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Neue Rebfflächen

Von der Weinbergspflege bis zur Kellertechnik
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Weinzelmännchen

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Neue Rebfflächen

BeitragDi 20. Mär 2012, 19:01

Bedingt durch einen aktuellen Zeitungsartikel :arrow: http://derstandard.at/1331780180811/Weinbau-Europas-Bauern-kaempfen-um-Rebflaechen stelle ich fest, dass offenbar auch der Weinbau ein reglementiertes Gewerbe ist.

Lustig finde ich, dass die EU lange Zeit (wahrscheinlich auch heute noch) Prämien für die Stillegung von Produktionskapazitäten bezahlt hat. Jetzt soll es offenbar in die andere Richtung gehen. Vor allem würde mich in diesem zusammenhang die Zukunft des baltischen Weinbaus interessieren :?
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Daniel
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octopussy

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Re: Neue Rebfflächen

BeitragDi 20. Mär 2012, 22:52

Hallo Daniel,

das ist ein extrem spannendes Thema. Und in den östlichen Anbaugebieten Deutschlands (Sachsen und Saale Unstrut) ist es ein besonders großes Thema. Denn hier ist die Anbaufläche klein (Sachsen knapp 500 ha, Saale-Unstrut knapp unter 750 ha), v.a. die lokale Nachfrage aber groß, deutlicher größer als das Angebot. Mangels Pflanzrechten kann die Rebfläche aber kaum erweitert werden. Jetzt hat das Land Rheinland-Pfalz den beiden östlichen Weinbaugebieten 100 ha Pflanzrechte übertragen. Der Wettbewerb um diese Pflanzrechte war offenbar groß. Diese beiden Weinbaugebiete sind Beispiele dafür, wie lokal tatsächlich die Nachfrage nicht bedient werden kann, weil es an Pflanzrechten fehlt.

Beim Besuch eines Weinguts in Südbaden hat man mir erzählt, dass ein Investor aus den USA im Falle einer Liberalisierung der Rebflächen gleich 800 ha da unten kaufen und aufreben will. Wahrscheinlich ist die Geschichte aufgebauscht. Aber es zeigt, welche Dimensionen Neuinvestitionen haben können.

Ich persönlich denke, dass die Liberalisierung wenn überhaupt nur stufenweise und behutsam umgesetzt werden sollte. Sonst hat man plötzlich immense Investitionen, einen großen Weinsee und keine Nachfrage. Daran kann eigentlich niemand ein Interesse haben.
Beste Grüße, Stephan
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Stu

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Re: Neue Rebfflächen

BeitragMi 21. Mär 2012, 15:32

Ja, ein interessantes Thema. Auch Volkswirtschaftlich.
"Und jetzt will man wieder pflanzen lassen, wo jeder will", argumentiert Berlakovich. Das würde zur Zunahme minderwertigen Weines führen und auf die Preise drücken - beides aus seiner Sicht nicht wünschenswert, "es wäre fatal für die Weinwirtschaft".


Insgesamt wäre das ganze sicherlich "wohlfahrtssteigernd", wie es so schön heißt. Für die Spitzenweingüter ist es eh irrelevant, die wird es eher freuen, wenn die durchschnittliche Qualität der günstigen Weine abnimmt. Für den normalen Flaschenweinproduzenten kann es schon eher Auswirkungen haben, da vermutlich auch die Preise für die günstigeren Weine fallen werden, und gerade für die Traubenproduzenten könnte das schon schwierige werden, wenn man davon ausgeht, dass die EU die am stärksten betroffenen Betriebe nicht stützt.

Die andere Frage: Was bedeutet das für kleinere Weinländer, wie Deutschland oder Österreich? Wenn in anderen Ländern die Rebfläche stärker zunimmt als in den kleinen Ländern verwässert das den Marktanteil. Oder gibt es in Deutschland (Gerade eben in Sachsen) noch so viele Gebiete, in denen Sich Weinanbau wirklich lohnt?
Grüße
Wolfgang
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Sebastopol

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Re: Neue Rebfflächen

BeitragFr 23. Mär 2012, 20:03

Wen ich mal meinen Senf dazugeben darf: ein überaus schwieriges Thema. Ich persönlich glaube auch das es gerade viele deutsche Winzer massiv unterschätzen.
800ha Neuanlage sind nicht mal die Spitze des Weinbergs. Die momentange Gesamtrebfläche beträgt etwa 100.000ha. Das ist im europäischen Vergleich recht zwergenhaft und gemessen am deutschen Weinverbrauch erzeugen wir rein mengenmässig etwa 40% des Eigenbedarfs. Also Platz zum wachsen?
Wenn ich noch kurz in Erinnerung rufen darf: das was wie hier in der Regel unter "Wein" verstehen, also mit Jahrgang, Herkunft, evtl. sogar Lage, von Weingut oder Genossenschaft hergestellt, aus "Qualitätssorten", zwischen einem und mehreren Jahren trinkbar, ab 3€ aufwärts, das hat am Gesamtweinmarkt einen Anteil von etwa 1-5%, je nach Statistik(gibts z.B. beim DWI). Und der ganze Rest, alles Tetrapack? Naja, Spanien liefert reichlich Industriealkohol in die USA als Treibstoff, gewonnen aus Trauben, im Anbau natürlich subventioniert.

