Aktuelle Zeit: Do 28. Mär 2024, 21:26


Terroir vs. Keller

Von der Weinbergspflege bis zur Kellertechnik
  • Autor
  • Nachricht
Offline
Benutzeravatar

sorgenbrecher

  • Beiträge: 1232
  • Bilder: 83
  • Registriert: Di 6. Sep 2011, 14:32
  • Wohnort: Ffm.

Re: Terroir vs. Keller

BeitragSa 14. Sep 2013, 08:57

drehen wir den spieß doch mal um.
wäre eine lage derart relevant und auch dominant für den wein wie teils unterstellt, dann würde dies umgekehrt eine erzeugerklassifikation wie im bordeaux ad absurdum führen. hier kann schließlich jeder fast beliebig seine fläche ausdehnen und es ist wohl kaum bestritten, dass die (wie auch immer) 'gemachte' stilistik des erzeugers dominiert.

und das schreibe ich als absolut eingefleischter burgunder-liebhaber.

meines erachtens tendieren wir 'wine-nerds' dazu das thema komplizierter zu machen als es eigentlich ist und neigen zu theoretischen ergüssen, die nichts mehr mit ganzheitlichem weingenuss zu tun haben. letzlich kann aus meiner sicht eine typizität nicht unabhängig von der historischen entwicklung und prägung der weine innerhalb einer region betrachtet werden.

am beispiel burgund heißt das für mich, dass in einer sehr kleinen anbauregion (ich beschränke mich bewußt mal auf die cote d'or) mit sehr ähnlichen bodenverhältnissen und lagencharakteristika, die oft nur minimal abweichen, sowie der beschränkung auf 2 rebsorten historisch sehr früh verschiedenartige weine mit unterschiedlichen nuancen erzeugt wurden. über einen sehr langen zeitraum hinweg bildete sich so eine stilistik die von einer überwiegenden mehrheit der verkoster als typisch für die jeweilige lage empfungen wird. natürlich hat daran die originäre qualität der lage einen erheblichen anteil, allerdings ist für mich eindeutig, dass die herstellungsart des jeweiligen erzeugers für den jeweiligen wein dies bei weitem überlagert. wir haben erzeuger, die komplett auf holz verzichten, erzeuger, die auf 100% neuholz mit erheblichem toasting setzen und wir haben alles dazwischen, wir haben erzeuger, die temperaturgesteuert eher kalt vergären und erzeuger, die sich um die temperaturen überhaupt nicht scheren und alles dazwischen, wir haben erzeuger, die überpumpen und erzeuger, die hinunterstoßen, wir haben erzeuger, die mit reinzuchthefen vergären und andererseits die spontis, wir haben erzeuger, die den konzentrator verwenden und andere, die das im leben nicht tun würden.....

im ernst: die lage müßte da ja schon sowas von dominant sein wenn sie dort überall gleichermaßen durchscheinen sollte. deswegen ist meines erachtens der ansatz, die jeweilige lage erzeugerübergreifend blind herausschmecken zu wollen (und dann auch noch bei weinen von erzeugern, die man noch nicht kennt) eine illusion.

trotzdem -und das ist aus meiner sicht das entscheidende- wird fast jeder der weinmacher für sich in anspruch nehmen mit seiner art der weinbereitung die lage optimal zum ausdruck zu bringen, aber eben ganz eindeutig im rahmen seiner jeweiligen philosophie. und hier meine ich, dass nur ein relativer quervergleich verschiedener weine von verschiedenen erzeugern einen verkoster wirklich weiterbringt. benjamin lewin hat dazu in seinem buch "In Search of Pinot Noir" sehr interessante feststellungen und verkostungsnotizen, insbesondere am beispiel vieler jahrgänge des clos de la marechale, wo die weine bis einschließlich 2003 von faiveley erzeugt wurden und ab 2004 von j.-f. mugnier. und im zusammenhang mit der verkostung verschiedener jahrgänge clos st. jacques von allen 5 erzeugern schreibt er zusammenfassend den für mich entscheidenden satz: "Terroir is relative rather than absolute."
Gruß, Marko.
Offline
Benutzeravatar

