Hallo Stefan,
danke für diesen Beitrag aus der gelebten Praxis!
Mit meinem Hobby-Weinberg stand ich genau vor dem gleichem Problem. Zudem bin ich beruflich bzw. von der Ausbildung her in alle Richtungen vorbelastet.
Meine bisherigen - stark subjektiven - "lessons learned" sind wie folgt:
1. Insektizide werde nicht benötigt außer ggf in extremen, sehr seltenen Einzelfällen (z.B. starke Kalamität eines einzelnen Schadorganismus). Dahingehend kann man mit einem ausreichenden Strukturreichtum (Begrünung usw.) im Zweifelsfall dafür sorgen, dass "Günstlinge" in ausreichender Zahl vorhanden sind.
2. Herbizide sind m.E. auch überholt. Das Anhäufeln kann den Einsatz im Unterwuchs am Stamm in vielen Lagen ersetzen. Das haben zumindest bei uns auch schon einige konventionell wirtschaftende Winzer umgesetzt. M.W. ist der Aufwand höher, allerdings in einem vertretbaren Rahmen. Aber hier zeigt sich schon das von Stefan angedeutete Spannungsfeld: wer - aus welchen Gründen auch immer - die öknomische Seite hervorhebt, wird eher zur Spritze greifen. Welche Methode am Ende unter Einbeziehung aller Dimensionen wirklich am nachhaltigsten ist, steht auf einem anderen Blatt.
3. Fungizide: Hier wird es schwierig. Gerade wenn der Befallsdruck sehr stark wird, können unkonventionelle Methoden an ihre Grenzen stoßen. M.W. hatten die Biodyn-Betriebe im Médoc in 2018 dieses Problem. Die Bios können immerhin noch Kupfer benutzen, was ich rundheraus ablehne (und die meisten Bio-Betriebe auch aber ohne Kupfer ist der Köcher quasi leer wenn es hart auf hart kommt). Backpulver und Netzschwefel (darf ich noch nicht anwenden aber hoffentlich bald) sowie Pflanzenstärkungsmittel (Schachtelhalm-Extrakt zur Stärkung der Cuticula) wären dann in meinem Fokus. Gegen den falschen Mehltaus wird es dann aber dünn. Hier möchte ich, wie in meinem Beitragsfaden bereits erwähnt, auf Kaliumphosphonat setzen können. Das Toxizitätsprofil ist deutlich besser als bei Kupfer, allerdings dringt der Stoff in die Pflanze ein. Damit kann er von innen heraus systemisch wirken z.B. auch bei neuen Blättern (Vorteil), er ist jedoch in der Pflanzen (Nachteil da Rückstände möglich) . Um Rückstände zu vermeiden, ist die Anwendung daher nur bis zu einem bestimmten Stadium angezeigt. Auch oder gerade wegen dieses Stoffes mache ich den Sachkundenachweis.
Schlussendlich versuche ich es wenig dogmatisch anzugehen (davon habe ich bei dem Thema sonst schon genug) sondern pragmatisch im Sinne einer nachhaltigen aber gleichzeitig wirksamen Bewirtschaftungsweise.Und da treffen wir uns dann wieder, Stefan:
Der Pflanzenschutz steht in meinem Betrieb unter folgenden Prämissen:
- keine Rückstände im Wein
- kein Krankheitsrisiko für die Personen die auf meinem Betrieb arbeiten
- für den Naturraum so verträglich wie möglich
- ökonomisch machbar
Wenn alle so arbeiten würden, wäre mehr als nur ein Anfang gemacht und wir hätten deutlich weniger Probleme und Skandale. Dass das o.g. Vorgehen mitunter ein Ritt auf der Rasierklinge ist sollte klar sein, gerade wenn man auf die Dogmatiker trifft. Und von denen kommen immer wieder die gleichen Argumente: entweder der Weinberg ist "nicht aufgeräumt" genug" (O-Ton, sic!), die Ökos sind die "Spreader" (siehe Corona) von Rebkrankheiten, anders sei es nicht wirtschaftlich (Einsatz von Herbiziden) oder auch andersherum, dass Kaliumphosphonat der flüssiggewordene Teufel ist und man selbst als Umweltsau bezeichnet wird. allerdings kann ich aufgrund meines thematischen Vorschadens das meiste davon wunderbar entkräften bzw. meinen Standpunkt sauber unterfüttern
. Oder ich höre mittlerweile einfach weg, links rein rechts raus. Denn mit Dogmatikern jeglicher Strömung lässt es sich selten gut diskutieren.
Schlussendlich wäre mein Ansatz für die Landwirtschaft der Zukunft, dass wir auf die Siegel aller Art verzichten können, weil sich einen allgemeine, in allen Belangen so nachhaltig wie mögliche Landwirtschaft durchgesetzt hat. Der Weg wird lang und steinig und ist mit Dogmatik nicht zu beschreiten sondern nur mit gesundem Menschenverstand, Einsichtigkeit und dem Willen, Dinge ggf. auch mal anders zu machen und sich eines besseren belehren zu lassen. Für mich selbst habe ich den Weg gerade erst beschritten. Mal schauen, wo er mich hinführt.
Viele Grüße,
Björn