Süße nach der sensorischen Lehrmeinung Bitterkeit maskiert. Dies trifft bei mir bei einer normalen Mosel-Spätlese mit 7,5 vol% zu. Ich nehme diese als nicht bitter wahr. Natürlich kann es noch bitter-empfindlichere als mich geben, die auch einen solchen Wein als alkoholisch bitter wahrnehmen.

@ Markus:

Der Satz „Ich liebe süße alkoholarme Rotweine mit Prädikat“ ist ein ganz anderer, als der Satz „Wer sich seine Geschmacksknospen noch nicht versaut hat, kann keine trockenen Weine mögen und muss daher den süßen Rotwein retten“. Abgesehen davon, dass ich den Satz für völlig falsch halte, fühle ich mich von ihm nicht angesprochen und ergo auch zu keiner Rettungstat veranlasst.

Das ist eine falsche Unterstellung, eine Lüge und daher böse (ich trinke auch trockene Weine und einen Begriff wie "versaut" würde ich wirklich nie verwenden). Ich habe das nicht geschrieben.

@ Kle

die Theorie von den „negativen Aromen“ gerät in der Tat auf den ersten Blick ins Wanken, wenn man sie auch auf feste Lebensmittel anwendet. Nicht nur die in vielen Küchen mit langer Tradition verbreiteten scharfen Gewürze wären schwer zu erklären. Kulturübergreifend gibt zu denken, warum zahlreiche Früchte und Beeren, die bereits in der Steinzeit zu Grundnahrungsmitteln zählten, Bitternoten aufweisen.

Ich kann mich an mein erstes scharfes Essen als Kind erinnern (habe ich selbst gekocht, mit Chili-Schoten) und das habe ich gemocht. Hin und wieder esse auch ich gerne scharf (nicht zu oft) - am liebsten aber italienisch mit frischen Kräutern. Ich bin eben biologisch vermutlich bitter-avers und scharf-mögend. Auch das umgekehrte ist denkbar.
Ein Freund von bitteren Beeren werde ich nicht werden, auch wenn die in der Steinzeit als Grundnahrungsmittel dienten, was ich nicht weiß. Ich bleibe bei meiner Methode: Was ich biologisch köstlich finde, genieße ich, was mir biologisch widerlich erscheint, lehne ich ab. Ich bin daher auch sensorisch zuverlässig, was ich einmal mochte, mag ich wieder und was ich nicht mochte, mag ich auch zukünftig nicht. Aber es ist eben mein Geschmacksprofil und das kann man nicht verallgemeinern (ich bin aber kein schlechter Ratgeber nach meiner Erfahrung, was ich empfehle, schmeckt in aller Regel köstlich, auch Kindern - also kann ich vermuten, daß mein Geschmack nicht völlig unnormal ist). Ich selbst möchte keinen "acquired taste" erwerben, weil es meinen Genuß steigert, wenn man immer nur so köstlich wie möglich ißt und trinkt.

Liebe Grüße

Andreas
Offline

MichaelWagner

  • Beiträge: 801
  • Registriert: Mi 8. Aug 2012, 13:29
  • Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken

Re: Rettet den restsüßen Spätburgunder Prädikatswein!

BeitragMo 8. Sep 2014, 12:11

...im Übrigen stimmt die komplette Herleitung von "Bitter= Schlecht weil giftig" nicht.

Obst, Pflanzen, Gewürze etcpp. haben in Ihrer Evolution nicht etwa einen bitteren Geschmack herausgebildet um dem Superschmecker-Mensch zu signalisieren "Achtung, giftig". Es war rein zufällig so, dass die Bitterstoffe den natürlichen Feinden im jeweiligen Umfeld nicht schmeckten und eben diese Sorten überlebt haben, weil kein Tier sie essen wollte. Sie mussten gar nicht alle giftig sein....

Es gibt mannigfaltig bittere Nahrung die sehr gesund ist - im übrigen ist Alkohol auch nicht ungesund wenn richtig dosiert. Es gehört zu den großen Errungenschaften der menschlichen Existenz/Evolution Angst vor neuem zu überwinden und sich sozial weiterzuentwickeln.

Ich schaue halt auch nicht mehr ausschliesslich KIKA, sondern hin und wieder auch mal die Tagesschau (die ich als Superseher dann ablehnen müsste weil manchmal nicht so lustig...)