UlliB

  • Beiträge: 4517
  • Registriert: Mo 6. Dez 2010, 18:27

Re: Terroir vs. Keller

BeitragSa 14. Sep 2013, 09:17

sorgenbrecher hat geschrieben: [...] allerdings ist für mich eindeutig, dass die herstellungsart des jeweiligen erzeugers für den jeweiligen wein dies bei weitem überlagert. wir haben erzeuger, die komplett auf holz verzichten, erzeuger, die auf 100% neuholz mit erheblichem toasting setzen und wir haben alles dazwischen, wir haben erzeuger, die temperaturgesteuert eher kalt vergären und erzeuger, die sich um die temperaturen überhaupt nicht scheren und alles dazwischen, wir haben erzeuger, die überpumpen und erzeuger, die hinunterstoßen, wir haben erzeuger, die mit reinzuchthefen vergären und andererseits die spontis, wir haben erzeuger, die den konzentrator verwenden und andere, die das im leben nicht tun würden.....


Marko,

genau aus diesen Gründen stimme ich Dir bei folgendem Satz zu:

deswegen ist meines erachtens der ansatz, die jeweilige lage erzeugerübergreifend blind herausschmecken zu wollen (und dann auch noch bei weinen von erzeugern, die man noch nicht kennt) eine illusion.


Aber wie passt das denn zu diesem hier:

über einen sehr langen zeitraum hinweg bildete sich so eine stilistik die von einer überwiegenden mehrheit der verkoster als typisch für die jeweilige lage empfungen wird.


Sicher, früher gab es eine Reihe von Techniken nicht, die Du aufgeführt hast: Reinzuchthefen, Mostkonzentration, temperaturkontrollierte Gärung... aber nach meiner eigenen Erfahrung hat an der Mosel schon vor knapp 40 Jahren (als es das alles auch noch nicht gab) der Hausstil den Lagencharakter dominiert. Und bei der Erzeugung von nicht-neuholzausgebautem Weißwein sind die Einflussfaktoren bei der Vinifikation deutlich geringer als bei roten Burgundern (der gesamte Themenkomplex der Extraktion bei der Maischegärung entfällt zum Beispiel).

Insofern halte ich die These von der "überwiegenden Mehrheit der Verkoster" für wirklich sehr gewagt. Hier wurde etwas von einer Handvoll Leuten postuliert, was sich auch damals der Mehrheit der Weintrinker eben nicht erschlossen hat. Die Identifikation von Lagencharakter ist etwas für extrem eng fokussierte Experten, aber nicht für den breiter orientierten Weintrinker.

Gruß
Ulli
Offline
Benutzeravatar

sorgenbrecher

  • Beiträge: 1232
  • Bilder: 83
  • Registriert: Di 6. Sep 2011, 14:32
  • Wohnort: Ffm.

Re: Terroir vs. Keller

BeitragSa 14. Sep 2013, 09:34

ulli, ich habe meinen gedanken vermutlich missverständlich ausgedrückt. ich glaube, dass es für bestimmte lagen historisch dominante erzeuger gab, deren weine aus den jeweiligen lagen als typisch angesehen wurden und damit das verständnis, was denn die konkreten individuellen geschmackseigenschaften der lage sein sollen, geprägt haben. dabei spielen neben 'tonangebenden' erzeugern sicher auch dominierende verkoster/experten als mindsetter eine gewichtige rolle.

im burgund finden sich ja mindestens bis ins 18.jh. zurück weitgehend identische grundsätzliche merkmale, die als typisch für z.b. einen chambertin, einen musigny, einen romanee-conti, einen corton, etc. angesehen werden. diese historisch gewachsene prägung ist meines erachtens auch der maßstab dafür, was wir noch heute als benchmark für typizität an die jeweiligen lagen anlegen. spätestens dr. jules lavalle dürfte mit seiner strukturierten und umfassenden klassifizierung der lagen für das burgund noch die heutigen erwartungen an typische lagenmerkmale prägen.
Gruß, Marko.
Offline

BuschWein

  • Beiträge: 542
  • Registriert: Mi 3. Nov 2010, 15:33

Re: Terroir vs. Keller

BeitragSa 14. Sep 2013, 11:12

Birte schreibt: Sind wir alle, Ulli? Ich glaube kaum, dass der Absatz der Winzer aus dem Weinforum kommt.


