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"Und nach dem Essen gab es noch einen Bordeaux..."

Von der Weinbergspflege bis zur Kellertechnik
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innauen

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"Und nach dem Essen gab es noch einen Bordeaux..."

BeitragSa 2. Jul 2011, 13:49

Hallo,

passen neue Bordeauxjahrgänge und Essen noch zusammen :?:

Gestern Abend eine Flasche d´Aiguilhe 2008 geöffnet. 14 Volumen, fliest rot-lila ins Glas. Satte Cassis und Kirschnoten, dezenter Holzeinsatz. Am Gaumen üppig, fleischig und saftig. Die Frucht ist so stark ausgereift, dass eine ausgeprägtere Frucht schon zu viel sein würde. Der Alkohol ist nicht spürbar, aber nur weil Tannine und Säure auch hohe Werte zeigen. Langer primärfruchtiger Abgang.

Aber zum Abendbrot liess sich der Wein nicht trinken. Zu fett, zu mächtig, zu süß. Die Wahl fiel dann auf einen anderen 2008er. Domaine Gerbet. Bourgogne rouge. Sauer, bitter. Eigentlich grauenvoll. Zusammen mit dem Essen entwickelte er dann aber Rafinesse, Ausgeglichenheit und Länge. Gleiches Erlebnis einen Tag später mit dem Fonbel 2008, St. Emilion.

Natürlich sind die Weine noch zu jung. Selbstverständlich müssen sie noch liegen und altern. Aber in den vergangenen zwei Wochen hatte ich dann noch zwei kleine 2009er auf. Cassis-Wonne pur! Die sollen nicht liegen, die trinkt man jetzt. Lecker, hedonistische kleine Weine, die obschon für wenig Geld alles weghauen; auch das Essen. Diese Essenz von aufgelösten Johannisbeeren überdeckt einfach alles und die liköre Note in diesen Weinen passt eher zum Dessert. Also der Schluck Bordeaux danach?

2000 war der letzte klassische "Jahrhundertjahrgang". Weine, die im häufig noch 12,5 bis maximal 13,5 Prozent Alkohol zeigen. Danach stiegen die Alkoholwerte und auch die sonstigen Werte in diesen Weinen von Jahrtausendjahrgang zu Jahrtausendjahrgang an. 2003, 2005, 2009, 2010 warteten alle mit Rekorden auf. Die 2005er Bordeaux, die ich unlängst öffnete waren immer noch sehr speckig. Lieber öffne ich zum Essen 2004 oder sehr gerne 2006. Die Exotik in 2009 wird mutmaßlich schwer zu kombinieren sein. Als unlängst in einer Probe Angelus 2005 gereicht wurde, hat man das mit einem Steak kombiniert. Als Saucenersatz passte das, aber alle anderen Essen hätten in einem zu starken Antagonismus zu dieser Bombe gestanden.

Jetzt frage ich mich: War das bei Jahrgängen wie 1989/1990 anfangs auch so? Die Fruchtphase der 2000er habe ich noch mitbekommen und kann mich an gleiche Erlebnisse nicht erinnern. Momentan habe ich an Jahrgängen wie 1997, 1999 oder 2000 die größte Freude, wenn ich zum Essen lade.

Ist der klassische Claret, der geniale Essensbegleiter, also Vergangenheit oder idealsiere ich :?:

Fragt,

wolf
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Johnny Depp dementiert, 30.000 Dollar im Monat für Alkohol ausgegeben zu haben. (Quelle: „B.Z.“)
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Weinfreund

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Re: "Und nach dem Essen gab es noch einen Bordeaux..."

BeitragSa 2. Jul 2011, 17:08

Hallo Wolf,

gestern habe ich eine ganz ähnliche Erfahrung gemacht.

Den d´Aiguilhe 2008 ins Glas eingeschenkt und vor Schreck erst einmal geprüft, ob ich die richtige Flasche erwischt habe. Doch Castillon Cotes de Bordeaux aus einem mitleren Jahrgang. Im Glas schwarze fast undurchdringliche Tinte mit dicken Schlieren am Glasrand, nie und nimmer hätte ich das für einen Bordeaux gehalten. Entweder Südfrankreich oder gar Australien wären mir in den Sinn gekommen. Viel Frucht, Vanille, feinkörnige Tannine, aber für mich auch deutlich riech- und schmeckbarer Alkohol. Die 14 % halte ich für tiefgestapelt.

Und nein, dieser Wein schmeckt mir definitiv nicht, weder solo noch zum Essen.

Ja, in den alten guten Jahrgängen wie 85, 86, 89, 90 schmeckten die jüngeren Weine nicht wie marmeladiger Rumtopf ..

Viele Grüße
Sascha


Die Profis geben eher gute Noten:
Robert PARKER 90-92
Jancis Robinson 16/20
James SUCKLING 88-91
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innauen

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Re: "Und nach dem Essen gab es noch einen Bordeaux..."

