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Monokultur auf deutschen Weinkarten

zu teuer, zu billig, zu gut, zu schlecht
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octopussy

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Monokultur auf deutschen Weinkarten

BeitragMo 24. Jan 2011, 15:24

Ich muss sagen, dass mich in vielen Restaurants die Weinkarten immer mehr langweilen. In Dresden zum Beispiel kann man offensichtlich erkennen, dass alle bei dem gleichen, wenn auch durchaus respektablen Händler einkaufen. Das führt dann aber dazu, dass überall der gleiche Sancerre, die gleichen Elsässer Rieslinge, Pinot Blancs und Gewürztraminer, die omnipräsenten und langweiligen Weine von Markus Schneider, Rieslinge von Tesch an der Nahe und die gleichen paar Spanier und Italiener auf der Karte stehen. Daneben gibt es natürlich noch die sächsischen Weine.

Auch in Berlin kommt es mir so vor, als würden ziemlich viele Restaurants ihre Weinkarte mit den immer gleichen Namen bestücken, die sie vom gleichen Großhändler beziehen. In größeren Weinregionen (Hessen, Rheinland-Pfalz, Baden) sieht es zwar manchmal schon besser aus. Aber auch dort sieht man gerade in Hotel-Restaurants, die vornehmlich Geschäftsreisende beherbergen, immer wieder die immer gleichen Weine, die auf Dauer tierisch langweilen. Weine, die älter als drei Jahre sind, sucht man abseits des Bordeaux meistens ohnehin vergeblich. Burgunder gibt es immer nur von den großen Negotiants. Manchmal bin ich schon so weit, dass ich gar keinen Wein mehr bestelle :evil:.

Natürlich ist nicht alles schlecht und es gibt noch hunderte kleine und große Restaurants in allen möglichen Preisklassen, die gute bis ausgezeichnete Weinkarten haben. Aber in der Breite finde ich, dass sich eine gepflegte Langeweile immer mehr ausbreitet, die fast schon ein gewisses Desinteresse am Wein durchscheinen lässt. Deshalb werde ich jetzt einfach immer öfter fragen, ob ich gegen Korkgeld meine eigene Flasche mitbringen darf.
Beste Grüße, Stephan
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Chris

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Re: Monokultur auf deutschen Weinkarten

BeitragMo 24. Jan 2011, 16:09

Normale Restaurants können sich nun mal keinen Somellier leisten. Wenn da kein Fachwissen bzw Begeisterung vorhanden ist, dann passiert genau das was Du beschreibst.

Man merkt eigentlich direkt ob der Inhaber des Restaurants ein Weinliebhaber ist und sich die Weine wohl überlegt aussucht oder ob er nur hier und da etwas beim Hawesko (oder wo auch immer) Verkäufer mal so eben bestellt.
Grüße, Chris
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susa

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Re: Monokultur auf deutschen Weinkarten

BeitragMo 24. Jan 2011, 16:19

Das mit der eigenen Flasche ist ja hier nicht gerne gesehen, noch nicht mal gegen Korkgeld ;). Und irgendwo kann ich die Restaurants auch verstehen.

Deutschland ist nun mal nicht so die Weintrinkernation wie zB Frankreich, wo man an vielen Tankstellen bessere Weine bekommt als beim uns im Fachhandel ;) und ein Glas Wein zum Essen dazu gehört (ich habe da zB zwei Autobahnraststätten vor meinem geistigen Auge ..... ;)) und in den meisten Fällen wird ja doch Bier zum Essen getrunken (mal von der gehobenen Gastronomie abgesehen). Insofern ist es für die Restaurants ein ziemliches Risiko bzw. eine recht hohe Kapitalbindung, unbekannte Weine vorzuhalten, die dann alle 7 Pfingsten mal einer nachfragt und dann sind sie vielleicht schon über den Zenith.

Und Gäste wie unsereins, der gerne mal einen neuen ihm noch nicht bekanmnten Wein probiert, sind doch noch reichlich in der Minderheit Und dann: gerade bei Geschäftsessen wird gerne mit den bekannten Namen gearbeitet, damit der Gast nicht meint, man gönne ihm die richtig guten Weine nicht. Ich hab letztens eine Kombo gesehen, die tranken - :shock: :shock: und ich bin weißgott experimentierfreudig - 94er Léoville-Poyferré zum Loup de mer mit Jakobsmuschel in Safransauce, bei der Sauce war auch noch Anis/Pastis im Spiel.