Und warum ist Schaumwein eigentlich für unter 2€ rentabel? Könnte damit zu tun haben, das Grundweine für etwa 15Cent/L zu haben sind. Denkt immer noch jemand an den freundlichen deutschen Winzer auf dem Dorf der von 10ha Fassweinverkauf lebt? Ja?
Und wie schaut es damit aus wenn die großen Kellerein in Deutschland anfangen mal genau nachzurechnen und feststellen, das 50-60-70 Cent/l für deutsche Grundweine ziemlich teuer aussehen. Vor allem wenn man in der ganzen EU überall Rebfläche anlegen kann so viel man will..hmmm...wenn's da nur Fachkräfte gäbe...war da nicht was? Polen? Rumänien? Bulgarien? Nein? Sorry, muss mich verlesen haben. Da kommt also niemand auf die Idee mit ein bißchen Geld in der Hand einfach mal tausende von Hektar kostengünstig neu anzulegen oder zu modernisieren und quasi industriell zu bewirtschaften...

Um ganz unpolemisch auf die heimische Situation zurückzukommen: die 100.000ha der Gegenwart sind historisch gesehn nicht die ganze geeignete Rebfläche. Und durch die neuen Züchtungen, veränderte Weinbautechniken und den lieben Klimawandel kann man heute relativ getrost in fast ganz Deutschland Wein erzeugen - wenn man das unbedingt möchte. Es ist mehr eine Frage von leicht&preiswert vs. schwierig&teuer. An so Worte wie "Lagenpotential" wollen wir nicht mal denken, es geht um Anbaumöglichkeiten, also im Prinzip wie bei Kartoffeln. So ziemlich niemand wird beim Fall des Anbaustopps schreien: Juchhuu, ich kann die alten Steillagen wieder aufmachen! Eher denken sich 99,99% der Leute, fein, Rüben raus, Wein rein, da kann ich mit meinem neuen FendtVario Schlepper mal so richtig Gas geben...und da muss auch nicht was schlechtes bei herauskommen, das sollte auch mal klar gesagt werden.

Wir werden einen neuen, zweiten Weinbau bekommen. Die traditionellen Flächen werden noch schärfer entlang der Wirtschaftlichkeit betrachtet werden und teilweise durch neue Anlagen ersetzt werden. Woher ein Wein kommt wird noch unübersichtlicher werden. Aber vielleicht auch weniger wichtig. Im allergrößten Idealfall werden sich diejenigen Erzeuger mit den höchsten, tatsächlichen Qualitätsansprüchen die schwierigen Lagen -die oft zu den besten gehören- teilen und daraus weiterhin große Weine machen. Ohne das andere zweifelhafte Ware unter dem selben Namen anbieten. Tja, das wäre schön, was...

Was ich insgesamt versuche klarzumachen: unser Problem ist nicht wie der einzelne gut aufgestelle Spitzenbetrieb mit dem Wegfall umgeht, sondern eher ob der deutsche Weinmarkt insgesamt ex- oder implodiert, oder nur alles ein bißchen anders wird.


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"A German wine label is one of the things life's too short for, a daunting testimony to that peculiar nation's love of detail and organization."
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UlliB

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Re: Neue Rebfflächen

BeitragFr 23. Mär 2012, 23:30

Sebastopol hat geschrieben: Und durch die neuen Züchtungen, veränderte Weinbautechniken und den lieben Klimawandel kann man heute relativ getrost in fast ganz Deutschland Wein erzeugen - wenn man das unbedingt möchte.


Stimmt; gerade eben in NDR3 gesehen: Weinbau in Schleswig-Holstein, genauer gesagt in der Holsteinischen Schweiz. Nicht nur ein bisschen als Hobby, sondern professionell aufgezogen mit der Absicht, damit Geld zu verdienen. Die Solaris-Trauben haben 2011 immerhin 100°Oe gebracht (ok, der Rotwein aus Regent sah dafür ziemlich rosé-mäßig aus). Immerhin: möglich ist der Weinbau dort ganz offensichtlich. Und es gibt in Europa ja noch endlos unbestockte Flächen in Gegenden, die für Weinbau klimatisch deutlich besser geeignet sind als Schleswig-Holstein.

Ob mit der Freigabe der Pflanzrechte die Büchse der Pandora geöffnet würde, ist aber wohl alles andere als klar. Es gibt ja schon jetzt viel zu viel Wein. Warum soll denn da jemand groß investieren?

Gruß
Ulli
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Sebastopol

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Re: Neue Rebfflächen

BeitragSa 24. Mär 2012, 01:21

UlliB hat geschrieben: Es gibt ja schon jetzt viel zu viel Wein. Warum soll denn da jemand groß investieren?

