Terroir vs. Keller

Von der Weinbergspflege bis zur Kellertechnik
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Gerald
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Re: Terroir vs. Keller

Beitrag von Gerald »

Aber noch zur Sache mit den Steinen auf den Präsentationstischen (laienhaft gedacht, bin ja kein Geologe): wenn der Boden aus verschiedenen Gesteinen besteht, von denen manche leichter und andere schwerer verwittern, dann werden erstere in der feinkörnigen Fraktion (also die "Erde") dominieren und damit den Bodencharakter des Weines prägen. Zweitere bleiben als mehr oder weniger große Brocken über (so wie die oft als "magisch" verehrten Findlinge z.B. im Waldviertel), aber werden dafür dem Weinliebhaber präsentiert. :?

Wenn man den Stein aber wirklich nur als "Naturgottheit", gewissermaßen die "Seele des Weines" versteht, dann spielen solche Überlegungen natürlich keine Rolle. ;)

Grüße,
Gerald
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Charlie
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Re: Terroir vs. Keller

Beitrag von Charlie »

Ollie hat geschrieben: Mir faellt dazu seit einigen Jahren die idolische Verehrung von Rieslingen, deren Frucht extrem zurueckgenommen ist, als "authentische Weine" auf
In Dürkheim bei den Weinagenten gingen tatsächlich viele Weine in diese Richtung. Hast du es auch so empfunden? Persönlich habe ich nichts gegen diesen Trend, einfach weil mir bisher einiges konkret im Glas gefallen hat.
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UlliB
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Re: Terroir vs. Keller

Beitrag von UlliB »

Charlie hat geschrieben:
Ollie hat geschrieben: Mir faellt dazu seit einigen Jahren die idolische Verehrung von Rieslingen, deren Frucht extrem zurueckgenommen ist, als "authentische Weine" auf
In Dürkheim bei den Weinagenten gingen tatsächlich viele Weine in diese Richtung. Hast du es auch so empfunden? Persönlich habe ich nichts gegen diesen Trend, einfach weil mir bisher einiges konkret im Glas gefallen hat.


Für die Fraktion, die den Lagencharakter am Vorhandensein bestimmter Früchte im Aroma festmachen, dürfte diese Tendenz allerdings absolut fatal sein: denn damit verschwindet das für sie entscheidende Identifikationsmerkmal.

Hier vielleicht OT, aber für mich trotzdem interessant: was machen die Winzer eigentlich im Keller (oder im Weinberg???), um die Frucht zurückzudrängen und das "Mineralische" stark zu betonen? Irgendetwas müssen sie ja machen - einige Vertreter der "Steinwein-Fraktion" haben ja noch vor ein paar Jahren mit Trauben von den selben Reben absolute Fruchtkracher gemacht (damals, als das noch opportun war).

Gruß
Ulli
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Birte
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Re: Terroir vs. Keller

Beitrag von Birte »

UlliB hat geschrieben:Hier vielleicht OT, aber für mich trotzdem interessant: was machen die Winzer eigentlich im Keller (oder im Weinberg???), um die Frucht zurückzudrängen und das "Mineralische" stark zu betonen? Irgendetwas müssen sie ja machen - einige Vertreter der "Steinwein-Fraktion" haben ja noch vor ein paar Jahren mit Trauben von den selben Reben absolute Fruchtkracher gemacht (damals, als das noch opportun war).


Sag mal glaubst Du wirklich, dass irgendein Winzer sich so für die Trends einer Minderheit interessiert?
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UlliB
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Re: Terroir vs. Keller

Beitrag von UlliB »

Birte hat geschrieben:Sag mal glaubst Du wirklich, dass irgendein Winzer sich so für die Trends einer Minderheit interessiert?


Wenn's viele Punkte gibt und damit den Absatz fördert, wird's ihn wohl schon interessieren.

Warum sollten die Winzer (in durchaus relevanter Anzahl) denn sonst ihren Stil von "Frucht" auf "Stein" umgestellt haben? Weil allen zufälligerweise plötzlich (und auch noch gleichzeitig!) aufgefallen ist, dass "Stein" so viel authentischer ist als "Frucht"? Come on.

Gruß
Ulli
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Birte
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Re: Terroir vs. Keller

Beitrag von Birte »

Sind wir alle, Ulli? Ich glaube kaum, dass der Absatz der Winzer aus dem Weinforum kommt.
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UlliB
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Re: Terroir vs. Keller

Beitrag von UlliB »

Birte hat geschrieben: Ich glaube kaum, dass der Absatz der Winzer aus dem Weinforum kommt.


Nö. Aber die Weinführer (Eichelmann, GaultMillau) haben eine erhebliche Auflage. Und warum kaufen die Leute die Dinger? Eben: weil sie Orientierung für den Einkauf wollen. Und dass "Steinwein" auch in den Führern der zumindest beim trockenen Riesling für Hochpunkter angesagte Stil ist, ist wohl unstrittig.

Im Übrigen: meine Frage oben ging überhaupt nicht um das warum, sondern um das wie.