BeitragSa 2. Jul 2011, 18:59

Hallo,

Danke für die Antwort. Das Problem sehen wir ja ähnlich. Im Urteil hin ich noch nicht festgelegt, aber Dein Argument mit den 80er Jahren wiegt natürlich schwer. Waren die Weine früher also dezenter? Ich habe diese hohe Werte von Alkohol, Frucht und Tannin in 2008 vor allem am rechten Ufer beobachtet. Je mehr Merlot, desto.... :shock: 2008 erscheinen mir die linksufrigen Weine dgg noch im Lot. Aber 2009 und 2010 werden sicher auch bei Cabernet die gleichen Schwierigkeiten bringen. Ich habe in diesen Jahren jedenfalls Konsequenzen gezogen und habe am rechten Ufer nur wenig gekauft.

Grüsse,

Wolf
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Frankie Wilberforce

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Re: "Und nach dem Essen gab es noch einen Bordeaux..."

BeitragSa 2. Jul 2011, 20:03

Hallo Wolf, hallo zusammen,
die stark gestiegenen Alkoholwerte, vor allem in den letzten 5-6 Jahren, haben mir auch verstärkt Kopfzerbrechen bereitet. In einem anderen Weinforum (TAW) habe ich einmal die Frage gestellt, wo die gute alte Zeit geblieben ist, als klassische, aromatische und große Bordeaux noch 12 bis 13,5 Vol.% Alk. hatten.
Seit dem Jahrhundertsommerjahrgang 2003 scheinen sie vorüber zu sein. 2004 war noch einmal eine Ausnahme diesbezüglich.
Den 2001er würde ich auch in die Kategorie "letzter sehr großer klassischer Jahrgang mit normalen Alkoholgraden" einordnen.
Die Hoffnung mit einem höheren Zuckergehalt (und demzufolge auch den höheren Alkoholgehalt zu erhalten) auch eine bessere phenolische Reife der Trauben mitgeliefert zu bekommen,
hat Philip Schwander in seinem Beitrag über die Verkostung von BDX 2010 in der NZZ sehr gut argumentativ widerlegen können.
Hochkonzentrierte Weine, die wie "Rumtöpfe schmecken", werden ja besonders von anglo-amerikanischen Verkostern sehr hoch bepunktet, sagen mir persönlich jedoch nicht zu.
Da kann es durchaus passieren, daß mir stilistisch ein Wein sehr gut schmeckt, den Parker/Suckling nicht so mag (z.Bsp. Ch. Ferriere).
Ein kürzlich getrunkener Ch. Lafon La Tuilerie, St. Emillion Grand Cru, 2008 , war zwar auch ein hochprozentiger, dennoch ein sehr, sehr gut schmeckender St. Emillion, der von Rene Gabriel euphorisch empfohlen wurde. Zu Recht, wie ich feststellen konnte. Dennoch haben mich die angegebenen 14% Alkohol nachdenklich gestimmt. :?
Ich denke, daß Bordeaux mittlerweile die Grenze überschritten hat, und sich nun verstärkt Gedanken machen sollte, diesen Umstand abzustellen.
Grüsse
Armin
Grüße Armin

Sie fragen mich nach den besten Wein, den ich getrunken habe? Der ist wahrscheinlich im nächsten Glas ...
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austria_traveller

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Re: "Und nach dem Essen gab es noch einen Bordeaux..."

BeitragSa 2. Jul 2011, 20:23

Frankie Wilberforce hat geschrieben:Ich denke, daß Bordeaux mittlerweile die Grenze überschritten hat, und sich nun verstärkt Gedanken machen sollte, diesen Umstand abzustellen.

Servus,
Ich bin ja nun wirklich kein Bordeaux Experte, aber mein Hausverstand stellt mir eine simple Frage: Warum ?
Warum sollten sie das abstellen - ich meine, die Weine lassen sich doch toll verkaufen. "Never change a winning team"
Für mich ist Bdx übrigens nur max. 13%; das nur so am Rande.
Beste Grüße
Gerhard aus Wien
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weinfex

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Re: "Und nach dem Essen gab es noch einen Bordeaux..."

BeitragSa 2. Jul 2011, 20:38

Die Problematik seh ich wohl, nur unterhalten wir
uns hier über "Primärfruchtlinge" die eben nichts von einem
gereiften Bordeaux haben...

Vor nicht einmal einem halben Jahr hat man sich im 08 Thread
darüber beschwert, wie "tanninlastig" und "spassbefreit" sich die
Weine probieren lassen. Nun sind die allermeisten in einer
wirklich genialen "Saftphase" die unglaublich hedonistisch und
manchmal auch über das Ziel hinausschiesst, was ganz normal ist
in dieser Phase ( :!: ). Grund zur Sorge sehe ich da überhaupt nicht,
im Gegenteil, dass ist ganz normal. Erinnern möchte ich, Bordeaux
braucht Zeit. Also lasst sie ihm. Wenn Ihr in 7-8 Jahren bei diesen
Weinen immer noch Probleme habt, mache ich mir auch Sorgen,
ich bin allerdings überzeugt, Ihr wundert Euch über die heutigen getätigten
Statements... ;)
Grüsse weinfex
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BerlinKitchen

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Re: "Und nach dem Essen gab es noch einen Bordeaux..."

