Wenn man auf der B 9 von Mainz her kommend nach Oppenheim fährt, dann führt einen die Straße von Nackenheim bis Nierstein eine ganze Weile rheinnah am Roten Hang entlang. Dieser ist daran erkennbar, dass die Erde tatsächlich eine rote Färbung besitzt, die immer wieder durch die Rebzeilen durchscheint. Nierstein ist dann die Zäsur (es scheint, als habe man nun endlich das alte, hässlich den Blick auf den Ort dominierende Silogebäude einer ehemaligen Mälzerei abgebrochen), die Weinberge entfernen sich vom heutigen Verlauf des Rheins und liegen oberhalb Niersteins, von der B 9 aus nicht mehr sichtbar. Ohne deutliche Zäsur erreicht man Oppenheim, das an der B 9 nicht seine schönste Seite zeigt. Die Anfahrt von Süden her nach Oppenheim ist übrigens die beeindruckendere, bei Sonnenschein leuchtet die Katharinenkirche weithin sichtbar über der Stadt.
Ein Abstecher in die malerische aber verschlafene Altstadt lohnt, gleich ob von Norden oder Süden kommend.
Wer gerne hausgemachte Torten und Kuchen mag, dem sei das kleine Altstadtcafè empfohlen. Augen zu und probieren!
Das ist im allerbesten Sinne Konditorei von gestern!!
Blind probieren sollte man auch die Weine der kleinen Weingüter Oppenheims. Da gibt es in der Geschäftsstraße der Altstadt eines, dessen im Schaufenster präsentierte Flaschen zeichnen sich dadurch aus, dass offenbar für jeden Jahrgang, jede Rebsorte und jede Qualitätsstufe ein eigenes buntes Etikett gesucht und gefunden wird. Für meine Augen ist das keine Freude, und geschmacklich hält diese sich in engen Grenzen.
Drei Weingüter fallen mir ein, wo das Probieren auch für den Weinfreak sich wirklich lohnen kann: Dr. Heyden, Dr. Dahlem und Bürgermeister Carl Koch.
Letzteres hat mit dem Zugang des Keller- und Weinbergmeisters Heiner Maleton vor einigen Jahren schon einen großen Schritt nach vorne getan.
Seit 1991 bin ich dort Kunde, die Seniorchefin hat meiner Frau und mir jüngst ein Blatt mit den ersten Einträgen in die damals noch papierbasierte Kundendatei kopiert. Damals wohnten wir noch in 4400 Münster und haben die Weine bestellt, die uns auch heute noch interessieren: Riesling, Silvaner und Burgunderweine aus den Oppenheimer Lagen Sackträger, Herrenberg und Kreuz sowie dem Dienheimer Tafelstein. Scheurebe darf es auch sein, der damals gar nicht so schlechte Kerner ist wie der Bacchus inzwischen aus dem Sortiment verschwunden.
Mir, das ist eine persönliche Präferenz, gefallen die Oppenheimer Rieslinge besser als die Rieslinge aus dem Roten Hang. Geschmacklich wirkt sich der Boden doch spürbar aus. Es ist eben wie bei sonstigen Immobilien: Lage, Lage, Lage! Das hat man sich in der Stadt vor einigen Jahren wohl auch gedacht, als man für einen Parkplatz am Rande der Altstadt tatsächlich einen Teil des Sackträgers geopfert hat. So ist das halt in Deutschland, und da geht es dem Sackträger nicht anders als dem Roßstein.
Jedes Jahr sind wir zumindest einmal in Oppenheim, so auch in den vergangenen Tagen.
Ans Herz legen kann ich jedem, die aktuellen "trockenen" Rieslinge aus dem Oppenheimer Sackträger zu probieren. Da gibt es aus dem letzten Jahrgängen einiges zu entdecken. Spontangärung oder Reinzuchthefe, Holzfass oder Edelstahl, Restzucker nahe Null oder etwas mehr,... . Unterschieden wird zwischen dem "normalen" Sackträger ("trockene" Spätlese, 2014 klasse!!), dem darüber angesiedelten Sackträger -R- und dem sogenannten "ersten Sack".
Deutlich wird, dass man sich konzeptionell nicht an der "VDP-Pyramide" orientiert, Ortsweine gibt es keine, das böte sich bei dem in der Vergangenheit doch etwas geschundenen Ortsnamen auch nicht an, und auch jeweils nur ein GG aus einer Spitzenlage ist nicht im Sinne des Weinguts. Vielmehr birgt der Sackträger, ähnlich wie beispielsweise der Kallstadter Saumagen in der Pfalz, in sich die Möglichkeit zu spannenden Differenzierungen.
In 2014 lautet die: "trockene" Spätlese aus dem Edelstahl, "trockener" Sackträger -R- aus dem Holzfass spontanvergoren. Die "einfache" Spätlese besticht durch ihre spannende Frucht, der "-R-" ist komplexer, tiefgründiger, der Holzfassausbau und die Spontanvergärung nehmen die Säure und die Frucht etwas zurück, bringen dafür in der Nase und am Gaumen andere Aromen ins Spiel. Den ersten Sack aus 2014 kenne ich (noch) nicht, falls es ihn aus dem Jahrgang 2014 überhaupt geben wird. Als Fassprobe stand der 2015 -R- zur Verfügung, da habe ich mir spontan einige Flaschen reservieren lassen. Ich fürchte ja, dass eines Tages dieses Weingut so bekannt wird, dass auch alte Stammkunden sich werden sputen müssen. Das war übrigens schon einmal so, als ein 1994er Riesling Kabinett aus der Flachlage Oppenheimer Herrengarten im 1996 Gault Millau so gut bewertet wurde, dass die Punktetrinker sehr schnell für den Ausverkauf sorgten. Ich habe gemeinsam mit meiner Frau mit Genuss die letzte Flasche aus dem Bestand der Oppenheimer Altstadtwirtschaft "Zum Fäßje" im letzten Jahr getrunken!
Einer meiner Lieblingsweine ist der Candel, ein Silvaner aus einer alten Parzelle namens "Kandelweg". Das ist ein Wein, den ich nur verschenke, wenn ich dem Beschenkten auch eine Erklärung dazu bieten darf.
Auch Hendrik Thoma hat diesen Wein geschenkt bekommen, offenbar ohne Erklärung, und ihn prompt nicht verstanden,
https://www.youtube.com/watch?v=WxJnNn_k52M. Thoma am Limit heißt diese Videoserie. In der Folge 232 stellt Thoma eindrucksvoll unter Beweis, wie er diesen Wein, der Luft und Zeit braucht, nicht versteht.
Der Wein ist kein Schmeichler, er braucht Luft, ist dann zart in der Frucht, mineralisch. Kein typischer "Rheinhessensilvaner", kein lauter Wein, aber klasse. Bei mir im Kühlschrank aktuell der 2011er, den es heute Abend zum Spargel geben wird, im Weingut der 2013 oder 2014er (musste erst im Keller nachschauen, was ich mir da gestern mitgebracht habe
, es ist der 2014er).
US-Präsident Obama durfte jüngst in Hannover den Candel zur Vorspeise trinken. Sorry, Herr Thoma, aber da gibt es Menschen, die einen anderen Zugang zum Wein finden.
Einen Kauf wert ist auch die "trockene" 2014er Scheurebe aus dem Herrenberg, einer Lage, die sich nicht hinter dem Sackträger verstecken muss, steiler und höher gelegen.
Verstecken müssen sich ebenfalls nicht die Rieslinge aus dem Oppenheimer Kreuz, wie der 2013er "Crux" unter Beweis stellt.