UlliB hat geschrieben:Was die geforderten "klaren Kriterien" betrifft, hört sich das vermutlich wesentlich einfacher an, als es in der Praxis zu realisieren wäre.
[...]
Die Situation wird weiter dadurch verkompliziert, dass das, was im Keller geschieht, sich weitestgehend jeder Objektivierbarkeit entzieht (zumindest im Moment noch). Bei der Arbeit im Weinberg ist das anders;
Hallo Ulli,
du nimmst mir die Worte aus dem Mund. Man kann noch so viele objektive Kriterien für die Behandlung des Weins im Keller definieren. Erstens lässt es sich nicht richtig nachprüfen. Zweitens ist auch schon zweifelhaft, ob bestimmte Kriterien (wie ein langes Feinhefelager) es dem Kunden erleichtern, die Kaufentscheidung zu fällen. Für mich steht die Slow Food Idee v.a. für Vielfalt und die Erhaltung von sich über Jahre entwickelter regionaler Spezialitäten. Dazu gehören für mich z.B. auch Weine, die gar nicht unbedingt für eine lange Lagerung und Entwicklung gedacht sind, z.B. Moscato d'Asti, einfache Beaujolais oder Trollinger aus Württemberg.
Ich habe selbst noch einmal im Slow Wine Guida 2011 nachgeschaut. Objektive Kriterien für die Verleihung der Schnecke (für Winzer) oder des Prädikats "Vini Slow" (für Weine) gibt es tatsächlich nicht. Es heißt für Vino Slow (sehr laienhaft übersetzt):
"ein Wein, der sich über eine exzellente und wahrnehmbare Qualität hinaus bemüht, möglichst viel Charakter über das Terroir, eine Geschichte und die Gesamtaura zu konzentrieren" und für die Schnecke (ebenfalls sehr laienhaft übersetzt):
"...wird an Betriebe vergeben, die den Slow Food Prinzipien entgegenkommen (naturnaher Anbau, terroir-bezogen, umweltfreundlich, identitätswahrend (auf italienisch organolettici, territoriali, ambientali e indentitatri)".
Das sind natürlich sehr schwammige und auch subjektive Kriterien. Aber ich denke, dass man mit etwas Flexibilität den Ideen von Slow Food mehr entgegenkommt als mit starren Kriterien. Nehmen wir das Beispiel Deutschlands: wenn ein Jürgen Hofmann in Röttingen/Taubertal sich um qualitativ hochwertige und sortentypische Weine aus der seltenen Rebsorte Tauberschwarz bemüht, ist das aus meiner Sicht eine besondere Erwähnung wert, auch wenn er nicht alle oder sogar gar keine Weine spontan vergärt (ich habe hierzu keine Informationen) und nicht bio-zertifiziert anbaut.
In seinem Artikel im Slow Food Magazin 04/2011 fragt Kai Wagner auch gleich zu Beginn:
'Wie soll das gehen so ganz ohne Regeln', fragen die Kleinmütigen und die Zweifler und legen die Stirn in Falten. Wie soll es anders gehen, kann man gegenfragen.
und führt sodann aus:
Den mustergültigen "Slow Wine" gibt es so wenig, wie ein Verfahren, ihn aufzuspüren, oder eine reglementierte Methode, ihn zu erzeugen.
Seine Beispiele in dem Artikel für "Slow Wine" sind übrigens:
1. Trockene Schmitts, Randersacker (fränkisch trocken)
2. Weingut Hofmann, Röttingen (rare Rebsorten)
3. Otmar Zang, Sommerach, Bickel-Stumpf, Frickenhausen, Weingut Hahnmülle, Mannweiler-Cölln (Gemischter Satz)
4. Heymann-Löwenstein, Winningen ("Wein und Geist")
5. Christian Heußler (Pferde im Weinberg)
6. Weiser-Künstler, Traben-Trarbach (Steillagen-Anbau)
7. Zähringer, Heitersheim (ökologische Verantwortung)
Ich finde die Beispiele nicht schlecht, wobei man sich über die Auswahl sicher streiten kann. In diesem Zusammenhang passt m.E. das Zitat des US-Supreme-Court Justice Potter Stewart, der in der Entscheidung Jacobellis v. Ohio (1964) zur Frage, wann Pornographie vorliege, sagte: "
I know it when I see it".
Ich denke, bei einem Projekt, wie dem Slow Wine Guida muss man auch ein wenig Vertrauen in die Urteilsfähigkeit der Redaktion investieren. Auch Markus Schneider pflügt jetzt laut einem Händler mit Pferden durch Teile seiner Weinberge. Macht ihn das zu einem "Slow Wine" Winzer? Wer entscheidet darüber? Ich überlasse dies gerne der Urteilsfähigkeit der Redaktion (für Italien des Slow Wine Guida). Sollte ich in einer Ausgabe das Gefühl haben, dass die Auswahl
überwiegend willkürlich oder nicht nachvollziehbar ist, verliere ich das Vertrauen. In der Ausgabe 2011 finde ich die Auswahl der mit einer Schnecke bedachten Winzer durchaus nachvollziehbar. Hinzu kommt, dass durch Angaben zur Düngung, dem Herbizid-Einsatz, der Leseform und der Vergärung ein wenig mehr Transparenz entsteht als bei den meisten anderen Wine Guides, bei denen es
ausschließlich auf die Qualität ankommt, die ebenfalls ziemlich subjektiv ermittelt wird.
Insofern möchte ich noch einmal eine Lanze brechen für das Konzept des Slow Wine Guida, den ich als echte Bereicherung empfinde, nicht um andere Wine Guides zu ersetzen, sondern um sie zu ergänzen. Über die Entscheidungen, wer eine Schnecke oder das Prädikat "Vino Slow" erhält, kann man gerne genauso streiten, wie über die Entscheidungen des Gambero Rosso über die Gläser oder des Gault Millau über die Punkte.