Wie schon gesagt, die Kosten. Schnappt euch eine Suchmaschine eurer Wahl und gebt mal bei der Bildersuche "Weinberg" ein. Die meisten Fotos dürften eher steile Hänge oder sogar Terassen abbilden. Dann tippt mal "vineyard" ein...willkommen in der Ebene.
Der Wein aus dem einen ist etwa 3-5mal billiger zu produzieren als der andere. Von einfacher ganz zu schweigen. Und die alten Flächen sind durch jahrhundertlange Vererbung, Verkauf, etc. trotz aller Flurbereinigungen stark zersplitter. D.h. in Deutschland können sich die 10-15ha eines Traubenlieferanten über 10, 20 oder auch 30 einzelne Parzellen erstrecken. Brachland in Ostdeutschland, Äcker in Bayern, alte Weinberge in Osteuropa...dutzende, hunderte, sogar tausende Hektar an einem Stück...Neuangelegt, alles in optimaler Ausrichtung zum Betrieb, zur Kellerei, zur Maschinisierung...da seh ich viele Ein- und Verkäufern durch purzelnde Preise ganz feuchte Augen kriegen.
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UlliB

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Re: Neue Rebfflächen

BeitragSa 24. Mär 2012, 09:12

Sebastopol hat geschrieben: Brachland in Ostdeutschland, Äcker in Bayern, alte Weinberge in Osteuropa...dutzende, hunderte, sogar tausende Hektar an einem Stück...Neuangelegt, alles in optimaler Ausrichtung zum Betrieb, zur Kellerei, zur Maschinisierung...da seh ich viele Ein- und Verkäufern durch purzelnde Preise ganz feuchte Augen kriegen.


In sehr vielen Gegenden der Neuen Welt wird doch schon jetzt so gewirtschaftet, oder? Auch in manchen Ecken von Spanien, Südfrankreich, Süditalien... und wenn die Sache so attraktiv wäre, warum hat man nicht massiv in Osteuropa investiert, bevor die EU dort Pflanzrechte regulieren konnte?

Die Margen im Billigweinbau sind doch ohnehin schon knapp, die Konkurrenz hoch, und angesichts der vorhandenen Übermengen kann es hier nur noch um Verdrängungs- und Vernichtungswettbewerb gehen. Natürlich kann man da noch ein paar "teure" deutsche Fassweinwinzer verdrängen, aber als Großinvestition scheint mir die Sache im Vergleich zu Energiepflanzen, Zuckerrüben (im Moment durchaus nicht unattraktiv!), Ölpflanzen etc. doch eher riskant. Sollten die Flächen tatsächlich massiv ausgeweitet werden, kippt der Markt zum reinen Käufermarkt, und die dann den Erzeugern verbleibenden Margen reichen nicht einmal bei kostenoptimierter industrieller Produktion aus, um den Investoren eine anständige Rendite zu bescheren.

Ok, massive Fehlallokationen von Kapital hat es immer schon gegeben, und die Tendenz dazu nimmt in den letzten Jahren wegen der globalen Geldschwemme deutlich zu: warum nicht auch in industriellem Weinbau sinnlos Geld versenken? So recht glauben mag ich aber an die Horror- und Untergangsvisionen mancher Verbände nicht...

Gruß
Ulli
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Sebastopol

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Re: Neue Rebfflächen

BeitragSa 24. Mär 2012, 14:45

Hm, da ist allerdings was dran. Wobei, einen Käufermarkt haben wir eigentlich schon zu annähernd 100%. Die Untergangsphantasien mancher Verbände sind sicherlich stark übertrieben. Ganz folgenlos wird der Wegfall aber auch nicht bleiben, vielleicht können die Erfahrungen von Gebieten wie dem Elsass oder dem Languedoc auch hier bei uns lehrreich sein.
Das Wichtigste dürfte große Klarheit im Bezeichnungsrecht sein, endlich die Art bzw. den Stil des Weins erkennen zu können. Die Qualität lässt sich einigermaßen vernünftig am Preis ablesen, so ziemlich überall. Hier sind vor allem die Verbände und das DWI gefordert, aber auch der Kunde.
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UlliB

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Re: Neue Rebfflächen

BeitragSa 24. Mär 2012, 18:10

Sebastopol hat geschrieben:Das Wichtigste dürfte große Klarheit im Bezeichnungsrecht sein,


Na ja, diesbezüglich sind wir in Deutschland ja bekanntlich auf dem besten Wege... :twisted:

Sollte die Freigabe der Pflanzrechte (so sie denn überhaupt kommt) als Nebeneffekt bewirken, dass die Bezeichnungen auf deutschen Weinflaschen klar und eindeutig werden, könnte ich der Sache durchaus etwas abgewinnen 8-)

Gruß
Ulli
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Weinzelmännchen

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Re: Neue Rebfflächen

BeitragDi 17. Apr 2012, 19:07

Dirk Würzt hat sich auch (wieder einmal) mit dem Thema in seinem Blog beschäftigt. Er tritt ganz klar für den Wegfall der bestehenden Regulierung ein.

Wen es intersssiert: http://wuertz-wein.de/wordpress/2012/04/17/eu-reform/#more-5108
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Daniel
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