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Wer nicht spritzt, fährt ein ...

Von der Weinbergspflege bis zur Kellertechnik
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susa

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Re: Wer nicht spritzt, fährt ein ...

BeitragDo 20. Feb 2014, 08:55

Alas hat geschrieben:
susa hat geschrieben:auch irgendso ein aus Pflanzen gewonnenes Spritzmitte


Pyrevent ist ein zu 100% aus Pflanzen gewonnenes Spritzmittel.


...


natürlich ein ANDERES 8-)
Red wine with fish. Well, that should have told me something.
James Bond in From Russia with Love
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Gerald

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Re: Wer nicht spritzt, fährt ein ...

BeitragDo 20. Feb 2014, 08:55

Pyrevent ist ein zu 100% aus Pflanzen gewonnenes Spritzmittel.


das alleine ist aber noch kein Grund, dass es völlig unbedenklich wäre. Die giftigsten bekannten Substanzen sind allesamt natürlichen Ursprungs. Zum Beispiel das Botulinum-Toxin. Oder Algentoxine (Fischvergiftung).

Siehe bei Monty Python: http://www.youtube.com/watch?v=7-CbhFP1k9I

Grüße,
Gerald
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Blaufränkisch

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Re: Wer nicht spritzt, fährt ein ...

BeitragDo 20. Feb 2014, 21:49

So eine Meldung ist für die Medien und die (naturgemäß in der Mehrzahl) uninformierten Leser natürlich wie ein aufgelegter Elfer ohne Tormann. Spritzen ist ja grundsätzlich böse und jemanden dafür zu strafen, dass er es nicht tut, kommt der Meldung von "Mann beißt Hund" ziemlich nahe.

Ohne die Vorgangsweise werten zu wollen (da ich die französischen Umstände nicht kenne) möchte ich ergänzend zu Ullis Beitrag auf Seite 1 dieses Threads als im entfernteren Sinn Betroffener ein paar Hintergrundinfos liefern:

Die Amerikanische Rebzikade wurde von ebendort nach Europa eingeschleppt und hat als Einwanderer relativ wenige natürliche Feinde, auf die man zur Bekämpfung vertrauen könnte. Da sich der Schaden, den sie durch ihre Saugtätigkeit auf den Weinreben hervorruft in Grenzen hält, wäre das aber nicht weiter schlimm.

Leider kann diese Zikade aber mit jedem Saugvorgang auf einem Rebblatt die Phytoplasmenerkrankung Flavescence doree (Goldgelbe Vergilbung) übertragen, die nicht direkt bekämpft werden kann und die innerhalb weniger Jahre zum Absterben des Weinstockes führt.

Weil sich die Amerikanische Rebzikade (im Unterschied zu heimischen Zikadenarten, die ähnliche Krankheiten - Stolbur oder Schwarzholzkrankheit genannt - übertragen können) jedoch ausschließlich vom Pflanzensaft der Weinreben ernährt, kann die Verbreitung von Flavescence doree extrem schnell gehen. Es genügt ein befallener Rebstock, an dem eine Zikade saugt, damit den Erreger aufnimmt, und bei jeder weiteren Nahrungsaufnahme neue Rebstöcke infiziert.

Nicht umsonst gibt es bei uns in Österreich (und ich nehme an in anderen Gebieten ist es ähnlich) die gesetzliche Verpflichtung, von Flavescence doree befallene Rebstöcke zu roden und zu verbrennen. Sind mehr als 20 (?) Prozent der Stöcke eines Weingartens befallen, wird von den Behörden die Rodung des gesamten Weingartens amtlich angeordnet und überwacht!

Ergänzend zu diesen Maßnahmen, die dazu dienen sollen, die Infektionsmöglichkeiten für die Amerikanische Rebzikade so gering wie möglich zu halten gibt es auch bei uns (wie offensichtlich auch in Frankreich) die Möglichkeit, dass die Behörden gebietsweise Insektizidbehandlungen vorschreiben können, um die Zikadenpopulation gering zu halten.

Dazu kann man stehen, wie man will (und die Diskussion darüber erinnert ein wenig an die Impfdebatte), aber es handelt sich dabei zumindest in Österreich nicht um eine leichtfertig getroffene und von Chemiekonzernlobbying getriebene Entscheidung (wie das an anderer Stelle behauptet wurde).

Um rechtzeitig, aber nicht vorschnell zu handeln, gibt es seit einigen Jahren ein relativ aufwendiges Monitoring diesbezüglich, das die Ausbreitung der Amerikanischen Rebzikade in Österreich beobachtet und die Frage, ob die aus dem Südosten einwandernden Tierchen mit Flavescence doree infiziert sind oder nicht. Zuerst wurde die Zikade in der Steiermark entdeckt, anfangs uninfiziert, seit 2009 aber auch Flavescence doree-verseucht. (Hier ein Link zu meiner damaligen Blog-Meldung: http://www.bernhard-fiedler.at/weblog/?p=2046)

Ungefähr zu dieser Zeit fand man erstmals auch Zikaden im grenznahen Bereich des Südburgenlandes. Seit drei Jahren wird auch bei uns im Nordburgenland beobachtet und in zwei meiner Weingärten hängen gelbe Leimtafeln, mit denen die Zikaden gefangen werden. Zwei Jahre waren befallsfrei, aber 2013 wurden erstmals ein paar Exemplare der Amerikanischen Rebzikade (vorerst nicht infiziert mit Flavescence doree) gefangen.