Zum Thema Mode und neue Ideale, natürlich interessiert das das Gros der Weintrinker erst mal nicht, die wollen einfach guten, schmackhaften Wein. Nur sollte klar sein, dass in einem ästhetischen Sinn gut und schön nie eineindeutig ist und schon gar nicht konstant, ganz im Gegenteil. Am deutlichsten lässt sich das in der Mode erkennen, weil es dort "offensichtlich" ist.

Selbst von vielen als eher unschön beschriebene Moden, ich nenne mal Leggins, Schlaghosen etc. setzen sich nach gewissen Zeiten als wieder modern durch, obwohl die Mode auch nur von einer kleinen Community gestaltet wird, meist ist es ja auch so, dass die Community schon wieder bei einem neuen Thema ist, wenn die Mode im Mainstream angekommen ist. Ähnlich ist es doch auch beim Thema Wein.

Es gibt immer eine kleine Gruppe, die die Themen setzt, die nach neuen Ausdrucksformen sucht und die große Masse folgt mit zeitlichem Abstand.

Bei einem Luxusprodukt wie hochwertigem Wein ist es geradezu immanent wichtig, dass es neue Trends gibt, dass es Themen gibt über die man streiten kann, nur so bleibt das Thema interessant. Insofern ist es auch logisch, dass mal der eine Stil mode ist und dann wieder etwas neues kommt. Auch der Ausdruck authentisch darf in diesem Sinne nie als absolut gesehen werden, authentisch sind die Stile und Geschmäcker immer nur im aktuellen modischen Stil.

Das Thema Lage hat natürlich immer etwas mit Klassifikation zu tun, kein Mensch spricht neutral über das Thema Lage, es geht immer darum, dass es eine gute eine exzellente Lage gibt. Insofern ist das Thema Lage dann eben auch eine Möglichkeit der Weinklassifikation, eine solche Klassifikation ist bei einem Luxusprodukt natürlich essentiell. Nur wenn ich glaubhaft mahcen kann dass es qualitative Unterschiede zwischen den einzelnen Weinen gibt, dann kann ich auch Preisunterschiede legitimieren. Jedes Luxusprodukt definiert sich aber in einer Marktwirtschaft auch über seinen Wert, der sich natürlich im Preis ausdrückt.

Entscheidend ist dabei, wie bei fast allen Luxusprodukten der Erzeuger. Eine Uhr von Rolex, ein Auto von Rolls Royce, ein Anzug von Brioni ein Wein von DRC.

Aber meist ist es notwendig mehr als ein Produkt zu erzeugen und in der erzeugten Palette wieder eine Qualitätsabstufung zu haben. Beim Auto ist das über PS und Größe recht einfach zu machen, bei einer Uhr über Features oder wertige Materialien, aber wie kann ich das beim Wein machen?

Ich benötige als Erzeuger immer eine Qualitätspyramide die ich den Kunden nachvollziehbar erklären kann, engere lokale Herkunft ist dabei natürlich eine leicht verstehbare Definition. Alte Reben wäre auch noch eine Option, aber was mache ich, wenn ich den Weinberg einmal roden muss? Ich kann natürlich auch interne Abstufungen a la Sterne machen, oder wie in Spanien lange über Reifezeit, Crianza, Reserva, Gran Reserva.

Rein betriebseigene Qualitätsabstufungen haben natürlich ein großes Problem, es fehlt die externe Konkurrenz, deshalb teilt man ja Autos so gern in Klassen ein, erst durch die Klassen kann ich Vergleichstests machen. Die Einteilung der Qualität in lokale Herkunft biete eine ähnliche Möglichkeit des Vergleichs, übergreifend im Vergleich verschiedener "Ortsweine" oder "Lagenweine" aber eben auch intern zwischen den Erzeugern aus einem Ort, einer Lage.

