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Profi-Bewertungen vs Alltagsgeschmack

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Gerald

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Profi-Bewertungen vs Alltagsgeschmack

BeitragFr 2. Dez 2011, 09:53

Im aktuellen Falstaff (online) zeigt man sich gerade schockiert über das Ergebnis einer Sekt-Vergleichsverkostung, wo das billigste Produkt gewonnen hat:

http://www.falstaff.at/weinartikel/kons ... -3796.html

Ob die Methodik - wie im Artikel behauptet - fragwürdiger als übliche Verkostungen sind, darüber kann man zumindest diskutieren. Mir geht es aber um einen anderen Aspekt, der mir schon öfters durch den Kopf gegangen ist:

Kann ein Weinprofi - mit all seinen Erfahrungen, sensorischen Fähigkeiten etc. - sich überhaupt in das Geschmacksempfinden eines "einfachen" Weinfreundes soweit hineinversetzen, um ihm einen Wein zu empfehlen, der ihm auch tatsächlich schmeckt? In einen Weinfreund, der sich nicht übermäßig mit Wein beschäftigt hat, sondern nur ab und zu ein - für ihn - gutes Glas genießen möchte. Dem Komplexität, Lagerfähigkeit, Typizität und andere Bewertungsmaßstäbe der Profis eigentlich völlig egal sind. Man darf nun mal nicht vergessen, dass diese Art Weinkonsument zahlenmäßig wohl die große Mehrheit darstellt und der Markt an dessen Bedürfnissen nicht vorbei produzieren sollte.

Natürlich gibt es noch den "Des Kaisers neue Kleider" - Effekt, also dass der "einfache" Konsument die hohen Punkte in den Weinguides sieht, den Wein kauft und dann krampfhaft versucht, Geschmack an dem Wein zu finden. So etwas dürfte aber auch nur ein vorübergehender Effekt sein. Kurz nach der Jahrtausendwende, beim "Rotweinwunder" in Österreich, wurden die teureren Weine (so in der 30 Euro Klasse) offenbar in wesentlich größerer Menge gekauft als jetzt. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, als man festgestellt hat, dass der teure, hochbewertete Wein für den einfachen Weintrinker nicht oder nicht so viel besser schmeckt als wesentlich preisgünstigere Rotweine?

Grüße,
Gerald
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Desmirail

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Re: Profi-Bewertungen vs Alltagsgeschmack

BeitragFr 2. Dez 2011, 10:30

Gerald hat geschrieben:Kann ein Weinprofi - mit all seinen Erfahrungen, sensorischen Fähigkeiten etc. - sich überhaupt in das Geschmacksempfinden eines "einfachen" Weinfreundes soweit hineinversetzen, um ihm einen Wein zu empfehlen, der ihm auch tatsächlich schmeckt?


Na klar!

Das muss er sogar können, sonst könnten alle Sommelier und MW ihren Hut nehmen.

Wer das als "Weinprofi, -fachmann" nicht kann sollte nach Hause gehen!

Individuelle Kundenberatung ist ein unbedingtes MUSS!!!
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Gerald

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Re: Profi-Bewertungen vs Alltagsgeschmack

BeitragFr 2. Dez 2011, 10:43

Ich gebe schon zu, dass er es "können sollte". Aber die Realität sieht - fürchte ich - anders aus. Denn sonst würden doch (wie im Falstaff-Artikel erwähnt) Amateure und Profis innerhalb eines Panels nicht zu vollkommen unterschiedlichen Ergebnissen kommen, oder?

Bei einem (guten) Sommelier oder evtl. auch Weinhändler könnte es funktionieren, wenn derjenige genügend weinpsychologische Erfahrung hat, um den Kunden richtig einzuschätzen, ohne ihn direkt fragen zu müssen ("Entschuldigung, verstehen sie eigentlich etwas von Wein?" ;) ). Aber bei Profiverkostern/Weinautoren, die üblicherweise keine individuellen Beratungen vornehmen, sondern eine Bewertung "für alle Leser" vornehmen, da bin ich mir ja nicht so sicher ...

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Desmirail

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Re: Profi-Bewertungen vs Alltagsgeschmack

BeitragFr 2. Dez 2011, 10:49

Gerald hat geschrieben:Ich gebe schon zu, dass er es "können sollte". Aber die Realität sieht - fürchte ich - anders aus. Denn sonst würden doch (wie im Falstaff-Artikel erwähnt) Amateure und Profis innerhalb eines Panels nicht zu vollkommen unterschiedlichen Ergebnissen kommen, oder?


Ich glaube schon dass es unterschiedliche Ergebnisse geben darf. Schließlich ist die Zunge eines erfahreneren Verkosters geschulter und kann mehr Eindrücke differenzieren.

In der Konsequenz sollte sich ein Profi aber niemals über den Geschmack eines unerfahrenen Kunden hinweg setzen und "von oben herab" agieren.

Massensekte bedienen einen Massengeschmack. Leicht zu konsumieren, leicht wieder zu erkennen.

Sonderproduktionen sind für einen Kleinmarkt. Im Konsum schwieriger, mehr abverlangend, nur für den geschulten wieder zu erkennen, das er mehr Erinnerungen differenzieren kann.