Gruß
Ulli
Ollie
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Re: Terroir vs. Keller

Beitrag von Ollie »

Charlie, habe ich in der Tat, und bei meinen vorangegangenen Touren durch Rheinhessen und Rheingau ebenso. Ich habe sogar bei den Medienagenten einen Winzer (der, mit dem ich den Abend zusammensass) darauf angesprochen, und er meinte, dass er den Wein so haben mache (Hervorhebung von mir), weil er den Wein nicht auf der Primaer(!)frucht ausbauen wolle. Das hat ein danebenstehender Winzer bestaetigt. Es ist also tatsaechlich ein Ideal, auch und vielleicht sogar erst recht bei der jungen Winzergeneration.

Das kann eine reine Abnabelungsgeschichte sein, so nach dem Motto "Das Andere ist der Feind des Guten", es kann aber auch eine Folge von Veraenderungen in der Kellerwirtschaft sein, die sich in den letzten 5 bis 10 Jahren bei den Winzern, die Leute wie uns im Forum bedienen, durchgesetzt haben. (Das ist ein Auswahleffekt und kein kausaler Zusammenhang.)

Dazu zaehlt z.B. eine weniger scharfe Mostvorklaerung verbunden mit einem verlaengerten Hefelager (gerade in Duerkheim haben viele Winzer ihre Weine mehrere Monate auf der Vollhefe gelassen und aufgeruehrt). Beides sorgt fuer eine (mindestens in der Jugend) zurueckgenommenen Frucht. Vergaert man auch noch ein paar Grad waermer und vielleicht nicht mit "Aromahefen", hat man sehr schnell einen "ganz anderen" Weintyp.

Ein bisschen koennte man fast sagen, dass das Pendel jetzt halt in die andere Richtung schwingt - weg von "Erbsloeh", hin ("zurueck") zu den Praktiken aus der "guten alten Zeit", teilweise aus richtigen, teilweise aus weniger durchdachten Gruenden. Man denke nur an die fast kultische Anbetung der Korbpresse ausgerechnet durch Konsumenten(!).

Dazu kommt, dass die Meinungsfuehrerschaft darueber, wie ein trockener Riesling zu sein habe, sich deutlich zu rheinhessischen Weinen vom Kalk verschoben hat. Kalk mag ja eine schicke Sache fuer Burgund sein, ist aber, zumindest fuer meine Begriffe, nun nicht gerade dafuer bekannt, Frucht in den Wein zu bringen, wie z.B. Bundsandstein oder auch Schiefer das tun. Seit Jahren schreiben Leute in Presse und Foren speziell die Kalkstein"mineralitaet" hoch, in einem Tonfall, der kaum Zweifel daran laesst, dass fruchtbetontere Weine schon deshalb minderwertig seien, weil sie fruchtbetonter sind.

Am Ende ist alles wie immer eine (soziologische) Wechselwirkung zwischen Erzeuger, Berichterstattung und Konsumentenverhalten, so wie z.B. die "Parkerisierung" oder die Wachauer Welle - oder eben die Gegenbewegungen dazu: Die aktuelle Sau scheint das botrytisfreie GG zu sein. Alkoholaermer als noch vor fuenf Jahren sind sind ja oft schon.

Cheers,
Ollie
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UlliB
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Re: Terroir vs. Keller

Beitrag von UlliB »

Ollie hat geschrieben:Ein bisschen koennte man fast sagen, dass das Pendel jetzt halt in die andere Richtung schwingt - weg von "Erbsloeh", hin ("zurueck") zu den Praktiken aus der "guten alten Zeit",


Ollie,

wann war sie denn, die "gute alte Zeit"?

Mit Riesling beschäftige ich mich nun seit mittlerweile bald 40 Jahren. Das heißt: ich kenne Rieslinge als Jungweine auch noch aus einer Zeit, als es Reinzuchthefen noch überhaupt nicht gab und Temperaturkontrolle bei der Gärung sowie andere "Erbsloeh-Verfahren" unbekannt waren. Und glaub mir: mit den heutigen GGs und analogen "Steinweinen" hatten die Weine damals NICHTS zu tun.

Das ist überhaupt nicht als Kritik gemeint - ich mag viele von diesen modernen Teilen wirklich sehr gerne - aber die neuste Mode als "authentisch" anzusehen und die vorher existierenden Moden (es waren übrigens seit Mitte der 70er schon mehrere) als "manipuliert" oder eben unauthentisch abzuwerten, ist ein willkürliches Gedankenkonstrukt. Wein ist ein kreiertes Produkt, kein natürliches. Und das war auch schon vor 40 Jahren so.

Danke übrigens für die Erläuterungen zur Vinifikation der "fruchtreduzierten Weine".

Gruß
Ulli
Ollie
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Re: Terroir vs. Keller

Beitrag von Ollie »

Ulli,

natuerlich, aber ja, absolut einverstanden! Ich hatte die Anfuehrungszeichen benutzt, weil ich "die gute, alte Zeit" wirklich als Zitat von Leuten verstanden wissen moechte, die die Nostalgie einer Jugend haben, die nicht die ihre war.

Cheers,
Ollie
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