Erst die Vergleichbarkeit schafft eine Rangliste und erst die Rangliste schafft die preisliche Differenzierung und somit die Möglichkeit einen irrationalen Preis zu erzielen und seien wir ehrlich, alles über € 20,00 ist beim Wein definitiv irrational, was nicht heißt, dass der Kauf für den Weinfreund irrational ist. Luxusprodukte leben aber eben auch ein Stück weit von irrationalen Preisen. Mit dem Wein kann auch Max Mustermann ein kleines Stück einer Luxus-Traumwelt erreichen, zumindest bis zu einem gewissen Grad, irgendwann wird es dann natürlich auch wieder unerreichbar, aber das ist vielleicht sogar notwendig.

Zurück zur Lage, wenn ich mich entschieden habe, dass ich über die Herkunft meine Qualitätspyramide aufbaue, dann muss ich Gründe finden, warum die Weine aus der Lage immer besser sind, als die Weine die aus einem größeren Gebiet kommen.

Und weil es nun mal bei Wein auf Geschmack ankommt, muss ich einer Lage bestimmte geschmackliche Qualitäten zuweisen, dabei ist es nicht notwendig, dass alle dies geschmacklich nachvollziehen können, aber die Meinungsführer muss ich überzeugen. Deshalb muss die GG-Verkostung in Wiesbaden und Berlin so aufwendig aufgezogen werden, deshalb ist es auch sinnvoll manches mythisch aufzuladen.

Ich will nicht sagen, dass das ganze Thema nur konstruiert ist, der Winzer gibt sich sicher auch alle Mühe, die Theorie in der Praxis zu bestätigen und wenn er das tut und den richtigen Ehrgeiz hat, dann wird man qualitative Unterschiede zwischen den Gutsweinen, den Ortsweinen und in der Spitze den Lagenweinen erkennen, ich fürchte aber, dass die Unterschiede viel mehr gemacht sind, als dass sie der Lage immenant wären.
Armin
www.gutsweine.com

Dumme Menschen machen immer den gleichen Fehler, intelligente immer Neue ;)
Offline
Benutzeravatar

Alas

  • Beiträge: 1022
  • Registriert: Mo 20. Feb 2012, 21:14
  • Wohnort: Hinter dem Meer
  • Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken

Re: Terroir vs. Keller

BeitragSa 14. Sep 2013, 12:07

BuschWein hat geschrieben:und in der Spitze den Lagenweinen erkennen, ich fürchte aber, dass die Unterschiede viel mehr gemacht sind, als dass sie der Lage immenant wären.


Ggf. hat der Winzer ein recht homogenes Lesegut ( gleicher Klon, Alter der Stöcke, gleiches Klima, etc. )

Gruß

Alas
wat den een sien uhl is den annern sien nachtigall
Offline

MichaelWagner

  • Beiträge: 801
  • Registriert: Mi 8. Aug 2012, 13:29
  • Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken

Re: Terroir vs. Keller

BeitragSa 14. Sep 2013, 13:02

Hmm, je mehr ich hier lese, desto mehr frage ich mich was hier von einer Lagencharakteristik erwartet wird?

Ich glaube hier herrscht eine falsche Erwartungshaltung an den Lagengeschmack. Eine Lage schmeckt nicht nach Pfirsich, Banane, Mango, nassem Unterholz, verbrannten Erdnüssen oder sonstigem Gedöne und ich kann sie auf diese Weise auch nicht klassifizieren.

Das sind einfach ein oder mehrere Weinberge, die bessere Trauben ergeben (besser im Sinne von reifer) als in Nachbarweinbergen. Und da Wein aus vergorenem Traubensaft besteht (ich weiß, nicht immer nur, aber ich setzte das jetzt mal voraus), sind die Weine eben nachher auch entsprechend besser.

Was ist daran so schlimm? Oder gar schwer zu verstehen?

Michael

Michael
wenns läuft, dann läufts. Aber bis es läuft, dauerts...
Offline
Benutzeravatar

Alas

  • Beiträge: 1022
  • Registriert: Mo 20. Feb 2012, 21:14
  • Wohnort: Hinter dem Meer
  • Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken

Re: Terroir vs. Keller

BeitragSa 14. Sep 2013, 13:36

MichaelWagner hat geschrieben:Was ist daran so schlimm? Oder gar schwer zu verstehen?