Vermutlich haben die "Profis" den leicht "süß-süffigen" Geschmack der Preiswerteren Produkte aus ihrem Gedächtnis gelöscht, da sie damit kaum mehr was zu tun haben und es vielleicht auch "verachten"?????
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Desmirail

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Re: Profi-Bewertungen vs Alltagsgeschmack

BeitragFr 2. Dez 2011, 10:53

Gerald hat geschrieben:Bei einem (guten) Sommelier oder evtl. auch Weinhändler könnte es funktionieren, wenn derjenige genügend weinpsychologische Erfahrung hat, um den Kunden richtig einzuschätzen, ohne ihn direkt fragen zu müssen ("Entschuldigung, verstehen sie eigentlich etwas von Wein?" ;) ). Aber bei Profiverkostern/Weinautoren, die üblicherweise keine individuellen Beratungen vornehmen, sondern eine Bewertung "für alle Leser" vornehmen, da bin ich mir ja nicht so sicher ...

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Hmmm, ich glaube, wissen tue ich es nicht, das der Punkt Beratung immer in den Ausbildungen der Verkoster drinnen ist. Für mich wäre es sonst ein Zumutung diese Menschen auf Kunden los zu lassen, wenngleich ich sagen muss, dass ich so manchen Verkoster als Zumutung empfinde :o :lol:
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Gerald

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Re: Profi-Bewertungen vs Alltagsgeschmack

BeitragFr 2. Dez 2011, 11:00

Na ja, aber ist es nicht so, dass viele der (schreibenden) Profi-Verkoster gar keine entsprechende Ausbildung haben - zumindest keine formelle, sondern als erfolgreiche Weinautoren stillschweigend annehmen, dass sie auch entsprechende Fähigkeiten als Verkoster haben? Dabei sind das eine (Weinjournalismus) und das andere (Verkosten) ja ganz unterschiedliche Disziplinen ...

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Desmirail

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Re: Profi-Bewertungen vs Alltagsgeschmack

BeitragFr 2. Dez 2011, 11:07

Gerald hat geschrieben:Na ja, aber ist es nicht so, dass viele der (schreibenden) Profi-Verkoster gar keine entsprechende Ausbildung haben - zumindest keine formelle, sondern als erfolgreiche Weinautoren stillschweigend annehmen, dass sie auch entsprechende Fähigkeiten als Verkoster haben? Dabei sind das eine (Weinjournalismus) und das andere (Verkosten) ja ganz unterschiedliche Disziplinen ...

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Und aus dem Grund würde ich mich von einem Weinautor nicht beraten, sondern nur interessieren lassen und von einem Sommelier durchaus beraten und interessieren lassen. Selbsternannte gibt es auf der Welt genug, was nicht heißt, dass diese keine Ahnung von Wein haben.

Ich finde es sehr schwierig den "Massen"-Markt und den "Experten"-Markt zu vergleichen. Bei Bier wird es vermutlich genau so sein. Da gibt es das, was man so weg zischt und dann das, was man studieren muss um es zu verstehen (ich hatte letztens ein Spezialbier aus Belgien, das schmeckte wie gewirkter Schinken oder Löschwasser das nach einem Hausbrand aufgefangen wurde :lol: )

Ich denke es gibt hier eben genau diese zwei Ansätze.
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Gerald

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Re: Profi-Bewertungen vs Alltagsgeschmack

BeitragFr 2. Dez 2011, 11:18

Das ist dann aber ein Grundproblem der Weinkritik: man müsste den Wein je nach Zielgruppe unterschiedlich bewerten, was aber in der Praxis kaum geht (bzw. nicht sehr sinnvoll aussieht). Also unterschiedliche Punkte, Rankings o.ä. je nach Zielgruppe.

Vielleicht ist da die Kategorisierung - wie sie bei manchen Weinhändlern verwendet wird - nicht so schlecht, so in der Art "easy drinking", "komplex und fordernd" o.ä.?

Grüße,
Gerald
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WoFu

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Re: Profi-Bewertungen vs Alltagsgeschmack

BeitragFr 2. Dez 2011, 12:11

Moin, moin,

die Frage ist schon sehr spannend. Die Autoren schreiben doch fast ausschliesslich für die kleine Gruppe der Weinliebhaber, von denen auch ein großer Teil nicht komplett den Profis vertraut. Nennenswerte Breitenwirkung haben sicher die ParkerPunkte (auch wenn die Weine nicht persönlich von RP bewertet wurden) und für D sicher auch der in den Foren ja so herrlich umstrittene GM, der gerade bei Fachhändlern oder Winzern häufig bereit liegt. PP findet man nahezu flächendeckend bei Werbung im Fachhandel wie LEH, gelegentlich auch beim Discounter.

Welcher Durchschnittsweintrinker nimmt mehr als die Punktezahl wahr? Gerade Spanien kann häufig hohe Punkte bei mäßigem Weinpreis aufweisen, dann gibt es wieder von den "Weinwissenden" Kritik.

Auch die Stiftung Warentest eckt mit Ihren Proben ja immer mal wieder an, die Wenigsten hier im Forum werden sich die Weihnachtsweine nach dem aktuellen Heft aussuchen, für den Gelegenheitsweintrinker mag das anders sein. Schön ist es doch zu lesen, daß die Einfachsekte auch beim Fallstaff als überraschend trinkbar angesehen wurden. Es gibt halt unterschiedliche Geschmäcker und Einstellungen. Nicht alles was teuer ist, muß auch besser (für alle) sein (vgl. zB. KL-Gläser, Amphorenweine...).

Möge jede/r den Wein finden, der ihn oder sie mehr als zufriedenstellt.

Grüße

Wolfgang
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JimPanse

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Re: Profi-Bewertungen vs Alltagsgeschmack

BeitragMo 12. Dez 2011, 08:13

Hallo

Würde ja gerne auch die eine oder andere Kostprobe meiner Lieblinge hier kundtun. Habe aber keine Idee, wie ich Punkte verteile, bzw. den Geschmack auf Kirschen, Schoko etc. beschreibe.

Grüsse

Jim
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