Die Wein/Getränkekalkulation tut dann noch ihr übriges. Aber (man sieht, ich habe heute meinen verständnisvollen Tag ;)) auch das kann ich in gewisser Hinsicht verstehen, wenn man bedenkt, dass in einem vernünftigen Restaurant beim Essen im günstigsten Fall Geld gedreht wird, also die Kosten hereingefahren werden und der -nicht gerade üppige- Gewinn nur über den Getränkeverkauf gemacht wird, dann wüsste ich auch keine bessere Lösung, wenigstens nicht auf die Schnelle.

Und zu guter Letzt, ich bin immer wieder erstaunt, wie wenig Restaurantbetreiber und Köche von Wein verstehen und sich mit dem Thema auseinandersetzen. Die lesen im besten Fall die fact sheets der Erzeuger oder Händler, aber wirklich Weine und Essen vermählen, Lust auf Weinprobieren zu machen, das können in aller Regel nur die ganz Großen und so'n paar Weinverrückte.

Ist schade, aber so isses und deswegen sind viele Weinkarten ohne Liebe zur Sache, ohne Ambition sich von anderen abzusetzen und eine eigene Handschrift zu entwickeln ohne die feinen kleinen Entdeckungen, von denen unsereins träumt.

lieben Gruß
susa
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Charlie

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Re: Monokultur auf deutschen Weinkarten

BeitragMo 24. Jan 2011, 16:44

Wäre es schlimm wenn wir hier ein paar Restaurants mit schwachen Weinkarten nennen ? Vielleicht rüttelt das wach ...
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Chris

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Re: Monokultur auf deutschen Weinkarten

BeitragMo 24. Jan 2011, 16:57

Schlimm sicher nicht. Da der Großteil der Restaurants, die ich kenne schwache Weinkarten hat, wäre die Liste lang. Die meisten Restaurants die gute Weinkarten haben, sind leider nicht ganz billig, sowohl beim Essen als auch bei den Weinen.
Grüße, Chris
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octopussy

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Re: Monokultur auf deutschen Weinkarten

BeitragMo 24. Jan 2011, 17:28

Ich finde das auch nicht schlimm. Wenn man die zahlreichen Namen hier nennt, wird es aber wahrscheinlich leider auch nichts vebessern :(. Trotzdem: Hier in Dresden enttäuschen mich besonders die Weinkarten des Restaurant Schmidt's und dessen Schwester-Restaurants Alte Meister, obwohl das Essen in beiden gut ist (http://www.koenig-albert.de/ueberuns/kategorie2/seite9/index.php). Das Restaurant Le Maurice hat ebenfalls ein grausame Weinkarte, bei der auch noch die Preise zum heulen sind (http://www.suitess-hotel.com/CMSFiles/363.pdf?PHPSESSID=7a2b3e5493709b57f792fd9afcaf2d82). Ziemlich schlecht finde ich auch die Weinkarte des Bean & Beluga, auf der man außer jeder Menge Weine mit tollen Fantasienamen nicht viel Vernünftiges findet. Das gleiche Zeugs wie überall kriegt man auch im erst jüngst eröffneten Restaurant Spizz, wo das Essen immerhin auch ok ist (http://www.restaurant-spizz.de/fileadmin/user_upload/header-img/PDF/Getr%C3%A4nkekarte.pdf).

Positiv herausheben möchte ich die Villa Marie (http://www.villa-marie.de/tl_files/villa/redaktion/weinkarte.pdf), von denen ich immerhin weiß, dass sie auch oft selbst in Italien sind und probieren. Ebenso ist im Restaurant Caroussel die Weinkarte gut zusammengestellt und fair kalkuliert. Dass man mit recht wenigen Positionen eine durchaus spannende Karte zusammenstellen kann, zeigt auch das Restaurant Schwarzbachtal in der Sächsischen Schweiz (http://www.schwarzbachtal.de/weinkarte.pdf).

Dass die Restaurants auch bekannte Namen auf die Karte setzen müssen und sich nicht nur auf Geheimtipps konzentrieren können, kann ich gut verstehen. Ich kann es auch verstehen, dass Restaurants ohne Sommelier nicht ständig Winzerbesuche machen können. Aber ein bisschen mehr Mühe könnte man sich ja mal geben, gerade wenn man mit dem Wein das Geld macht.
Beste Grüße, Stephan
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WoFu

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Re: Monokultur auf deutschen Weinkarten

