VillaGemma hat geschrieben:
Anscheinend schafft er das eben auch noch bei vielen Leuten, die eigentlich selbst genug Ahnung von Wein haben sollten. Das finde ich sehr interessant/bemerkenswert.
Um das im Bezug auf Bordeaux zu begreifen, muss man wissen, dass der Markt hier über gut 20 Jahre hinweg komplett anders funktioniert hat als der für andere Weine, und auch unter geänderten Bedingungen heute immer noch etwas anders funktioniert.
Wer hochwertige Bordeaux zu (einigermaßen) günstigen Preisen erwerben wollte, musste das über lange Zeit hinweg durch einen Kauf
en primeur tun, d.h. im Frühjahr nach der Lese, wo sich der Wein noch im Fass befindet. Wer nicht gerade zu den (organisierten) Primeurverkostungen nach Bordeaux fahren konnte, war deshalb auf das Urteil von kompetenten Fachleuten angewiesen, da er die Weine zu diesem Zeitpunkt nicht selber verkosten konnte (bis vor einigen Jahren war es für Laien außerdem auch vor Ort schwierig bis fast unmöglich, an Primeurmuster zu kommen - abgesehen davon, dass die Beurteilung von Fassmustern in manchen Jahren alles andere als einfach ist und sehr viel Erfahrung braucht).
Der Preisunterschied zwischen dem Primeurpreis und dem Preis nach Flaschenabfüllung war meistens hoch, zum Teil sogar extrem hoch, wenn die Weine in der Flasche sich als wirklich sehr gut erwiesen hatten. Das hatte einen ganz erheblichen Nebeneffekt, nämlich den der gezielten Spekulation, und diese wurde durchaus auch von Privatleuten betrieben: eine Kiste
en primeur gekauft, nach der Auslieferung die halbe Kiste zum gleichen Preis vertickt und die verbleibenden sechs Flaschen für lau in den eigenen Keller gepackt. Das hat über Jahre ganz wunderbar funktioniert, wenn man
en primeur die richtigen Weine erwischt hatte. Und bei dem Erwischen der "richtigen" Weine hat Parker enorm geholfen, da sein Primeururteil häufig zutreffend war; zumindest häufiger als das anderer Verkoster. Die Einschätzung von Parker war hier tatsächlich bares Geld wert.
Seit einigen Jahren ist damit Schluss, da die Chateaux durch extrem hohe Preissetzung für die Weine bereits
en primeur diesem Geschäftsmodell weitgehend die Grundlage entzogen haben. Gleichzeitig haben es die Chateaux verstanden, den Primeurhype trotzdem gezielt anzuheizen. Die Bewertungen
en primeur ziehen nach wie vor eine enorme Aufmerksamkeit auf sich, siehe die entsprechenden Threads hier im Forum, ohne dass sich ein Primeurkauf deswegen noch groß lohnt. Hier werden schlicht alte Modelle tradiert. Fragt sich, wie lange noch. Dennoch: ein großer Teil des Parker-Ruhms bei Bordeaux geht auf seine Primeurbewertungen zurück.
Gruß
Ulli