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2005 Riesling: Kühn (Rheingau) vs. Schloss Neuweier

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thdeck

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2005 Riesling: Kühn (Rheingau) vs. Schloss Neuweier

BeitragFr 26. Apr 2013, 23:41

Hier sind wir beim Politikum, im positiven Sinne. Weil: Was ein Terroir ist, bestimmt die Mehrheit. Natürlich jeder nach seinen Einflussmöglichkeiten. Meine sind begrenzt, aber egal. Zur Erinnerung die korrekte Definition:

Ein Terroir ist
(1) eine abgegrenzte geografische Einheit,
(2) in der eine menschliche Gemeinschaft
(3) im Lauf der Geschichte ein kollektives intellektuelles Produktionswissen angesammelt hat,
(4) gegründet auf dem Zusammenspiel der physikalischen und biologischen Umgebung sowie einer Gesamtheit von menschlichen Faktoren,
(5) wobei die zugehörigen sozio-technischen Errungenschaften
(6) eine Originalität offenbaren,
(7) eine Typizität verleihen
(8) und eine Reputation erzeugen
(9) für ein Produkt, welches von diesem Terroir stammt.

Wenn also ein Winzer (hier: Kühn) einen untypischen Wein erzeugt, ist das zunächst zwangsläufig *kein* Terroir-Wein. Er kann es aber werden, wenn gemäß (7) und (8) sein Wein eine entsprechende Reputation bekommt und ihm eine mit dem (potenziellen) Terroir verbundene Typiztät zugesprochen wird. Hier ist also jeder gefragt, wie in einer Demokratie, in der man von seinem Wahlrecht Gebrauch machen kann. Ich tue das, und analog der "politischen Willensbildung" vergleiche ich das "Neue" mit dem "Bestehenden". Letzteres in Form eines Vorzeigeweins aus der Ortenau. Die Preise passen zueinander. Ich machte diesen Vergleich auch schon im Jahr 2011 und bringe daher alle vier Kurznotizen:

2005 Mittelheim St. Nikolaus Riesling QbA tr., Peter Jakob Kühn, Oestrich (Rheingau)
13,5 % Alk. 17,50 Euro
wein-plus 93 Punkte (-2012)

2005 Neuweier Mauerberg Riesling Spätlese tr. "Das goldene Loch" GG, Schloss Neuweier, Neuweier (Ortenau)
13 % Alk., 17 Euro
wein-plus 88 Punkte (-2014), Gault Millau 91 Punkte (-2012)

Kurznotizen zum Kühn:
1. Fl. (28.2.11, Neuweier vs. Mittelheim): pflanzlich-medizinal; sehr dicht, fast ölig; trocken; Säure; Bitterton; überreifes Lesegut; mächtig, aber stilistisch verfehlt; ab dem 2. Tag lasch und alkoholisch; viel Körper, aber sehr untypisch; 83 Punkte
2. Fl. (24.4.13, Neuweier vs. Mittelheim): bernsteinfarben; reife Nase, ölig; im Mund sehr dicht, ölig, Kräuter; auch Säure; konzentriert, phasenweise anstrengend; interessant, aber völlig Riesling-untypisch; erinnert an René Muré; etwas alkoholisch; 2.+3. Tag unverändert; in seiner Art ziemlich stabil, aber durchgehend schwierig bis anstrengend mit gewisser Schärfe wg. Alkohol; 86 Punkte

Kurznotizen zum Schloss Neuweier:
1. Fl. (28.2.11, Neuweier vs. Mittelheim): üppig-fruchtig, Zitrus/Orange/Südfrüchte; deutlich mehr Leben als Kühn; am 2. Tag etwas weniger Biss; am 3. Tag immer noch ausgewogen; 90 Punkte
2. Fl. (24.4.13, Neuweier vs. Mittelheim): fruchtige Nase; im Mund üppig, gelbfruchtig; sehr schön, sehr dicht, reintönig; hat Restsüße; auch Säure; auch am 2. Tag perfekt balanciert (Süße, Frucht, Säure); 3. Tag unverändert; großer Wurf; 91 Punkte