Du solltest mal eine Flasche Wein trinken, dann verstehst du das Problem besser. ;)

Gruß

Alas
wat den een sien uhl is den annern sien nachtigall
Offline

BerlinKitchen

  • Beiträge: 1535
  • Bilder: 199
  • Registriert: Di 23. Nov 2010, 19:21

Re: Terroir vs. Keller

BeitragDi 17. Sep 2013, 18:20

Der Captain gibt auch sein Senf dazu.

http://www.captaincork.com/Weine/hang-o ... empfehlung
"Ein Leben ohne Riesling ist zwar möglich, aber sinnlos!"
Offline
Benutzeravatar

octopussy

  • Beiträge: 4405
  • Bilder: 135
  • Registriert: Do 23. Dez 2010, 10:23
  • Wohnort: Hamburg
  • Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken

Re: Terroir vs. Keller

BeitragMi 4. Jun 2014, 10:59

Hallo zusammen,

dank der Organisation von Guido (Einzelflaschenfreund) und Christoph (http://www.originalverkorkt.de) haben wir in Hamburg jetzt auch die Wurzelwerk Weine probiert, die nach ein paar Irrungen und Wirrungen gerade noch rechtzeitig angekommen waren. Christoph hatte die Weine alle zwei Stunden vorher doppelt dekantiert.

Probiert haben wir halb blind. Wir wussten natürlich, welche Weine auf dem Tisch stehen. Zusätzlich hatten wir uns darauf geeinigt, nicht völlig durcheinander zu trinken, sondern in 3er Flights nach Lagen (ohne jedoch zu wissen, welche Lage wann kommt). Aufgedeckt haben wir am Schluss.

In der folgenden Reihenfolge haben wir die Weine probiert, wobei diese zufällig gewählt war:

Flight 1: Nackenheimer Rothenberg

Wein 1: Jurtschitsch
Wein 2: von Hövel
Wein 3: Gunderloch


Flight 2: Zöbinger Heiligenstein

Wein 1: von Hövel
Wein 2: Gunderloch
Wein 3: Jurtschitsch


Flight 3: Wiltinger Scharzhofberg

Wein 1: Gunderloch
Wein 2: Jurtschitsch
Wein 3: von Hövel


Zunächst zur Qualität der Weine unabhängig vom Kontext: ich trinke junge trockene Rieslinge ganz gerne, lieder aber gereifte. Mir fehlt es häufig in der Jugend an Komplexität und Harmonie. Ich fand alle neun Rieslinge gelungen, sauber, durchaus präzise und charakterstark. Was mir überwiegend etwas fehlte, war Komplexität, die aber im Zweifel erst mit Flaschenreife kommt, und ein bisschen Sinnlichkeit. Mir persönlich haben am besten gefallen der Rothenberg von Jurtschitsch, weil er so schön gradlinig und laserstrahlartig war, der Rothenberg von Gunderloch, weil er für mich der komplexeste Wein des Abends war, in dem man am meisten Nuancen und vor allem auch unerwartete Nuancen findet, der Heiligenstein von Jurtschitsch, weil er in sich ruhte und völlig unaufgeregt die Anlagen für spätere Größe präsentierte, und der Scharzhofberg von Hövel, weil er sehr straff war und von allen Weinen des Abends die schönste und tiefste Mineralität hatte.

Interessant ist bei den Weinen aber eher der Kontext. In der Runde wurden alle drei Lagen richtig erkannt. Persönlich kannte ich vorher nur die Weine vom Scharzhofberg so einigermaßen, die vom Rothenberg kaum und die vom Heiligenstein gar nicht. Insofern habe ich mich beim Rothenberg und Heiligenstein an die Mehrheitsmeinung am Tisch rangehangen. Bei den Scharzhofbergern war schon erkennbar, dass sie etwas säurestärker und straffer waren als die anderen Weine, ich hatte aber eigentlich gedacht, dass jedenfalls der von Hövel noch besser erkennbar wäre (ich kenne von Hövel allerdings nur restsüße und feinherbe Scharzhofberger).