BeitragDi 25. Jan 2011, 09:44

Moin, moin,

dazu passen die paar Minuten die ich gestern Abend beim zappen bei Herrn Rach hängen geblieben bin. Der hat eine Weinstube besucht, die von der Dame seit 15 Jahren betrieben wird, so lange hing auch ein Poster mit den zwei Arten weißer Bdx-Weine als Sichtschutz an einem Türfenster, die gute Frau wußte nicht, daß Bdx eher für Rotweine bekannt ist. Etliche offene Weine stehen warm im Gastraum herum, Oxidation etc. kein Thema für die Geschäftsleitung, Lagerraum durch die Damentoilette zu erreichen... Irgendwie sitzt man dann kopfschüttelnd vor der Glotze und fragt sich: Sind die Gastronem eigentlich wirklich so uninterssiert an ihrem Geschäft oder ist das alles Fake? Na ja, ich mußte es mir nicht zuende anschauen und glaube, daß schon viel mit der Wahrheit übereinstimmt, diese aber etwas medienwirksam angehübscht wird.

Grüße

Wolfgang
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DerFranki

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Re: Monokultur auf deutschen Weinkarten

BeitragSo 27. Feb 2011, 17:47

Am Freitag in einer Dorfgaststätte in Nordhessen:

Ich beim wunderbaren Filetsteak mit Röstgemüse + Pils, als sich drei Mädels, so um die 50, am Nachbartisch zum Freitagabendplausch nieder lassen.

Die drei fragen nach Wein.
Der Wirt: „Ich hab' aber nur noch Roten.“
Ein Mädel: „Sehr gut, das passt ja. Was denn für einen?“
Der Wirt: „Dornfelder.“

Der Wirt geht und holt ein Glas mit einem Schluck.

Ein Mädel nimmt das Glas, setzt an, setzt wieder ab und fragt (vor dem Probieren!): „Halbtrocken?“
„Na klar!“ antwortet der Wirt.
„Sehr lecker!“, dann trinkt sie.

Die drei bestellen vom dem Zeug (und es war „Zeug“, es war sicher keiner von den Dornfeldern, die was taugen und die es angeblich geben soll ;) ).

Ich denke das Glas (0,2l) war vielleicht 2,50€ teuer und damit auf jeden Fall „bezahlbar“, wenn auch nie und nimmer „preiswert“.



Ich kann nicht sagen, was zuerst da war, der Wein oder die Gäste die nach ihm verlangt haben.
So lang es aber in den allermeisten Kneipen so abläuft und viele damit zufrieden sind, werde ich leider keinen Wein in einer Kneipe in unserem Ort genießen können.

Und an vernünftige Weinkarten ist in unserer Gegend schon gar nicht zu denken.
Schade. :cry:
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emmetdocbrown

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Re: Monokultur auf deutschen Weinkarten

BeitragDo 24. Mai 2012, 13:55

octopussy hat geschrieben:Dass die Restaurants auch bekannte Namen auf die Karte setzen müssen und sich nicht nur auf Geheimtipps konzentrieren können, kann ich gut verstehen. Ich kann es auch verstehen, dass Restaurants ohne Sommelier nicht ständig Winzerbesuche machen können. Aber ein bisschen mehr Mühe könnte man sich ja mal geben, gerade wenn man mit dem Wein das Geld macht.


Und genau da liegt der Hase im Pfeffer wie man so schön sagt. Denn nirgendwo ist die Markentreue höher als beim Wein. Nichtmal in der Automobilbranche. D.h. die meißten Konsumenten trinken nur das was sie kennen. Und welche Namen kennt wohl jeder? Genau!
Dazu kommt noch das die Wirte sich immernoch nur beiläufig mit Wein auseinandersetzen, weil dieses Thema völlig unterschätzt wird. Und es wird einfach nur auf den Einkaufspreis geguckt und wie er kalkuliert werden kann. Da ziehen dann die Argumente vom Großhändler wie:" dieser wein ist unser Verkaufsschlager" oder "das kennen die Leute, das wird viel verkauft." natürlich am allerbesten.
Ihr müßt auch mal sehen, das viele Wirte auch nicht mehr bereit sind so ein großes Risiko einzugehen die Weine immer vorhalten zu müssen gerade bei solchen "Geheimtipps" wo es durchaus sein kann das der Wein dann irgendwann einmal nach eventuell 3-4 Jahren verkauft wird.
Allerdings kann man das Risiko mindern, indem man etwas dafür tut, das der Wein bekannter wird und sich besser verkauft. Aber dazu müßte sich auch der Wirt mit dem Thema Wein ernsthaft beschäftigen.
Und solange der Weinverkauf am Verbraucher auch mit der Plärre einigermaßen funktioniert die z.B. in Bischofingen oder Edenkoben abgefüllt wird, ist doch alles in Butter oder?
beste Grüße
Stevie - David

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