Aktuelle Zeit: Fr 29. Mär 2024, 03:10


Alkohol

Was Sie schon immer über Wein wissen wollten, aber nie zu fragen wagten
  • Autor
  • Nachricht
Offline

glycosid

  • Beiträge: 78
  • Registriert: Sa 5. Mai 2012, 10:36

Alkohol

BeitragDo 21. Jun 2018, 12:36

Wie gewünscht:

amateur des vins hat geschrieben:
glycosid hat geschrieben:Und mit den Jahren, insbesondere mit vielen Jahren, vermindert sich der Alkoholgehalt ja überdies auch etwas.

Echt? Und was passiert dann mit dem Alkohol?

Eine Erklärung oder Diskussion in einem neuen Thread im Unterforum "Allgemeines Weinwissen" fänd' ich gut. :idea:


Nun, Wein ist ja eine wässrige, leicht säure Lösung - also chemisch gesehen - in der bekanntlich 'ne ganze Menge der verschiedensten Substanzen herum schwimmen. Und Alkohol, der ja nach dem Wasser die höchste Konzentration darin hat, ist insbesondere was organische Reaktionen angeht doch ein recht reaktives Agens. Vor allem Veresterungen wären hier zu nennen (also Umsetzungen von Alkoholen und organischen Säuren). Selbst bei sehr, sehr langsamen Reaktionsgeschwindigkeiten kommt da über viele Jahre doch einiges zusammen.
Offline

Weinschlürfer

  • Beiträge: 530
  • Registriert: Do 16. Jul 2015, 16:18

Re: Alkohol

BeitragDo 21. Jun 2018, 12:55

Bein Whisky...

https://de.wikipedia.org/wiki/Angels%E2%80%99_share


Beim Wein weiss ich nicht wie es da ist. aber tendenziell könnte ähnliches passieren. Ein Bisschen.
Offline

glycosid

  • Beiträge: 78
  • Registriert: Sa 5. Mai 2012, 10:36

Re: Alkohol

BeitragDo 21. Jun 2018, 13:23

Solange der Wein im Fass liegt, verschwindet auf jeden Fall etwas in die Umgebung...

In der Flasche sollte das aber nicht mehr passieren. Zumindest ist über alle Flaschen, bei denen über den Korken irgendein Austausch mit der Umgebung stattfindet, der über atomare Größenordnungen hinaus geht, das Urteil des alsbaldigen Dahinscheidens gesprochen.
Offline

amateur des vins

  • Beiträge: 4271
  • Bilder: 10
  • Registriert: Sa 10. Mär 2012, 21:47
  • Wohnort: Berlin

Re: Alkohol

BeitragDo 21. Jun 2018, 13:54

glycosid hat geschrieben:Wie gewünscht:
[...]
Vor allem Veresterungen wären hier zu nennen (also Umsetzungen von Alkoholen und organischen Säuren).
Danke!
Ich Honk habe anscheinend den Gedanken an Chemie über die Jahrzehnte ziemlich vollständig aus meinem Kopf verbannt und intuitiv nur an physikalische Effekte gedacht. :oops: :lol:

Kannst Du den Einfluß der Veresterung auf den Alkoholgehalt größenordnungsmäßig quantifizieren?

Angels' Share...
2,5% über 20 Jahre würde -40% bedeuten. Das ist nicht, was man beobachtet - ist ja auch Glas und nicht Faß. Ganz abgesehen davon, daß der Volumenschwund auch nicht nur den Alkohol betrifft...
Besten Gruß, Karsten
Offline
Benutzeravatar

Gerald

Administrator

  • Beiträge: 7485
  • Bilder: 32
  • Registriert: Do 24. Jun 2010, 07:45
  • Wohnort: Wien
  • Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken

Re: Alkohol

BeitragDo 21. Jun 2018, 13:58

Esterbildung wird wohl nur in sehr geringen Mengen auftreten, sicher geringer als die übliche Genauigkeit der Alkoholangabe. Einerseits aufgrund des chemischen Gleichgewichts (Esterbildung ist hier quasi das "Paradebeispiel" für Chemie-Anfänger, gibt im Web genug dazu nachzulesen, wenn es jemanden interessiert), andererseits da derartige Ester ziemlich geruchsintensiv sind und Weine mit nennenswerten Esterkonzentrationen wohl nicht besonders angenehm zu trinken sind.