Fazit:
Meine Wertung ist natürlich subjektiv. Aber so ist das nun mal in einer Demokratie. Wobei der Idee und deren Umsetzung seitens Kühn durchaus Respekt gebührt. Hinsichtlich der wein-plus-Wertung werden meine Vorurteile bestätigt: Hauptsache dicht und konzentriert. Typizität interessiert da keinen. Geht ja auch nicht, wenn nur blind verkostetet wird. Wie will ich die Typizität eines Weins würdigen, wenn ich seine Herkunft nicht kenne?
Leider war das meine letzte Flasche von Kühn. Nicht dass ich das Weingut boykottieren würde. Aber mir fehlen einfach die Kapazitäten. Baden bindet meine Kräfte. Nichtsdestotrotz würde mich interessieren, ob sich Kühn mit seinem Stil inzwischen etwas "gemäßigt" hat.
Schloss Neuweier hat mit diesem Wein unterstrichen, dass es zusammen mit Laible beim Riesling zur badischen Spitze gehört, 2005 sogar besser als Laible. Für die deutsche Spitze (d.h. 93 oder mehr Punkte) scheint es noch nicht ganz zu reichen. Man geht mit der Restsüße bis ans obere Limit im Trocken-Bereich, und damit kommt man bzgl. Komplexität und Strahlkraft an die großen Pfälzer, Rheinhessen und Rheingauer nicht ran.


Thomas
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Bernd Schulz

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Re: 2005 Riesling: Kühn (Rheingau) vs. Schloss Neuweier

BeitragSa 27. Apr 2013, 00:04

Hallo Thomas,

deinen Vergleich finde ich zwar etwas willkürlich, aber trotzdem sehr interessant!

Von beiden Erzeugern kenne ich diverse Weine, aber die konkret von dir besprochenen 05er Rieslinge hatte ich leider beide noch nicht im Glas. Zu Schloss Neuweier kann ich aber immerhin sagen, dass all meine bisherigen Erfahrungen mit Weinen dieses Betriebs nie wirklich schlecht, aber so gut wie immer dezent enttäuschend waren.

Schloss Neuweier hat mit diesem Wein unterstrichen, dass es zusammen mit Laible beim Riesling zur badischen Spitze gehört, 2005 sogar besser als Laible.


Wenn Schloss Neuweier mit seinen im deutschlandweiten Spitzenvergleich eher glatt und uniform gelbfruchtig wirkenden Rieslingen tatsächlich die badische Spitze markieren sollte, wäre es eventuell dann doch besser, auch in der Ortenau gar keinen Riesling mehr anzubauen.... :twisted:

Abgesehen davon, dass mir der konkrete Wein unbekannt ist, entsprechen die Details deiner Notizen zum "Goldenen Loch" 2005 meinen bisherigen Eindrücken von den Schloss-Neuweier-Rieslingen sehr gut. Keine Frage: Das ist der Stil des Hauses! Nur bewerte ich diese für meine Begriffe eher auf absolute Sauberkeit zielende Machart nicht so positiv wie du (und der GM :mrgreen: ).

Beste Grüße

Bernd
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toff

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Re: 2005 Riesling: Kühn (Rheingau) vs. Schloss Neuweier

BeitragMo 29. Apr 2013, 09:12

thdeck hat geschrieben:
Nichtsdestotrotz würde mich interessieren, ob sich Kühn mit seinem Stil inzwischen etwas "gemäßigt" hat.



Aus eigener Erfahrung kann ich dazu nichts sagen, aber wenn man Martin Kössler glauben darf (und der vertreibt die Kühn´schen Weine ja schon seit etlichen Jahren), so hat Kühn diesen "extremen" Stil, der u.a. wohl durch sehr lange Maischestandzeiten zustande kommt, bis 2008 durchgezogen, ist aber seitdem wieder etwas konventioneller geworden. Wenn ich richtig zwischen den Zeilen lese, so liegt der Grund dafür wohl weniger in einer Sinneswandlung von Herrn Kühn sondern eher an mangelnder Kundenakzeptanz.

Vom 05er Nikolaus müßte ich noch zwei Flaschen haben. Ich glaube, demnächst werde ich mal eine köpfen.

Grüße, Christopher

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