BeitragSa 2. Jul 2011, 20:54

Als Ergänzung meine Impressionen vom 2000er im September 2010.

Bleistiftduft und auch ein bißchen morbide das Bukett. Zu Beginn recht fleischig am Gaumen, aber nach 30min. wird er runder und seidiger. Man spürt den Körper&Fülle des Merlot und gleichzeitig als Balance die Finesse des Cabernet franc. Schwarze und rote Früchte mit einer feinen Frische&Seidigkeit, die mir auch beim Top-Wein Canon-la-Gaffelière so gut gefällt. Dazu noch Noten von schwarzer Schokolade. Solider Bordeaux und eigentlich ein perfekter Bistro-Wein und paßt hervorragend zu einem Steak mit Fritten. Nächste Flasche in 3-5 Jahren. 89/100
"Ein Leben ohne Riesling ist zwar möglich, aber sinnlos!"
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susa

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Re: "Und nach dem Essen gab es noch einen Bordeaux..."

BeitragSa 2. Jul 2011, 21:36

weinfex hat geschrieben:..... Erinnern möchte ich, Bordeaux braucht Zeit. Also lasst sie ihm. .....


schade, dass es hier keinen "Gefällt mir" Button gibt ;), hier würde ich den gerne mal einsetzen

lg
susa, auch oft zu ungeduldig ;)
Red wine with fish. Well, that should have told me something.
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innauen

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Re: "Und nach dem Essen gab es noch einen Bordeaux..."

BeitragSa 2. Jul 2011, 21:44

Hallo,

Danke Martin für die VKN. 2000 war der letzte klassische Jahrhundertjahrgang. Und Andreas, Du weisst ja, dass wir das Land der Nörgler und Kritiker sind :D Der Wein macht ja irre viel Spass und die Alterung warte ich natürlich noch ab. Aber mich würde interessieren, was da noch kommt, insbesondere bei Jahrgängen die von der Papierform her in allen Parametern noch stärkere Werte aufweisen. Ohne Fan von Scheuermann zu sein, muss darf man darauf hinweisen, dass im Klimawandel Probleme für die Weinbereitung insbesondere bei hohem Merlotanteil schlummern. Und ich meine, Du hast auf Probleme am rechten ufer sowohl 2009 wie 2010 auch hingewiesen ;) Und weil ich schlicht weg nicht weiss, wie es in Primärfruchtphase der "gut alten Zeit" der zähnebeschlagenden Rauhbeine war, würde ich das von denen hier im Forum gerne wissen, die anders als ich einen älteren und besseren Geburtsjahrgang als ich haben.

Bei den 2003ern haben sich die Weine wie ich finde sehr unterschiedlich entwickelt. Es sind einige dabei, die zuwenig Säure aufweisen. Das könnte 2009 und 2011 auch zum Problem werden. 2010 hat sicherlich von allem reichlich. Und zweifelsohne werden wir gigantische Weine bekommen. Aber Giganten im Glas trinke ich doch lieber solo. Und damit zurück zur Ausgangsfrage. Was trinke ich vorher zum Essen?

Grüsse,

Wolf
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weinfex

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Re: "Und nach dem Essen gab es noch einen Bordeaux..."

BeitragSa 2. Jul 2011, 23:17

Hallo Wolf,

ganz einfache Antwort, keinen "interessanten" Bordeaux...

Auch bei diesem Thema "entziehe" ich mich der
"landläufigen" Meinung, dass man zu jedem Wein auch etwas Essen sollte... ;)

Ich setze mich gerne mit Wein "auseinander". Nun habe ich durchaus auch einige
Jahre "Küchenerfahrung", desweiteren "Wein-und-SpeisenKombination-Erfahrung".

Und trotzdem gilt grundsätzlich für mich (und nur für mich ;) ), ab einem gewissen
Niveau trinke ich Wein (lieber) grundsätzlich ohne Speisen (natürlich
gibt es Ausnahmen).

Komplexe Weine sind solo einfach besser zu "erfassen". Das gilt im übrigen genauso
andersherum für komplexe Gerichte. Warum wohl ist die regionale Küche rund um Bordeaux
sehr banal und einfach? Weil die Weine äusserst komplex sind...
Natürlich hilft ein Stück hocheiweisshaltiges Stück Fleisch, junges Tannin in
jungem Bordeaux "aufzuknacken", es ist allerdings trotzdem kein Ersatz für
einen ausgereiften alten Bordeaux, ohne Stück Fleisch... ;)

P.S. Wenn Du Dir um nichts Sorgen machen musst, dann ist es um Alkohol, Säure und Potential
in 2009 und 2010 auf der linken Seite, dass verspreche ich Dir (auch hier gibt es bestimmt
Ausnahmen, aber die bestätigen auch in diesem Fall die Regel)...
Grüsse weinfex
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