Grüße,
Gerald
Offline

glycosid

  • Beiträge: 78
  • Registriert: Sa 5. Mai 2012, 10:36

Re: Alkohol

BeitragDo 21. Jun 2018, 16:06

Vorab: Geruch und Geschmack sowie deren Intensität von Estern hängt von der Größe und Struktur des betreffenden Estermoleküls ab. Aber selbst die eher leichtflüchtigen Ethylester gehören zu den wichtigsten Aromagebern im Wein. siehe etwa hier

Das "Problem" mit dem Lehrbuchbeispiel "Veresterung" zur Verdeutlichung des Prinzipes des chemischen Gleichgewichtes für Chemieanfänger ist freilich, dass hier lediglich zwei Ausgangsstoffe (Alkohol und Säure) mit zwei Reaktionsprodukten (Ester und Wasser) bei konstanten Umgebungsbedingungen betrachtet werden. Mit den chemischen Gegebenheiten in einer hochkomplexen Lösung wie Wein mit hunderten Substanzen hat das aber kaum mehr etwas zu tun. Hier steht nämlich fast alles mit allem Gleichgewicht, weshalb auch jegliche Reaktion in diesem Gemisch fast alle anderen Gleichgewichte aus demselben zu bringen vermag, wie z.B. die langsamen Oxidationen durch verbliebenen bzw. neu hinzu kommenden Sauerstoff etwa. Auch kann das liebe Ethanol de facto mit allen in Lösung vorhandenen Carbonyl-Gruppen reagieren. Und wenn etwa ein Wein über die Jahre ein beträchtliches, nicht mehr lösliches Sediment ausbildet, dann verändern diese ausffallenen Verbindungen die Gleichgewichte der Lösung ebenfalls ganz erheblich, usw.

Auch wenn der Wein-Reifeprozess wegen der besagten Komplexität interessanter Weise noch recht wenig analytisch untersucht und wissenschaftlich belastbar dokumentiert ist: Schmeckbar ist die Tatsache, dass bei den Weinen über die Jahre chemisch ganz gehörig was passiert, bekanntlich allenthalben. Und dass diejenige "Chemikalie" mit der (nach dem "Lösungsmittel" Wasser natürlich) höchsten Konzentration maßgeblich daran beteiligt ist, steht außer Frage, und zwar sowohl unter dem "chemischen" Blickwinkel wie auch dem sensorischen, dem natürlich wichtigsten. Denn als Liebhaber reifer Bordeaux kann ich ein treffliches Lied über die Domestizierung des Alkohols in lange gereiften Tröpfchen anstimmen... In sensorischer Hinsicht ist auch mit zu berücksichtigen, dass der "alkoholische Geschmack" nicht allein vom Ethanol herrühen muss, da sich außer diesem noch eine ganze Menge anderer Alkohole im Weine tummeln.

Was die Alkoholangaben angeht ist auch zu beachten, dass lt. aktuellen gesetzlichen Bestimmungen der auf dem Etikett angegebene Alkoholgehalt um bis zu 0,5vol% und bei Weinen mit Angabe des Erntejahres, über drei Jahre Flaschenlagerung, Schaumweinen, Perlweinen, Likörweinen und Weinen aus überreifen Trauben sogar um bis zu 0,8vol% vom gemessenen Wert abweichen darf - und zwar in beide Richtungen!
Offline
Benutzeravatar

Gerald

Administrator

  • Beiträge: 7485
  • Bilder: 32
  • Registriert: Do 24. Jun 2010, 07:45
  • Wohnort: Wien
  • Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken

Re: Alkohol

BeitragDo 21. Jun 2018, 16:38

Zur Veresterung in Wein habe ich einen interessanten Artikel gefunden:

https://www.tandfonline.com/doi/pdf/10. ... 9.10863808

Schnell durchgelesen und kurz zusammengefasst (ich hoffe, ich habe nichts übersehen ;) ): Weinsäure verestert im Wein nur minimal, in der Praxis am bedeutendsten dürfte die Milchsäure sein mit Veresterungsraten zwischen 5 und 15%. Bei angenommenen 3 g/l Milchsäure würde sie damit zwischen 0,08 und 0,23 g/l Alkohol verbrauchen, entsprechend zwischen 0,01 und 0,03 Vol. % - für den Alkoholgehalt also definitiv vernachlässigbar ...

Grüße,
Gerald
Offline

amateur des vins

  • Beiträge: 4271
  • Bilder: 10
  • Registriert: Sa 10. Mär 2012, 21:47
  • Wohnort: Berlin

Re: Alkohol

BeitragDo 21. Jun 2018, 17:11

Danke, Gerald. Das Paper habe ich bisher nicht gelesen (und ob ich es verstehen würde, sei mal dahingestellt). Die Größenordnung des angenommenen Milchsäuregehalts dürfte etwa stimmen. Die Rechnung ist dann trivial.

Heißt das jetzt, daß eine signifikante Abnahme des Alkohols mit der Flaschenlagerung eine urban legend ist? Wurde dieser Effekt empirisch nachgewiesen? Glycosid, hast Du das mal gemessen?
Besten Gruß, Karsten
Offline

glycosid

  • Beiträge: 78
  • Registriert: Sa 5. Mai 2012, 10:36

Re: Alkohol

BeitragDo 21. Jun 2018, 18:53

Gerald hat geschrieben:Zur Veresterung in Wein habe ich einen interessanten Artikel gefunden:

https://www.tandfonline.com/doi/pdf/10. ... 9.10863808

Schnell durchgelesen und kurz zusammengefasst (ich hoffe, ich habe nichts übersehen ;) ): Weinsäure verestert im Wein nur minimal, in der Praxis am bedeutendsten dürfte die Milchsäure sein mit Veresterungsraten zwischen 5 und 15%. Bei angenommenen 3 g/l Milchsäure würde sie damit zwischen 0,08 und 0,23 g/l Alkohol verbrauchen, entsprechend zwischen 0,01 und 0,03 Vol. % - für den Alkoholgehalt also definitiv vernachlässigbar ...