Zweifellos werden über kurz oder lang auch Flavescence-infizierte Exemplare auftauchen und wir werden es nicht schaffen (und das ist auch niemandes Ziel), die Amerikanische Rebzikade dauerhaft von der Region fernzuhalten. Mit einem gewissen Maß an Solidarität unter den Weinbauern sollte es jedoch möglich sein, damit zu leben.

Unbearbeitete, nicht ordnungsgemäß gerodete Weingärten und das Nichtentfernen von offensichtlich kranken Rebstöcken in bewirtschafteten Anlagen (aber wohl auch die Weigerung, an gemeinsamen Aktionen dagegen mitzumachen) machen die Sache aber deutlich schwieriger, besonders in kleinstrukturierten Gebieten.
Hier gibts mehr von mir zu lesen: www.bernhard-fiedler.at
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WoFu

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Re: Wer nicht spritzt, fährt ein ...

BeitragFr 21. Feb 2014, 06:57

Danke für diese ausführlichen Informationen, dafür liebe ich Foren.

Grüße

Wolfgang,

der immer wieder gern dazu lernt.
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austria_traveller

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Re: Wer nicht spritzt, fährt ein ...

BeitragFr 21. Feb 2014, 07:43

WoFu hat geschrieben:Danke für diese ausführlichen Informationen, dafür liebe ich Foren.

100% Zustimmung 8-)
Beste Grüße
Gerhard aus Wien
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Gerald

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Re: Wer nicht spritzt, fährt ein ...

BeitragFr 21. Feb 2014, 08:30

Ja, auch von mir vielen Dank für die Informationen.

Was mir noch nicht klar geworden ist: funktionieren bei dieser Zikade Pheromonfallen grundsätzlich nicht oder hat man es nur noch nicht geschafft, die entsprechenden Stoffe herzustellen? Das wäre ja sicherlich die umweltfreundlichste Variante, oder?

Grundsätzlich sehe ich schon ein, dass man in einem "Notfall" wie hier - also wenn die Existenz ganzer Rebflächen auf dem Spiel steht - ausnahmsweise zu Pestiziden greift, auch wenn man sie sonst ablehnt.

Denn mit dem Kupfer im Bioweinbau ist es ja genauso. Kupferpräparate sind ja nun wirklich alles andere als "bio", nur wird immer wieder betont, dass man ohne solche eben in Mitteleuropa überhaupt keinen Bioweinbau betreiben könnte und die Zulassung sofort gestrichen wird, wenn man eine bessere Alternative hat ...

Grüße,
Gerald
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Blaufränkisch

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Re: Wer nicht spritzt, fährt ein ...

BeitragFr 21. Feb 2014, 09:24

Hallo Gerald,

Pheromonfallen funktionieren sowieso nicht als Bekämpfungsmaßnahme, sondern lediglich, um die Entwicklung einer Population zu beobachten. Die Bekämpfung mit Pheromonen beruht nicht auf dem Fangen der Tiere, sondern auf deren Verwirrung durch das Ausbringen einer großflächigen Pheromonwolke (mittels kleinen Dispensern alle paar Meter in allen Weingärten in einem größeren Gebiet). Die Weibchen können sich deshalb mit ihren Pheromonen nicht mehr von der Umgebung abheben und werden von den Männchen nicht mehr gefunden. Ohne "Date" kein Sex, keine Eiablage, kein Raupenschlupf und kein Schaden.

Im Weinbau funktioniert die Methode (dort wo die solidarische Umsetzung in ganzen Orten oder Regionen möglich ist) technisch gut gegen den Traubenwickler. Von Pheromoneinsätzen gegen Zikaden ist mir nichts bekannt, ich kann allerdings nicht sagen, ob nur noch nicht die richtigen Pheromone synthetisiert werden konnten, oder ob die Paarung(sfindung) bei Zikaden vielleicht gar nicht auf diesem Weg erfolgt und die Methode deshalb grundsätzlich nicht funktioneren kann.

Grüße

Bernhard
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austria_traveller

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Re: Wer nicht spritzt, fährt ein ...

BeitragDi 25. Feb 2014, 06:56

Hier ist das Thema nochmals in deutsch:
http://derstandard.at/1392686236016/Franzoesischer-Bio-Winzer-wegen-Pestizidverzicht-vor-Gericht

Jetzt klingt das schon ein bischen anders.
Einen erwiesenen Krankheitsfall habe es in dem Département noch nicht gegeben.
Beste Grüße
Gerhard aus Wien
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Gerald

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Re: Wer nicht spritzt, fährt ein ...

BeitragDi 25. Feb 2014, 07:44

Na ja, der Vergleich mit einer Chemotherapie ist aber schon ziemlich absurd, damit macht sich der Winzer nur lächerlich. Denn beim Verzicht auf eine Krebstherapie hat das nur Konsequenzen für den Betroffenen, nicht die Nachbarn.

Wäre eher so, wie wenn man sich bei einer akuten Epidemie einer hochansteckenden Krankheit nicht impfen lassen will ...

Grüße,
Gerald
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