Richtig erkannt wurde von allen Weinen jeweils der "Hauswein", also der Wein des Winzers, aus dessen Weinberg die Trauben kamen. Persönlich habe ich die Zuordnung stets darauf basiert, welcher Wein mir am harmonischsten und selbstverständlichsten in jedem Flight vorkam (und welcher mir am besten gefällt). Diese Zuordnung geht natürlich gedanklich davon aus, dass der jeweilige Heimweinzer Vorteile hat, z.B. dadurch, dass bei ihm bezüglich seiner eigenen Trauben Automatismen greifen, seine Kellerflora mit der Weinbergsflora am besten harmoniert oder schlicht und einfach mehr Harmonie durch weniger Transport möglich ist.

Ansonsten ist es jedenfalls mir nicht gelungen, einen Winzerstil über die drei Lagen hinweg zu identifizieren. Meine persönliche Zuordnung, die ich anhand von vermeintlichen Winzerstilen getroffen habe, war - außer bezüglich der "Hausweine" - jeweils falsch. Wenn es einen Winzer gibt, dessen Weine mir über alle Lagen hinweg sehr gut gefallen haben, dann ist es Jurtschitsch.

Ein gewisses Lagenprofil war am ehesten beim Scharzhofberger zu erkennen wegen der straffen Art und der höheren Säure. Beim Heiligenstein war bei Jurtschitsch und von Hövel eine gewisse herbe Zitrusaromatik zu erkennen, die ich dann aber beim Gunderloch nicht wiederfinden konnte (der Gunderloch Heiligenstein war sensorisch erstaunlich süß in der Nase und im Mund). Beim Rothenberg konnte ich das erdige Profil, das z.B. der Schnutentunker charakteristisch fand, nicht so gut erkennen.

Fazit: die ganz großen Erkenntnisse hat mir das Experiment nicht gebracht. Ich denke, dafür sind auch so junge Weine nicht geeignet. Ich bin sehr terroirgläubig, aber nicht bei Jungweinen. Im Übrigen bin ich immer sehr vorsichtig mit voreiligen Schlüssen bezüglich chemischer Vorgänge, die ich nicht überblicken kann. Insofern glaube ich erst einmal nicht daran, dass alles entscheidend die Kellerhefen sein sollen, dies nicht zuletzt, weil die Weine ja im Edelstahltank vergoren wurden und die Edelstahltanks bei vielen Winzern in einem etwas klinisch reineren Umfeld stehen als im Fasskeller (wobei ich nicht weiß, ob das hier auch der Fall war). Am Ende liegt die "Wahrheit" ohnehin irgendwo in der Mitte.

Sehr interessant und erhellend waren am Tisch unsere angeregten Diskussionen über Terroir, Lagen- und Bodenerkennbarkeit, Winzerstile und Moden. Und insofern war es ohnehin - nicht nur wegen Christophs hervorragender Gastfreundschaft und der sehr netten Runde - ein sehr gelungener Abend.

P.S.: meine wenig erhellenden Notizen finden sich hier: http://www.verkostungsnotizen.net/vkn_l ... he+starten
Beste Grüße, Stephan
Offline
Benutzeravatar

WeinLove

  • Beiträge: 15
  • Registriert: Fr 25. Mär 2016, 12:06

Re: Terroir vs. Keller

BeitragDo 31. Mär 2016, 11:58

originalverkorkt hat geschrieben:Ja, in Franken haben das Horst Sauer und Johannes Ruck gemacht und zwar mit Trauben aus dem Escherndorfer Lump und dem Julius Echterberg. Ich habe mal darüber geschrieben: http://www.originalverkorkt.de/2010/01/ ... r-vs-ruck/



Guter Bericht und Interessantes Thema. Was wurde daraus? hat sich das weiterentwickelt?
In jedem Fall ein Interessanter Ansatz!
Vorherige

Zurück zu Tendenzen im Weinbau

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 9 Gäste

Impressum - Nutzungsbedingungen - Datenschutzrichtlinie - Das Team - Alle Cookies des Boards löschen