Grüße,
Gerald


Vielen Dank für den Link.

Anmerkungen nach erster Inaugenscheinnahme: Interessanter Artikel, der aber für allgemeingültige Aussagen bezüglich der hier in Rede stehende Frage leider nicht so recht aussagekräftig ist. Die wichtigsten Gründe wären:

- Es wurde lediglich die Bildung von Ethylestern einiger ausgewählter organischer Säuren untersucht. Wahrscheinlich liegt's ja an meinen fehlenden Formulierungskünsten. Ich versuche es trotzdem noch mal: Die Reaktion mit Carboxylgruppen ist nur eine von vielen anderen Abreaktionsmöglichkeiten von Ethanol. Im Wein schwimmen hunderte der verschiedensten organischen Verbindungen herum...

- Chemische Gleichgewichte sind ja bekanntlich konzentrationsabhängig. Doch wurden die untersuchten Estergehalte nie gegen die Alkoholgehalte der betreffenden Weine korreliert, und zwar weder bei der reinen Zustandsanalyse der verschiedenen Weine noch bei der Erhebung über 12 Monate. Die kleine Milchsäure-Rechnung kann deshalb nicht so richtig befriedigen... ;)

- Selbst wenn man nur die organischen Säuren betrachtet: Anzahl und Konzentration derselben variieren von Wein zu Wein oft in ganz erheblichen Ausmaß - und damit auch das Ausmaß der Reaktionen derselben. Verallgemeinerungen anhand bestimmter Weine ergeben da gar keinen Sinn.

- Wenn wir von der Kellerreifung von Lagerweinen Reden, dann sind 12 Monate (in Worten: Ein Jahr) gewiss noch keine aussagekräftige Kenngröße.

- Bei der Erhebung über jene 12 Monate bei den echten Weinen (nicht die "Modellösung"..) wurde diesen zuvor überdies noch 2 mg/l Milchsäure zugesetzt...


Man muss den Autoren der Veröffentlichung zugute halten, dass in deren Fokus nicht der - hier in ja Rede stehende - Alkohol und dessen Konzentrationsänderungen im Laufe der Flaschenreife stand und dass überdies auch die analytischen Möglichkeiten vor 40 Jahren nicht dieselben waren wie heute.

Was hier Sicherheit gäbe, wären - um gleich auch auf die Frage von amateur des vins einzugehen - Untersuchungen ein und desselben Weines über mehrere Jahre der Lagerung hinweg und die vollanalytische Feststellung sämtlicher stofflicher Veränderungen darin über die Zeit. Und das natürlich mit möglichst vielen, verschiedenen Ausgangsweinen. Das wäre ja heute möglich, und nach solchen wissenschaftlichen Daten suche ich auch schon seit Längerem, bisher aber noch ohne Erfolg. Was gewiss auch am Verhältnis des dabei zu betreibenden Aufwandes (der sich ja dann eben über mehrere Jahre erstreckte und, wenn man edle Weine nimmt, auch einiges kosten würde) im Vergleich zum Nutzen der dabei errungenen Erkenntnis liegen mag... :cry:

Leider bin ich nicht im Besitz eines modernen Analyse-Labors.
Offline
Benutzeravatar

Gerald

Administrator

  • Beiträge: 7485
  • Bilder: 32
  • Registriert: Do 24. Jun 2010, 07:45
  • Wohnort: Wien
  • Bewertungssystem: Auf Benutzername klicken

Re: Alkohol

BeitragDo 21. Jun 2018, 19:06

Hmmm,

meines Wissens sind bei trockenen Rotweinen an organischen Substanzen abgesehen vom Alkohol nur die genannten Carbonsäuren sowie Glyzerin in größeren Mengen vorhanden, die anderen verschiedenen Komponenten (Terpene, Polyphenole etc.) sind einfach in zu geringen Konzentrationen im Wein, um nennenswerte Mengen an Alkohol binden zu können - falls das überhaupt grundsätzlich ein Thema ist. Glyzerin wiederum wird wohl kaum mit Ethanol ohne "härtere Bedingungen" einen Ether bilden, das tut Ethanol von sich ja auch nicht.

Ich gehe einmal davon aus, dass eine deutlich messbare Abnahme des Alkoholgehaltes während der Lagerung bei intaktem Verschluss nur ein Gerücht ist ...

Grüße,
Gerald
Nächste

Zurück zu Allgemeines Weinwissen

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 8 Gäste

Impressum - Nutzungsbedingungen - Datenschutzrichtlinie - Das Team - Alle Cookies des Boards löschen