Im Übrigen sehe ich das wie Markus: es ist besser zu sagen "ich persönlich trinke lieber süßen Rotwein", als zu sagen: "wer trockenen Rotwein trinkt ist dumm" (oder kein Feinschmecker oder whatever). Man muss es doch garnicht begründen - jeder darf doch ohnehin trinken was er möchte...
wenns läuft, dann läufts. Aber bis es läuft, dauerts...
Offline
Benutzeravatar

austria_traveller

  • Beiträge: 3467
  • Bilder: 6
  • Registriert: Mo 6. Dez 2010, 06:52
  • Wohnort: Wien

Re: Rettet den restsüßen Spätburgunder Prädikatswein!

BeitragMo 8. Sep 2014, 12:46

MichaelWagner hat geschrieben:als zu sagen: "wer trockenen Rotwein trinkt ist dumm" (oder kein Feinschmecker oder whatever).

Ich habe mich bei dieser Diskussion zwar manchmal ausgeklinkt, aber so wie ich den Einleitungstext gelesen habe, schreibt Andreas immer von seinem Stil, der zwar etwas eigentümlich, aber - für mich - immer noch eine Meinung ist.
Beste Grüße
Gerhard aus Wien
Offline
Benutzeravatar

Gerald

Administrator

  • Beiträge: 7485
  • Bilder: 32
  • Registriert: Do 24. Jun 2010, 07:45
  • Wohnort: Wien
  • Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken

Re: Rettet den restsüßen Spätburgunder Prädikatswein!

BeitragMo 8. Sep 2014, 13:08

Hallo,

ich finde Andreas' Ansatz, dass solche Lebensmitteln die "wertvollsten" sind, die einem natürlichen, kindlichen Geschmacksempfinden entsprechen, schon in gewisser Weise nachvollziehbar.

Allerdings steht er in massivem Widerspruch zur Realität, wenn man als "wertvoll" die am Markt erzielbaren Preise und die Anzahl/Aktivitäten von Personen, die sich intensiv damit beschäftigen ("aficionados"), betrachtet. Denn nach diesem Kriterium sind so gut wie immer die Lebenmittel ganz vorne, die beim ersten Kontakt gar nicht schmecken, also "acquired tastes".

Zum Beispiel bei Wein: von den teuersten und meist diskutierten Weinen sind vermutlich 90% trocken (Bordeaux, Burgund rot + weiß).

Oder bei Kaffee: welcher Kaffee-Aficionado beschäftigt sich mit Milchkaffee? Es dreht sich doch fast alles um Espresso, der beim ersten Probieren kaum jemand schmecken wird.

Oder bei Schokolade: nicht etwa Milchschokolade, sondern die - am Anfang gewöhnungsbedürftigen - Bittersorten sind am teuersten und meist diskutiert. Schokolade aus "Einzellagen" habe ich zumindest immer nur als bittere Sorte gesehen.

Ähnliches kann man bei auch vielen weiteren Lebensmitteln finden.

Ich vermute, dass das vor allem psychologische Ursachen hat. Einerseits kann man sich mit einem Produkt, das nicht jedem schmeckt, hervorragend von der Masse abgrenzen und sein Selbstwertgefühl durch die "Kennerschaft" steigern. Aber bestimmt spielt auch die Genugtuung, sich das Thema mehr oder weniger mühsam erarbeitet zu haben, eine Rolle. So wie es - zumindest für mich - viel mehr Freude macht, einen Berg zu Fuß erklommen zu haben als mit der Seilbahn. ;)

Grüße,
Gerald
Offline
Benutzeravatar

Markus Vahlefeld

Administrator

  • Beiträge: 1689
  • Bilder: 2
  • Registriert: Do 4. Nov 2010, 10:43

Re: Rettet den restsüßen Spätburgunder Prädikatswein!

BeitragMo 8. Sep 2014, 13:30

AH. hat geschrieben:@ Markus:

Das ist eine falsche Unterstellung, eine Lüge und daher böse (ich trinke auch trockene Weine und einen Begriff wie "versaut" würde ich wirklich nie verwenden). Ich habe das nicht geschrieben.


Widerspruch: So böse war das nicht und eine Lüge schon gar nicht. Du schriebst selbst "verdorben". Der Schritt hin zu "versaut" ist dann wirklich nur noch ein rhetorischer, aber kein entstellender.

