Chris hat geschrieben:Ich sehe ehrlich gesagt in Deutschland eine ziemlich große Krise des Weinjournalismus.
Ich picke mir jetzt mal bewusst diesen Satz raus. Es ja schon einiges zum deutschen Weinjouralismus geschrieben worden. Dazu habe ich eine Frage, die mir unter den Nägeln brennt.
In welchen Ländern ist es denn besser um den Weinjournalismus bestellt und was genau läuft dort besser?
Hallo Chris,
da der Satz von mir stammt, muss ich auf deine berechtigte Frage natürlich auch antworten
: Ich habe keine Ahnung, ob in UK, den USA oder Frankreich die gleichen Hahnenkämpfe geführt werden wie in Deutschland. Bekannt ist mir nur der Pavie 2003 Disput zwischen Jancis Robinson und Robert Parker, da gibt es sicher noch mehr Beispiele.
Mein Eindruck z.B. von der Seite JancisRobinson.com ist jedoch allgemein, dass so gut wie nie über Kollegen gesprochen wird. Und ehrlich gesagt finde ich dort ein journalistisches Niveau, das ich in Deutschland so nur selten finde. Die Parker-Seite soll auch nicht so schlecht sein. Allen Meadows Burghound habe ich mal Probe gelesen und fand es auch sehr gut, wenn auch für meine Zwecke zu speziell. In Frankreich kann man m.E. Bettanne & Desseauve herausheben. Die RVF und den Gault Millau würde ich mir manchmal in entsprechender Form in Deutschland wünschen.
Ich habe das Gefühl, dass es in Deutschland schon ausreichend talentierte und wissende Weinjournalisten gibt. Aber sie verkaufen sich m.E. zu schlecht und sind zu sehr auf die kleine Szene hier mit den Blogs, Facebooks und Foren fixiert.
Nimm mal das Beispiel des deutschen Weins. Es gibt bei uns den Gault Millau und den Eichelmann. Gerade der Gault Millau hat aus meiner Sicht schon deutlich Relevanz und ist für mich auch wertvoll. Er ist aber wie auch der Eichelmann eher eine Erzeuger- und Punktesammlung. Der journalistische Inhalt hält sich stark in Grenzen. Dann gibt es Wein-Plus, das auch größtenteils Verkostungsnotizen sammelt und dazu noch eine Enzyklopädie hat. Ich nutze Wein Plus so gut wie gar nicht, alleine schon, weil ich die visuelle Gestaltung weder benutzerfreundlich noch besonders ansehnlich finde. Daraus ließe sich aber m.E. sehr viel mehr machen.
Dann gibt es die Vinum, den Feinschmecker und Falstaff, alle aus meiner Sicht hin und wieder mal mit ganz guten Artikeln, aber alle so konservativ in ihrem Ansatz, dass ihnen die ganz große Relevanz nicht beschieden werden wird. Nehmen wir mal den Falstaff: die aktuelle Ausgabe habe ich neulich am Bahnhof durchgeblättert (und nicht gekauft). Die Hauptthemen im Weinteil? Ein gefälliger Rosé Artikel für den Sommer, Bordeaux 2010 und die Zweitverwertung eines Rebsorten-Cups von Herrn Scheuermann. Das sind alles totale Nummer-Sicher-Themen, die jedes Jahr wieder kommen. Man könnte ja meinen, dass ein neues Magazin frischen Wind bringt. Stattdessen sind es aber leider auch im Falstaff wie immer die gleichen Leute, und wie immer die gleichen Themen.
Captain Cork wollte da im Netz vieles anders machen und hat das teilweise auch geschafft. Mir gefiel - wie ich auch an anderer Stelle geschrieben habe - der Stil oft nicht besonders gut. Aber, es wurden immerhin eine ganze Menge interessanter Themen - auch abstrakter Natur - erörtert und zur Diskussion gestellt, wenn auch manchmal etwas sehr polemisch. Zudem muss man Captain Cork zugute halten, dass die Seite sicher viele Leute außerhalb der kleinen Szene für das Thema Wein gewinnen konnte. Schließlich habe ich dort in vielen hervorragenden Artikeln von Felix Eschenauer gesehen, wie eine gut geschriebene, mit Historie gespickte Auseinandersetzung mit deutschem Wein abseits nur einzelner Winzerportraits oder Weinbesprechungen aussehen kann. Leider ist das Niveau seit Klimeks, Eschenauers und Retters Absenz entgegen meiner Hoffnungen nahezu durchgängig nur noch auf einem Amateur-Level. Und es ist doch traurig, dass die Geschäftsführung und die Redaktion keinen Kompromiss über eine gemeinsame Zukunft haben finden können.
Es ist aus meiner Sicht auch bezeichnend, dass kein deutscher Weinjournalist im Ausland als Spezialist für deutschen Wein wirklich anerkannt ist. Auch ich persönlich ziehe viel Information und Inspiration über deutschen Wein v.a. aus Texten von ausländischen Journalisten: Stuart Pigott, Jean Fish, David Rayer, John Gilman und David Schildknecht, um nur ein paar zu nennen. Dass deutsche Journalisten auch auf hohem Niveau über deutschen Wein schreiben können, hat Felix Eschenauer auf Captain Cork gezeigt. Auch im Fine Wine Magazin finden sich oft sehr inspirierende Artikel, z.B. jüngst über Egon Müller IV., über die historische Lagenkarte des Rheingaus, über die Weine des Schloss Eltz oder über Spätburgunder von der Ahr. Leider hat das Fine Wine Magazin einen stark eingeschränkten High End Ansatz. Aber qualitativ hochwertigen Journalismus finde ich darin schon.
Ich weiß: es ist immer einfach, zu nörgeln und es nicht selber besser zu machen/machen zu können. Mir ist auch völlig bewusst, dass es bei den zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen nicht einfach ist, Verbesserungen herbeizuführen. Trotzdem denke ich, dass die Verleger und Journalisten viel mehr aus ihren Möglichkeiten machen könnten. Man könnte ja mal mit ganz einfachen Mitteln anfangen:
- Nicht so viel über andere reden;
- Nicht zurückkeilen, wenn man provoziert wird;
- Nicht jede Petitesse auf Facebook, in Foren oder in Blog-Kommentaren loslassen oder kommentieren;
- Konzentration auf die Sache an sich (den Wein);
- den Blick über den Tellerrand und auf übergreifende Themen nicht verlieren;
- hin und wieder mal raus aus der eigenen Szene.