Ich halte das von dir propagierte Konzept des "acquired taste" für nicht richtig. Es hat einen ideologischen Hintergrund, der erkenntnistheoretisch unhaltbar ist. Es geht, um es herunterzubrechen, von etwas positiv Ursprünglichem aus, was Kinder haben sollen. Dieses Ursprüngliche ist aber aus einem einzigen Grund ursprünglich: eben weil es in der Wertung nur 2 Ebenen kennt: völlige Ablehnung ("kreisch") und völlige Hingabe. Qualitativ wissen wir vom Ursprünglichen jedoch nichts mehr. Das hat weniger etwas mit Sozialisation ("acquainted") zu tun, als mit der Herausbildung der intellegiblen Fähigkeiten. Wer je Kinder völlig begeistert mit ihrem eigenen Kot hat spielen sehen, wird wissen, dass das Konzept des positiv besetzten Ursprünglichen nicht haltbar ist. Stattdessen ist man schon lange zum viel passenderes Begriff des "Spielerischen" übergegangen. Er verzichtet auf jede Wertung.

Du jedoch unterstellst eine "ursprüngliche" Geschmacksfähigkeit, die man sich dann "acquainted" (oder verdirbt oder versaut). Mit Deiner dir scheinbar eigenen ursprünglichen Geschmacksfähigkeit bewertest Du dann einige Geschmäcker als positiv, andere als negativ. In diesem Zusammenhang benutzt Du mit einer heftigen Penetranz Begriffe wie "widerlich", "ekelhaft" oder "abscheulich". Das hat mit einer kindlichen Wahrnehmung nur insofern zu tun, als dass es ausschließlich die infantile Wahl zwischen totaler Ablehnung und Hingabe kennt.

Im nächsten Schritt bewertest Du dann dich selbst als Feinschmecker, während die anderen, die deinen Geschmack nicht teilen, Grobschmecker, Nichtschmecker oder "acquainted" Schmecker sind. Auf jeden Fall qualitativ auf einer niedrigeren Ebene. Das Spielerische im Reichtum der Geschmäcker lässt Du komplett verschwinden und treibst damit alles Kindliche aus. Diese Mischung aus Herrschaftsgebaren einerseits und auf verzerrende Eigenschaften reduzierte Infantilität andererseits ist das Widersprüchliche in deiner Haltung. Du verfolgst das Ziel, Dich zu erheben, indem Du andere(s) erniedrigst. Das wiederum hat sich von der kindlichen Freude am Spielerischen deutlich abgelöst.

Fazit: das Kindliche wird zu einer Art "moralischem Reinheitsgebot" nur dort, wo es dir passt. Dem Spielerischen jedoch tust Du Gewalt an. Dein Stolz, seit Äonen so sauber und rein geblieben zu sein, wie dich Gott geschaffen hat, offenbart im Verzicht auf das Spielerische (ja, auch mit dem Schmutz und dem Ekel) seine Angst vor Veränderung.

Aus diesem Grund mag ich mich deinem Aufruf nicht anschließen.
Offline

Kle

  • Beiträge: 947
  • Registriert: Fr 10. Dez 2010, 17:18
  • Wohnort: Hamburg

Re: Rettet den restsüßen Spätburgunder Prädikatswein!

BeitragMo 8. Sep 2014, 13:58

Gerald hat geschrieben:Hallo,

ich finde Andreas' Ansatz, dass solche Lebensmitteln die "wertvollsten" sind, die einem natürlichen, kindlichen Geschmacksempfinden entsprechen, schon in gewisser Weise nachvollziehbar.

Allerdings steht er in massivem Widerspruch zur Realität, wenn man als "wertvoll" die am Markt erzielbaren Preise und die Anzahl/Aktivitäten von Personen, die sich intensiv damit beschäftigen ("aficionados"), betrachtet. Denn nach diesem Kriterium sind so gut wie immer die Lebenmittel ganz vorne, die beim ersten Kontakt gar nicht schmecken, also "acquired tastes".

Zum Beispiel bei Wein: von den teuersten und meist diskutierten Weinen sind vermutlich 90% trocken (Bordeaux, Burgund rot + weiß).

Oder bei Kaffee: welcher Kaffee-Aficionado beschäftigt sich mit Milchkaffee? Es dreht sich doch fast alles um Espresso, der beim ersten Probieren kaum jemand schmecken wird.

Oder bei Schokolade: nicht etwa Milchschokolade, sondern die - am Anfang gewöhnungsbedürftigen - Bittersorten sind am teuersten und meist diskutiert. Schokolade aus "Einzellagen" habe ich zumindest immer nur als bittere Sorte gesehen.

Ähnliches kann man bei auch vielen weiteren Lebensmitteln finden.

Ich vermute, dass das vor allem psychologische Ursachen hat. Einerseits kann man sich mit einem Produkt, das nicht jedem schmeckt, hervorragend von der Masse abgrenzen und sein Selbstwertgefühl durch die "Kennerschaft" steigern. Aber bestimmt spielt auch die Genugtuung, sich das Thema mehr oder weniger mühsam erarbeitet zu haben, eine Rolle. So wie es - zumindest für mich - viel mehr Freude macht, einen Berg zu Fuß erklommen zu haben als mit der Seilbahn. ;)

Grüße,
Gerald


Die von Dir, Gerald, aufgelisteten Produkte enthalten allerdings geschmacksverstärkende, bzw. modellierende Zutaten. (Meine kleine Nichte erklärt mir u.a. gerne, nur wer sehr wenig Salz verwende, könne die Aromen eines Lebensmittels intensiv wahrnehmen. Und ältere Leute müssten viel salzen, weil ihre Geschmacksnerven verkümmert seien – worauf jedes Mal eine anstrengende Diskussion mit ihr folgt).
Mir scheint es so, dass bei zunehmender Beschäftigung mit hochwertigen essbaren Rohstoffen
der Wunsch wächst, ihre Aromatik möglichst unverstellt zu erleben. Wein ohne aufdringlich-überdeckende Süße, Kaffee und Schokolade ohne gefällige Milchkomponente etc. Schönende Zutaten werden dabei oft in der Vorstellung gemieden, nur so die ganze Komplexität erfassen zu können, bzw. neue aromatische Erfahrungen machen zu können.
Mich fasziniert in dem Zusammenhang nach wie vor die Oxydation, die selbst von vielen Weinfreunden anfangs als eindeutiger Mangel angesehen wird und vielen (teilweise sogar Andreas) später zu schmecken beginnt. Hier findet eine bemerkenswerte Umwertung im Laufe der Trinkerfahrung statt.

Gruß, Kle
—People may laugh as they will—but the case was this.
Tristram Shandy
Offline
Benutzeravatar

Gerald

Administrator

  • Beiträge: 7485
  • Bilder: 32
  • Registriert: Do 24. Jun 2010, 07:45
  • Wohnort: Wien
  • Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken

Re: Rettet den restsüßen Spätburgunder Prädikatswein!

BeitragMo 8. Sep 2014, 14:05

Hallo Kle,

ich glaube, dass gerade das von dir zitierte Beispiel mit den oxidierten Noten (genauso wie bei "normalen" Reifenoten, Petrol etc.) eher zu meiner Theorie passt. Denn besonders solche Aromen stoßen Neulinge meist ab, bei "Kennern" lösen sie aber entsprechend höheres Interesse aus. Hier im Forum gab es schon öfters Wortmeldungen, dass das Interesse an Altweinen mit der Zeit bei fast jedem Weinfreund steigt.

Oder bei Käse - ich erinnere mich an den letzten Aufenthalt in der Provence, als ich den berühmten Banon-Käse probierte. Ehrlich gesagt hat mich die starke Ammoniaknote des doch deutlich gereiften Käse ziemlich abgestoßen, für den Kenner ist es aber bestimmt das Tüpfelchen auf dem i.

Grüße,
Gerald
Offline

Kle

  • Beiträge: 947
  • Registriert: Fr 10. Dez 2010, 17:18
  • Wohnort: Hamburg

Re: Rettet den restsüßen Spätburgunder Prädikatswein!

BeitragMo 8. Sep 2014, 14:54

Hallo Gerald,

da gibt es keinen Widerspruch zwischen uns. Nur die Motive…

Gerald hat geschrieben:Ich vermute, dass das vor allem psychologische Ursachen hat. Einerseits kann man sich mit einem Produkt, das nicht jedem schmeckt, hervorragend von der Masse abgrenzen und sein Selbstwertgefühl durch die "Kennerschaft" steigern. Aber bestimmt spielt auch die Genugtuung, sich das Thema mehr oder weniger mühsam erarbeitet zu haben, eine Rolle.


sah ich etwas "ernsthafter". Vieles passt jedenfalls zusammen. Das Riechzentrum im Gehirn soll ja sehr veränderungsfreudig sein und sich nervlich stetig erneuern können. Da duftet der Alte-Socken-Käse nach ein paar Urlaubstagen wie eine Frühlingswiese mit herzhaften Weidehinterlassenschaften. Und der Überlebenskämpfer braucht sich nicht durch trockene Wurzeln zu ernähren.

Gruß, Kle
—People may laugh as they will—but the case was this.
Tristram Shandy
VorherigeNächste

Zurück zu Ahr

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 3 Gäste

Impressum - Nutzungsbedingungen - Datenschutzrichtlinie - Das Team - Alle Cookies des Boards löschen